Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht
Autorin: Valentina Chiofalo
Notwendiges Vorwissen: Keins
Lernziel: Überblick über die vier wichtigsten Verfahrensarten erhalten
Im Staatsorganisationsrecht ist es notwendig, die relevanten Verfahren vor dem BVerfG zu kennen. Denn anders als im Zivilrecht oder im Strafrecht, ist im Öffentlichen Recht regelmäßig die Zulässigkeit eines Gerichtsverfahrens zu prüfen (Verfassungsprozessrecht). Bei einer Zulässigkeitsprüfung überprüft das Gericht, ob bestimmte Verfahrensvoraussetzungen vorliegen, damit es sich überhaupt inhaltlich mit der Frage des Verfahrens auseinandersetzt. Sollten die Voraussetzungen nicht vorliegen, spricht das Gericht ein Prozessurteil und weist das Verfahren als unzulässig ab. Sobald die Zulässigkeit bejaht wird, spricht das Gericht ein Sachurteil, unabhängig davon, ob das Verfahren der Sache nach begründet oder unbegründet ist. Deswegen spricht man bei den Voraussetzungen der Zulässigkeit auch häufig von „Sachurteilsvoraussetzungen“, denn nur wenn diese gegeben sind, kann das Gericht ein Sachurteil fällen.
Die wichtigsten Verfahren im Überblick
BearbeitenIn dieser Tabelle werden die vier wichtigsten Verfahrensarten des Staatsorganisationsrechts dargestellt. Dadurch soll verdeutlicht werden, dass sich die einzelnen Voraussetzungen der Zulässigkeitsprüfung durchaus gleichen. Ein systematisches Vorgehen beim Lernen ist daher von Vorteil. Daneben sollte sich zumindest vor dem Examen mit dem einstweiligen Rechtsschutz vor dem BVerfG befasst werden. Die Verfassungsbeschwerde wird vor allem zu Beginn des Studiums keine Rolle im Staatsorganisationsrecht spielen, sondern wird schwerpunktmäßig in Grundrechts-Klausuren abgefragt. Aufgrund der Prüfungspunkte können jedoch auch hauptsächlich staatsorganisationsrechtliche Probleme (zum Beispiel das ordnungsgemäße Durchlaufen des Gesetzgebungsverfahren) abgefragt werden.
Im Staatsorganisationsrecht sind vier Verfahren besonders relevant: das Organstreitverfahren (Art. 93 I Nr. 1 GG), der Bund-Länder-Streit (Art. 93 I Nr. 3 GG), die abstrakte (Art. 93 I Nr. 2 GG) und die konkrete Normenkontrolle (Art. 100 I GG). Die Verfassungsbeschwerde wird dem Grundrechtsschutz zugeordnet, ist aber trotzdem Teil des Verfassungsprozessrechts. Dabei kann ganz grob folgender Einteilung gefolgt werden:
- Die konkrete und abstrakte Normenkontrolle sind einschlägig, wenn die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen geprüft werden soll. Bei der konkreten Normenkontrolle wirft ein Gericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit auf. Bei der abstrakten Normenkontrolle ist es die Bundesregierung, die Landesregierung oder 1/4 der Mitglieder des Bundestags.
- Die Abgrenzung zwischen Organstreitverfahren und Bund- Länder- Streit kann etwas schwieriger sein. Bei beiden Verfahren geht es um eine „rechtserhebliche Maßnahme oder ein Unterlassen“, welches den:die Antragssteller:in in den eigenen Rechten verletzt haben könnte. Beim Bund- Länder- Streit muss aber zwingend eine Landesregierung am Verfahren beteiligt sein, beim Organstreitverfahren sind alle Beteiligte hingegen Bundesorgane. Somit kann anhand der Beteiligten eine sichere Abgrenzung getroffen werden, sofern es sich beim Antragsgegenstand um eine rechtserhebliche Maßnahme oder Unterlassung handelt.
Organstreitverfahren | Bund-Länder-Streit | Abstrakte Normenkontrolle | Konkrete Normenkontrolle | |
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I. Vor welchem Gericht? | Zuständigkeit: Art. 93 I Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG | Zuständigkeit: Art. 93 I Nr. 3 GG, § 13 Nr. 7 BVerfGG | Zuständigkeit: Art. 93 I Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6 BVerfGG | Zuständigkeit: Art. 100 I GG, § 13 Nr. 11 BVerfGG |
II. Wer? (Gegen wen?) | Antragsteller:in und Antragsgegner:in gem. § 63 BVerfGG | Antragsteller:in und Antragsgegner:in gem. § 68 BVerfGG | Antragsberechtigung gem. § 76 BVerfGG | Vorlageberechtigung gem. Art. 100 I GG |
Oberste Bundesorgane; Teile dieser Organe; andere Beteiligte, Art. 93 I Nr. 1 GG | für den Bund: Bundesregierung; für ein Land: Landesregierung | Bundesregierung; Landesregierung; 1/4 der MdB | Gerichte | |
III. Wogegen? | Antragsgegenstand: § 64 I BVerfGG | Antragsgegenstand: §§ 69, 64 I BVerfGG | Antragsgegenstand § 76 BVerfGG | Vorlagegegenstand: Art. 100 I GG |
rechtserhebliche Maßnahme oder Unterlassung | rechtserhebliche Maßnahme oder Unterlassung | Bundesrecht; Landesrecht | nachkonstitutionelle formelle Bundes- oder Landesgesetze | |
IV. Warum? | Antragsbefugnis: § 64 I BVerfGG | Antragsbefugnis: §§ 69, 64 I BVerfGG | Antragsgrund: Art. 93 I Nr. 2 GG | Vorlagegrund: Art. 100 I GG |
Möglichkeit, dass Antragsteller in verfassungsrechtlichen Rechten verletzt ist; oder (wenn Prozessstandschaft) das Organ, dem er angehört, § 64 I BVerfGG | Möglichkeit, dass Antragsteller in verfassungsrechtlichen Rechten verletzt ist | Zweifel an Verfassungsmäßigkeit; Kein „für nichtig halten“ erforderlich, wie § 76 I BVerfGG fordert. Grund: Art. 93 I Nr. 2 GG höherrangig | Gesetz für verfassungswidrig gehalten + Entscheidungserheblichkeit | |
V. Wie und wann? | Form: § 23 I BVerfGG und Frist: § 64 III BVerfGG | Form: § 23 I BVerfGG und Frist: § 64 III BVerfGG | Form: § 23 I BVerfGG | Form: § 23 I BVerfGG |
schriftlich und begründet, in 6 Monaten | schriftlich und begründet, in 6 Monaten | schriftlich und begründet | schriftlich und begründet | |
VI. Berechtigtes Interesse? | Rechtsschutzbedürfnis | Rechtsschutzbedürfnis | Objektives Klarstellungsinteresse | Nicht nötig, der Sache nach enthalten |
berechtigtes Interesse an Rechtsschutz | berechtigtes Interesse an Rechtsschutz | Vorliegen eines Kontrollbedürfnisses | - |
Fußnoten
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