Hochzeit im Libanon, Wiedersehen in Deutschland? SV
Autor: Max Putzer
Behandelte Themen: Nachzug von Eheleuten zu subsidiär Schutzberechtigten, Regelausschluss von Ehen, die nicht vor der Flucht geschlossen wurden, Ausnahmen vom Regelausschluss.
Schwierigkeitsgrad: Fortgeschrittene
Lösungsvorschlag: Hochzeit im Libanon, Wiedersehen in Deutschland?
Sachverhalt
BearbeitenDie A lebte ursprünglich gemeinsam mit ihren Eltern in Palmyra, Syrien. Dort lernte sie auch ihren in der Nachbarschaft wohnenden späteren Ehemann E kennen. Im März 2013 flohen A und ihre Familie vor dem Krieg in den Libanon. Dort schlossen A und E, der Syrien ebenfalls verlassen hatte, um nicht Wehrdienst leisten zu müssen, im Juli 2015 die Ehe. Einer Hochzeit vor Verlassen Syriens haben die Eltern der A wegen deren damaligen Minderjährigkeit nicht zugestimmt, allerdings haben A und E dort noch ihr Verlöbnis gefeiert. Der E verließ nach der Eheschließung den Libanon, gelangte im Dezember 2015 nach Deutschland und stellte einen Asylantrag. Die gemeinsame Tochter T wurde im April 2016 geboren.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gewährte dem E im Februar 2017 subsidiären Schutz. Seine hiergegen erhobene Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat das örtlich zuständige Verwaltungsgericht mittlerweile rechtskräftig unter Verweis auf obergerichtliche Rechtsprechung abgewiesen. Der E ist seit Oktober 2017 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 II 1 Alt. 2 AufenthG. Er arbeitet seit Anfang 2018 fest angestellt in einer Schweißerei und verdient dabei genug, um auch den Lebensunterhalt von A und T bestreiten zu können. Er spricht einfaches, aber meist flüssiges Deutsch.
A und T beantragten bei der Deutschen Botschaft in Beirut im März 2017 Visa zum Familiennachzug zu ihrem in der Bundesrepublik lebenden Ehemann und Vater. Im Juni 2019 erteilte die Auslandsvertretung der T ein Visum zum Nachzug zum Vater, nicht jedoch der A. Zur Begründung führte sie aus, die Erteilung eines Visums sei von Gesetzes wegen ausgeschlossen, da die Ehe von A und E nicht bereits vor der Flucht geschlossen worden sei. Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten sei bewusst per Gesetz zahlenmäßig beschränkt worden, anders als die Familienzusammenführung zu anerkannten Flüchtlingen. Die Unterscheidung liege darin begründet, dass der Flüchtlingsschutz auf Dauer, der subsidiäre Schutz nur für einen begrenzten Zeitraum angelegt sei. Nur falls die Eheschließung vor der Flucht aufgrund der allgemeinen Lage in Syrien nicht möglich gewesen wäre, hätte man eine atypische Situation annehmen können, die eine Abweichung vom Regelausschluss erforderte. Dies habe das Ehepaar bereits nicht vorgetragen. Unabhängig hiervon könne die Minderjährigkeit der A, die einer Eheschließung noch in Syrien entgegengestanden habe, insoweit nicht angeführt werden. Auch stehe ein Verlöbnis der Eheschließung nicht gleich.
Im Zeitpunkt der Ablehnung ihres Visumantrags lebt die A seit vier Jahren von ihrem Ehemann örtlich getrennt. Die T, bereits drei Jahre alt, kennt ihren Vater nicht persönlich. A und T leben in einem Flüchtlingscamp im Libanon, gemeinsam mit der 65-jährigen Mutter der A, deren Ehemann und Vater der A ist mittlerweile verstorben. Unterstützung von weiteren Familienangehörigen gibt es nicht. Die Versorgung der Bewohner*innen des Camps mit Lebensmitteln durch das UNHCR beschränkt sich auf ein Existenzminimum und ist meist, aber nicht immer ausreichend. Geflüchtete aus Syrien dürfen im Libanon nicht legal arbeiten. Wegen der großen Zahl syrischer Staatsangehöriger in dem Land gibt es zudem kaum Arbeit und sind die für illegal geleistete Arbeit gezahlten Löhne sehr niedrig.
Eine mit E befreundete pensionierte Richterin hat Zweifel, ob die gesetzliche Regelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Insbesondere meint sie, die Regelung schränke das Grundrecht auf Ehe und Familie von Ehepartner*innen, die sich während ihrer Flucht vermählt haben, unverhältnismäßig ein. Auch könne sie keinen sachlichen Grund dafür erkennen, dass der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nur unter der einschränkenden Voraussetzung einer vor der Flucht geschlossenen Ehe möglich sein soll, anders als dies bei Personen mit Flüchtlingsschutz der Fall sei.
Fallfrage
BearbeitenLiegen nicht nur im Fall der T, sondern auch der A die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Familiennachzug zu E vor?
Bearbeitungshinweis:
Es ist dabei zu unterstellen, dass das monatliche Kontingent von 1.000 nationalen Visa nach § 36a II 2 AufenthG im Juli 2019 - dem Zeitpunkt der Prüfung des Antrags - noch nicht ausgeschöpft ist. Die allgemeinen Voraussetzungen zur Erteilung eines Visums nach § 5 AufenthG sind ebenso wenig zu prüfen wie mögliche unionsrechtliche Bezüge.
Auszug aus der Begründung des Entwurfs der Bundesregierung für ein Gesetz zur Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten (BT-Drs. 19/2438):
"Mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (...) wurde der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten für die Dauer von zwei Jahren bis zum 16. März 2018 ausgesetzt. (...) Die Belastung der staatlichen und gesellschaftlichen Aufnahme- und Integrationssysteme besteht trotz des Rückgangs der Asylbewerberzahlen im Vergleich zu 2015/2016 weiterhin. (...) Um einen ausgewogenen Ausgleich zwischen der Aufnahmefähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und den Interessen der subsidiär Schutzberechtigten an der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet unter Berücksichtigung von völker-, europa- und verfassungsrechtlichen Anforderungen zu schaffen, wurde der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten zunächst mit dem Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs vom 8. März 2018 (...) weiter bis zum 31. Juli 2018 ausgesetzt und zugleich bestimmt, dass ab dem 1. August 2018 der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten aus humanitären Gründen für 1.000 Personen pro Monat gewährt wird. (...) Ein individueller Anspruch subsidiär Schutzberechtigter, die zunächst ein nur befristetes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet haben, auf Familienzusammenführung in einem bestimmten Staat besteht nicht. (...) Ist das Recht auf Familienleben berührt, sind die besonderen Umstände der betroffenen Personen zu berücksichtigen und mit dem legitimen Interesse des Staates an der Steuerung von Zuwanderung in einen fairen Ausgleich zu bringen. In Bezug auf beide Kriterien haben die Staaten einen gewissen Beurteilungsspielraum (...).
Mit den Regelungen zum Familiennachzug wird den Kapazitäten von Aufnahme- und Integrationssystemen bei einer gleichzeitigen angemessenen Berücksichtigung der ehelichen und familiären Bindungen Rechnung getragen. (...) Dabei hat der Gesetzgeber die verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter von Ehe und Familie auf der einen Seite und die Integrations- und Aufnahmefähigkeit des Staates und der Gesellschaft und das daraus folgende legitime Interesse an einem gesteuerten und geordneten Zuzug von Ausländern auf der anderen Seite zu berücksichtigen (...). Vor diesem Hintergrund soll monatlich 1.000 Familienangehörigen von subsidiär Schutzberechtigten aus humanitären Gründen die legale Einreise zum Zwecke des Familiennachzugs in das Bundesgebiet ermöglicht werden (...).
Ehen, die nicht bereits vor der Flucht geschlossen wurden, berechtigen nicht zum Ehegattennachzug zum subsidiär Schutzberechtigten. Anderes gilt für nach dem Verlassen des Herkunftslandes geborene Kinder (...)."
Fußnoten
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