Pharmakologie und Toxikologie: Anästhetika


Anästhesiologisch relevante Wirkstoffe Bearbeiten

Substanzen und Substanzgruppen zur Durchführung einer Regional- oder Allgemeinanästhesie:

Lokalanästhetika Bearbeiten

Chemische Klassifizierung

Aminoester Aminoamide
Chemie Der aromatische Ring ist über eine Esterbindung mit der Aminogruppe verknüpft. Der aromatische Ring ist über eine Amidbindung mit der Aminogruppe verknüpft.
Eigenschaften Der Metabolit Paraaminobenzoessäure kann allergische Reaktionen auslösen. Aminoester sind hierzulande wenig gebräuchlich. Keine Bildung von Paraaminobenzoessäure. Der evtl. vorhandene Stabilisator Methylparaben kann jedoch allergische Reaktionen auslösen. Aminoamide wirken stärker und länger als Aminoester.
Wirkstoffe

Benzoesäurederivate:

Paraaminobenzoesäurederivate:

  • Procainamid (+)
  • Tetracain (+++)
  • Chlorprocain (++)
  • Lidocain (++)
  • Mepivacain (++)
  • Bupivacain (+++)
  • Levobupivacain (+++)
  • Prilocain (++)
  • Etidocain (+++)

Wirkstärke in Klammern: + schwach, ++ mittel, +++ stark.

W.: Blockade von Na+-Kanälen von Innen -> Verhinderung von Aktionspotentialen. Bei der Lokalanästhesie (Blockade peripherer Nerven, Spinalwurzeln) Analgesie v.a. über die Blockade von Aδ- und C-Fasern.

Reihenfolge der Blockade: Vasodilatation mit Wärmegefühl (Sympathikusblockade) -> Ausfall von Temperatur- und Schmerzempfindung -> Blockade von Berührungs- und Druckempfindung sowie der Motorik

Physikochemische Eigenschaften: Lokalanästhetika sind schwach basisch (pKa ca. 7,8-9) und aliphatisch, das heißt mit hydrophilen (polaren) und lipophilen (unpolaren) Eigenschaften ausgestattet. Das Gleichgewicht zwischen beiden Zustandsformen ist abhängig vom pKa-Wert des LA sowie vom pH des umgebenden Mileus (also intrazellulär ziemlich konstant). Ein niedrigerer pKa-Wert des LA (höhere Azidität, gibt gerne Protonen ab) und ein hoher Umgebungs-pH (alkalisch, nimmt gerne Protonen auf) begünstigt die dissoziierte lipohile Form des LA. Ein hoher pKa-Wert (hohe Basizität, nimmt gerne Protonen auf) und niedriger pH (sauer, viele Protonen da) begünstigt die nicht-dissoziiert hydrophile Form.

Die Lipophilie/Hydrophilie beeinflußt die Pharmakokinetik und darüber das Wirkungsprofil. Die lipophile Form ist die, die Membranen überwindet und für die Penetration in den Nerven zuständig ist. So ist auch die Wirkung der LA im sauren Wundgebiet (Entzündung) schlecht, da zu wenig LA in der lipophilen Form vorhanden ist, welches in den Nerv eindringen könnte. Nach der Pentration stellt sich das Gleichgewicht auf den intrazellulären pH ein und hier ist nun die hydrophile Form für die Wirkung verantwortlich, da sie den Na-Kanal von innen her besetzt.

 
Kokain.
 
Lidocain.


Lipophiler Anteil <-> Hydrophiler Anteil
Dissoziationsgrad dissoziiert:
  R       
R-N  +  H+
  R
<-> nicht-dissoziiert:
   R    
 R-N+-H
   R
Anschlagszeit + -
Anästhetische Potenz - +
Wirkdauer - +
pKa↑ des LA ->
pH↓ des Gewebes ->

Die Systemische Resorption ist abhängig von der Konzentration des LA, der lokalen Durchblutung, dem Ort der Applikation, den Eigenschaften des LA und möglichen Vasokonstriktorzusätzen (Adrenalin).

UAW.:

  • zerebral: metallischer Geschmack, taube Zunge, verwaschene Sprache, Schwindel, Tinnitus, Schläfrigkeit, Nystagmus, Sehstörungen, Unruhe, Muskelzittern, Bewußtlosigkeit, generalisierte Krämpfe, Koma, zentrale Atemlähmung
  • kardial-zirkulatorisch: Herzrhythmusstörungen, Herzstillstand, Vasodilatation
  • allergische Reaktionen

Th:

  • Krampfbehandlung: O2, Benzodiazepine langsam i.v.
  • Behandlung kardial-zirkulatorischer UAW: Volumengabe, Schocklagerung, O2, bei Herzstillstand kardiopulmonale Reanimation.

Nicht-volatile Hypnotika Bearbeiten

 
Propofol.

Propofol (Diisopropylphenol) Bearbeiten

W.: Steigerung der GABA-Aktivität -> rein hypnotisch; Senkung von Hirnstoffwechsel, Hirndurchblutung, intrakraniellem Druck; angenehmes Einschlafen und Aufwachen

UAW.: Sympathikusdämpfung, Vasodilatation, negative Inotropie -> Abfall von Blutdruck und HZV; Atemdepression, Injektionsschmerz

Nachteile: s.o., keine Analgesie

Anw.: Narkoseeinleitung, Sedierung in der Endoskopie, Supplementierung von Opioiden bei TIVA

Etomidat Bearbeiten

W.: rein hypnotisch, angenehmes Einschlafen und Erwachen

UAW.: Myokloni (stark exzitatorisch), Hemmung der Nebennierenrindenfunktion (daher keine Dauerinfusion!)

Nachteile: s.o., keine Analgesie, ungenügende kardiovaskuläre Reflexdämpfung

Anw.: Narkoseeinleitung beim Risikopatienten

 
Ketamin.

Ketamin Bearbeiten

S-Ketamin 3-4 mal stärker als R-Ketamin, im Handel sind S-Ketamin und das Racemat

W.: Nicht-kompetitive Hemmung von Glutamat am NMDA-Rezeptor, agonistisch an Opiatrezeptoren, Hemmung des zentralen Katecholamintransports -> Analgesie, Amnesie, dissoziative Anästhesie (Sinneswahrnehmung intakt, aber Störung der neuropsychologischen Verabeitung), Sympathikusstimulation -> Anstieg von Blutdruck, Frequenz, Atemantrieb

UAW.: Albträume, Halluzinationen -> vorher Benzodiazepin geben!, Evtl. auch Atemstillstand

Anw.: Kurznarkose, Narkose im Schock, Status asthmatikus, schwere Depression

 
Methohexital-Na+.
 
Thiopental-Na+.

Barbiturate Bearbeiten

Wirkstoffe: Thiopental, Methohexital

W.:Abnahme von Blutdruck und HZV, antikonvulsiv, Senkung von Hirnstoffwechsel, Hirndurchblutung und intrakraniellem Druck

Eigenschaften: keine Analgesie, eher Hyperalgesie; Kumulation, kurze Wirkdauer

UAW.: exzitatorisch (Tremor, Schluckauf, Niesen, Husten, Bewegungen), Enzyminduktion, Atemdepression

Anw.: Narkoseeinleitung

KI.: Porphyrie, Allergie gegen Barbiturate

 
Diazepam.

Benzodiazepine Bearbeiten

Wirkstoffe: Midazolam, Diazepam u.a.

W.: Verstärkung der Wirkung von GABA am GABA-Rezeptor -> Sedierung, Anxiolyse, Amnesie, Hypnose, antikonvulsiv, zentrale Muskelrelaxierung

UAW.: Atemdepression (Cave bei Kombination mit Opioiden!)

Anw.: Sedierung, Analgetikapotenzierung

KI/Cave bei: Hypothyreose, schwerer COPD, Myasthenia gravis, Benzodiazepinüberempfindlichkeit

Inhalationsnarkotika (IHN) Bearbeiten

Relevante Wirkstoffe: Isofluran, Sevofluran, Desfluran, Lachgas, historisch: Halothan

Elimination hauptsächlich über Abatmung

Lachgas Bearbeiten

Chemische Formel: N2O

W.: schwach anästhetisch, keine Bewußtseinsausschaltung möglich mit der erlaubten inspiratorischen Konzentration von 70%

UAW.: Diffusion über das Peritoneum in die Umgebung (abdominalchirurgische OPs), Diffusion in gasgefüllte Körperhöhlen mit Volumen/Druck-Erhöhung (Pneumothorax, Luftembolie), Diffusionshypoxie im Anschluss an eine Lachgasnarkose durch Anstieg der alveolären Lachgaskonzentration und Verdrängung des Sauerstoffs (Proph.: O2-Gabe)

Eigenschaften: Schlecht blutlöslich, rasche Aufnahme und Elimination

Anw.: Supplementierung anderer Anästhetika

KI.: Pneumothorax, Luftembolie

Isofluran, Sevofluran, Desfluran Bearbeiten

 
Isofluran.
 
Sevofluran.
 
Desfluran.
 
Halothan.

Isofluran ist gut blutlöslich und daher schlecht zu steuern. Sevofluran und Desfluran (wie auch Lachgas) sind schlechter blutlöslich, daher führen Änderungen am Applikationsort Lunge zur rascheren Konzentrationsänderung am Zielort Gehirn.

UAW.: Dämpfung der Herzkreislaufffunktion, Atemdepression, Muskelrelaxierung, Uterusrelaxierung, Zunahme von Hirndurchblutung und intrakraniellem Druck.

Anw.: Als alleinige Inhalationsanästhesie nur bei kurzen, wenig schmerzhaften Eingriffen. Ansonsten als Teil einer balancierten Anästhesie.

Sauerstoff Bearbeiten

Sauerstoff ist das wichtigste Medikament des Anästhesisten und in der Notfalltherapie!

W.: Sauerstoff ist der Akzeptor der Elektronen in der Atmungskette (1/2 O2 + 2 H+ + 2 e- <-> H2O). Ohne Sauerstoff sistiert die Atmungskette, der Protonengradient bricht zusammen und die oxidative Phosphorylierung kommt zum Erliegen. Die ATP-Synthese kann kurzfristig mit geringer Ausbeute (2 ATP pro Molekül Glucose statt maximal ca. 36 unter Aerobie) durch die anaerobe Glycolyse aufrechterhalten werden, wobei das Endprodukt Pyruvat durch die Lactatdehydrogenase (LDH) NADH+H+-abhängig zu Lactat hydriert wird.

Normwerte:

  • Umgebungsluft: Normaler Luftdruck in Meereshöhe: ca. 100kPa, Sauerstoffpartialdruck PO2: 19,6kPa.
  • Atemluft: Inspiratorische O2-Fraktion FiO2: 0,209 (Volumenanteil), exspiratorische FeO2: 0,163. Alveolärer PO2: 13,3kPa (100mmHg, BTPS).
  • Blut: Arterieller Sauerstoffpartialdruck PaO2: altersabhängig 9,5 bis 13,3 kPa (70-100mmHg), arterielle Sauerstoffsättigung SO2: 95–99%, gemischtvenöser Sauerstoffpartialdruck PgvO2: 5,3kPa (40mmHg), gemischtvenöse Sauerstoffsättigung: SgvO2: 75%

UAW: Während der Atemantrieb bei Gesunden vom CO2-Partialdruck reguliert wird, haben COPD-Patienten aufgrund des ständig erhöhten CO2-Partialdrucks mit Sättigung der CO2-Rezeptoren die Atemregulation auf den PO2 ausgerichtet. Daher kann die Gabe von Sauerstoff bei diesen Patienten zur Atemdepression führen mit der Folge einer CO2-Narkose! Bei Früh- und Neugeborenen wirkt Sauerstoff (Beatmung!) toxisch auf die Netzhaut. Längere Beatmung mit 100% Sauerstoff führt zur Lungenfibrose.

Anw.: Zustände mit lokalem oder systemischem Sauerstoffdefizit, z.B. respiratorische Insuffizienz, ausgeprägte pulmonale Hypertonie, Herzinfarkt, Lungenödem, Schock u.a.m.

Dosierung: nach Bedarf 1-10l/min, bei COPD vorsichtig einschleichend (BGA-Kontrolle! Anstieg des Blut-PaCO2 als Indikator für einsetzende Atemdepression.)




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