Autorin: Ivanka Goldmaier

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Behandelte Themen: Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet nach § 30 I AsylG

Zugrundeliegender Sachverhalt: In Deutschland geboren

Schwierigkeitsgrad: Fortgeschrittene


A. Fallfrage 1

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Da das BAMF vorliegend die Abschiebung in den Libanon bereits angedroht hat und eine hiergegen gerichtete Klage keine aufschiebende Wirkung hat (§ 75 I AsylG), ist Eilrechtsschutz geboten, da andernfalls die Rückführung des A in den Libanon während des Klageverfahrens droht. Richtige Antragsart ist gemäß § 36 III AsylG ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 V 1 Alt. 1 VwGO.

Die Eltern des A sind unbedingt darauf hinzuweisen, dass die Klage- und Antragsfrist nur eine Woche beträgt (§ 36 III 1 AsylG und § 74 I Hs. 2 AsylG), da der Asylantrag des A als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.

B. Fallfrage 2

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I. Voraussetzungen des § 30 I AsylG

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Die Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 I AsylG setzt nach der - insoweit auf Entscheidungen des BAMF übertragbaren - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur offensichtlich unbegründeten Abweisung von Asylklagen voraus, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt.[1] Das Erfordernis der Evidenz der Ablehnungsreife erstreckt sich dabei sowohl auf die Ermittlung der Tatsachengrundlage als auch auf die rechtliche Würdigung des Asylbegehrens.[2] Erforderlich ist daher, dass das BAMF den Sachverhalt weitestgehend ermittelt und sodann - im Hinblick auf die weitreichenden Folgen des Offensichtlichkeitsausspruches - aufgrund einer umfassenden Würdigung der ihm vorgetragenen und sonst erkennbaren Umstände unter Ausschöpfung aller ihm vorliegenden oder zugänglichen Erkenntnismittel entscheidet und in der Entscheidung klar zu erkennen gibt, weshalb der Antrag nicht als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.[3]

II. Anwendung auf den Fall

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Eine Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet kommt unter anderem dann in Betracht, wenn die antragstellende Person bei der Einreichung ihres Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung, ob sie als Asylberechtigte*r im Sinne des Art. 16a GG, als Flüchtling nach § 3 I AsylG oder als subsidiär Schutzberechtigte*r nach § 4 AsylG anzuerkennen ist, nicht von Belang sind.

a) Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, § 3 AsylG

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Im Hinblick auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat A bereits keine eigene flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung geltend gemacht. Eine Vorverfolgung scheidet bereits mangels Voraufenthalts des A im Libanon aus. Darüber hinaus hat er sich lediglich auf die Asylgründe seiner ihn vertretenden Eltern berufen, die bereits gerichtlich festgestellt zu keiner flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung zugunsten der Eltern geführt haben bzw. zukünftig im Sinne des § 28 Ia AsylG führen werden.

b) Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG

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Aus denselben Gründen ist auch ein Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16a GG nicht gegeben. [4]

c) Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus, § 4 AsylG

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A droht im Libanon weder die Vollstreckung oder Verhängung der Todesstrafe, (§ 4 I Nr. 1 AsylG), noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK (§ 4 I Nr. 2 AsylG), noch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder seiner körperlichen oder psychischen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 I Nr. 3 AsylG). Insbesondere begründet die humanitäre Lage im Libanon - auch für palästinensische Flüchtlinge - keine so gravierende Notlage, dass A bei einer Rückkehr allein deshalb einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. Auch herrscht im Libanon derzeit kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt.

III. Ergebnis

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Das BAMF durfte den Asylantrag des A als offensichtlich unbegründet ablehnen.

C. Fallfrage 3

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Ja, da nach § 30 III Nr. 7 AsylG Asylanträge minderjähriger Asylbewerber*innen als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden können, wenn diese gestellt werden, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind.

Weiterführendes Wissen

Hintergrund dieses Tatbestands ist die Befürchtung des Gesetzgebers, dass oftmals Asylanträge von Familienangehörigen bewusst gestaffelt gestellt werden, um auf diese Weise die Beendigung des Aufenthalts der Familie hinauszuzögern. Um diesen Missbrauch des Asylverfahrens vorzubeugen, wurde der Tatbestand des § 30 III Nr. 7 AsylG geschaffen, der die qualifizierte Ablehnung eines Asylantrages eines handlungsunfähigen Kindes für den Fall vorsieht, dass zuvor ein Asylantrag der Eltern bzw. des allein personensorgeberechtigten Elternteils abgelehnt worden ist. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass für ein Kind regelmäßig keine eigenen Asylgründe vorgebracht werden können. Demzufolge greift die Norm nicht, wenn ausnahmsweise für das Kind eigene Asylgründe geltend gemacht werden oder sich die Lage im Herkunftsland seit der Entscheidung über den Asylantrag der Eltern so geändert hat, dass mit Blick auf die Situation des Kindes eine Neubewertung der Lage geboten ist.[5] Teilweise wird die Vereinbarkeit der Norm mit EU-Recht indes bestritten, da der enumerativen Aufzählung der Gründe, die zur Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet berechtigen sollen in Art. 32 Abs. 2 RL 2013/32/EU eine Rechtsgrundlage für den Fall des § 30 III Nr. 7 AsylG fehle. [6]

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

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Die Ablehnung von Asylanträgen als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 I AsylG ist von strengen Vorgaben abhängig. Dass und warum ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist und auf welcher Rechtsgrundlage dies beruht, muss sich aus dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge eindeutig ergeben. Die Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet hat schwerwiegende Folgen für die antragsteilende Person, da die Klagefrist auf eine Woche verkürzt wird und die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. In der Beratung ist in einem solchen Fall daher Eile geboten!

Dieser Text wurde von der Initiative für eine offene Rechtswissenschaft OpenRewi erstellt. Wir setzen uns dafür ein, Open Educational Ressources für alle zugänglich zu machen. Folge uns bei Bluesky oder X oder trage dich auf unseren Newsletter ein.

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Inhaltsverzeichnis des Buches

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§ 1 Nationales Asylverfahrensrecht

§ 2 Asylverfahrensrecht im europäischen Kontext

§ 3 Materielles Asylrecht

§ 4 Entscheidungsmöglichkeiten des BAMF und der Asylprozess

§ 5 Rechte und Pflichten nach Schutzzuerkennung

§ 6 Rechtsstellung nach Antragsablehnung und Aufenthaltssicherung

§ 7 Sozialleistungen im Flüchtlingskontext

§ 8 Nicht-humanitäres Aufenthaltsrecht

Fußnoten

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  1. BVerfG, Beschl. v. 25.2.2019, Az.: 2 BvR 1193/18, Rn. 20; BVerfG, Beschl. v. 25.4.2018, Az.: 2 BvR 2435/17, Rn. 21.
  2. Heusch, in: BeckOK Ausländerrecht, AsylG, 32. Ed. 1.1.2022, § 30 Rn. 15.
  3. BVerfG, Beschl. v. 25.2.2019, Az.: 2 BvR 1193/18, Rn. 21.
  4. zu den Voraussetzungen: BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, Az.: 1 BvR 147/80, Rn. 46 ff.; vgl. auch: Ebert, 13) Flucht über den Luftweg in diesem Fallbuch.
  5. VG Karlsruhe, Beschl. v. 30.11.2020, Az.: A 4 K 2929/20, Rn. 13; Heusch, in: BeckOK Ausländerrecht, AsylG, 32. Ed. 1.1.2023, § 30 Rn. 52.
  6. VG Minden, Beschl. v. 30.8.2019, Az.: 10 L 370/19.A, Rn. 9 ff.