Autor: Julian Seidl

Ein Text der Initiative OpenRewi. Wie du ihn verbesserst, ist hier beschrieben.

Anmerkungen, Kritik, Fragen zu Teilen dieses Kapitels?

Benutze unsere Texte mit diesen Informationen zur freien Weiterverwendung

70%
70%



Notwendiges Vorwissen: Keines

Behandelte Themen: § 16b AufenthG, Studium, Studienfachwechsel, Zweckwechsel, Verwaltungsvorschriften

Zugrundeliegender Sachverhalt: Studium wechsel dich!

Schwierigkeitsgrad: Anfänger*innen


Fraglich ist, wie sich der von B beabsichtigte Studienfachwechsel auf ihre aufenthaltsrechtliche Situation auswirkt.

A. Studienfachwechsel als aufenthaltsrechtlich relevanter Zweckwechsel Bearbeiten

Ein Wechsel des Studienfachs könnte für B auch einen Wechsel des Aufenthaltszwecks bedeuten.

Die Aufenthaltserlaubnis nach § 16b I AufenthG knüpft an das konkret betriebene Studium und nicht etwa an den abstrakten Aufenthaltszweck „Studium“ an.[1]

Hinweise zur Fallprüfung

Es mag zunächst überraschen, dass sich der Aufenthaltszweck ändert, wenn B weiterhin studiert. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 16b wird jedoch nicht für „irgendein Studium“, sondern immer für den konkreten Studiengang erteilt. Ein Studienfachwechsel stellt daher grundsätzlich auch einen aufenthaltsrechtlich relevanten Zweckwechsel dar.

Der von B beabsichtigte Wechsel des Studienfaches stellt somit einen aufenthaltsrechtlich relevanten Zweckwechsel im Sinne des § 16b IV AufenthG dar.

B. Zulässigkeit des Zweckwechsels Bearbeiten

Nach § 16b IV 1 AufenthG ist ein solcher Zweckwechsel nur zum Zweck einer qualifizierten Berufsausbildung, der Ausübung einer Beschäftigung als Fachkraft, der Ausübung einer Beschäftigung mit ausgeprägten berufspraktischen Kenntnissen oder in Fällen eines gesetzlichen Anspruchs zulässig.

Näheres zu den aufenthaltsrechtlichen Auswirkungen eines Studienfachwechsels findet sich in den Anwendungshinweisen des BMI zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz [2] und in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG[3].

Hinweise zur Fallprüfung

Bei der Bearbeitung von aufenthaltsrechtlichen Fällen lohnt sich ein Blick in die jeweiligen Verwaltungsvorschriften nahezu immer. § 16b AufenthG wurde durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz zum 10.3.2020 neu gefasst, sodass hier die Anwendungshinweise des BMI zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz die einschlägige Verwaltungsvorschrift sind. Diese verweisen an manchen Stellen noch auf die Allgemeine Verwaltungsvorschrift (AVV) zum AufenthG aus dem Jahr 2009. Viele typische Probleme bei der Anwendung der Vorschriften des AufenthG sind in der AVV näher präzisiert. Die Behördenpraxis richtet sich nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift. Im Gespräch mit den Ausländerbehörden ist die AVV eine wichtige Argumentationshilfe. Zu einer gründlichen Recherche bei der Beratungstätigkeit der Law Clinics gehört daher immer auch ein Blick in die AVV! Bei der Arbeit mit der AVV dürfen jedoch etwaige Abweichungen in der Gesetzeslage seit 2009 nicht außer Acht gelassen werden.

In Nr. 16b.4.1 der Anwendungshinweise des BMI zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz heißt es:

"Der Fall eines Studiengang- oder Studienortwechsels fällt in der Regel unter § 16b Absatz 4 Satz 1 letzte Alternative, z. B. wenn der Antragsteller bereits zu einem anderen Studiengang zugelassen wurde. In diesen Fällen muss eine Aufenthaltserlaubnis zwar neu beantragt werden, auf die Erteilung besteht jedoch ein Anspruch (§ 16b Absatz 1). Insoweit gelten die Ausführungen unter Nummer 16.2.5 der AVwV in modifizierter Form, da das dort zugrundliegende Ermessen der Behörden nicht mehr besteht. Insbesondere ist weiter maßgeblich, dass das Studium innerhalb einer angemessenen Zeit, also bis zu einer Gesamtaufenthaltsdauer von zehn Jahren abgeschlossen werden kann."

Wird B im Fach Informatik zugelassen, so erhält sie einen (erneuten) Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Studiums nach § 16b I 1 AufenthG. Dies stellt einen Zweckwechsel im Fall eines gesetzlichen Anspruchs im Sinne des § 16b IV 1 letzte Alternative dar. Ein Fachwechsel ist nach Nr. 16b.4.1. der Anwendungshinweise des BMI zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz grundsätzlich möglich. Voraussetzung hierfür ist, dass das Studium innerhalb einer angemessenen Zeit abgeschlossen werden kann. Hierzu verweisen die Anwendungshinweise zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf Nr. 16.2.5 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG:

"Ein angemessener Zeitraum ist i.d.R. dann nicht mehr gegeben, wenn das Studium unter Berücksichtigung der bisherigen Studienleistungen und des dafür aufgewendeten Zeitbedarfs innerhalb einer Gesamtaufenthaltsdauer von zehn Jahren nicht abgeschlossen werden kann."

Vorliegend hat B ihr Physikstudium im Oktober 2018 begonnen. Die bisherige Aufenthaltsdauer beträgt dreieinhalb Jahre, einschließlich des von B besuchten Studienkollegs. Bei einer Regelstudienzeit von sechs Semestern für das Informatikstudium würde B mit einer Studiendauer von sechseinhalb Jahren deutlich unterhalb der Grenze einer Studienhöchstdauer von zehn Jahren bleiben.

Wird B zum Studiengang Informatik zugelassen, hat sie einen gesetzlichen Anspruch auf eine neue Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Studiums nach § 16b I 1 AufenthG. Dieser Zweckwechsel ist gesetzlich zugelassen, ohne dass der Ausländerbehörde ein Ermessensspielraum verbleibt.

Weiterführendes Wissen

Die Rechtslage ab dem 10.3.2020 stellt eine erhebliche Verbesserung für Studierende dar, die ihr Studienfach wechseln möchten. Vor Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes war ein Studienfachwechsel lediglich in den ersten 18 Monaten des Studiums ohne Weiteres zulässig. Einen späteren Studienfachwechsel konnte die Ausländerbehörde nach ihrem Ermessen zulassen (vgl. Nr. 16.2.5 der AVV). Nach der neuen Rechtslage sind Studierende bei einem Fachwechsel nicht mehr auf das Ermessen der Ausländerbehörde angewiesen. Voraussetzung ist lediglich, dass das Studium innerhalb einer angemessenen Zeitdauer abgeschlossen werden kann.

Weiterführende Literatur Bearbeiten

Sonja Hoffmeister, Der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung - Neuregelungen durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz 2020, Asylmagazin 4/2020, 103-110.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte Bearbeiten

  • Nähere Hinweise zur Anwendung einzelner Bestimmungen des AufenthG findet sich in den zugehörigen Verwaltungsvorschriften.
  • Ein Wechsel des Studienfachs bedeutet auch einen Wechsel des Aufenthaltszwecks nach § 16b AufenthG. Dieser ist grundsätzlich möglich, solange das Studium innerhalb einer angemessenen Zeit abgeschlossen werden kann.


Dieser Text wurde von der Initiative für eine offene Rechtswissenschaft OpenRewi erstellt. Wir setzen uns dafür ein, Open Educational Ressources für alle zugänglich zu machen. Folge uns bei Twitter oder trage dich auf unseren Newsletter ein.

Anmerkungen, Kritik, Fragen zu Teilen dieses Kapitels?

Benutze unsere Texte mit diesen Informationen zur freien Weiterverwendung

Inhaltsverzeichnis des Buches Bearbeiten

§ 1 Nationales Asylverfahrensrecht

§ 2 Asylverfahrensrecht im europäischen Kontext

§ 3 Materielles Asylrecht

§ 4 Entscheidungsmöglichkeiten des BAMF und der Asylprozess

§ 5 Rechte und Pflichten nach Schutzzuerkennung

§ 6 Rechtsstellung nach Antragsablehnung und Aufenthaltssicherung

§ 7 Sozialleistungen im Flüchtlingskontext

§ 8 Nicht-humanitäres Aufenthaltsrecht

Fußnoten Bearbeiten

  1. OVG Koblenz, Beschl. v. 12.5.2015, Az.: 7 B 10364/15, Rn. 4.
  2. BMI, Anwendungshinweise zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz, 6.8.2021.
  3. BMI, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, 26.10.2009.