Körper & Persönlichkeit
Die Verfassung stellt die Würde und die personale Autonomie des Menschen in Art. 1 und Art. 2 GG als vornehmste Versprechen des Grundgesetzes und als zentrale Bezugspunkte für die folgenden grundrechtlichen Gewährleistungen an ihren Anfang. Für die Menschenwürdegarantie ergibt sich die herausragende Bedeutung neben der Stellung dadurch, dass Art. 1 GG von der Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG umfasst und somit unveränderbar ist.
Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 I GG ergänzt die der Verfassungsnorm nachfolgenden Gleichheits- und die speziellen Freiheitsrechte und sichert elementare Bedingungen für ein freies, selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben. Es ist als dynamisches Grundrecht offen für neue Gefährdungen für den Menschen im Zusammenhang mit dem technischen, ökologischen und sozialen Wandel. Vor diesem Hintergrund hat es durch die Rechtsprechung als allgemeines Persönlichkeitsrecht (hergleitet aus Art. 2 I in Verbindung mit Art. 1 I GG) verschiedene Ausprägungen erfahren: als Recht auf Privatsphäre und Recht auf Selbstdarstellung, vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels etwa als Recht auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität und der sexuellen Selbstbestimmung, mit Blick auf den technologischen Fortschritt insbesondere als Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Recht auf Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme.
Dieses Kapitel behandelt außerdem das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II GG. Die Menschenwürdegarantie, der Schutz der Autonomie und der Integrität der Person werden hier in enger Verbindung miteinander dargestellt. Schwerwiegende Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit weisen einen engen Bezug zur Menschenwürde auf; noch offensichtlicher ist dies mit Blick auf den Schutz des Lebens. Auch die staatlichen Schutzpflichten, die hinsichtlich zentraler Verfassungsgüter wie dem Leben, der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit und der sexuellen Selbstbestimmung bestehen, werden aus Art. 2 II GG in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 I GG hergeleitet.
Aktuelle Debatten
BearbeitenDer Klimawandel und die Covid-19-Pandemie fordern die grundrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 1 und Art. 2 GG in besonderer Weise. Nachgegangen wird in diesem Kapitel der hoch aktuellen Frage nach den grundrechtlichen Bezügen des Umwelt- und Klimaschutzes.
Eine weitere höchst aktuelle Frage betrifft in der Covid-19-Pandemie das Unterlassen der staatlichen Regelung der Triage. Der Begriff der Triage bezeichnet die Auswahlsituation, die im Falle medizinischer Versorgungsengpässe eintritt, wie es in der Pandemie in Bezug auf die Verteilung von Beatmungsgeräten befürchtet wurde. Hierzu ist aktuell eine Verfassungsbeschwerde von Menschen mit Behinderungen beim BVerfG anhängig (Aktenzeichen: 1 BvR 1541/20). Sie sehen durch das gesetzgeberische Unterlassen, gesetzliche Kriterien für die Triage zu regeln, eine Verletzung staatlicher Schutzpflichten aus Art. 2 I GG und Art. 3 III 2 GG.
Schließlich hat das BVerfG erst 2020 ausdrücklich klargestellt, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben grundrechtlichen Schutz des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit genießt – und hat damit eine umstrittene Spannungslage zwischen staatlicher Schutzpflicht für das Leben und der Selbstbestimmung der Person aufgelöst.
Fußnoten
Bearbeiten