Pharmakologie und Toxikologie: Pharmakokinetik



Pharmakokinetik Bearbeiten

Die Pharmakokinetik beschäftigt sich mit den Prozessen der Resorption, Verteilung, Transport, Speicherung, Biotransformation und Ausscheidung von Pharmaka sowie deren Beschreibung und Modellierung.

Die Frage ist hier: Was macht der Körper mit dem Pharmakon?

Beschreibung nach dem LADME-Modell:

  • Liberation
  • Absorption
  • Distribution
  • Metabolisierung
  • Exkretion

Invasion (Anfluten) Bearbeiten

Die Invasion beschreibt, wie ein Arzneistoff aufgenommen wird und zum Zielort gelangt.

Freisetzung (Liberation) Bearbeiten

Die Freisetzung eines Arzneistoffs aus der Arzneiform steht fast vollständig unter pharmazeutisch-technologischer Kontrolle (ist also abhängig von der Galenik und der Formulierung der Arzneiform). Somit ist die Liberation der Arzneiform nur bedingt dem Bereich der Pharmakokinetik zuzuordnen. Alle weiteren Vorgänge sind physiologisch gesteuert und in weiten Grenzen variabel. Freisetzung ist die Grundvoraussetzung für die Wirkung eines Arzneimittels.

Die schnellste Freisetzung ist erreicht, wenn ein Arzneistoff bereits in gelöster Form vorliegt. Bei Tabletten erfolgt die Freisetzung in zwei Stufen: Zuerst zerfällt die Tablette in ihre Primärpartikel, dann löst sich der Wirkstoff auf. In den Arzneibüchern sind Vorgaben für die Zerfallszeit festgelegt. Mit Retardarzneimitteln lässt sich die Freisetzungszeit verlängern. Bei Arzneimitteln, die eingenommen werden, stellt die Passagezeit durch Magen und Dünndarm eine natürliche Obergrenze für die Wirkstofffreisetzung dar: Wenn die Tablette den Dünndarm verlassen hat, kann nichts mehr aufgenommen werden, die Freisetzung ist dadurch auf einen Zeitraum von etwa 8-10 Stunden begrenzt.

Um noch längere Freisetzungszeiten zu ermöglichen, muss ein Arzneimittel deswegen fest am oder im Körper angebracht werden. Zwei Technologien sind verbreitet: Intramuskuläre Injektionen und wirkstoffhaltige Pflaster bzw. transdermale therapeutische Systeme; Implantate sind für spezielle Zwecke im Einsatz. Mit Pflastern erreicht man Freisetzungszeiten von bis zu einer Woche, i.m. Injektionen ermöglichen Freisetzungszeiten von bis zu drei Monaten, Implantate bis zu einem Jahr.

Resorption (Absorption) Bearbeiten

Wird eine Arznei direkt in ein Gefäß injiziert oder infundiert, so entfällt der Resorptionsvorgang. In allen anderen Fällen muss sie zuerst eine Barriere überwinden, meist eine Schleimhaut, eventuell aber auch die Haut. Das Verhältnis zwischen der bei einer bestimmten Verabreichungsart gefundenen Wirkstoffmenge und der Wirkstoffmenge, die sich nach einer i.v. Injektion im Blut wiederfindet, ergibt die absolute Bioverfügbarkeit. Sie hängt einerseits von der Barriere ab, die durchschritten werden muss, andererseits vom jeweiligen Arzneistoff. Sehr gut durchlässig sind Nasenschleimhaut und Lungengewebe. Gut durchlässig ist die Dünndarmschleimhaut, weniger gut die Dickdarmschleimhaut und noch schlechter die Haut.

Bei der Resorption finden zum Teil passive Diffusionsvorgänge statt, andernteils werden Stoffe auch mithilfe aktiver Transportmechanismen in den Körper eingebracht. Gleichzeitig findet jedoch gerade in der Dünndarmschleimhaut ein je nach Stoff erheblicher Abbau statt. Um überhaupt aufgenommen zu werden, muss ein Stoff in gelöster Form vorliegen und darf eine gewisse Molekülgröße nicht überschreiten. Lipophilie (Fettlöslichkeit) erleichtert die Aufnahme, polare Stoffe werden nur schlecht aufgenommen. Weitere Voraussetzung ist, dass der Stoff die Schleimhaut überhaupt in intakter Form erreicht. Proteine wie Insulin werden bereits in Magen und Dünndarm in Aminosäuren gespalten, so dass keine Wirkung bei oraler Aufnahme zu erwarten ist. Aktive Transportmechanismen kommen vor allem Stoffen zugute, die strukturelle Ähnlichkeit mit Nährstoffen aufweisen.

Aufnahme durch die Mundschleimhaut Bearbeiten

Aufnahme durch die Mundschleimhaut führt zu einem raschen Wirkungseintritt, die erste Leberpassage entfällt. Nur wenige Arzneistoffe werden in nennenswertem Umfang durch die Mundschleimhaut aufgenommen. Standardbeispiel ist Nitroglycerin (Spray und Zerbeißkapseln), aber auch lipophile Opiate sind auf diesem Weg verabreichbar.

Aufnahme durch die Magenschleimhaut Bearbeiten

Die Magenschleimhaut nimmt kaum Arzneistoffe auf. Nebenwirkungen am Magen lassen sich durch Umgehung der Magenpassage allerdings nicht immer vermeiden, da Arzneistoffe wie NSARs oder Parasympathomimetika systemisch Einfluss auf die Magenphysiologie nehmen.

Aufnahme aus dem Enddarm Bearbeiten

Die Rektalschleimhaut ist kein bevorzugter Ort für die Arzneistoff-Aufnahme: Zäpfchen müssen schmelzen, bevor der Wirkstoff resorbiert werden kann, die Schleimhaut ist längst nicht so durchlässig wie im Dünndarm. Rektale Gabe weist jedoch einige Vorteile auf:

  • Zäpfchen und Klistiere können auch bewusstlosen oder unkooperativen Patienten (zum Beispiel Kindern) verabreicht werden
  • Die letzten zehn Zentimeter des Dickdarms werden von Gefäßen versorgt, die auf dem "'Rückweg"' nicht an der Leber vorbeigeführt werden, dadurch entfällt der First-Pass-Effekt.
  • Rektale Verabreichung weist einen hohen Placebo-Effekt auf.

Selbstverständlich ist rektale Gabe auch immer angebracht, wenn ein Arzneimittel lokal im Enddarm wirken soll.

Aufnahme durch die Haut Bearbeiten

Um durch die Haut zu kommen, sollte der Wirkstoff aus einem möglichst kleinen, lipophilen Molekül bestehen. Die Resorption durch die Haut lässt sich durch Okklusionseffekte beschleunigen, ebenfalls mit Penetrationsverbesserern wie DMSO oder Ethanol. Resorption durch die Haut ist ein langsamer Vorgang. Zuerst wird ein Depot in der Haut aufgebaut, dann nach und nach Arzneistoff ins Blut abgegeben. Bei transdermalen Systemen wird der volle Wirkspiegel frühestens nach fünf Stunden erreicht. Nach Entfernen des Systems wird noch über mehrere Stunden Wirkstoff ins Blut abgegeben.

Aufnahme durch die Nasenschleimhaut Bearbeiten

Die Nasenschleimhaut weist nur eine geringe Fläche auf, ist aber gut durchblutet. Neben örtlich wirksamen Substanzen wird sie auch zur Aufnahme von kleinen Peptidhormonen (Oxytocin, ADH) und von Sumatriptan eingesetzt. Voraussetzung für die Akzeptanz ist eine reizlose Arzneiform.

Aufnahme durch die Lunge Bearbeiten

Die Lunge ist für viele Arzneistoffe gut durchlässig, zudem verfügt sie nicht in nennenswertem Umfang über abbauende Enzyme. Voraussetzung für diesen Resorptionsweg ist ein Arzneistoff, der reizlos vertragen wird. Nicht alles, was inhaliert wird, gelangt auch in die Lunge. Im Mund verbliebene Reste führen dort zu Nebenwirkungen (zum Beispiel Soor bei Kortikoid-Inhalation) oder werden verschluckt und aus dem Darm resorbiert.

Verteilung (Distribution) Bearbeiten

Um wirken zu können, müssen Arzneistoffe an ihren Zielort gelangen. Typischer Verteilungsweg ist der Transport mit dem Blutstrom. Das Eindringen in Gewebe, Liquor oder andere Kompartimente erfolgt durch passive Diffusion oder durch aktive Transportprozesse. Es hängt von der Hydrophilie bzw. Lipophilie des Arzneistoffes ab und davon, ob er strukturelle Ähnlichkeit mit körpereigenen Stoffen aufweist. Stark lipophile Stoffe verschwinden recht schnell aus dem Blut und gehen besonders in Fettgewebe über, stark hydrophile Stoffe bleiben fast vollständig im Blut. Aus dem Quotienten zwischen der tatsächlichen und der erwarteten Plasmakonzentration eines Stoffes lässt sich ein virtuelles Verteilungsvolumen errechnen. Bei stark lipohilen Stoffen können Werte weit über 100 l für einen Erwachsenen heraus kommen.

Die Abgrenzungen zwischen Blut und anderen Geweben sind unterschiedlich durchlässig. Was im Blut verteilt wird, kommt zum Großteil auch durch die Plazentarschranke. Der Liquor cerebrospinalis ist weit besser abgeschirmt, die 'Blut-Hirn-Schranke' hält viele Stoffe ab. In manchen Geweben herrschen andere pH-Werte als im Blut. Auch dies beeinflusst die Verteilung von Arzneimitteln. Viele entzündungshemmende Medikamante stellen chemisch gesehen Säuren dar. Es wird postuliert, dass sie sich dadurch in entzündetem Gewebe, das einen eher sauren pH-Wert aufweist, anreichern.

Viele Stoffe zirkulieren im Blut nicht in freier Form, sondern sind an Plasmaproteine angelagert. Zur Wirkung kommen kann jedoch nur der freie Anteil. Kritische Auswirkungen hat eine hohe Plasmaproteinbindung, wenn der gebundene Stoff durch einen zweiten Stoff aus dieser Bindung verdrängt wird. So kann es zu Überdosierungserscheinungen kommen.

Elimination (Abfluten) Bearbeiten

Hydrophile Medikamente werden direkt oder nach der Biotransformation in der Leber vorwiegend renal ausgeschieden und zwar über glomeruläre Filtration und tubuläre Sekretion (z.B. über P-Glycoprotein).

Eher lipophile Moleküle werden in der Leber wasserlöslicher gemacht und über die Galle in den Darm ausgeschieden, z.T. gelangen sie zurück ins Blut und können ggf. über die Niere den Körper verlassen.

Die in den Darm ausgeschiedenen Substanzen können je nach Moleküleigenschaften zurückresorbiert und via Pfortader wieder zur Leber transportiert werden, so dass sie mitunter über lange Zeit zwischen Darm und Leber zirkulieren (enterohepatischer Kreislauf).

Bei flüchtigen Stoffen kommt noch die Abatmung als weitere Ausscheidungsmöglichkeit dazu.

First-Pass-Effekt Bearbeiten

Die Darmvenen werden über die Leber zum Herzen geführt, so dass ein im Darm resorbierter Stoff eine Leberpassage durchmacht, bevor er über große Hohlvene und Herz weiter verteilt werden kann. Falls ein Stoff diese erste Leberpassage nur in geringem Maße übersteht, spricht man von einem hohen First-Pass-Effekt. Ergebnis dieses Effektes ist, dass trotz guter Resorption nur kleine Mengen des Wirkstoffs systemisch zur Verfügung stehen. Durch den "First-pass-Effekt" können Substanzen schnell in der Leber verändert oder inaktiviert werden (präsystemische Elimination).

Metabolismus (Biotransformation) Bearbeiten

Die Biotransformation im Hepatozyten (und partiell in der Darmmucosa) erhöht die Wasserlöslichkeit und damit die Ausscheidungsfähigkeit von Xenobiotika und endogenen Stoffwechselprodukten (z.B. Steroidhormone). Sie ist nicht per se als Entgiftung zu werten, manche Stoffe werden erst durch die Biotransformation toxisch („Giftung“). Man teilt sie in zwei Phasen:

  • Phase I: Oxidation, Reduktion, Hydroxylierung durch mischfunktionelle Oxygenasen (Cytochrom P450, kurz: CYP)
  • Phase II: Konjugation mit
    • Aminosäuren wie Glycin, Cystein
    • Essigsäure - Acetylierung
    • Glucuronsäure - Glucuronidierung
    • Glutathion
    • Schwefelsäure - Sulfatierung

Welche Mechanismen in beiden Phasen benutzt werden, hängt von der Chemie des Medikaments ab.

Die Enzyme der Biotransformation besitzen eine große Bedeutung für das Auftreten von Wechselwirkungen und Nebenwirkungen. Genetische Polymorphismen führen dazu, dass manche Menschen bestimmte Medikamente schneller (extensive metabolizer, z.B. Schnell-Acetylierer) oder langsamer (poor metabolizer, z.B. Langsam-Acetylierer) verstoffwechseln, mit der Folge, dass die Wirkspiegel zu niedrig oder zu hoch sein können.

Konkurrieren zwei Medikamente oder Stoffe (z.B. Alkohol) am gleichen Biotransformationsenzym, so kann sich der Abbau beider Medikamente verlangsamen und die Substanzen akkumulieren. Umgekehrt kann die regelmäßige Zufuhr bestimmter Arzneimittel oder Fremdstoffe (z.B. Alkohol) dazu führen, dass sich der Körper anpasst und die Enzyme vermehrt exprimiert. Dadurch werden Medikamente, die über diese Enzyme verstoffwechselt werden, rascher abgebaut und die Wirkspiegel können unter die therapeutische Schwelle abfallen.

Von den Cytochromen der Phase I gibt es zahlreiche Isoformen, die verschiedene Arzneistoffe metabolisieren. Das pharmakologisch bedeutsamste ist das Cytochrom P 450 3A4.

CYP3A4-Metabolismus

Die Tabelle fasst wichtige Arzneistoffe zusammen, die über CYP3A4 metabolisiert werden und die CYP3A4 hemmen, induzieren oder infolge dessen durch beschleunigten oder verlangsamten Abbau Probleme machen.

CYP3A4-Induktoren bes. wichtig bei: CYP3A4-Inhibitoren bes. wichtig bei:
  • Steroide
  • Antiepileptika: Barbiturate (Phenobarbital, Primidon), Carbamazepzin, Phenytoin
  • Rifampicin (Antibiotikum)
  • Hyperforin (Johanniskraut)
  • Phenylbutazon (Analgetikum)

Wirkungsverlust durch rascheren Abbau von

  • Ciclosporin -> Transplantatabstoßung
  • Steroide, z.B. Östrogene -> Kontrazeption ↓
  • Phenprocoumon -> Antikoagulation ↓
  • Azolantimykotika: Fluconazol, Ketoconazol, Itraconazol
  • Cimetidin (H2-Blocker)
  • HIV-Proteasehemmer
  • Gemfibrozil (PPAR-α-Agonist)
  • Makrolidantibiotika: Erythromycin, Clarithromycin
  • Nefazodon (SNRI)
  • Statine*
  • Verapamil (Ca2+-Antagonist)
  • Grapefruitsaft
Gehemmter Abbau von
  • Neuere Antihistaminika wie Astemizol, Terfenadin -> ventr. HRST ↑
  • Cisaprid (5-HT4-Agonist) -> ventr. HRST ↑
  • Statine* -> Myopathierisiko ↑
  • Phenprocoumon -> Blutungsrisiko ↑
  • Benzodiazepine↑
  • Ciclosporin A -> verstärkte Immunsuppression

(*) Statine außer Fluvastatin (CYP2C9) und Pravastatin (Sulfatierung). Die (kontraindizierte!) Kombination von Gemfibrozil (PPAR-α-Agonist, ein Lipidsenker) mit dem meist hochdosiert eingesetzten Cerivastatin (Lipobay®) hat zu einigen Fällen von Rhabdomyolyse mit teils tödlichem Ausgang geführt, so dass sich die entspr. Pharmafirmen gezwungen sahen, Cerivastatin vom Markt zu nehmen.

Weblink: http://www.medicine.iupui.edu/flockhart/table.htm

Exkretion (Ausscheidung) Bearbeiten

Die endgültige Ausscheidung erfolgt größtenteils über den Urin und die Fäces, bei flüchtigen Stoffen auch über die Atemluft.



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