Autorin: Louisa Linke

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Notwendiges Vorwissen: Demokratieprinzip

Lernziel: die verschiedenen Arten der Abstimmungen sowie die Problematik von Abstimmungen auf Bundesebene kennenlernen

Die Staatsgewalt des Volkes wird gem. Art. 20 II 2 GG in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt. Die durch Abstimmungen ausgeübte direkte Demokratie steht folglich gleichrangig neben der mittels Wahlen ausgeübten repräsentativen Demokratie. Dabei wird bei Wahlen über Personalentscheidungen, bei Abstimmungen hingegen über Sachfragen entschieden. Innerhalb des Grundgesetzes und den Landesverfassungen (beziehungsweise den landesrechtlichen einfach-gesetzlichen Regelungen) wird differenziert zwischen der Volksbefragung, dem Volksbegehren und dem Volksentscheid.

A. Arten der Abstimmungen

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I. Volksbefragung

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Bei der Volksbefragung wird dem Volk seitens des Staates eine konkret formulierte Frage vorgelegt, über die es befinden soll. Die Entscheidung ist dabei für die Staatsorgane nicht bindend. Den Staatsorganen ist es auf diesem Wege möglich, die Meinung des Volkes einzuholen. Gegenstand der Volksbefragung ist eine Frage von allgemeinem Interesse.

II. Volksbegehren

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Anders als bei der Volksbefragung geht das Volksbegehren direkt vom Volk aus. Welches Ziel konkret Gegenstand eines Volksbegehrens werden kann, ist abhängig von der jeweiligen gesetzlichen Ausgestaltung. Diese können auch Voraussetzungen wie etwa die Durchführung einer Volksinitiative bestimmen.[1]

Ziel des Volksbegehrens kann es beispielsweise sein, eine Gesetzesvorlage in das Parlament einzubringen, die auch eine Verfassungsänderung begehren kann.[2] Das Volksbegehren kann die vorzeitige Beendigung der Wahlperiode des Parlamentes zum Gegenstand haben.[3] Außerdem kann die Möglichkeit bestehen, ein Volksbegehren zu Aspekten der politischen Willensbildung durchzuführen, wodurch die Beschlussfassung über sonstige Beschlüsse des Landtages begehrt wird.[4] Dabei können bestimmte Themen auch als Gegenstand eines Volksbegehrens ausgeschlossen sein, so sieht etwa Art. 73 der bayerischen Verfassung und Art. 62 II 1 Bayerisches Landeswahlgesetz vor, dass ein Volksentscheid und damit auch ein ihm vorausgehendes Volksbegehren über den Staatshaushalt nicht zulässig ist. Das Ergebnis des Volksbegehrens ist rechtlich nicht bindend.[5] Das Volksbegehren ist Voraussetzung eines Volksentscheides.[6]

Beispiel: In 2021 fand (erfolglos) ein Volksbegehren in Bayern statt, dass die Abberufung des Landtages zum Gegenstand hatte.[7]

III. Volksentscheid

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Bei einem Volksentscheid entscheidet das Volk z.B. über (den Erlass, die Novellierung oder die Aufhebung) eines Gesetzes. Das Ergebnis ist rechtlich verbindlich.[8] Der Volksentscheid kann aber auch, je nach gesetzlicher Ausgestaltung sonstige Beschlüsse des Parlamentes zum Gegenstand haben.[9]

Beispiel: 2010 gab es einen erfolgreichen Volksentscheid in Bayern, der die Rückkehr zu einem strengen Nichtraucherschutz in Gaststätten zum Gegenstand hatte. Es wurde erfolgreich über einen Gesetzentwurf abgestimmt, der infolgedessen zu verkünden war.[10] Im September 2021 fand ein erfolgreicher Volksentscheid zum Thema „Deutsche Wohnen & Co. enteignen – Spekulation bekämpfen“ in Berlin statt. Der Volksentscheid zielte auf die Vergesellschaftung der Berliner Bestände großer Immobilienkonzerne ab, die mehr als 3.000 Wohnungen vermieten. Er enthielt jedoch nicht die Abstimmung über einen Gesetzentwurf, sondern der Senat sollte lediglich aufgefordert werden, alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind.[11]

B. Abstimmungen auf Bundesebene

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Das Grundgesetz sieht solche Abstimmungen nur in Art. 29 GG beziehungsweise Art. 118 f. GG vor. So enthält Art. 29 II GG die Vorgabe, dass Maßnahmen zur Neugliederung des Bundesgebietes durch Bundesgesetz ergehen, das der Bestätigung durch Volksentscheid bedarf. Wird gem. Abs. 4 in einem zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum, von einem Zehntel der in ihm zum Bundestag Wahlberechtigten durch Volksbegehren gefordert, daß für diesen Raum eine einheitliche Landeszugehörigkeit herbeigeführt werde, so ist durch Bundesgesetz innerhalb von zwei Jahren entweder zu bestimmen, ob die Landeszugehörigkeit gem. Abs. 2 geändert wird, oder daß in den betroffenen Ländern eine Volksbefragung stattfindet. Es entscheidet dabei nicht das Bundesvolk, sondern nur ein Teil der Staatsbürger:innen.

Ein Klassiker stellt daher die Frage dar, ob Abstimmungen auf Bundesebene über die genannten Artikel des Grundgesetzes hinaus zulässig sind. Dabei ist nach dem Charakter der Entscheidung zu differenzieren. Die überwiegende Ansicht verneint die Zulässigkeit von Abstimmungen auf Bundesebene ohne eine Verfassungsänderung, sofern der Entscheidung ein rechtlich verbindlicher Charakter zukommt. Hierbei wird mit einem Widerspruch zu den Regelungen des Grundgesetzes in Bezug auf das Gesetzgebungsverfahren argumentiert.[12]

Aber auch bei einer Verfassungsänderung ist die Einführung direkt-demokratischer Elemente nicht unbegrenzt möglich. Sie ist zulässig, da Art. 20 II 2 GG Abstimmungen zwar direkt vorsieht, Restriktionen beim Umfang ergeben sich aber aus Art. 79 III GG, insbesondere aus dem grundsätzlich repräsentativ geprägten Grundgesetz.[13]

Rechtlich nicht bindende Abstimmungen sind jedoch auf Bundesebene auch ohne eine Verfassungsänderung möglich. Der sich lediglich daraus ergebende politische Druck hat keinen Einfluss auf die verfassungsrechtliche Beurteilung, dass die Staatsorgane selbst entscheiden können, wie sie mit der Entscheidung des Volkes umgehen.[14] Ein Parlamentsgesetz kann demgemäß etwa die Möglichkeit einer Volksbefragung vorsehen.

C. Abstimmungen auf Landesebene

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In den Landesverfassungen wird oftmals die Möglichkeit von Abstimmungen vorgesehen.[15] Was Gegenstand von Volksbefragungen und Volksentscheiden werden kann, ist dabei der jeweiligen Landesverfassung beziehungsweise den einfachen Landesgesetzen zu entnehmen. Dass Landesverfassungen entsprechende Abstimmungen vorsehen, steht im Einklang mit dem Homogenitätsprinzip des Art. 28 I GG. Schließlich sieht das Grundgesetz in Art. 20 II GG die Möglichkeit der direkten Demokratie vor, ebenso beispielsweise wie Art. 29 GG.

Klausurtaktik

Ein Klausursachverhalt zu dieser Thematik ist im Rahmen von staatsorganisationsrechtlichen Klausuren nicht zu erwarten. Vielmehr kommt dies erst im Rahmen des Verwaltungsrechts in Betracht, wenn die Zulässigkeit von Abstimmungen auf Kommunalebene zu prüfen sein könnte.

D. Abstimmungen auf EU-Ebene

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Gemäß Art. 11 IV EUV können Unionsbürger:innen die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürger:innen eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen (Europäische Bürgerinitiative). Dabei muss die Anzahl der Unionsbürger:innen mindestens eine Million betragen, außerdem muss es sich um Staatsangehörige aus mindestens einem Viertel aller Mitgliedstaaten handeln. In der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 v. 16.2.2011 sind dabei die Voraussetzungen und das Verfahren näher geregelt. Die europäische Bürgerinitiative ähnelt einem Volksbegehren. Der Entscheid ist nicht bindend für die Europäische Kommission (str.).[16]

Beispiel: Die Europäische Bürgerinititaive „Stop Vivisection“ war in der Hinsicht erfolgreich, dass sich die Europäische Kommission mit deren Vorschlag beschäftigen musste. Grundlage der Bürgerinitiative war ein Vorschlag für ein entsprechendes Gesetz, das den Ausstieg aus der tierexperimentellen Forschung zum Gegenstand hatte. Auch wenn die Kommission der Überzeugung zustimmt, dass Tierversuche unterbleiben sollten, entschied sie, dass dies auf anderem Weg erreicht werden sollte.[17]

Weiterführende Studienliteratur

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  • von Arnim/Kriele, Volksbegehren und Volksentscheid, ZRP 2002, 492.
  • Elicker, Verbietet das Grundgesetz ein Referendum über die EU-Verfassung?, ZRP 2004, 225; siehe auch die Erwiderung von Herbst, Volksabstimmung ohne Grundgesetz?, Erwiderung zu Elicker, ZRP 2004, 225, ZRP 2005, 29.
  • Engelken, „In Wahlen und Abstimmungen“, – zur Bedeutung und Herkunft dieser Worte in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG –, DÖV 2013, 301.
  • Guckelberger, Die Europäische Bürgerinitiative, DÖV 2010, 745.
  • Tiedemann, Die sekundärrechtliche Ausgestaltung der europäischen Bürgerinitiative durch die Verordnung (EU) Nr. 211/2011, NVwZ 2012, 80.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

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  • Abstimmungen beinhalten Sachfragen.
  • Differenziert wird zwischen der Volksbefragung, dem Volksbegehren und dem Volksentscheid.
  • Rechtlich unverbindliche Abstimmungen können ohne Verfassungsänderung auf Bundesebene durchgeführt werden. Dem hingegen sind rechtlich verbindliche Abstimmungen, über die bereits im Grundgesetz enthaltenen hinaus, derzeit unzulässig.
  • Auf Landesebene ist die Durchführung von Abstimmungen oftmals möglich, hierfür ist die jeweilige Landesverfassung näher zu betrachten. Auf europäischer Ebene besteht die Möglichkeit der Europäischen Bügerinitiative.

Dieser Text wurde von der Initiative für eine offene Rechtswissenschaft OpenRewi erstellt. Wir setzen uns dafür ein, Open Educational Ressources für alle zugänglich zu machen. Folge uns bei Bluesky oder X oder trage dich auf unseren Newsletter ein.

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Inhaltsverzeichnis des Buches

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1. Kapitel – Die Grundlagen des Staatsorganisationsrechts - Verfassung und Staat als zentrale Anknüpfungspunkte

2. Kapitel – Staatsstrukturprinzipien – Die Fundamentalnormen des Staates

3. Kapitel – Staatszielbestimmungen

4. Kapitel – Verfassungsorgane

5. Kapitel – Kompetenz und Verfahren

6. Kapitel – Verfassungsgerichtsbarkeit

7. Kapitel – Methodik der Fallbearbeitung im Staatsorganisationsrecht

Fußnoten

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  1. Siehe z.B. § 13 I 1 Brandenburger Volksabstimmungsgesetz.
  2. Siehe z.B. § 11 des Berliner Abstimmungsgesetzes.
  3. Siehe z.B. § 11 II des Berliner Abstimmungsgesetzes.
  4. Siehe z.B. § 11 des Berliner Abstimmungsgesetzes.
  5. Siehe z.B. § 24 II Brandenburger Volksabstimmungsgesetz.
  6. Siehe z.B. § 26 I 1 Brandenburger Volksabstimmungsgesetz.
  7. Auer, Querdenker wollen wollen Landtag abberufen, SZ v. 4.8.2021.
  8. Siehe z.B. §§ 50 I , 51 Brandenburger Volksabstimmungsgesetz.
  9. Siehe z.B. § 29 I 2 des Berliner Abstimmungsgesetzes.
  10. Bayerisches Landesamt für Statistik, Volksentscheide: Ergebnisse; Schneider, Rückkehr zum strengsten Rauchverbot in Deutschland, LTO v. 5.7.2010.
  11. Siehe die Homepage Deutsche Wohnen und Co enteignen.
  12. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 20 Rn. 113.
  13. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 20 Rn. 115 m.w.N.
  14. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG Kommentar, 95. EL 7.2021, Art. 20 Rn. 114 m.w.N.
  15. Siehe z.B. Art. 76 ff. der brandenburgischen Verfassung oder Art. 61 ff. der Berliner Verfassung.
  16. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der Europäischen Union, 72. EL 2.2021, Art. 11 EUV Rn. 27.
  17. Europäische Union, Stop Vivisection.