Autor*innen: Sophie Greilich, Mailin Loock

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Notwendiges Vorwissen: Vorbereitung ist die halbe Miete; Das Dublin-Roulette Teil 1: Wer ist zuständig?; Das Dublin-Roulette Teil 2: Wer ist zuständig?; allgemeines Verwaltungsrecht: die Anfechtungsklage und einstweiliger Rechtsschutz nach § 80 V VwGO

Behandelte Themen: Rechtsschutz im Dublin-Verfahren; Verlängerung der Überstellungsfrist; nächtlicher Hausarrest; Flüchtigsein; Aufforderung zur Selbstgestellung; Kirchenasyl; freiwillige Ausreise

Zugrundeliegender Sachverhalt: Dublin-Bescheid – was nun?

Schwierigkeitsgrad: Anfänger*innen/Fortgeschrittene

A. Rechtsschutz im Dublin-Verfahren

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Im Nachfolgenden wird skizziert, welche Rechtsschutzmöglichkeiten Rahil und Adil nach Erhalt der sogenannten Dublin-Bescheide zur Verfügung stehen.

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Abweichende Rechtsschutzregelungen im Dublin-Verfahren

Der Rechtsschutz in Dublin-Verfahren unterliegt weitreichenden Beschränkungen. Gemäß § 11 AsylG findet gegen Entscheidungen nach dem AsylG – zu denen auch Dublin-Bescheide zählen – kein Widerspruchsverfahren statt. Die Klage gegen einen Dublin-Bescheid hat keine aufschiebende Wirkung (Umkehrschluss zu § 75 I 1 AsylG); das heißt, sie allein schützt nicht gegen eine Dublin-Überstellung. Dadurch verlagert sich das Rechtsschutzverfahren faktisch in das Eilverfahren, da bereits darin alle wesentlichen Gesichtspunkte gegen eine Dublin-Überstellung vorgetragen werden müssen. Die Frist zur Einreichung von Klage und Eilantrag[1] (§ 80 V VwGO) beträgt lediglich eine Woche (§§ 74 I Hs. 2, 34a II 1 AsylG). Regelhaft erfolgt die Entscheidung des Gerichts – wie auch in sonstigen asylrechtlichen Streitigkeiten – anstelle der Kammer durch den*die Einzelrichter*in (§ 76 I, IV 1 AsylG). Der Zugang zur zweiten Instanz, das Berufungsverfahren, ist in Dublin-Verfahren wie in sonstigen asylrechtlichen Streitigkeiten gemäß § 78 III AsylG beschränkt auf Rechtssachen grundsätzlicher Bedeutung (Nr. 1), Divergenz von obergerichtlicher Rechtsprechung (Nr. 2) sowie revisible Verfahrensfehler (Nr. 3 i.V.m. § 138 VwGO). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung genügen hingegen ebenso wenig für eine Zulassung der Berufung wie besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (≠ § 124 II Nr. 1, Nr. 2 VwGO). Art. 27 I Dublin-III-VO[2] schreibt lediglich ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung vor, sodass die Beschränkung auf eine Überprüfungsinstanz europarechtlich zulässig ist. Art. 27 II Dublin-III-VO sieht jedoch vor, dass für die Wahrnehmung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf eine angemessene Frist vorzusehen ist. Ob eine Woche angesichts der Komplexität der Rechtslage sowie der strukturellen Barrieren, die Geflüchtete beim Ersuchen um Rechtsschutz treffen, als angemessen bewertet werden kann, erscheint durchaus zweifelhaft.[3]

I. Rechtsschutz gegen die Dublin-Bescheide

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Gegen die Ziffern 1 und 3 des Dublin-Bescheids ist eine Anfechtungsklage[4] nach § 42 I, Alt. 1 VwGO beim zuständigen Verwaltungsgericht[5] statthaft, da diese Verwaltungsakte im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG darstellen und das Klagebegehren[6] ihre gerichtliche Aufhebung ist. Eine (zusätzliche) Leistungs- beziehungsweise Verpflichtungsklage auf Fortsetzung des Verfahrens beziehungsweise auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus ist hingegen nicht zu erheben, da das BAMF das Asylverfahren bei einer gerichtlichen Feststellung der Zuständigkeit Deutschlands von Amts wegen weiterführen muss[7] und die Dublin-III-VO ein von der materiellen Prüfung eines Asylantrags gesondertes behördliches Verfahren für die Bestimmung des zuständigen Staats vorsieht[8].

Der Klage kommt jedoch keine aufschiebende Wirkung zu, wenn – wie regelmäßig der Fall – gleichzeitig eine Abschiebungsanordnung ergeht. Diese Ausnahme zu dem in § 80 I 1 VwGO zum Ausdruck kommenden Grundsatz ergibt sich aus § 75 I AsylG i.V.m. § 80 II 1 Nr. 3 VwGO. Daher sollte gleichzeitig ein Eilantrag[9] im Sinne von § 80 V 1, Alt. 1 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung beim Verwaltungsgericht eingereicht werden. Da durch die Einlegung eines solchen Antrags die Überstellungsfrist verlängert werden kann (siehe unten A.III.), ist es in der Praxis zu raten, sich vor Erhebung der Klage und des flankierenden Eilrechtsschutzantrags anwaltlich beraten zu lassen.

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Unterschied: Abschiebungsandrohung und Abschiebungsanordnung

Das Gesetz differenziert im Hinblick auf die Vollstreckung einer negativen asylrechtlichen Entscheidung zwischen einer Abschiebungsandrohung und einer Abschiebungsanordnung, welche jeweils für verschiedene Varianten der Antragsablehnung vorgesehen und mit sehr unterschiedlichen Rechtsfolgen verbunden sind.

Gemäß § 34 AsylG erlässt das BAMF im Fall einer Ablehnung des Asylantrages eine Abschiebungsandrohung, wenn der*die Antragsteller*in weder als Asylberechtige*r, GFK-Flüchtling oder subsidiär schutzberechtigt anerkannt wird noch ein Abschiebungsverbot nach § 60 V beziehungsweise VII AufenthG festgestellt wird und zudem kein Aufenthaltstitel besteht. Diese Abschiebungsandrohung ergeht in der Regel zusammen mit dem Ablehnungsbescheid und ist mit einer Frist zur freiwilligen Ausreise zu verbinden (§ 34 I 1 AsylG i.V.m. § 59 I 1 AufenthG, § 38 I AsylG). Die Abschiebung wird nur für den Fall angedroht, dass die Ausreise nicht innerhalb dieser gesetzten Frist erfolgt. Das BAMF prüft keine inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisse, da diese im nachgelagerten Vollstreckungsverfahren durch die dafür allein zuständige Ausländerbehörde geprüft werden (beispielsweise familiäre Duldungsgründe, Reiseunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen etc.). Die Abschiebungsandrohung hat die Warnfunktion, dass sich die betroffene Person nach Ablauf der Ausreisefrist auf Abschiebemaßnahmen einstellen muss. Bei Ablehnung des Asylantrages als unzulässig gemäß § 29 I Nr. 2 (Anerkannten-Fall) oder Nr. 4 AsylG, ergeht die Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG.

Demgegenüber erlässt das BAMF eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG, wenn eine asylsuchende Person in einen sogenannten sicheren Drittstaat (§ 26a) oder den zuständigen Dublin-Staat abgeschoben werden soll, das heißt bei einer Ablehnung des Asylantrages als unzulässig gemäß § 29 I Nr. 1, 3 AsylG. In diesen Konstellationen bedarf es keiner zusätzlichen Abschiebungsandrohung und es wird keine Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt.[10] Das BAMF prüft vor Erlass einer Abschiebungsanordnung, ob die Abschiebung durchgeführt werden kann (§ 34a I 1 a.E. AsylG). Diese Prüfung erstreckt sich in jedem Fall auf zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote, der überwiegenden Meinung nach jedoch auch auf inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, deren Prüfung üblicherweise allein den Ausländerbehörden obliegt.[11]

II. Berechnung der Rechtsbehelfsfristen

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Fraglich ist, innerhalb welcher Fristen Rahil und Adil um Rechtschutz nachsuchen müssen.

1. Zustellung am 12.6.2021

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Zunächst ist klärungsbedürftig, bis wann Rechtsbehelfe eingelegt werden müssen, wenn eine Zustellung an die Betroffenen am 12.6.2021 erfolgte. Wie oben dargestellt, ist es Rahil und Adil zu raten, sowohl eine Anfechtungsklage als auch einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht einzureichen. Für die Klage (§ 74 I Hs. 2 AsylG) und den Eilantrag (§ 34a II 1 AsylG) ist die Frist sehr kurz bemessen: Sie beträgt lediglich eine Woche. Fristauslösendes Ereignis ist die Zustellung an die asylantragstellende Person (§ 31 I 5 AsylG). Das Datum der Zustellung befindet sich in der Regel auf dem gelben Umschlag vermerkt, in welchem sich der Bescheid befindet.

Da Rahil und Adil die Bescheide am 12.6.2021 zugestellt worden sind, begann die Frist nach § 57 II VwGO i.V.m. § 222 I ZPO i.V.m. § 187 I BGB am 13.6.2021 um 0:00 Uhr zu laufen und endet(e) gemäß § 57 II VwGO i.V.m. § 222 I, II ZPO i.V.m. § 188 II ZPO am 21.6.2021 um 24:00 Uhr.

2. Spätere Zustellung bei bevollmächtigter Rechtsanwältin am 15.6.2021

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Weiterhin stellt sich die Frage, wie es sich auswirkt, wenn die Zustellung wie in 1. erfolgte, ein Abdruck der Entscheidungen der von den Geschwistern bevollmächtigten Rechtsanwältin allerdings erst am 15.6.2021 zuging und dem BAMF eine entsprechende Vollmacht vorliegt. Fraglich ist, ob hier § 7 I 2 VwZG greift. Diese Vorschrift regelt, dass im Falle der Bevollmächtigung eines Rechtsbeistandes und der Vorlage einer entsprechenden schriftlichen Vollmachtsurkunde zwingend an diesen zugestellt werden muss. Zustellungen an den*die Vollmachtgeber*in sind in diesen Fällen unwirksam.[12]

Lösung nach der alten Rechtslage: Vor dem 1.1.2023 war dies zu verneinen, denn § 31 I 5 AsylG (alte Fassung) enthielt hinsichtlich der Regelung des § 7 I 2 VwZG eine spezialgesetzliche Ausnahme.[13] Nach dieser Sondervorschrift war die Entscheidung der asylantragstellenden Person selbst zuzustellen; das heißt, allein diese wirkte fristauslösend.[14] § 31 I 7 AsylG sah lediglich die Zuleitung eines Abdrucks der Entscheidung an die bevollmächtigte oder empfangsberechtigte Person vor. Im Hinblick auf den in Art. 27 V Dublin-III-VO unionsrechtlich verankerten Anspruch auf Rechtsberatung während des Dublin-Verfahrens und der damit einhergehenden Einschränkungen hinsichtlich eines effektiven Rechtsschutzes wurde diese Vorschrift vielfach kritisiert.[15] Bei einer verspäteten beziehungsweise unterbliebenen Weiterleitung an die bevollmächtigte Person erschien daher jedenfalls eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand[16] geboten.

Lösung nach der neuen Rechtslage: Die Sätze 5 bis 7 des § 31 I AsylG wurden durch das Gesetz zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren vom 1.1.2023  aufgehoben, weil diese laut der Gesetzesbegründung in der Praxis zu Unsicherheiten hinsichtlich des Beginns der Rechtsmittelfrist geführt haben. Für die Falllösung bedeutet das, dass allein die spätere Zustellung am 15.6.2021 für die Fristberechnung maßgeblich ist.

Weiterführendes Wissen

Im Zusammenhang mit der Zustellung eines Dublin-Bescheides sind auch die abweichenden Vorschriften des § 10 AsylG zu beachten. Die Norm enthält Mitwirkungspflichten der asylsuchenden Person (Absatz 1) und behördliche Bekanntgabeerleichterungen wie beispielsweise die Zustellungsfiktion in Absatz 2.

III. Auswirkung der Einlegung eines Eilantrags auf die Überstellungsfrist

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Nun ist zu klären, wie sich eine eine etwaige Ablehnung des Eilantrags auf die Überstellungsfrist auswirkt. Grundsätzlich beginnt die sechsmonatige Überstellungsfrist mit Zustimmung beziehungsweise Zustimmungsfiktion des angefragten Staates (Art. 29 I Dublin-III-VO). Fraglich ist jedoch, wie sich eine Klageerhebung bei gleichzeitiger Beantragung von Eilrechtsschutz auf die Überstellungsfrist auswirkt.

Die Klageerhebung allein hat keinerlei Auswirkungen auf den Lauf der Überstellungsfrist, da ihr keine aufschiebende Wirkung zukommt.

Wie sich hingegen ein mit der Klageerhebung verbundener Eilantrag (auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, § 80 V 1, Alt. 1 VwGO) auswirkt, ist umstritten:

  • Das BVerwG vertritt die Ansicht, dass die Überstellungsfrist bei Einlegung eines Eilrechtsschutzantrags im Falle einer ablehnenden Entscheidung neu in Gang gesetzt wird. Als Argument führt es an, dass sich aus der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 20 I lit. d Dublin-II-VO ergebe, dass dem Mitgliedstaat in Fällen der Inanspruchnahme von Rechtsschutz stets die volle Überstellungsfrist zur Vorbereitung und Durchführung zur Verfügung stehen müsse und die Frist für die Durchführung der Überstellung daher erst zu laufen beginne, wenn sichergestellt sei, dass die Überstellung in Zukunft erfolgen könne und lediglich deren Modalitäten zu regeln blieben. Sofern hingegen das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen eine Abschiebungsanordnung anordnet, die Klage in der Hauptsache aber abweist, beginne die Überstellungsfrist laut BVerwG nach Ende der aufschiebenden Wirkung im Sinne von § 80b I VwGO; also nach Ablauf von vier Monaten nach Zustellung des Urteils.[17] Die vier Monate ergeben sich dabei unter Berücksichtigung der einmonatigen Antrags- und Begründungsfrist für die Berufungszulassung im Sinne von § 78 IV AsylG.
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Ende der aufschiebenden Wirkung bei positivem Eilbeschluss und späterer Klageabweisung

Für die Frage, wie das BVerwG hinsichtlich des Fristbeginns auf die vier Monate nach Zustellung des abweisenden Urteils kommt, ist ein Blick in § 80b I VwGO i.V.m. § 78 IV AsylG erforderlich: § 80b I VwGO bestimmt, dass die aufschiebende Wirkung einer abgewiesenen Anfechtungsklage drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist des gegen die abweisende Entscheidung gegebenen Rechtsmittels endet. Im Falle einer Klage gegen einen Dublin-Bescheid ist der Antrag auf Zulassung der Berufung im Sinne von § 78 IV AsylG das einschlägige Rechtsmittel, welcher innerhalb einer einmonatigen Frist zu begründen ist.

  • Stimmen aus der Literatur halten die Verschiebung des Beginns der Überstellungsfrist lediglich im letzteren Fall – bei Stattgabe eines Antrags nach § 80 V VwGO – mit der Maßgabe für gerechtfertigt, dass die Frist aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Art. 29 I Dublin-III-VO („Die Überstellung [...] erfolgt [...] spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach [...] der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf [...]“) in Abgrenzung zu Art. 28 III 6 Dublin-III-VO mit dem Tag des Urteils neu zu laufen beginne.[18] Der Standpunkt des BVerwG, bei Ablehnung des Eilantrags die Überstellungsfrist neu laufen zu lassen, stehe im Widerspruch mit dem in Art. 27 III lit. c Dublin-III-VO verankerten Beschleunigungsgrundsatz und beschneide die antragstellenden Personen in ihrem Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz aus Art. 47 GR-Charta.[19] Zudem adressiere Art. 29 I 1 Dublin-III-VO nicht den Eilantrag nach Art. 27 III lit. c Dublin-III-VO, sondern lediglich den Hauptsacherechtsbehelf.[20]
  • Eine vermittelnde Meinung nimmt in der Zeit zwischen der Zustellung des Bescheids bis zur Zustellung der negativen Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Ablaufhemmung mit der Folge an, dass die Frist sich entsprechend verlängert.[21]
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Verspätet eingereichte oder sonstig unzulässige Eilanträge unterbrechen die Überstellungsfrist nach der Rechtsprechung nicht.[22]

IV. Aussetzung der Abschiebung wegen bevorstehender Eheschließung

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Erlässt das BAMF mit der ablehnenden Dublin-Entscheidung auch eine Abschiebungsanordnung, hat es zuvor zu prüfen, ob im Sinne von § 34a I AsylG „feststeht“, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Insofern hat es sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 V und VII AufenthG als auch (ausnahmsweise) der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen.[23]

Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung setzt ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen einer bevorstehenden Eheschließung mit einem in Deutschland anerkannten Flüchtling und eine daraus resultierende Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a II 1 AufenthG wegen der nach Art. 6 GG, Art. 12 EMRK geschützten Eheschließungsfreiheit voraus, dass die Eheschließung im Bundesgebiet unmittelbar bevorsteht. Letzteres wird regelmäßig nur dann angenommen, wenn der Eheschließungstermin feststeht oder jedenfalls verbindlich bestimmbar ist.[24]

Die im Hinblick auf eine beabsichtigte Eheschließung behauptete rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung kann auch noch im Klageverfahren geltend gemacht werden. Denn in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz stellt das Gericht nach § 77 I 1 AsylG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder – im Falle einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung – auf den Zeitpunkt der Entscheidung ab.[25]

B. Nächtlicher Hausarrest

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I. Rechtsschutz gegen die Ordnungsverfügung

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Die Frage ist zunächst, wie sich Rahil und Adil gegen diese Ordnungsverfügung zur Wehr setzen können. Die auf Grundlage von § 46 I AufenthG erlassene Ordnungsverfügung stellt einen belastenden Verwaltungsakt im Sinne von § 35 S. 1 VwVfG dar. Grundsätzlich ist gegen einen solchen zunächst ein Widerspruch gemäß § 68 VwGO zu erheben. Vorliegend ergibt sich jedoch eine Besonderheit: Die Ausländerbehörde hat hier die sofortige Vollziehung der Anordnung nach § 80 II 1 Nr. 4 VwGO angeordnet. Dies hat zur Folge, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs (und der Anfechtungsklage) ausnahmsweise entfällt (§ 80 II 1 i.V.m. § 80 I 1 VwGO), sodass für einen wirksamen und sofortigen Rechtsschutz gegen die Ordnungsverfügung ein zusätzlicher Eilrechtsschutzantrag nach § 80 V, Alt. 2 VwGO erforderlich ist.

II. Rechtmäßigkeit eines „nächtlichen Hausarrests“[26]

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Sodann ist fraglich, ob ein solcher „nächtlicher Hausarrest“ rechtmäßig ist. Die von der Ausländerbehörde verfügte Verpflichtung, sich nachts in der Unterkunft aufhalten zu müssen, könnte mangels hinreichender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig sein. Fraglich ist, ob die Anordnung, nachts das Zimmer nur kurzfristig für jeweils 15 Minuten verlassen zu dürfen, unter der Maßgabe sich bis 12:00 Uhr mittags für die folgende Nacht abmelden zu können, angesichts der im Falle der Zuwiderhandlung angedrohten unverzüglichen Beantragung von Abschiebungshaft eine Freiheitsentziehung darstellt. In diesem Fall bedürfte es einer mit den erforderlichen Verfahrensgarantien nach Art. 104 II GG ausgestatteten Rechtsgrundlage.

Der Schutzbereich der von Art. 2 II 2 i.V.m. Art. 104 GG geschützten Fortbewegungsfreiheit umfasst sowohl freiheitsbeschränkende (Art. 104 I 1 GG) als auch freiheitsentziehende (Art. 104 II GG) Maßnahmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfolgt eine Abgrenzung hierzwischen nicht qualitativ, sondern allein graduell nach der Intensität des Eingriffs.[27] Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich tatsächlich und rechtlich zugänglich wäre.[28] Eine Freiheitsentziehung als schwerste Form der Freiheitsbeschränkung liegt demgegenüber dann vor, wenn eine tatsächlich und rechtlich an sich gegebene Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung aufgehoben wird; sie setzt eine besondere Eingriffsintensität in räumlicher Hinsicht voraus.[29]

Gemessen an diesen Maßstäben dürfte hier eine Freiheitsentziehung vorliegen. Der Begriff der Freiheitsentziehung erfordert, dass der Betroffene an einem eng umgrenzten Ort – etwa in einem Raum – festgehalten wird.[30] Das ist vorliegend der Fall. Ist der von der Ausländerbehörde vorgegebene Zeitpunkt zur Abmeldung – 12:00 Uhr – einmal verstrichen, sind Rahil und Adil rechtlich daran gehindert, das Zimmer nachts für länger als 15 Minuten zu verlassen.[31]

Es ist ferner erforderlich, dass die Freiheit gegen oder ohne den Willen des Betroffenen entzogen wird.[32] Aus dem Umstand, dass die Adressat*innen der Verfügung nicht von der Möglichkeit Gebrauch machen, sich jeweils vor 12:00 Uhr bei der Ausländerbehörde abzumelden, kann nicht geschlossen werden, dass sie mit der nächtlichen Beschränkung auf ihr Zimmer einverstanden sind.[33]

Die Freiheit von Rahil und Adil wird hier auch durch Zwang entzogen. Art. 104 GG betrifft nicht lediglich Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit durch unmittelbaren körperlichen Zwang. Es genügt vielmehr auch die Anwendung psychischen Zwanges. Ein solcher psychischer Zwang ist hier gegeben, weil die Ausländerbehörde den Betroffenen für den Fall der Zuwiderhandlung die Beantragung (und Vollziehung) von Abschiebungshaft angedroht hat.[34]

Schließlich liegen die zeitlichen Mindestanforderungen an eine Freiheitsentziehung vor. Die Freiheitsentziehung setzt eine „nicht nur kurzfristige Dauer“ der Maßnahme voraus. Vorliegend gilt der verfügte nächtliche „Hausarrest“ wiederkehrend für sechs Stunden zwischen 0:00 und 6:00 Uhr, sodass für eine nicht nur kurzfristige Dauer die Freiheit entzogen wird.

Nach alledem handelt es sich bei dem nächtlichen Hausarrest um eine Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 II GG, sodass als Ermächtigungsgrundlage ein formelles Gesetz, das unter anderem einen Richter*innenvorbehalt enthalten muss, erforderlich wäre. Da § 46 I AufenthG dies nicht vorsieht, fehlt es bereits an einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage für die in Rede stehende Freiheitsentziehung. Darüber hinaus begegnet die Heranziehung des § 46 I AufenthG als Ermächtigungsgrundlage für eine Freiheitsentziehung erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die fehlende Bestimmtheit der Norm – sowohl bezüglich der Voraussetzungen als auch der zulässigen grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen (Art. 20 III GG).

Selbst wenn man von einer bloßen Freiheitsbeschränkung im Sinne von Art. 104 I 1 GG ausginge, wäre § 46 I AufenthG – die allein in Betracht kommende Norm – als Ermächtigungsgrundlage nicht ausreichend. Nach Art. 104 I 1 GG darf die in Art. 2 II 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes beschränkt werden. Die Eingriffsvoraussetzungen müssen sich dabei unmittelbar und hinreichend bestimmt aus dem Gesetz selbst ergeben. Dem entspricht § 46 I AufenthG nicht, da als einzige tatbestandliche Voraussetzung eine vollziehbare Ausreisepflicht normiert wird und zudem auf der Rechtsfolgenseite keine freiheitsbeschränkenden Maßnahmen im Sinne des Art. 104 I 1 GG vorgesehen sind.

Weiterführendes Wissen

Rechtsprechung zu sogenannten Hausarrest-Fällen

In der Rechtsprechung werden sogenannte Hausarrest-Verfügungen wohl überwiegend nicht als Freiheitsentziehung, sondern als freiheitsbeschränkende Maßnahmen eingestuft. An der Bewertung der Maßnahme als unzulässig und des § 46 I AufenthG als untaugliche Ermächtigungsgrundlage ändert dies indes nichts.[35] So führt beispielsweise das OVG Niedersachsen aus: „Die vom Antragsgegner verfügte nächtliche Aufenthaltsverpflichtung in seiner Unterkunft geht über diese nach § 46 I AufenthG zulässigen Maßnahmen hinaus. Sie erschöpft sich nicht in einer Wohnsitzauflage, der Zuweisung einer speziellen Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung, sondern gibt dem Antragsteller positiv die Verpflichtung auf, sich zu bestimmten Zeiten an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Damit weist sie einen freiheitsbeschränkenden Charakter auf, der von § 46 I AufenthG nicht gedeckt ist.“ [36]

C. Besonderheiten beim Ablauf der Überstellungsfrist

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I. Ablauf der Überstellungsfrist bei „Flüchtigsein“

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In dieser Fallvariante haben Rahil und Adil nach Erhalt des Dublin-Bescheids keine Klage erhoben und sind aus der ihnen zugewiesenen Einrichtung ausgezogen, ohne dies dem BAMF mitzuteilen. Fraglich ist, wann in diesem Fall die Überstellungsfrist abläuft. Abweichend von der grundsätzlichen Überstellungsfrist von sechs Monaten nach Zustimmung beziehungsweise Zustimmungsfiktion verlängert sich die Frist auf 18 Monate, wenn eine schutzsuchende Person als „flüchtig“ im Sinne von Art. 29 II 2 Dublin-III-VO gilt.

Nach der Jawo-Rechtsprechung des EuGH[37] ist eine Person „flüchtig" im Sinne der Dublin-III-VO, wenn sie sich den für die Durchführung ihrer Überstellung zuständigen nationalen Behörden gezielt entzieht, um die Überstellung zu vereiteln, und ihr Verhalten kausal dafür ist, dass eine Überstellung tatsächlich (zeitweilig) objektiv unmöglich ist. Aufgrund der erheblichen Schwierigkeiten, den Beweis für die innere Tatsache der Entziehungsabsicht zu führen, und um das effektive Funktionieren des Dublin-Systems zu gewährleisten, darf aus dem Umstand des Verlassens der zugewiesenen Wohnung, ohne die Behörden über die Abwesenheit zu informieren, jedoch zugleich auf die Absicht geschlossen werden, sich der Überstellung zu entziehen, sofern die betroffene Person ordnungsgemäß über die ihr insoweit obliegenden Pflichten unterrichtet wurde. Sie kann jedoch – im Sinne einer Beweislastumkehr – den Nachweis führen, dass sie den Behörden ihre Abwesenheit aus stichhaltigen Gründen nicht mitgeteilt hat, und nicht in der Absicht, sich den Behörden zu entziehen.

Sofern Rahil und Adil also vorliegend einen solchen Gegenbeweis nicht erbringen können und eine Abschiebung daran scheitert, dass dem BAMF ihr Aufenthaltsort nicht bekannt ist, wird das Bundesamt Finnland mitteilen, dass die Überstellung nicht stattfinden kann, da die beiden flüchtig sind. Im Hinblick auf Art. 9 II Dublin-DVO[38] hat es dabei anzugeben, bis wann die Überstellung vollzogen werden kann. Als Folge wird die Frist sodann auf höchstens 18 Monate verlängert. Eine Einigung mit Finnland als Zielstaat ist dabei nicht erforderlich.

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Flüchtig oder nicht? – Beispiele aus der Rechtsprechung

Die Beurteilung des „Flüchtigseins" ist in der Rechtsprechung teilweise uneinheitlich. So hat beispielsweise das VG Berlin [39] entschieden, dass eine asylsuchende Person nicht flüchtig sei, wenn sie zwar bei einem Dublin-Überstellungsversuch in ihrem Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft nicht angetroffen wird, dort aber ihren Lebensmittelpunkt hat und nicht unentschuldigt Termine bei der Ausländerbehörde versäumt. Bei einem einmaligen Nicht-Antreffen könne dann nicht ohne Weiteres auf ein Flüchtigsein geschlossen werden. Das VG Minden[40] erklärt zur Grundvoraussetzung, dass eine zu überstellende Person im Sinne des Art. 29 II 2 Dublin-III-VO flüchtig ist, dass sie sich für einen nicht unerheblichen Zeitraum aus von ihr zu vertretenden Gründen an einem Ort aufhält, der den zuständigen Behörden des ersuchenden Mitgliedstaats nicht bekannt ist. Werde eine zu überstellende Person anlässlich eines Überstellungsversuchs zu einer Zeit nicht in ihrer Unterkunft angetroffen, zu der nach der allgemeinen Lebenserfahrung damit zu rechnen ist, dass sie sich dort aufhält (im konkreten Fall: 4:30 Uhr), sei dies ein starkes Indiz dafür, dass sie flüchtig ist. In einem solchen Fall habe die betreffende Person im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht gemäß § 15 AsylG plausibel darzulegen, dass sie nicht flüchtig war, indem sie konkret angibt, wann sie sich wo zu welchem Zweck aufgehalten hat, und ihre Angaben gegebenenfalls unter Beweis zu stellen. Das VG Leipzig[41] hielt eine Person für flüchtig, die sich für einen mehrtägigen Besuch bei Verwandten aufhielt und dies der Ausländerbehörde nicht mitteilte. Überwiegend dürfte demgemäß angenommen werden, dass es für ein Flüchtigsein einer zeitlichen Verfestigung dieses Zustands bedarf, da andernfalls vom Betroffenen verlangt werden würde, sich ununterbrochen an der der zuständigen Behörde bekannten Anschrift aufzuhalten, was zumindest nach derzeitiger Rechtslage nicht gefordert wird. Der Generalanwalt äußerte diese Rechtsauslegung auch in seinem Schlussantrag in der Rechtssache Jawo, indem er es für erforderlich hielt, dass eine Person „sich über einen längeren Zeitraum nicht mehr in der ihr zugewiesenen Wohnung aufhält“.[42] Teilweise nehmen Verwaltungsgerichte ein Flüchtigsein jedoch auch schon dann an, wenn Personen im Falle einer vorherigen Ankündigung der Überstellung, zum besagten Zeitpunkt einmalig nicht in der Wohnunterkunft angetroffen werden, selbst wenn vorher keine Belehrung stattgefunden hat.[43] Befindet sich eine Person hingegen im sogenannten offenen Kirchenasyl – ist also den Behörden die Kirchenasylgewährung und der Aufenthaltsort bekannt – so kann nach der Rechtsprechung des BVerwG kein Flüchtligsein angenommen werden, da der Aufenthaltsort den Behörden bekannt ist.[44]

II. Wiederauftauchen vor Verlängerungsentscheidung

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Anknüpfend an I., soll nun der Frage nachgegangen werden, ob sich am Ergebnis etwas ändert, wenn Rahil und Adil nach zwei Monaten (innerhalb der sechsmonatigen Überstellungsfrist) das BAMF über ihren aktuellen Aufenthaltsort informieren und dieses noch keine Verlängerungsentscheidung getroffen hat. Bei Wiederauftauchens-Konstellationen nach einem vorangegangenen Flüchtigsein kommt es für die Beurteilung auf den Zeitpunkt an, wann sich die asylsuchende Person beim BAMF wieder meldet.

Im vorliegenden Fall des Wiederauftauchens vor Erlass einer Verlängerungsentscheidung innerhalb der sechsmonatigen Frist wird teilweise angenommen, dass dies das BAMF nicht daran hindert, die Dublin-Überstellungsfrist dennoch zu verlängern. Begründet wird dies auf Grundlage des Petrosian-Urteils des EuGH[45]: Den Mitgliedstaaten müsste grundsätzlich eine zusammenhängende Frist von sechs Monaten zur Überstellung zur Verfügung gestellt werden. Insoweit dürfte die Verlängerung auf sechs weitere Monate im Falle des Wiederauftauchens erfolgen; die Höchstfrist von 18 Monaten als absolute Obergrenze jedoch nicht ausgereizt werden.[46]

Eine solche Auffassung ist abzulehnen, da sie nicht im Einklang mit Unionsrecht steht. Am 26.1.2021 wurde höchstgerichtlich entschieden, dass die asylsuchende Person im Zeitpunkt der Verlängerung der Dublin-Überstellung noch (aktuell) flüchtig sein muss. Das BVerwG führt hierzu aus:

„Nach dem insoweit klaren und eindeutigen Wortlaut des Art. 29 II 2 Alt. 2 Dublin III-VO entfällt die tatbestandliche Voraussetzung des „Flüchtigseins“ zu dem Zeitpunkt, zu dem der Ast. dem Bundesamt seinen Aufenthaltsort offenlegt. Ab diesem Zeitpunkt ist eine Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate unzulässig, weil sich der Ast. der Überstellung nicht mehr gezielt entzieht und die Durchsetzung der Überstellung möglich ist. Dass für eine Überstellung grundsätzlich ein zusammenhängender Zeitraum von sechs Monaten zur Verfügung stehen soll (EuGH, C-19/08, ECLI:EU:C:2009:41 = NVwZ 2009, 639 Rn. 43 ff. – Petrosian), um die Überstellung zu bewerkstelligen, rechtfertigt deswegen keine andere Beurteilung, weil es die Bekl. selbst in der Hand hat, bei zwischenzeitlichen Überstellungshindernissen in Folge einer Flucht im Sinne des Art. 29 II 2 Dublin III-VO zeitnah durch eine Verlängerung der Überstellungsfrist zu reagieren.“[47]

Neben dem Wortlaut-Argument lässt sich die Rechtswidrigkeit der Verlängerung nach dem Wiederauftauchen einer asylsuchenden Person auch auf das Beschleunigungsgebot stützen.[48]

Weiterführendes Wissen

Wiederauftauchen nach Verlängerungsentscheidung

Taucht eine „flüchtige“ Person nach der Verlängerungsmitteilung an den ersuchenden Dublin-Staat wieder auf und ist die 18-monatige (Höchst-)Frist noch nicht zuvor ausgelaufen, so wird von einer Ansicht vertreten, dass sich die (auf 18 oder weniger Monate verlängerte) Überstellungsfrist nicht automatisch wieder verkürze. Allenfalls könne ein Anspruch auf Neufestsetzung einer sechsmonatigen Frist aus der drittschützenden Norm des Art. 29 I Dublin-III-VO hergeleitet werden.[49] Eine andere Ansicht geht davon aus, dass sich die Frist bei Vorliegen eines solchen Sachverhalts zwingend verkürze.[50] Das Ermessen des BAMF sei in diesen Fällen in der Regel auf Null reduziert.[51]

III. Nichterscheinen zur Selbstgestellung

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Weiterhin ist zu klären, wie es sich auf die Überstellungsfrist auswirkt, wenn Rahil und Adil mit Schreiben vom 15.9.2021 von der Ausländerbehörde aufgefordert werden, sich zur Durchführung der Abschiebung am 29.9.2021 im Polizeipräsidium einzufinden, und dort nicht erscheinen. Fraglich ist, ob Rahil und Adil aufgrund des Nichterscheinens zur Selbstgestellung flüchtig im Sinne von Art. 29 II 2 Dublin-III-VO sind. Gemessen an den vom EuGH im Jawo-Urteil aufgestellten Leitsätzen zum Begriff des Flüchtigseins ist dies nicht der Fall, denn diese erfordern ein gezieltes Sich-Entziehen zur Vereitelung der Überstellung. Laut der Rechtsprechung des EuGH muss das Verhalten der betreffenden Person dazu führen, dass sie dem staatlichen Vollstreckungszugriff nicht (mehr) ausgesetzt ist. Grundsätzlich kommt es daher nicht darauf an, ob die asylsuchende Person gegen Mitwirkungspflichten zur Förderung ihrer Überstellung verstößt, wenn es den zuständigen Behörden weiterhin möglich bleibt, sie – gegebenenfalls zwangsweise – zu überstellen. Ist der behördliche Zugriff lediglich erschwert, rechtfertigt dies nicht die Annahme, dass die betreffende Person flüchtig ist. Dies ergibt sich auch aus dem Wortlaut des Art. 29 II 2 Dublin-III-VO („flüchtig“ beziehungsweise in der französischen Version „prend la fuite“), der ein aktives Verhalten erfordert. Zudem kann dies auf den Zweck der Vorschrift des Art. 29 Dublin-III-VO gestützt werden: Im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz und das Bedürfnis nach Rechtssicherheit stellt die Verlängerung auf (maximal) 18 Monate eine absolute Ausnahme zu der grundsätzlichen sechsmonatigen Überstellungsfrist dar, weshalb das Tatbestandsmerkmal des Flüchtigseins restriktiv auszulegen ist.[52]

D. Handlungsmöglichkeiten bei humanitären Härtefällen

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In dieser Fallvariante sollen weitere Handlungsmöglichkeiten für den Fall einer Ablehnung des Eilantrages erörtert werden. Die Klage gegen die Dublin-Bescheide ist weiter anhängig.

I. Suizidgefahr als Abschiebungshindernis

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Fraglich ist hier, ob eine aktuell diagnostizierte schwere Traumatisierung mit akuter Suizidgefahr einer Überstellung rechtlich entgegensteht. Das BAMF muss – auch nachträglich entstandene oder vorgebrachte – Abschiebungshindernisse zielstaats- und inlandsbezogener Art prüfen.[53] Liegen solche vor, so steht nach Maßgabe des § 34a I 1 AsylG nicht mehr fest, dass eine Abschiebung durchgeführt werden kann.

Eine Suizidgefahr infolge psychischer Erkrankungen aufgrund einer drohenden Abschiebung wird überwiegend als Abschiebungshindernis mit Inlandsbezug nach § 60a II 1, Alt. 2 AufenthG qualifiziert,[54] wobei die strengen Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Reiseunfähigkeit nach Absatz 2c zu beachten sind. Gemäß § 60a IIc 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass gesundheitliche Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen. Um dies zu widerlegen, muss ein qualifiziertes ärztliches Attest nach den Vorgaben des § 60a IIc 2–4 vorgelegt werden. Da hier lediglich eine Bescheinigung eines Psychologen vorliegt, müsste zwecks Glaubhaftmachung zunächst ein qualifiziertes Attest eines*einer approbierten Ärzt*in eingeholt werden.

Liegt eine die Abschiebung hindernde Reiseunfähigkeit vor, so hat das BAMF zu prüfen, ob es den Selbsteintritt nach Art. 17 Dublin-III-VO erklärt.[55] Bei einer bestehenden Suizidalität der schutzsuchenden Person, wie im hiesigen Fall, ist das Ermessen regelmäßig auf Null reduziert.[56]

Auf die verwandtschaftlichen Beziehungen können sich Rahil und Adil indes nicht direkt berufen. Die Dublin-III-VO sieht zwar in Art. 16 Dublin-III-VO eine Sonderregelung vor, welche die Abhängigkeit von familiärer Unterstützung aufgrund schwerer Krankheiten der asylantragstellenden Person im Rahmen der Zuständigkeitsbestimmung berücksichtigt. Allerdings fallen Verwandte dritten oder vierten Grades wie Tanten, Onkel und Cousinen nicht unter den Unterstützungskreis im Sinne von Art. 16 Dublin-III-VO. Dennoch sind die familiären Verhältnisse im Rahmen der Ermessensvorschrift des Art. 17 Dublin-III-VO zu berücksichtigen.

II. Folgen eines erfolglosen Eilantrags für die Abschiebung

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Da der Eilantrag erfolglos war, kann die Abschiebung trotz des laufenden Klageverfahrens theoretisch jederzeit vollzogen werden (vgl. § 34a II 2 AsylG), auch wenn sie wie vorliegend – sowohl im Hinblick auf den Zuständigkeitsübergang wegen Fristablaufs als auch aufgrund der Reiseunfähigkeit der beiden (siehe D.I.) – rechtswidrig wäre.

III. Handlungsmöglichkeiten

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Bei der Frage nach weiteren Handlungsmöglichkeiten sind sowohl förmliche Rechtsbehelfe als auch humanitäre Handlungsspielräume in den Blick zu nehmen.

1. Eilrechtsschutz nach § 123 VwGO

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Zu denken wäre an einen Antrag auf eine einstweilige Anordnung nach § 123 I 1 VwGO.[57] Grundsätzlich ist dieser subsidiär gegenüber einem Eilantrag nach § 80 V VwGO (vgl. § 123 V VwGO). Zur Vermeidung einer mit Art. 19 IV GG nicht vereinbaren Rechtsschutzlücke ist § 123 V VwGO jedoch einschränkend dahingehend auszulegen, dass der Zugang zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 I–III VwGO jedenfalls dann nicht gesperrt ist, wenn vorläufiger Rechtsschutz gemäß § 80 V VwGO gegen eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG wegen Ablaufs der Antragsfrist (§ 34a II 1 AsylG) nicht mehr offen steht und sich die betroffene Person auf Umstände oder Mittel zur Glaubhaftmachung stützt, die sie ohne Verschulden nicht in der Antragsfrist geltend gemacht hat. In einem solchen Fall könnte das Gericht im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens nach § 123 VwGO das BAMF dazu verpflichten, dass es der zuständigen Ausländerbehörde mitteilt, dass bis zum Abschluss des Klageverfahrens eine Abschiebung nicht erfolgen kann.[58]

2. Letzter Ausweg: Kirchenasyl

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Für Menschen in prekären Lebenssituationen (wie zum Beispiel bei Suizidalität, schweren Erkrankungen, Schwangerschaft, Familientrennungen), denen eine Dublin-Abschiebung droht, gibt es die Möglichkeit des sogenannten Kirchenasyls.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) umschreibt dieses wie folgt:

„Beim Kirchenasyl werden Flüchtlinge ohne legalen Aufenthaltsstatus von Kirchengemeinden zeitlich befristet beherbergt. Ziel ist, Härtefälle zu vermeiden, bei denen durch Abschiebung Gefahr für Leib, Leben und Freiheit droht oder unzumutbare Härten entstehen und eine erneute Prüfung des Falles zu erreichen.“[59]

Für sogenannte Dublin-Fälle wurde zwischen dem BAMF und den Kirchen ein Verfahren verabredet, welches jedoch keinen rechtsverbindlichen Charakter aufweist.[60] Es sieht vor, dass über die kirchlichen Ansprechpartner*innen der jeweiligen Gemeinden sogenannte Härtefalldossiers zu den im Kirchenasyl befindlichen Personen eingereicht werden, auf Grundlage derer das BAMF eine erneute Einzelfallprüfung veranlasst. Ist diese Prüfung positiv, so erklärt es den Selbsteintritt nach Art. 17 Dublin-III-VO.[61]

Folgt das BAMF der Empfehlung nicht, so bleibt die Person weiterhin bis zum Ablauf der Überstellungsfrist im Kirchenasyl.[62]

IV. Auswirkungen des Kirchenasyls auf die Überstellungsfrist

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Zur Beantwortung der Frage, wie sich ein sogenanntes Kirchenasyl auf die Überstellungsfrist auswirkt, kommt es darauf an, ob dem BAMF der Aufenthaltsort der im Kirchenasyl befindlichen Person mitgeteilt wurde oder nicht. Hieran anknüpfend wird zwischen offenem und verdecktem Kirchenasyl unterschieden.  

Eine im offenen Kirchenasyl befindliche Person ist aufgrund der behördlichen Kenntnis des Aufenthaltsortes nicht „flüchtig“ im Sinne von Art. 29 II 2 Dublin-III-VO, sodass es auch keine Rechtsgrundlage für die Verlängerung der Überstellungsfrist gibt.

Die Auslegung des Wortlauts durch die Gegenansicht[63], wonach eine asylsuchende Person im Kirchenasyl sich bewusst der Ordnung des Staates entziehe, indem sie durch ihr Verhalten den erfolglosen Ablauf der Regelüberstellungsfrist herbeizuführen bezweckt, widerspricht dem Gesetz und ist mit der BVerwG- sowie EuGH-Rechtsprechung nicht vereinbar.[64]

Die staatliche Respektierung des Kirchenasyls begründet kein Vollstreckungshindernis, aufgrund dessen die Behörden gehindert wären, eine Überstellung durchzuführen. Die politische Entscheidung, eine Überstellung zu unterlassen, schafft keine Rechtsgrundlage für eine Verlängerung der Überstellungsfrist und führt nicht dazu, dass das offene Kirchenasyl der Überstellung tatsächlich entgegensteht. Vielmehr verzichtet der Staat als Ausdruck des Respekts vor einer christlich-humanitären Tradition und aufgrund einer unverbindlichen Verfahrensabsprache mit den Kirchen[65] bewusst darauf, das Recht durchzusetzen.[66] Dies kann nicht zu Lasten der schutzsuchenden Personen gehen.[67] Der Eintritt in ein offenes Kirchenasyl ist auch keine rechtsmissbräuchliche Handlung, sodass Schutzsuchenden im offenen Kirchenasyl ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht zu versagen ist.[68]

Bei einem verdeckten Kirchenasyl wird ein Flüchtigsein jedoch regelmäßig anzunehmen sein, sofern die in C.I. dargelegten Voraussetzungen vorliegen. Im Falle eines „Wiederauftauchens“ innerhalb der sechsmonatigen Überstellungsfrist ist dies jedoch zu verneinen, wenn dem BAMF der Aufenthaltsort vor Erlass der Verlängerungsentscheidung bekannt geworden ist.[69]

Weiterführendes Wissen

Behördliche Aussetzung bei Kirchenasyl-Fällen

Um den Dublin-Mitgliedstaaten eine zusammenhängende sechsmonatige Frist zu gewähren, wird teilweise vertreten, dass in Fällen des Kirchenasyls die Überstellungsfrist durch die Aussetzung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 IV VwGO unterbrochen werden könne, sodass die sechsmonatige Frist erst nach Ende des Kirchenasyls wieder in Gang gesetzt werden würde.[70] Dies wird darauf gestützt, dass das BVerwG entschieden hat, dass die Überstellungsfrist durch eine vor ihrem Ablauf verfügte Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung durch das BAMF jedenfalls dann unterbrochen werden kann, wenn diese aus sachlich vertretbaren Erwägungen erfolgt sei.[71]

Gegen eine etwaige Auswirkung der nach § 80 IV VwGO angeordneten Aussetzung spricht jedoch, dass Art. 29 I Dublin-III-VO i.V.m. Art. 27 IV Dublin-III-VO – zum Zwecke der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes – nur eine Aussetzung bis zur endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung vorsieht, nicht jedoch Aussetzungen aus anderen Gründen, wie beispielsweise die (grenzenlose) Verlängerung der Frist im Falle des Kirchenasyls oder im Zuge der Corona-Pandemie.[72] Ansonsten könnten die Behörden den Fristbeginn manipulieren.[73] Ferner steht eine solche Möglichkeit im Widerspruch mit dem in Erwägungsgrund 5 der Dublin-III-VO verankerten Beschleunigungsgedanken, welcher vorliegend Vorrang vor der Verhinderung von Sekundärmigration und der Gewährung einer zusammenhängenden sechsmonatigen Frist hat.[74]

E. Freiwillige Ausreise nach einem Dublin-Bescheid

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Schließlich stellt sich die Frage, ob Rahil und Adil freiwillig ausreisen können und welche Vorteile dies haben könnte.

I. Möglichkeit der freiwilligen Ausreise

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Gemäß Art. 7 Dublin-DVO kann die Überstellung in drei unterschiedlichen Formen ablaufen: erstens auf Initiative der asylsuchenden Person, zweitens in Form der kontrollierten Ausreise oder drittens in Begleitung.

Im Rahmen des Dublin-Verfahrens wird zwar in der Regel eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG erlassen, um die Überstellung als Abschiebung vollziehen zu können. Laut BVerwG gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es jedoch der asylsuchenden Person dann eine Überstellung ohne Verwaltungszwang zu ermöglichen, wenn gesichert erscheint, dass sie sich freiwillig in den für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedstaat begibt und sich dort fristgerecht bei der verantwortlichen Behörde meldet.[75]

Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis wird teilweise kritisiert.[76]

II. Vorteile einer freiwilligen Ausreise

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Für Fälle der Überstellung ohne Verwaltungszwang nach Art. 7 I lit. a Dublin-DVO besitzt die vom BAMF nach § 11 I AufenthG festgesetzte Sperrfrist keine Geltung.


Das BVerwG führt hierzu an:

„Denn nur eine vollzogene Abschiebung bewirkt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG, die Abschiebungsanordnung allein reicht hierfür nicht. Ferner kann die (nachträgliche) Reduzierung einer festgesetzten Sperrfrist bei Kooperation des Ausländers im Rahmen einer zwangsweisen Überstellung geboten sein, die im Einzelfall sogar zu einer Reduzierung der Sperre auf Null führen kann."[77]

Die freiwillige Ausreise kann bei einer unabwendbaren Überstellung/Abschiebung mithin in Betracht gezogen werden, um eine Wiedereinreise- und Aufenthaltssperre nach § 11 AufenthG zu verhindern.

Weiterführende Rechtsprechung und Literatur

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Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

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  • Der Rechtsschutz im Dublin-Verfahren ist stark eingeschränkt: Der Klage kommt keine aufschiebende Wirkung zu. Die Frist für den Eilantrag und die Anfechtungsklage beträgt lediglich eine Woche.
  • Die Einlegung eines Eilantrags wirkt sich nach Auffassung des BVerwG auf die Überstellungsfrist aus. Bei einem erfolglosen Eilrechtsschutzantrag beginnt die Frist mit der Ablehnung neu zu laufen. Etwas anderes gilt bei einem erfolgreichen Antrag nach § 80 V VwGO, wenn die Anfechtungsklage abgewiesen wird. In diesem Fall beginnt die Überstellungsfrist laut BVerwG nach Ablauf der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80b VwGO.
  • Sogenannte Hausarrest-Verfügungen, die in der Praxis von Ausländerbehörden als Mittel zur Erleichterung von Dublin-Überstellungen eingesetzt werden, sind nach überwiegender Verwaltungsrechtsprechung rechtswidrig.
  • Die Überstellungsfrist kann sich auf maximal 18 Monate verlängern, wenn der*die Adressat*in des Dublin-Bescheides flüchtig ist. Flüchtigsein setzt nach der Jawo-Rechtsprechung des EuGH ein bewusstes Sich-Entziehen voraus, was zum Beispiel bei einem bloßen Nichterscheinen zur Selbstgestellung nicht angenommen werden kann. Bei einem Wiederauftauchen nach einem vorangegangenen Flüchtigsein ist zu prüfen, ob die betreffende Person sich vor oder nach einer Verlängerungsentscheidung des BAMF wieder gemeldet hat.
  • In Härtefällen gibt es die Möglichkeit, dass schutzsuchenden Personen, die einen Dublin-Bescheid erhalten haben, ein sogenanntes Kirchenasyl gewährt wird. Ein offenes Kirchenasyl, bei dem der Aufenthaltsort der jeweiligen Person den Behörden bekannt ist, wirkt sich nicht auf die Überstellungsfrist aus.
  • Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist asylsuchenden Personen, für die ein anderer Dublin-Staat zuständig ist, die freiwillige Ausreise zu ermöglichen.

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Inhaltsverzeichnis des Buches

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§ 1 Nationales Asylverfahrensrecht

§ 2 Asylverfahrensrecht im europäischen Kontext

§ 3 Materielles Asylrecht

§ 4 Entscheidungsmöglichkeiten des BAMF und der Asylprozess

§ 5 Rechte und Pflichten nach Schutzzuerkennung

§ 6 Rechtsstellung nach Antragsablehnung und Aufenthaltssicherung

§ 7 Sozialleistungen im Flüchtlingskontext

§ 8 Nicht-humanitäres Aufenthaltsrecht

Fußnoten

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  1. Zur Thematik des einstweiligen Rechtsschutzes siehe Heilmann/Burbach et al., in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, 2020, § 8.
  2. Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. EU Nr. 180/31.
  3. Hruschka, in: Huber/Mantel, AsylG, 3. Aufl. 2021,§ 29 Rn. 51.
  4. Umfassend zur Anfechtungsklage siehe Eisentraut, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, 2020, § 2.
  5. Dieses kann der Rechtsbehelfsbelehrung entnommen werden.
  6. Siehe allgemein zum Klagebegehren Miller, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, 2020, § 2 Rn. 9.
  7. OVG NRW, Urt. v. 16.9.2015, Az.: 3 A 2159/14.A.
  8. BVerwG, Urt. v. 27.10.2015, Az.: 1 C 32.14.
  9. Siehe zum Eilrechtsschutz nach § 80 V VwGO ausführlich Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, 2020, § 8.
  10. Müller, in: Hoffmann, AsylG, 2. Aufl. 2016, § 34a Rn. 19.
  11. BVerfG, Beschl. v. 17.9.2014, Az.: 2 BvR 732/14.
  12. OVG Nds, Beschl. v. 13.3.2009, Az.: 11 PA 157/09.
  13. Ronellenfitsch, in: BeckOK VwVfG, VwZG, 55. Ed. 1.10.2019, § 7 Rn. 32.
  14. VG München, Beschl. v. 3.5.2017, Az.: M 8 S 17.50959.
  15. Lehnert, in: Huber/Mantel, AsylG, 3. Aufl. 2021, § 31 Rn. 9; Schröder, in: Hofmann, AsylG, 2. Aufl. 2016, § 31 Rn. 15.
  16. Ein weiterer Beispielsfall aus dem Polizei- und Ordnungsrecht siehe Skobel, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur – Das Fallbuch, 2020, § 3, Fall 5.
  17. BVerwG, Urt. v. 9.8.2016, Az.: 1 C 6.16; die viermonatige Frist gilt allerdings nur, sofern das zuständige OVG als Rechtsmittelgericht nicht anordnet, dass die aufschiebende Wirkung fortdauert, vgl. § 80b II VwGO.
  18. Lehnert/Werdermann, NVwZ 2020, 1308 (1309).
  19. Hruschka, in: Huber/Mantel, AsylG, 3. Aufl. 2021, § 29 Rn. 36.
  20. Lehnert/Werdermann, NVwZ 2020, 1308 (1309).
  21. VGH BW, Urt. v. 27.8.2014, Az.: A 11 S 1285/14.
  22. BVerwG, Urt. v. 8.1.2019, Az.: 1 C 16.18.
  23. BVerfG, Beschl. v. 17.9.2014, Az.: 2 BvR 1795/14.
  24. VG Ansbach, Beschl. v. 3.6.2019, Az.: AN 18 S 18.50559.
  25. VGH Bayern, Beschl. v. 14.10.2015, Az.: 10 CE 15.2165, 10 C 15.2212.
  26. Angelehnt an VG Hamburg, Beschl. v. 6.3.2019, Az.: 19 E 792/19.
  27. Vgl. BVerfG, Urt. v. 24.7.2018, Az.: 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16, Rn. 67.
  28. Vgl. BVerfG, Urt. v. 24.7.2018, Az.: 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16, Rn. 67.
  29. Vgl. BVerfG, Urt. v. 24.7.2018, Az.: 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16, Rn. 67.
  30. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 104 Rn. 7.
  31. Vgl. VG Hamburg, Beschl. v. 6.3.2019, Az.: 19 E 792/19, Rn. 26.
  32. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Werkstand: 85. EL November 2018, Art. 104 Rn. 9.
  33. Vgl. VG Hamburg, Beschl. v. 6.3.2019, Az.: 19 E 792/19, Rn. 28.
  34. VG Hamburg, Beschl. v. 6.3.2019, Az.: 19 E 792/19, Rn. 30.
  35. Vgl. OVG Nds, Beschl. v. 22.1.2018, Az.: 13 ME 442/17; OVG SH, Beschl. v. 24.7.2019, Az.: 4 MB 41/19; andere Ansicht: VG Hamburg, Beschl. v. 16.11.2018, Az.: 7 E 4941/18.
  36. OVG Nds, Beschl. v. 22.1.2018, Az.: 13 ME 442/17, Rn. 11.
  37. EuGH, Urt. v. 19.3.2019, Az.: C‑163/17, Tz. 70.
  38. Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. EU Nr. L 39, S. 1.
  39. VG Berlin, Beschl. v. 20.11.2019, Az.: 32 L 420.19 A.
  40. VG Minden, Beschl. v. 16.3.2018, Az.: 10 L 258/18.A.
  41. VG Leipzig, Urt. v. 19.9.2018, Az.: 6 K 445/18.A - juris.
  42. EuGH, Schlussantrag des Generalanwalts v. 25.7.2018, Az.: C-163/17, Tz. 68.
  43. VG Trier, Urt. v. 10.7.2019, Az.: 7 K 3478/18.TR.
  44. BVerwG, Urt. v. 26.1.2021, Az.: 1 C 42.20.
  45. EuGH, Urt. v. 29.1.2009, Az.: C‑19/08, Tz. 43 f.
  46. Brauer, ZAR 2019, 256 (262).
  47. BVerwG, Urt. v. 26.1.2021, Az.: 1 C 42.20, Rn. 27.
  48. Bruns, in: Hofmann, AsylG, 2. Aufl. 2016, § 27a Rn. 66.
  49. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, AsylG, 13. Aufl. 2020, § 29 Rn. 43.
  50. Hruschka, NVwZ 2019, 712 (713).
  51. VG Trier, Urt. v. 16.11.2018, Az.: 1 K 12434/17.TR.
  52. OVG BB, Urt. v. 20.2.2020, Az.: 3 B 22.19.
  53. EuGH, Urt. v. 15.4.2021, Az.: C-194/19; Hruschka, in: Huber/Mantel, AsylG, 3. Aufl. 2021, § 29 Rn. 30.
  54. Jentsch, in: Informationsverbund Asyl & Migration/Deutsches Rotes Kreuz, Krankheit als Abschiebungshindernis, 2. Aufl. 2020, S. 11, 42, 46.
  55. Hruschka, in: Huber/Mantel, AsylG, 3. Aufl. 2021, § 29 Rn. 27; jedenfalls bei nicht nur kurzfristiger Dauer, vgl. Gräser, in: Decker/Bader/Kothe, BeckOK MigR, 11. Ed. 15.4.2022, Art. 26 Dublin-III-VO Rn. 3; Vollrath, in: Decker/Bader/Kothe, BeckOK MigR, 11. Ed. 15.4.2022, Art. 17 Dublin-III-VO Rn. 5.
  56. Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 7. Aufl. 2020, § 9, Rn. 46.
  57. Siehe zum Eilrechtsschutz nach § 123 VwGO Wichmann, in: Eisentraut, Verwaltungsrecht in der Klausur, 2020, § 10 Rn. 2 ff.
  58. VG Düsseldorf, Beschl. v. 19.6.2015, Az.: 22 L 486/15.A.
  59. Siehe EKD, Dossier Nr. 7, März 2015: Kirchenasyl.
  60. BT-Drs. 19/2349, S. 1.
  61. Siehe: https://www.kirchenasyl.de/erstinformation/, zuletzt abgerufen am 7.11.2021.
  62. Siehe: EKD, Dossier Nr. 7, März 2015: Kirchenasyl.
  63. Statt vieler: VG Saarlouis, Urt. v. 6.3.2015, Az.: 3 K 830/14.
  64. BVerwG, Urt. v. 26.1.2021, Az.: 1 C 42.20.
  65. Vgl. BT-Drs. 19/2349, S. 1.
  66. BVerwG, Urt. v. 26.1.2021, Az.: 1 C 42.20, Rn. 26.
  67. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, AsylG, 13. Aufl. 2020, § 29 Rn. 53.
  68. Botta, ZAR 2017, 434 (440).
  69. BVerwG, Urt. v. 26.1.2021, Az.: 1 C 42.20, Rn. 27.
  70. Brauer, ZAR 2019, 256 (269).
  71. BVerwG, Urt. v. 8.1.2019, Az.: 1 C 16.18.
  72. VG Halle, Beschl. v. 12.10.2020, Az.: 5 B 364/20 HAL, asyl.net: M29170; zur rechtswidrigen BAMF-Praxis der behördlichen Aussetzung der Vollziehung während der Corona-Pandemie siehe ausführlich Lehnert/Werdermann, NVwZ 2020, 1308; Neumann, ZAR 2020, 314 (318); EuGH, Urt. v. 22.9.2022, Az.: C-245/21, C-248/21; OVG Nds, Beschl. v. 27.10.2020, Az.: 10 LA 217/20.
  73. Hruschka, Huber/Mantel, AsylG, 3. Aufl. 2021, § 29 Rn. 41.
  74. Vgl. auch Lehnert/Werdermann, NVwZ 2020, 1308 (1310).
  75. BVerwG, Urt. v. 17.9.2015, Az.: 1 C 26.14.
  76. Hruschka, in: Huber/Mantel, AslyG, 3. Aufl. 2021, § 29 Rn. 37.
  77. BVerwG, Urt. v. 17.9.2015, Az.: 1 C 26.14, Rn. 27.