Einordnung Öffentliches Recht - Verfassungsrecht
Autor:innen: Isabel Lischewski
Notwendiges Vorwissen: Keins.
Lernziel: Begriff des öffentlichen Rechts; Abgrenzung zum Privatrecht
A. Wozu dient die Unterscheidung in öffentliches und Privatrecht?
BearbeitenIn Deutschland herrscht die rigide Trennung von öffentlichem und Privat- bzw. Zivilrecht vor. (Das Strafrecht ist streng genommen Teil des öffentlichen Rechts, hat sich jedoch dogmatisch weitestgehend aus diesem herausdifferenziert und wird daher traditionell getrennt behandelt.) Die Unterscheidung zieht sich durch die Gesetzestexte, die Gerichtsbarkeiten (bei der, die Spezialgerichte etwa im Sozial- und Finanzbereich einmal außen vor, für die Frage des Rechtswegs immer in einem ersten Schritt zu klären ist, ob der Rechtsstreit zur Zivil-, Straf- oder Verwaltungsgerichtsbarkeit gehört) und insbesondere auch die juristischen Fakultäten. Diese Trennung ist historischen Ursprungs und im internationalen Vergleich durchaus nicht selbstverständlich.
Deshalb ist es für jeden juristischen Sachverhalt in einem ersten Schritt entscheidend, zu bestimmen, ob dieser öffentlich-, zivil- oder strafrechtlicher Natur ist. Danach entscheidet sich etwa, welche:r Anwält:in sich mit der Materie am besten auskennt und zu welchem Gericht Klage erhoben werden muss. In vielen Fällen ist die Einordnung leicht vorzunehmen und versteht sich fast von selbst, es gibt jedoch auch schwierige Grenzbereiche. Daher wurden von Lehre und Rechtsprechung verschiedene Theorien und Kriterien entwickelt.
In einer Klausur erschließt sich natürlich bereits aus dem Rechtsgebiet der Vorlesung bzw. der Prüfung, in welchem Bereich der Fall spielen soll und welches Gericht im Ergebnis zuständig sein wird. Dennoch muss dies insbesondere in der Verwaltungsrechtsklausur regelmäßig unter dem Prüfungspunkt „Rechtswegeröffnung“ hergeleitet und oft auch vertieft argumentiert werden!
B. Theorien zur Einordnung des öffentlichen Rechts
BearbeitenDas Öffentliche Recht regelt grundsätzlich die Rechtsbeziehung zwischen dem Staat und den Bürger:innen, das Zivilrecht die Rechtsbeziehung zwischen den Bürger:innen untereinander. Somit ist klar, dass das öffentliche Recht immer dann ins Spiel kommt, wenn der Staat in irgendeiner Weise involviert ist. Das heißt umgekehrt, dass in Sachverhalten, in denen auf beiden Seiten Bürger:innen stehen, in aller Regel vorrangig das Zivilrecht greift.
Beispiel: ein erbrechtlicher Sachverhalt unter Geschwistern; ein Darlehen einer Bank an ein Unternehmen; ein Werkvertrag zwischen einem Handwerker und einem Hauseigentümer.
Doch bereits die Einordnung, ob es sich wirklich Private oder doch staatliche Akteur:innen handelt, ist nicht immer einfach möglich.
Beispiel: Die Bundeskanzlerin äußert sich aus ihrem Urlaub auf Twitter negativ über das Verhalten eines deutschen Unternehmens - Ist das eine Äußerung der Regierung oder der Kanzlerin als Person?
Der TÜV ist zwar ein privatrechtlich eingetragener Verein, übt aber hoheitliche Befugnisse (anstelle des Staates selbst) aus (sog. Beliehener).
Das Justizministerium bestellt bei einem Unternehmen neue Faxgeräte und bezahlt dann nicht - muss das Unternehmen vor dem Landgericht oder dem Verwaltungsgericht klagen?
Daher haben sich verschiedene, mittlerweile schon klassische Theorien herausgebildet, um das öffentliche Recht leichter zu identifizieren.
I. Die Interessentheorie
BearbeitenNach der von dem römischen Juristen Ulpian entwickelten Interessentheorie sollte danach unterschieden werden, ob ein Rechtssatz eher dem öffentlichen Interesse (dann öffentliches Recht) oder aber Individualinteressen (dann Privatrecht) zu dienen bestimmt sei. Bei Lichte betrachtet führt diese Theorie aber nicht zu zufriedenstellenden oder auch nur trennscharfen Ergebnissen. Denn viele klar öffentlich-rechtlichen Regelungen – z.B. der Nachbarschutz im Baurecht – dienen auch oder sogar vorrangig dem Schutz von Individualinteressen. Umgekehrt gibt es im Zivilrecht auch Vorschriften, die im öffentlichen Interesse stehen, zum Beispiel im Familienrecht.
II. Die Subordinations- bzw. Subjektionstheorie
BearbeitenDagegen besagt die Subordinations- bzw. Subjektionstheorie, dass Rechtssätze, die ein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis regeln oder herstellen, öffentlich-rechtlich sind, während Regeln zu Gleichordnungsverhältnissen in das Zivilrecht fallen. Aber auch diese Einteilung stößt jedoch bei genauer Betrachtung schnell an ihre Grenzen. So kann etwa durch einen sogenannten öffentlich-rechtlichen Vertrag auch ein Gleichordnungsverhältnis entstehen. Anders herum gibt es etwa zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen auch im Zivilrecht Beziehungen, die durch Über- bzw. Unterordnung geprägt sind.
III. Sonderrechtstheorie und modifizierte Subjektstheorie
BearbeitenEine weitere Möglichkeit ist, so die von H. J. Wolff[1] geprägte Subjektstheorie, zu fragen, ob der betreffende Rechtssatz für jedermann gleichermaßen gilt
Beispiel: Die Regeln für einen Kaufvertrag im BGB gelten grundsätzlich für jede:n, der:die einen Vertrag abschließen möchte – egal ob natürliche Person, Unternehmen oder Behörde.
(dann: Privatrecht) oder aber ausschließlich ein Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben, wie etwa Gemeinden begründet, das heißt ein Recht, das nur den Trägern hoheitlicher Gewalt zusteht (dann: öffentliches Recht).
Beispiel: Nur die nach Polizeirecht zuständigen Behörden dürfen etwa Versammlungen verbieten oder Identitätsfeststellungen durchführen.
Allerdings ist auch der Staat gelegentlich Adressat eigentlich privatrechtlicher Normen, etwa im Staatshaftungsrecht des § 831 BGB.
Daher wurde dieser gelegentlich auch Zuordnungs-/Sonderrechtstheorie genannte Ansatz später verfeinert.[2] Eine Rechtsnorm ist demnach nur dann öffentlich-rechtlich, wenn sie einen Hoheitsträger als solchen, d.h. gerade in seiner Eigenschaft als Träger hoheitlicher Gewalt, berechtigt bzw. verpflichtet (sogenannte modifizierte Subjektstheorie). Natürlich lässt sich nicht ganz leugnen, dass diese Herangehensweise das Problem in gewisser Weise nur verschiebt. Denn ohne ein Vorverständnis davon, was öffentlich-rechtlich ist, kann schlichtweg nicht völlig geklärt werden, wer denn nun ein Hoheitsträger ist. In der Rechtspraxis[3] werden die drei Abgrenzungstheorien ohnehin nicht exklusiv, sondern nebeneinander angewendet.
C. Die Stellung des Staatsorganisationsrechts innerhalb des Verfassungsrechts
BearbeitenDie Theorien gelangen an erster Stelle im Verwaltungs(prozess)recht zur Anwendung, wo sie ganz entscheidend bei der Frage sein können, ob in einer Sache der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Besondere Situationen ergeben sich hierbei, sofern Normen streitgegenständlich sind, die sich mit verwaltungsinternen Fragen beschäftigen, z.B. in den landes- und bundesgesetzlichen Regelungen zur Verwaltungsorganisation
Beispiel: etwa das Landesorganisationsgesetz NRW.
und im Recht der kommunalen Selbstverwaltung. Diese Sachverhalte sind natürlich ebenfalls öffentlich-rechtlich, beschäftigen sich jedoch weniger mit dem von der modifizierten Subjektstheorie zunächst in den Blick genommenen Verhältnis Staat-Bürger:in als mit der inneren Struktur und dem Wirken einzelner Träger staatlicher Hoheit.
Gleiches gilt für das hier gegenständliche Staatsorganisationsrecht. Es kommt dann zum Einsatz, wenn es gilt, die Entstehung, den Aufbau und die Funktionsweise des Hoheitsträgers Staat auf verfassungsrechtlicher Ebene zu regeln. Doch auch in diesem Umfang spricht es die staatliche Gewalt als solche im Sinne der modifizierten Subjekttheorie an: ihr Hervorgehen aus dem Bürger:innenwillen durch demokratische Wahlen, ihre Aufgliederung in Exekutive, Legislative und Judikative sowie durch den Föderalismus, und die der Staatsgewalt auferlegten Grenzen etwa durch das Rechtsstaatsprinzip.
Weiterführende Studienliteratur
Bearbeiten- Becker, Öffentliches und Privates Recht, NVwZ 2019, 1385.
Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte
Bearbeiten- Es gibt im Wesentlichen drei Theorien zur Einordnung einer Norm in das öffentliche Recht, wobei die modifizierte Subjektstheorie am ehesten zu einem adäquaten Ergebnis kommt.
- Das Staatsorganisationsrecht nimmt hier eine besondere Stellung ein, weil es sich insbesondere mit der internen Struktur der Staatsgewalt beschäftigt.
Fußnoten
Bearbeiten- ↑ Wolff, AöR 76 (1950/51), 205 ff.
- ↑ Bachof in: Bachof/Heigl, FG BVerwG, 1978, 1 (9 ff.); Bettermann, NJW 1977, 513 (515).
- ↑ BVerwG, Beschluss vom 26.5.2010 - 6 A 5.09, Rn. 17-22 m.w.N. = NVwZ 2010, 682 (683)