Autor*innen: Julian Seidl

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Notwendiges Vorwissen: Keines

Behandelte Themen: Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitssuche (§ 20 AufenthG); Verwaltungsverfahren; Anhörung; Fiktionsbescheinigung.

Zugrundeliegender Sachverhalt: Master in der Tasche – und dann?

Schwierigkeitsgrad: Anfänger*innen

A. Frage 1: Derzeitige Situation der U

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I. Aufenthaltsrechtliche Situation

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Zuletzt hatte U eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Arbeitsplatzsuche (§ 20 III Nr. 1 AufenthG), welche bis Oktober 2021 gültig war. Vor Ablauf ihrer Aufenthaltserlaubnis hat U die Verlängerung beantragt.

Bis zur Entscheidung über die Verlängerung ist U eine sogenannte Fiktionsbescheinigung auszustellen, das heißt ihre Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsplatzsuche nach § 20 III Nr. 1 AufenthG gilt solange als fortbestehend, bis die Ausländerbehörde über die von U beantragte Verlängerung entschieden hat (§ 81 IV AufenthG).

II. Stand des Verwaltungsverfahrens

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Bezüglich der beantragten Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis befindet sich U gegenwärtig im behördlichen Ausgangsverfahren.

Weiterführendes Wissen zum Verwaltungsverfahren

Innerhalb des behördlichen Verwaltungsverfahrens ist zwischen dem sogenannten Ausgangsverfahren und dem Widerspruchsverfahren zu unterscheiden. Erlässt die Behörde einen für Betroffene nachteiligen Verwaltungsakt oder lehnt einen beantragten begünstigenden Verwaltungsakt ab, steht Betroffenen grundsätzlich die Möglichkeit offen, Widerspruch einzulegen (§§ 68ff. VwGO). Im Widerspruchsverfahren überprüft die Behörde nochmals die von ihr getroffene Entscheidung. Zumeist bestimmen landesrechtliche Rechtsvorschriften, dass im Aufenthaltsrecht kein Widerspruchsverfahren durchzuführen ist. In diesem Fall müssen Betroffene gegen die im Ausgangsverfahren getroffene behördliche Entscheidung direkt Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben.

Das Schreiben der Ausländerbehörde vom 4.11.2020 stellt noch keine Entscheidung über den Antrag der U dar. Es handelt sich nicht um einen Verwaltungsakt. Die Behörde räumt U lediglich die Möglichkeit ein, sich zum Sachverhalt zu äußern.

Weiterführendes Wissen Anhörung nach § 28 (L)VwVfG

Eine derartige Äußerungsmöglichkeit im behördlichen Verfahren nennt man Anhörung. Nach § 28 (L)VwVfG sind die Adressat*innen eines belastenden Verwaltungsaktes grundsätzlich anzuhören. Vorliegend beabsichtigt die Behörde nicht den Erlass eines belastenden, sondern die Ablehnung eines von U begehrten begünstigenden Verwaltungsaktes (Erteilung der Aufenthaltserlaubnis). Es ist umstritten, ob das Anhörungserfordernis aus § 28 (L)VwVfG auch für die Versagung begünstigender Verwaltungsakte gilt.[1] Üblicherweise wird die Behörde auch in dieser Konstellation eine Anhörung zur Sachverhaltsermittlung durchführen. Gerade weil es im Aufenthaltsrecht meistens kein Widerspruchsverfahren gibt, ist die Anhörung in der migrationsrechtlichen Beratung überaus wichtig.

B. Frage 2: Äußerungsmöglichkeit nach Ablauf der Anhörungsfrist

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Die von der Behörde gesetzte Äußerungsfrist ist bereits am 18.11.2021 abgelaufen. Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen der Fristablauf für U hat.

Bei der Frist zur Äußerung im Rahmen der Anhörung handelt es sich nicht um eine gesetzliche, sondern um eine behördlich gesetzte Frist. Den Berater*innen der Law Clinic ist dringend zu raten, bei der Behörde eine Verlängerung der U gesetzten Frist zur Äußerung zu beantragen. Dies ist auch dann noch möglich, wenn die von der Behörde gesetzte Frist bereits abgelaufen ist. Zwar ist man bei der Fristverlängerung auf die Kulanz der Behörde angewiesen, doch wird die Behörde üblicherweise einer Verlängerung um einen angemessenen Zeitraum zustimmen (vgl. § 31 VII (L)VwVfG). Dies gilt insbesondere, wenn die Berater*innen vorbringen, dass sie Zeit benötigen, um sich in den Fall einzuarbeiten und die Rechtslage zu prüfen.

Weiterführendes Wissen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur bei gesetzlichen Fristen

Bei einer behördlich gesetzten Äußerungsfrist lässt sich nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 32 (L)VwVfG beantragen. Eine solche ist nur bei gesetzlichen Fristen möglich.

Sollte die Behörde wider Erwarten eine Fristverlängerung ablehnen oder die verlängerte Frist versäumt werden, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen eine verspätete Stellungnahme hat.

Das Versäumen einer behördlich gesetzten Äußerungsfrist führt nicht zur Präklusion, sondern gibt der Behörde lediglich die Möglichkeit, ohne die Stellungnahme der Betroffenen zu entscheiden. Auch das nach Fristablauf bei der Behörde eingegangene Vorbringen der Betroffenen ist zu berücksichtigen.[2]

Die Berater*innen können also für U auch nach Ablauf der behördlich gesetzten Frist eine Stellungnahme abgeben, welche zu berücksichtigen ist.

C. Frage 3: Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsplatzsuche

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Fraglich ist, ob die von U begehrte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsplatzsuche nach § 20 III Nr. 1 AufenthG Aussicht auf Erfolg hat.

Nach § 20 III Nr. 1 AufenthG wird Betroffenen nach erfolgreichem Abschluss eines Studiums im Bundesgebiet im Rahmen eines Aufenthalts nach § 16b oder § 16c AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zur Suche eines der Qualifikation angemessenen Arbeitsplatzes für bis zu 18 Monate erteilt. Eine Verlängerung über den genannten Höchstzeitraum von 18 Monaten hinaus ist ausgeschlossen (vgl. § 20 IV 2 AufenthG).

Vorliegend wurde U die Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsplatzsuche nach § 20 III Nr. 1 AufenthG bereits im April 2020 für die Höchstdauer von 18 Monaten erteilt. Dieser Zeitraum ist im Oktober 2021 abgeschlossen. Eine darüberhinausgehende Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 20 III Nr. 1 AufenthG ist nicht möglich (vgl. § 20 IV 2 AufenthG).

Die von U begehrte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsplatzsuche nach § 20 III Nr. 1 AufenthG hat mithin keine Aussicht auf Erfolg.

Weiterführendes Wissen Fiktionsbescheinigung

In der Praxis empfiehlt es sich, die Erteilung einer Fiktionsbescheinigung anzuregen, um U zusätzliche Zeit für die Arbeitsplatzsuche zu verschaffen. Die Ausländerbehörde hat die Möglichkeit, über den Antrag der U auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsplatzsuche zunächst nicht zu entscheiden und für die Übergangszeit eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 V AufenthG auszustellen. Bis zur Entscheidung über den Antrag gilt die bisherige Aufenthaltserlaubnis nach § 20 III Nr. 1 AufenthG als fortbestehend (§ 81 IV 1 AufenthG) und U hätte weiterhin die Möglichkeit, eine Arbeitsstelle aufzunehmen.

D. Frage 4: Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Beschäftigung

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Möglicherweise könnte U eine neue Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Vorliegend ist fraglich, ob die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung (§ 18 AufenthG) für U zum jetzigen Zeitpunkt Aussicht auf Erfolg hat.

In Betracht kommt eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer qualifizierten Beschäftigung für Fachkräfte mit akademischer Ausbildung nach § 18b AufenthG, da U über ein abgeschlossenes Hochschulstudium verfügt. Dies erfordert, dass neben den Voraussetzungen des § 18b AufenthG auch die allgemeinen Voraussetzungen des § 18 II AufenthG und des noch allgemeineren § 5 AufenthG vorliegen.

Weiterführendes Wissen Allgemeine und besondere Erteilungsvoraussetzungen

In der Gesetzessystematik des AufenthG ist es typisch, dass es gemeinsame Voraussetzungen für alle Aufenthaltserlaubnisse in einem bestimmten Abschnitt gibt (zum Beispiel § 18 II AufenthG mit Voraussetzungen für den Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit oder § 27 AufenthG mit Voraussetzungen für den Aufenthalt aus familiäreren Gründen). Als Letztes sind immer die allgemeinen Voraussetzungen nach § 5 AufenthG zu prüfen, sofern nicht speziellere Normen des AufenthG vorsehen, dass die Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 5 AufenthG erteilt wird.

I. Voraussetzungen des § 18b AufenthG

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U müsste Fachkraft mit akademischer Ausbildung sein.

Hierunter versteht man nach der Legaldefinition des § 18 III Nr. 2 AufenthG eine Person, die einen deutschen, einen anerkannten ausländischen oder einen einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss besitzt.

Als Absolventin eines deutschen Master-Studiengangs erfüllt U diese Voraussetzung.

II. Voraussetzungen des § 18 II AufenthG

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Des Weiteren müssen die allgemeinen Voraussetzungen für Aufenthaltstitel des 4. Abschnitts nach § 18 II AufenthG erfüllt sein.

Weiterführendes Wissen Voraussetzungen nach § 18 II AufenthG
  1. Vorliegen eines konkreten Arbeitsplatzangebots
  2. Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit (BA) oder Beschäftigung ohne Zustimmung der BA zulässig
  3. Berufsausübungserlaubnis (falls erforderlich)
  4. Gleichwertige Qualifikation oder anerkannter beziehungsweise vergleichbarer ausländischer Hochschulabschluss (soweit für den jeweiligen Aufenthaltstitel erforderlich)
  5. Bei Personen ab 45 Jahren: Gehalt in Höhe von mind. 55 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung

Vorliegend kann U trotz ihrer Bemühungen bei der Jobsuche noch kein konkretes Arbeitsplatzangebot vorweisen, sodass es bereits an der ersten Voraussetzung des § 18 II AufenthG fehlt.

Es stellt sich die Frage, ob eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 18ff. AufenthG auch abweichend von der Voraussetzung des konkreten Arbeitsplatzangebots nach § 18 II Nr. 1 AufenthG erteilt werden kann. So heißt es in § 18 II Nr. 5 S. 2 AufenthG: "Von den Voraussetzungen nach Satz 1 kann nur in begründeten Ausnahmefällen, in denen ein öffentliches, insbesondere ein regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse an der Beschäftigung des Ausländers besteht, abgesehen werden."

Fraglich ist, ob sich die Ausnahmeregelung nach § 18 II Nr. 5 S. 2 AufenthG auf den kompletten Satz 1 (also auf die § 18 II Nr. 1-5 AufenthG) oder nur auf § 18 II Nr. 5 bezieht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass § 18 AufenthG durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz zum 1.3.2020 komplett neu gefasst wurde.

So könnte man § 18 II Nr. 5 S. 2 AufenthG als Ausnahmeregelung für den gesamten Satz 1 verstehen.[3] Hiernach wäre eine Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis trotz fehlenden Arbeitsplatzangebots in begründeten Ausnahmefällen möglich.

Gegen dieses Verständnis von § 18 II Nr. 5 S. 2 AufenthG spricht jedoch die Gesetzgebungshistorie. So war das Erfordernis des § 18 II Nr. 5 AufenthG im ursprünglichen Entwurf des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes nicht vorgesehen, sondern wurde erst später auf Empfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat eingefügt.[4] § 18 II Nr. 5 S. 2 sollte sich nur auf die neue Voraussetzung des § 18 II Nr. 5 S. 1 AufenthG beziehen und nicht weitergehende Ausnahmen ermöglichen. Vom Erfordernis eines konkreten Arbeitsplatzangebots kann daher nicht abgesehen werden.[5]

Mangels konkreten Arbeitsplatzangebots erfüllt U daher nicht die allgemeinen Voraussetzungen des § 18 II AufenthG.

III. Ergebnis

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Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung scheidet mangels konkreten Arbeitsplatzangebots aus.

Die Berater*innen der Law Clinic können lediglich bei der Ausländerbehörde anregen, vorerst von einer Entscheidung über die beantragte Aufenthaltserlaubnis abzusehen und eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 V AufenthG auszustellen.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

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  • Vor Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes hat die Behörde die Betroffenen anzuhören (§ 28 (L)VwVfG). Kann die behördlich gesetzte Äußerungsfrist nicht gewahrt werden, empfiehlt es sich eine Fristverlängerung zu beantragen.
  • Eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Arbeitsplatzsuche kann nicht über die in § 20 III Nr. 1 AufenthG genannte Höchstdauer von 18 Monaten hinaus verlängert werden.
  • Bei einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung sind neben den speziellen Voraussetzungen der jeweiligen Vorschrift (zum Beispiel § 18b AufenthG) auch die gemeinsamen Voraussetzungen nach § 18 II AufenthG zu prüfen, insbesondere das Vorliegen eines konkreten Arbeitsplatzangebots (§ 18 II Nr. 1 AufenthG).

Dieser Text wurde von der Initiative für eine offene Rechtswissenschaft OpenRewi erstellt. Wir setzen uns dafür ein, Open Educational Ressources für alle zugänglich zu machen. Folge uns bei Twitter oder trage dich auf unseren Newsletter ein.

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Inhaltsverzeichnis des Buches

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§ 1 Nationales Asylverfahrensrecht

§ 2 Asylverfahrensrecht im europäischen Kontext

§ 3 Materielles Asylrecht

§ 4 Entscheidungsmöglichkeiten des BAMF und der Asylprozess

§ 5 Rechte und Pflichten nach Schutzzuerkennung

§ 6 Rechtsstellung nach Antragsablehnung und Aufenthaltssicherung

§ 7 Sozialleistungen im Flüchtlingskontext

§ 8 Nicht-humanitäres Aufenthaltsrecht

Fußnoten

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  1. Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 28 Rn. 32b.
  2. Hermann, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, 53. Ed. 1.10.2021, § 28 Rn. 20.
  3. Nusser, in: Bergmann/Dienelt, AufenthG, 13. Aufl. 2020, § 18 Rn. 18.
  4. BT-Drs. 19/10714, S. 9.
  5. VGH Bayern, Beschl. v. 8.4.2020, Az.: 10 CS 20.675, Rn. 5; Dippe, in: Huber/Mantel, AufenthG, 3. Aufl. 2021, § 18 Rn. 14 unter Hinweis auf die Anwendungshinweise zum FEG v. 6.8.2021, Nr. 18.2.5.7.