Digitalität & Privatsphäre
Die Privatsphäre wird aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet und schützt einen Raum der Privatheit, des Höchstpersönlichen, des Eigenen, der anderen nicht zugänglich ist. Hieraus haben sich unterschiedliche Grundrechte entwickelt, die den privaten Bereich auf unterschiedliche Weise spezifizieren. Das Grundrecht aus Art. 13 GG schützt den konkreten physischen Rückzungsraum (z.B. die Wohnung). Hingegen werden alle Arten der Kommunikation vom Brief bis zur digitalen Nachricht über Art. 10 GG geschützt.
Der Schutz der Privatsphäre wird schwieriger, je mehr Daten es gibt, aus denen sich Informationen über Personen gewinnen lassen. Diese Informationen können sich aus dem Inhalt der Kommunikation mit anderen, der Ausgestaltung und Nutzung des eigenen räumlichen Rückzugsortes, gepeicherten Daten auf digitalen Endgeräten oder aus Internetquellen ergeben. Aufgrund der "Digitalität"[1] von Staat und Gesellschaft sind elektronisch gespeicherte Informationen schneller und in größerer Anzahl verfügbar. Durch technische Entwicklungen kann sich auch die Intensität von Grundrechtseingriffen erhöhen, z.B. durch die vollautomatisierte Auswertung großer Datenmengen. Dabei ist die Privatsphäre sowohl durch zunehmende staatliche Ermittlungs- und Überwachungstätigkeit aus abwehrrechtlicher Perspektive als auch durch die Datensammlung großer Digitalkonzerne nach objektiven Grundrechtsmaßstäben gefährdet.
In den letzten Jahrzehnten hat das BVerfG verschiedene Grundrechte ausgebaut, um auf besondere Bedrohungsszenarien der Datenverarbeitung durch Großcomputer zu reagieren. Bereits in seinem Urteil zur Volkszählung aus dem Jahr 1983 begründete das Gericht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Der passive Schutz der Privatsphäre wird ergänzt durch die aktive Gestaltung personenbezogener Daten. Auch das vom EuGH übernommene Recht auf Vergessenwerden gibt den Betroffenen das Recht, Daten über die eigene Person zu beeinflussen. Hingegen steht das Recht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme eher in der Tradition eines abgeschirmten Privatsphärenschutzes; es schützt lediglich persönliche digitale Systeme.
Die Sicherheitsgesetzgebung der letzten Jahre verfolgte oft das Ziel, die Kompetenzen von Polizei und Geheimdiensten auszuweiten, um so immer tiefer in die Privatsphäre der Büger:innen eingreifen zu können. Die Änderung des BKAG, zur Antiterrordatei, zu den Befugnissen des BND oder die erweiterte Nutzung von Bestandsdaten wurden vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt. Eingriffe in die Privatsphäre liegen im Spannungsfeld der Argumentationslinien nach mehr Sicherheit einerseits und der Erhaltung von Freiheitsrechten andererseits und sind deshalb oft Gegenstand politischer Debatten.
Für die Fallbearbeitung ist es wichtig, rechtspolitische Argumente zu identifizieren und diese entsprechend einzuordnen. Ein politisches Ziel in die eine oder andere Richtung kann die rechtliche Prüfung und Argumentation nicht ersetzen. Erweiterungen oder Einschränkungen digitaler Grundrechte müssen immer im Text der Verfassung verankert werden. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme hat das Bundesverfassungsgericht verschiedene Schutzmaßnahmen entwickelt, die bei allen in diesem Kapitel besprochenen Grundrechten in unterschiedlicher Stärke auftauchen:
Wenn in der Klausur staatliche Stellen Daten erheben möchten, muss dies immer zu einem vorher definierten Zweck erfolgen. Zudem muss die gesetzliche Grundlage des Eingriffs hinreichend bestimmt sein. Je schwerwiegender ein Eingriff ist, desto gewichtiger muss auch das hierfür in Anschlag gebrachte Rechtsgut sein. Ein Eingriff in die Intimsphäre wirkt hierbei besonders schwer.
Häufig verlangt das Verfassungsgericht Verfahrensvorkehrungen für die Datenerhebung. Dogmatisch und rechtspraktisch spielt hierbei der Vorbehalt eines richterlichen Beschlusses eine große Rolle. Hinzu kommen können speziellere Verfahrensvorkehrungen wie Filtertechniken, automatisierte Löschungen, Beschränkung der Zugangsmöglichkeiten innerhalb der öffentlichen Stelle, transparente Aufzeichnungen der konkreten Datenverarbeitungen oder die fest verankerte Kontrolle durch die Datenschutzbehörden.
Fußnoten
Bearbeiten- ↑ Stalder, Kultur der Digitalität, 2. Auflage 2017, S. 18.