Pathologie: Hämatopoetisches System


Leukämien Bearbeiten

Leukämien sind generalisierte neoplastische Erkrankungen des blutbildenden Systems. Sie befallen primär das Knochenmark (im Ggs. zu den Lymphomen).

Ep.: Häufigstes Malignom im Kindesalter (v.a. ALL).

Risikofaktoren:

  • Endogen: Chromsomenaberrationen, DOWN-Syndrom
  • Exogen: Benzol, ionisierende Strahlen, Zytostatika, Lost-Verbindungen. Wirkung: Hämatotoxisch, genotoxisch.

Einteilung der Leukämien nach:

  • Verlauf: akut - chronisch
  • Ausschwemmung: leukämisch - aleukämisch
  • Differenzierungsgrad: unreif - reif
  • Zellart: myeloisch, lymphatisch, erythro- usw.

Allg. Komplikationen ergeben sich durch:

  • Verdrängung des normalen Knochenmarks:
    • Anämie
    • Thrombozytopenie -> Blutungsneigung
    • Granulozytopenie -> Infektneigung
  • Bei erhöhter Zellzahl im peripheren Blut erhöhte Blutviskosität -> Durchblutungsstörungen
  • Erhöhter Zellumsatz -> Hyperurikämie
  • Periphere Infiltrate -> Beeinträchtigung der entsprechenden Organe

Diagnostik:

  • Morphologie (Blutausstrich, Knochenmarkausstrich, Knochenmarkstanze, Lymphknotenbiopsie etc.)
  • Histochemie (PAS, Myeloperoxidase, unspez. Esterase/α-Naphtylazetat-Esterase, Alkalische-Leukozyten-Phosphatase, Eisenfärbung)
  • Immunphänotypisierung mittels Durchflusszytometrie (FACS-Analyse)
  • Immunhistochemie
  • Zytogenetik (Karyotyp, FISH-Analyse)
  • Molekulargenetik (PCR)

Akute myeloische Leukämie (AML) Bearbeiten

Ep.: 40. - 50 Lj., häufigste Leukämie beim Erwachsenen, Inzidenz 3-4/100.000 Jahr, steigt mit höherem Lebensalter

Ät.: Genetische Disposition, DOWN-Syndrom, Kanzerogene (Benzol), Zweitneoplasie z.B. nach Bestrahlung und Polychemotherapie.

Einteilung: FAB-Klassifikation (French-American-British Group), WHO-Klassifikation.

FAB-Klassifikation
Abk. AML-Subtyp Kennzeichen
M0 Akute myeloische Leukämie mit minimaler Differenzierung
M1 Akute myeloische Leukämie ohne Ausreifung
M2 Akute myeloische Leukämie mit Ausreifung
M3 Akute Promyelozyten-Leukämie (APL) faggots
M3v Akute Promyelozyten-Leukämie, mikrogranuläre Form
M4 Akute myelomonozytäre Leukämie
M4Eo Akute myelomonozytäre Leukämie mit Eosinophilie inv(16)
M5a Akute Monoblasten-Leukämie
M5b Akute Monozyten-Leukämie
M6 Akute Erythroleukämie
M7 Akute Megakaryoblasten-Leukämie

Ursprung: Multipotente Vorläuferzelle mit eingeschränktem Differenzierungspotential

Verhalten: Generationszeit und Proliferation können stark variieren (leukämische, aleukämische und subleukämische Verläufe), verminderte Zellteilung und Differenzierung, Infiltration erst des Knochenmarks, dann Befall anderer Organe.

Mikro: In 25 - 40 % AUER-Stäbchen (abweichende Lysosomen mit thromboplastinartiger Aktivierung), diese sind beweisend für eine AML (bes. FAB M3). Multiple AUER-Stäbchen nennt man faggots (engl.: Holzbündel, Reisigbündel), sie sind häufiger bei der AML-M3 zu sehen.

IHC: CD 34 +/- (Stammzelle), CD 13 +, CD 33 + (myeloische Vorstufen), CD 41 -

Marker: Myeloperoxidase (MPO, POX) +, unspez. Esterase/α-Naphtylazetat-Esterase (ANAE, CAE) +

Blutausstrich: Hiatus leukaemicus (völlig unreife Zellen (groß mit Nukleolen) und wenige reife Zellen, keine Zwischenstufen).

Kompl.: Hepatosplenomegalie (diffuse Infiltration), Meningiosis leucaemica, Hirnblutung, alveolokapillärer Block, Priapismus, Athralgie, Knochenschmerzen, Uratnephropathie, Anämie, hämorrhagische Diathese, Granulozytopenie mit hoher Infektanfälligkeit, multiple Ulzera im Darm, Chlorome.

 
Zwei Myeloblasten mit AUER-Stäbchen, Wright-Giemsa stain.
 
Eine AML-M0, Wright-Giemsa stain.
 
Eine AML-M1, Wright-Giemsa stain.
 
Eine AML-M2, Wright-Giemsa stain.
 
Eine AML-M3 (hypergranulierte PML), Wright-Giemsa stain.
 
Eine einzelne Faggot-Zelle bei AML-M3, Wright-Giemsa stain.
 
Eine AML-M3V, Wright-Giemsa stain.
 
Eine AML-M4, Wright-Giemsa stain.
 
Eine AML-M4EO, Wright-Giemsa stain.
 
Zwei Beispiele einer perizentrischen Inversion am Chromosom 16 (jeweils links normal, rechts invertiert, Pfeile markieren die Bruchstellen), assoziiert mit der AML-M4EO.
 
Eine AML-M5A, Wright-Giemsa stain.
 
Eine AML-M5B, Wright-Giemsa stain.
 
Ultrastruktur eines Promonozyten bei AML-M5B, TEM.
 
Ein multinukleärer Erythroblast bei AML-M6, H&E.
 
AML-M6, Blutausstrich, Wright-Giemsa stain.
 
AML-M7, zahlreiche Megakaryozyten durchsetzen das Knochenmark, H&E.

Chronisch myeloische Leukämie (CML) Bearbeiten

Kontext: Myeloproliferative Erkrankungen

Ep.: 25. - 60 Lj., hauptsächlich um das 40 Lj.

Ursprung: Alle 3 Zellreihen, bes. Granulozyten mit allen Reifungsstufen.

Pg.: In über 90 % Nachweis der Philadelphia-Translokation t(9;22)(q34;q11), d.h Nachweis des bcr-abl-Fusionsgens. Abl kodiert für eine Tyrosinkinase, die durch die Fusion mit dem bcr-Gen („breakpoint cluster region“) daueraktiviert wird. (Die Chromosomenaberration findet sich auch in einem Teil der Fälle von ALL.)

Verlauf:

  • Chronische Phase
  • Akzelerierte Phase
  • Blastenkrise

Blutbild in der chronischen Phase: Leukozytose, pathologische Linksverschiebung mit frühen Vorstufen, Myeloblasten und Promyelozyten ca. 10 %, variable Anämie, Eosinophile und Basophile vermehrt, Anisozytose, Poikilozytose, die alkalische Leukozytenphosphatase (ALP) ist vermindert (< 10). Blastenkrise: Blasten > 30 %.

Stadium: normal CML Blastenkrise
Granulozyten : Erythrozyten 2:1 bis 4,5:1 10:1 bis 50:1 20.000:1 bis 200.000:1

Makro: Knochenmark dunkelrot, hyperplastisch, Splenomegalie (> 1000 g), extramedulläre Infiltration.

Histo Knochenmark:

  • Hyperzellulär, ausgedehnte Infiltration, Fettzellen stark reduziert.
  • Morphologisch wie normale Granulozytopoese, nur sehr viel und pathologisch linksverschoben (Myelozyten). ALP positiv.
    • Chronische Phase: < 5% Blasten
    • Blastenkrise: > 20% Blasten im Blut oder KM

Klinik: B-Symptome, große Milz.

DD.: Leukämoide Reaktion (Reaktive akute bakteriell-infektiöse Leukozytose) - Geringere Linksverschiebung (hauptsächlich Stabkernige), Eosinophile und Basophile nicht vermehrt, toxische Granulation in den Neutrophilen, ALP negativ, keinn bcr-abl-Translokation!

Th.:

  • Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) z.B. Imatinib - Goldstandard
  • (früher: Hydroxyharnstoff, Interferon-α)


Weblinks: KEGG: Chronic myeloid leukemia - Homo sapiens (human)

 
CML: Leukozytose mit Linksverschiebung. Blutausstrich.
 
Die typische t(9;22)-Translokation in einer myeloischen Zelle bei einem Patienten mit CML.

Akute lymphatische Leukämie (ALL) Bearbeiten

Syn.: Akute lymphoblastische Leukämie

Ep.: Häufigste Leukämieform im Kindesalter, 80 % der Erkrankungen treten im Kindesalter auf.

Marker: MPO -, ANAE -, 75 % PAS +

Mikro: Blasten im Blut (unreife Lymphozyten mit vergrößerten Kernen und Nukleolen).

Klinik: Ähnlich der AML, Lymphknotenvergrößerung.

 
ALL-L1, Knochenmarkausstrich, Wright-Giemsa stain.
 
ALL, PAS.

Chronische lymphatische Leukämie (CLL) Bearbeiten

Siehe unter Lymphome

Übersicht Leukämien Bearbeiten

Leukämie Eigenschaften
AML CD13 +, CD33 +, CD34 +/-, CD41 -, MPO +, ANAE +, Auerstäbchen, Hiatus leukaemicus
CML ALP vermindert, periphere Linksverschiebung, t(9;22)
ALL CD13 -, CD33 -, CD34 +/-, CD41 -, MPO -, ANAE -, PAS +
CLL GUMPRECHT-Schatten (Ausstrich-Artefakte). CD34 +/-
  • B-CLL (95 %): CD19 +, CD20 +, CD79a +
  • T-CLL: CD3 +, CD5 +, CD4/CD8 +

Myeloproliferative Erkrankungen (MPS) Bearbeiten

Polyzythämia vera (Pv) Bearbeiten

Ät.: Somatische JAK2-Mutation in 98% der Fälle.

Mikro:

  • Hyperzelluläres Knochenmark (wenig Fettzellen)
  • Megakaryozyten leicht vermehrt, aber nicht atypisch.
  • Proliferation aller 3 Zellreihen, besonders Erys (absolute Erythrozytose)

Labor:

  • Eryzahl: 6 - 10 Mio/μl
  • Hb > 16,5 g/dl (m) bzw. > 16,0 g/dl (w)
  • Störung der Plättchenfunktion -> Kompl.: Thrombosen, Blutungen.
  • EPO - (supprimiert)

Klinik: Hepatosplenomegalie, Schmerzen, Sehstörungen (Durchblutungsstörungen), Pruritus.

DD: Reaktive Erythrozytose.

 
In diesem Blutausstrich fallen drei rote Vorläuferzellen und die Anisopoikilozytose (Größen- und Gestaltvariation der Erythrozyten) auf, Wright-Giemsa stain.

Essentielle Thrombozytämie Bearbeiten

Etwas maligner

Mikro: Megakaryozyten stark vermehrt.

 
Essentielle Thrombozytämie, Knochenmarkaspirat, H&E.
 
Idem, Knochenmarkausstrich, H&E.

Chronische idiopathische Osteomyelofibrose (OMF) Bearbeiten

KM-Ausstrich: Punctio sicca.

Mikro KM-Stanze: Fibrosiertes Knochenmark, Megakaryozyten vermehrt.

Blutausstrich: Zytosen oder Zytopenie, Linksverschiebung, leukoerythroblastisches Blutbild (Auftauchen roter und weißer Vorläuferzellen), Dakryozyten.

Klinik: Hepatosplenomegalie (extramedulläre Blutbildung), Allgemein- und B-Symptome.

Kompl.: Infektionen, Übergang in eine akute Leukämie.

Chronische myeloische Leukämie Bearbeiten

s.o.

Myelodysplastisches Syndrom (MDS) Bearbeiten

Ät.: Z.B. Z.n. Radiatio, Chemotherapie

Betroffen sind alle 3 Zellreihen

Stadien:

  • 1) Refraktäre Anämie (RA)
  • 2) RA mit Ringsideroblasten
  • 3) Refraktäre Zytopenie (RC) mit multilinearer Dysplasie (RCMD)
  • 4) RA mit < 10 % Blasten (Refractory anemia with excess blasts, RAEB)
  • 5) RA mit < 20 % Blasten (RAEB)

> 20 % Blasten => AML (Blastenschub, Akzeleration).

Dysplasiezeichen:

  • Rote Reihe: Fragmentierte Kerne.
  • Megakaryozyten: Normal sind große gelappte Kerne. Für eine Dysplasie sprechen mehrere einzeln liegende Zellkerne in einer Zelle und einkernige Mikromegakaryozyten („Spiegeleier“, Aspekt wie riesige Plasmazellen).
  • Weiße Reihe: Pseudo-PELGER-HUET-Anomalie (hantel- oder brillenförmige bilobierte Zellen, die zwei Kernanteile sind durch einen breiten Steg verbunden), physiologisch nur bei Eosinophilen. Hypogranulierte neutrophile Granulozyten.

SF: 5q--Syndrom bzw. del(5q)-Syndrom: Megakaryozyten vermehrt statt vermindert und in Clustern von mehr als 10 zusammenliegend, einkernige Mikromegakaryozyten. Diagnose: Zytogenetik.

 
Zwei hypogranulierte Neutrophile und eine rote Vorläuferzelle mit fragmentiertem Kern (oben links), Wright-Giemsa stain.
 
Ein hypogranulierter Neutrophiler mit Pseudo-PELGER-HUET-Anomalie, Wright-Giemsa stain.
 
Zwei Mikromegakaryozyten mit „Spiegeleier“-Aspekt bei RAEB und isolierter 5q-Aberration, Wright-Giemsa stain.