Autor: Felix Krämer

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Notwendiges Vorwissen: Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde,Prüfung eines Freiheitsgrundrechts, Berufsfreiheit

Behandelte Themen: Berufsfreiheit (Art. 12 I GG), Rechtssatzverfassungsbeschwerde

Zugrundeliegender Sachverhalt: OpenRewi/ Grundrechte-Fallbuch/ Fall 2

Schwierigkeitsgrad: Hauptfall: Zwischenprüfungsklausur; Abwandlung: Examensniveau; Bearbeitungszeit Hauptfall: 2h; mit Abwandlung 2,5h


Die von M erhobene Verfassungsbeschwerde hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig (A.) und begründet (B.) ist.

A. Zulässigkeit

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Das Bundesverfassungsgericht ist gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG i.V.m. §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG für die Verfassungsbeschwerde des M zuständig.

M müsste beteiligtenfähig sein. Dies ist gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG i.V.m. § 90 I BVerfGG "jedermann", d.h. jede Person, die Träger:in von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten sein kann. M ist als natürliche Person generell grundrechtsfähig. Somit ist M beteiligtenfähig. An der "Grundrechtsmündigkeit", d.h. daran, dass M hinsichtlich der in Streit stehenden Grundrechte reif und einsichtsfähig ist, bestehen keine Zweifel, folglich ist M auch prozessfähig.

Klausurtaktik

Die Prüfung der Prozessfähigkeit des M drängt sich hier nicht auf und könnte auch durch einen kurzen Hinweis ("Mangels gegenteiliger Hinweise im Sachverhalt ist M auch prozessfähig.") abgehandelt oder bei Zeitnot weggelassen werden .

Ferner müsste ein tauglicher Beschwerdegegenstand vorliegen. Dies kann gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG i.V.m. § 90 I BVerfGG jeder Akt der öffentlichen Gewalt sein. Aus der umfassenden Grundrechtsbindung gemäß Art. 1 III GG ergibt sich, dass die öffentliche Gewalt in diesem Sinne Legislativ-, Exekutiv- und Judikativakte umfasst. M wendet sich hier gegen § 46a II AO als formelles Gesetz. Mithin wendet er sich gegen einen Legislativakt, ein tauglicher Beschwerdegegenstand liegt damit vor.

IV. Beschwerdebefugnis

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M müsste auch beschwerdebefugt sein. Dies setzt gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG i.V.m. § 90 I BVerfGG die Behauptung einer Grundrechtsverletzung voraus. Das bedeutet, dass sich aus dem substantiierten Vortrag des M die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ergeben muss (1.) und der M durch die mögliche Grundrechtsverletzung selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist (2.).

Eine Verletzung des M in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten durch § 146a II AO ist möglich, wenn sie nicht von vornherein offensichtlich und nach jeder Betrachtungsweise eindeutig ausgeschlossen ist. Hier rügt M eine Verletzung seiner "Gewerbefreiheit" durch die Pflicht, bei jedem Verkauf einen Bon auszustellen. Dies lässt einen ungerechtfertigten Eingriff in die von Art. 12 I GG geschützte Berufsfreiheit zumindest möglich erscheinen. Auch eine Verletzung des möglicherweise subsidiär greifenden Art. 2 I GG ist nicht von vornherein ausgeschlossen.

Klausurtaktik

Dass sich die behauptete Verletzung auf die "Verletzung spezifischen Verfassungsrechts" beziehen muss, wurde hier nicht erläutert. Eine Thematisierung dieser, primär bei Urteilsverfassungsbeschwerden relevanten Voraussetzung, dürfte jedoch auch nicht negativ bewertet werden.

M müsste auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar von § 146a II AO betroffen sein. Der Betrieb des Kiosk des M fällt in den Anwendungsbereich des § 146a II AO und § 146a II AO ist seit dem Jahreswechsel 2019/2020 auch von M zu befolgen, folglich ist M schon und noch, d.h. gegenwärtig sowie selbst betroffen.

Klausurtaktik

Dies konnte hier in der gewählten knappen Form dargestellt werden, da keine Zweifel am Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen dürften. Weitergehende Ausführungen zu den Kriterien der eigenen Betroffenheit (zum Beispiel Zweck: Ausschluss von Popularklagen) oder der gegenwärtigen Betroffenheit (etwa auch zukünftige Beeinträchtigungen drohen), sollten jedoch nicht negativ bewertet werden.

Fraglich ist jedoch, ob M durch § 146a II AO unmittelbar betroffen ist. Für eine unmittelbare Betroffenheit ist erforderlich, dass keine weiteren Vollzugsakte erforderlich sind, damit der Beschwerdegegenstand seine negativen Rechtswirkungen gegenüber der/dem Beschwerdeführer:in entfaltet. Dies ist bei formellen Gesetzen, die zu ihrer Durchführung einen weiteren Vollzugsakt (zum Beispiel einen Verwaltungsakt) voraussetzen, aber in der Regel der Fall. In solchen Konstellationen muss die/der Betroffene grundsätzlich den an ihn gerichtetenen Einzelakt abwarten und hiergegen vorgehen.

Eine Ausnahme hiervon wird eineserseits bei Vorliegen einer sogenannten "self-executing"-Norm gemacht. Eine solche ist gegeben, wenn das Gesetz keines weiteren Vollzugsakts bedarf, etwa wenn eine Nichtigkeitsfolge sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder wenn die angegriffene Norm ihre Adressat:innen bereits vor Vollzugshandlungen zu irreversiblen Dispositionen veranlasst. Andererseits darf auch dann, wenn keine "self-executing"-Norm vorliegt, direkt gegen ein formelles Gesetz Verfassungsbeschwerde erhoben werden, wenn ein anderes Vorgehen für den/die Betroffene:n unzumutbar ist. Dies gilt insbesondere für straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsnormen, da der/dem Betroffenen nicht zuzumuten ist, zunächst eine Zuwiderhandlung zu begehen, um dann die angewendete Norm inzident überpüfen zu lassen und sich dabei dem Risiko der Strafe bzw. Bußgeldzahlung auszusetzen.

Fraglich ist damit, ob § 146a II AO eine sogenannten "self-executing"-Norm darstellt. Dagegen spricht, dass hier allein eine Verpfichtung der Adressatin bzw. des Adressats und keine darüberhinausgehende Rechtsfolge (zum Beispiel Nichtigkeit eines bestimmten Rechtsgeschäfts bei Verstoß gegen die "Bonpflicht") de jure angeordnet wird. Andererseits ist zu beachten, dass § 146a II AO unmittelbar die Verpflichtung seiner Adressat:innen begründet, entsprechende Belege auszustellen und diese - wie hier M - solche Belege bereits - irreversibel - ausstellen. Dies spricht für die Annahme eines self-executing-Charakters des § 146a II AO.

Weiterhin könnte sich hier eine Ausnahme des oben dargestellten Grundsatzes daraus ergeben, dass ein Verstoß gegen § 146a II AO zu einem Bußgeld führen kann. Hierbei ist zu beachten, dass ein § 146a II AO-Verstoß lediglich ein Kriterium für den Erlass eines Bußgeldbescheids darstellt. Dies dürfte für die Annahme einer Unzumutbarkeit eines Verstoßes jedoch ausreichen, da sich bereits durch einen § 146a II AO-Verstoß das Risiko eines Bußgeldes erhöht.

Eine unmittelbare Betroffenheit ist damit anzunehmen.

Klausurtaktik

Dies stellt eine ausführliche Behandlung der Problematik dar. Als ausreichend dürfte einzustufen sein, wenn überhaupt einer der beiden Begründungsstränge ("self-executing"-Norm oder Möglichkeit eines Bußgeldes) herangezogen wurde. Noch positiver ins Gewicht fallen dürfte es, wenn die Bearbeiter:innen erkennen, dass hier kein "klassischer" Fall einer Unzumutbarkeit bzw. einer self-executing Norm vorlag.

Damit liegt eine gegenwärtige, unmittelbare und eigene Beschwer des M vor.

Mithin ist M beschwerdebefugt.

1. Rechtswegerschöpfung

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Gegen formelle Gesetze gibt es keinen fachgerichtlichen Rechtsschutz (§ 93 III BVerfGG), folglich durfte M unmittelbar Verfassungsbeschwerde erheben.

2. Subsidiarität

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Die möglicherweise bestehende Grundrechtsverletzung des M durch § 146a II AO kann auch nicht auf andere Weise beseitigt werden. Insbesondere kommt eine Befreiung nach § 146a II 2 AO im Fall des M laut Bearbeitungsvermerk nicht in Betracht. Mithin ist auch der Grundsatz der formellen Subsidiariät der Verfassungsbeschwerde gewahrt.

Klausurtaktik

Aufgrund des Bearbeitervermerks war die Möglichkeit einer rückwirkenden Befreiung gemäß § 148 AO hier nicht zu thematisieren.

Mangels entgegenstehender Sachverhaltsangaben ist davon auszugehen, dass M die erforderliche Form gemäß §§ 23 I 1, 2 Hs. 1, 92 BVerfGG und die Jahresfrist gemäß § 93 III BVerfGG gewahrt hat.

Klausurtaktik

Besonders aufmerksame Bearbeiter:innen können hier zusätzlich thematisieren, ob die Rüge einer Verletzung der "Gewerbefreiheit" der von § 92 BVerfGG geforderten Bezeichnung des Rechts, das verletzt sein soll (das wäre hier die Berufs(ausübungs)freiheit nach Art. 12 I 2 GG) genügt. Mit dem BVerfG ist davon auszugehen, dass es insoweit ausreicht, wenn die/der Beschwerdeführer:in die Verletzung eines bestimmten Grundrechts nur "der Sache nach" rügt, wenn also seinem Vorbringen entnommen werden kann, welches Grundrecht er als verletzt ansieht.

B. Begründetheit

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Die Verfassungsbeschwerde müsste auch begründet sein. Dies ist der Fall, wenn der Beschwerdeführer durch den angegriffenen Akt der öffenlichen Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtgleichen Rechte verletzt ist. Eine solche Verletzung liegt vor, wenn durch den Beschwerdegegenstand ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts erfolgt, der nicht gerechtfertigt ist. Hier kommt eine Verletzung des M durch § 146a II AO in seiner Berufsfreiheit nach Art. 12 I GG in Betracht.

Klausurtaktik

Ausführungen, die knapp auf eine mögliche Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs als Schutzgut des Art. 14 GG eingehen, können bei überzeugender Argumentation honoriert werden. Jedenfalls ist bereits die Eröffnung des Schutzbereichs abzulehenen, da hier kein wertbildender Faktor des Kioskbetriebs des M betroffen ist.

1. Persönlicher Schutzbereich

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M ist Deutscher im Sinne des Art. 116 I GG, folglich ist der persönliche Schutzbereich des Art. 12 I GG eröffnet.

2. Sachlicher Schutzbereich

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Ferner müsste der sachliche Schutzbereich der Berufsfreiheit eröffnet sein. Wenngleich Art. 12 I 1 GG seinem Wortlaut nach lediglich die Berufswahl und Art. 12 I 2 GG allein die Berufsausübung betrifft, gewährleistet Art. 12 I GG einen einheitlichen Schutzbereich der Berufsfreiheit. Denn Berufswahl und Berufsausübung sind untrennbar miteinander verbunden. So wird die Berufswahl durch die Ausübung des gewählten Berufs immer wieder bestätigt und gesetzliche Regelungen der Berufsausübung betreffen zumindest mittelbar auch den Entschluss zur Wahl eines Berufs. Unter Beruf im Sinne des Art. 12 I GG ist jede auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung oder Erhaltung einer Lebensgrundlage dient, zu verstehen. Umstritten ist, ob es sich um eine legale oder nicht sozial- oder gemeinschädliche Tätigkeit handeln muss.

Hier ist davon auszugehen, dass M den Kiosk dauerhaft betreibt, um damit Gewinn zu erzielen. Das Betreiben eines Kiosk ist weder illegal noch sozial- oder gemeinschädlich, weshalb eine Entscheidung des diesbezüglichen Streits entbehrlich ist.

Damit ist auch der sachliche Schutzbereich eröffnet.

Folglich ist der der Schutzbereich des Art. 12 I GG für M in persönlicher und sachlicher Hinsicht eröffnet.

II. Eingriff

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Ferner müsste ein Eingriff in Art. 12 I GG vorliegen.

1. Verkürzung des Schutzbereichs

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Unter einem Eingriff ist nach dem modernen Eingriffsbegriff jedes staatliche Verhalten zu fassen, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht oder erschwert.

§ 146a II AO hat zur Folge, dass M bei dem Verkauf seiner Waren einen Beleg ausdrucken muss. § 146a II AO betrifft ihn folglich negativ in der von Art. 12 I GG geschützten Berufsausübung. Folglich liegt ein Eingiff vor.

Klausurtaktik

Wird hier (ggf. zunächst) das Vorliegen eines Eingriffs nach dem klassischen Eingriffsbegriff thematisiert, so stellt sich allein das Merkmal der Unmittelbarkeit als problematisch dar, da § 146a II AO erkennbar rechtsförmig und zielgerichtet in Art. 12 I GG eingreift sowie auch mit Befehl und Zwang durchsetzbar ist. Die Unmittelbarkeit des Eingriffs könnte sodann mit der oben im Rahmen der Beschwerdebefugnis (A.IV.2.) erfolgten Argumentation bejaht werden.

In Bezug auf Art. 12 I GG ist jedoch zu beachten, dass die meisten Rechtsnormen oder anderes staatliches Handeln mittelbare Auswirkungen auf die Berufstätigkeit entfalten können (zum Beispiel verkehrsrechtliche Regelungen für Pizza-Lieferdienste). Da Art. 12 I GG jedoch nur vor solchen Beeinträchtigungen schützen soll, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind, ist für die Annahme eines Eingriffs in Art. 12 I GG zusätzlich erforderlich, dass die durch die in Frage stehende Rechtsnorm geschaffenen Rahmenbedingungen in engem Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen, also objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben. Dies ist anzunehmen, wenn die staatliche Maßnahme im Schwerpunkt Tätigkeiten betrifft, die typischerweise beruflich ausgeübt werden.

Hier zielt der Gesetzgeber gerade auf eine Regelung der Ausübung der dem § 146a II AO unterfallenen Berufe ab, sodass (sogar) eine subjektiv berufsregelnde Tendenz angenommen werden kann. Jedenfalls besteht aber auch eine objektiv berufsregelnde Tendenz, da § 146a II AO Tätigkeiten betrifft, bei welchen mit Waren oder Dienstleistungen Handel getrieben wird, was typischerweise beruflich geschieht.

Klausurtaktik

Das Merkmal der (hier) sogenannte subjektiv berufsregelnden Tendenz deckt sich mit dem der Finalität/Zielgerichtetheit des klassischen Eingriffsbegriffs. Bearbeiter:innen, die diesen zur Begründung eines Eingriffs verwendet haben, konnten insoweit verweisen.

Eine berufsregelnde Tendenz liegt damit vor.

Folglich liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 I GG vor.

Klausurtaktik

Ob es sich bei diesem Eingriff um eine Berufswahl- oder eine Berufsausübungsregelung handelt, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung.

III. Rechtfertigung

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Der Eingriff könnte jedoch gerechtfertigt sein. Dies ist bei einer - hier vorliegenden - Rechtssatzverfassungsbeschwerde der Fall, wenn das in Frage stehende Grundrecht beschränkbar ist und die den Beschwerdegegenstand bildende Rechtsnorm eine taugliche, d.h. insbesondere verfassungskonforme Schranke darstellt.

Gemäß Art. 12 I 2 GG kann die Berufsausübung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Als Folge des oben dargestellten einheitlichen Verständnisses des Schutzbereichs von Art. 12 I GG ist auch der Regelungsvorbehalt des Art. 12 I 2 GG auf den gesamten von Art. 12 I GG geschützten Bereich zu erstrecken. Dieser Regelungsvorbehalt ist hinsichtlich seiner Reichweite wie ein einfacher Gesetzesvorbehalt zu verstehen.

Klausurtaktik

Letzteres bedurfte hier angesichts des insoweit einhelligen Verständnisses in Literatur und Rechtsprechung keiner näheren Begründung, zumal bei dieser weitgehend auf eine historische Auslegung des Regelungsvorbehalts abgestellt wird.

2. Grenzen der Einschränkbarkeit

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Fraglich ist jedoch, ob § 146a II AO als formelles Gesetz, wodurch folglich eine Beschränkung durch ein Gesetz im Sinne des Art. 12 I 2 GG vorliegt, seinerseits verfassungskonform ist. Da von der formellen Verfassungsmäßigkeit auszugehen ist, kommt lediglich eine materielle Verfassungswidrigkeit in Betracht. Eine solche könnte hier in einem Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begründet liegen.

Klausurtaktik

Sollten Bearbeiter:innen Art. 19 I 2GG entgegen der wohl überwiegenden Auffassung als Anforderung an die materielle Verfassungsmäßigkeit einordnen, so wäre ein diesbezüglicher Verstoß abzulehnen, da Art. 19 I 2 GG zumindest nach herrschender, vom BVerfG geteilter Auffassung nicht auf den Regelungsvorbehalt des Art. 12 I 2 GG anzuwenden ist.

Im Rahmen des Art 12 GG hat das BVerfG in Anbetracht des zwischen Berufswahl und Berufsausübung differenzierenden Wortlauts des Art. 12 I GG die sogenannte Drei-Stufen-Theorie entwickelt, welche auch als typisierte Verhältnismäßigkeitsprüfung bezeichnet werden kann. Demnach ist zunächst danach zu differenzieren, ob durch die den Beschwerdegegenstand bildende staatliche Maßnahme die Berufsausübung (1. Stufe) oder die Berufswahl betroffen ist. Ist letzteres der Fall, unterscheidet das BVerfG weiter zwischen subjektiven (2. Stufe) und objektiven Berufszulassungsvoraussetzungen (3. Stufe). Der Einordnung in eine dieser Stufen folgen typisierte Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe: So sind Eingriffe in die erste Stufe durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls zu rechtfertigen, Eingriffe in die zweite Stufe erforden den Schutz eines besonders wichtigen Gemeinguts und Eingriffe auf Ebene der dritten Stufe sind nur zur Abwehr schwerer, hochwahrscheinlicher Gefahren zum Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsguts zulässig.[1] Hier handelt es sich um einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit, d.h. die Bedingungen und Modalitäten, unter denen sich die berufliche Tätigkeit vollzieht ("Wie" der Tätigkeit). Er badarf zur Rechtfertigung vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls.

Klausurtaktik

Der Standort der Darstellung der Drei-Stufen-Theorie folgt der hier vorgenommenen Einordnung als typisierte Verhältnismäßigkeitsprüfung. Ebenfalls gut möglich ist eine Darstellung bereits auf Eingriffsebene oder - nach dem hier vertretrenen Ansatz - auch bei der Prüfung der Erforderlichkeit.

Verhältnismäßig ist ein Eingriff nur dann, wenn er einen (verfassungs-)legitimen Zweck verfolgt und zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.

a) Legitimer Zweck
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§ 146a II AO verfolgt den Zweck, Steuerbetrug zu verhindern. Dies stellt in Anbetacht der Art. 104a ff. GGeinen auch verfassungsrechtlich anerkannten Zweck dar.

Klausurtaktik

1. Ein Verweis auf Art. 104a ff. GG oder eine gleichwertige Begründung konnte auch von Bearbeiter:innen, in deren Bundesland das Finanzverfassungsrecht vom Pflichtfachstoff ausgeschlossen ist (So etwa § 7S. 1 Nr. 4 lit. a) HessJAG), verlangt werden. 2. Entgegen der teilweise vertretenen Auffassung hat die Einordnung in eine Stufe der Drei-Stufen-Theorie nach dem hier vertretenen Ansatz keine Auswirkungen auf die Voraussetzungen für das Vorliegen eines legitimen Zwecks. Denn dies würde eine eindeutige Zuordnung eines Schutzguts als "wichtiger" bzw. "überragend wichtiger" Belang der Allgemeinheit erfordern, was jedoch auch innerhalb eines Gemeinguts von der Intensität der Betroffenheit abhängen kann. Überzeugender ist es daher, diese Frage erst in der Angemessenheit zu thematisieren, wo eine Gewichtung und Abwägung der widerstreitenden Interessen erfolgt. Ein gegenteiliges Vorgehen bei der Bearbeitung ist jedoch ebenso vertretbar.

b) Geeignetheit
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§ 146a II AO müsste zur Erreichung dieses Zwecks auch geeignet sein. Eine staatliche Maßnahme ist zur Erreichung des Zwecks geeignet, wenn sie der Zweckerreichung in irgendeiner Form dienlich, d.h. zumindest zweckfördernd ist. Hierbei besteht ein im Gewaltenteilungsprinzip begründeter weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum des Gesetzgebers, der es dem BVerfG nur erlaubt, objektiv schlechthin ungeeigneten Mitteln die erforderliche Eignung abzusprechen.

Hier macht M geltend, seine Kunden würden die ausgestellten Bons überwiegend direkt wegwerfen. Dies würde dazu führen, dass der für die Aufdeckung von Kassenmanipulationen erforderliche Abgleich der ausgestellten Bons mit der Kassensoftware zumindest nicht in allen Fällen möglich ist. Dies schließt nach den dargestellten Maßstäben eine Zweckdienlichkeit jedoch nicht aus. Insoweit hat der Gesetzgeber sich bei Erlass des § 146a II AO auf eine ausreichende Faktengrundlage gestützt, als er die Erfahrungen in anderen Staaten in seinen Einschätzungs- und Prognosespielraum miteinbezogen hat.

Damit ist § 146a II AO als geeignetes Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks anzusehen.

c) Erforderlichkeit
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§ 146a II AO müsste jedoch auch zur Erreichung des verfolgten Zwecks erforderlich sein. Erforderlich ist ein Mittel, wenn es das mildeste Mittel zur Zweckerreichung darstellt. Unter mehreren gleich geeigneten Mitteln ist dasjenige zu wählen, dass die geringste Eingriffsintensität besitzt. Auch hinsichtlich der Erforderlichkeit kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Prognosespielraum zu. Im Rahmen des Art. 12 I GG ist zudem zu prüfen, ob ein Eingriff auf einer niedrigeren Stufe in Betracht kommt.

M trägt insoweit vor, dass der in § 146a II 2 AO vorgesehene Befreiungsvorbehalt den Eingriff nicht ausreichend abmildere. Als milderes Mittel zu einem wie in § 146a II AO getroffenen repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt (Ausnahme im Ermessen der Behörde) käme ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt in Betracht. Dies könnte in der Form geschehen, dass Ausnahmen für bestimmte Berufsgruppen zu erteilen sind wie etwa solche, die typischerweise eine Vielzahl von Einzelgeschäften abschließen. Diese Mittel wäre jedoch gegenüber der getroffenen Regelung nicht gleich effektiv, da keine gleichwertige flächendeckende Anwendbarkeit des § 146a II AO gegeben sein würde. Ferner stellt die hier betroffene Berufsausübung die erste Stufe der Drei-Stufen-Theorie dar, sodass ein Eingriff auf niedrigerer Stufe nicht möglich ist.

Daher ist § 146a II AO auch erforderlich.

Klausurtaktik

Eine derart differenzierte Thematisierung der Erforderlichkeit unter diesem Gesichtspunkt konnte von den Bearbeiter:innen nicht erwartet werden. Als gleichwertig können daher Ausführungen anzusehen sein, welche die Argumentation des M aufgreifen und dazu Stellung nehmen, ggf. unter Bezug zu einem anderen "ausgedachten" milderen Mittel. I.E. dürfte jedoch das Vorliegen der Erforderlichkeit auch in diesem Fall zu bejahen sein.

d) Angemessenheit
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§ 146a II AO müsste auch angemessen sein. Bei der Prüfung der Angemessenheit ist eine umfassende Gesamtabwägung der Schwere des Eingriffs einerseits und andererseits des Gewichts der staatlichen Ziele, die mit der zu prüfenden Maßnahme verfolgt werden, vorzunehmen.

Dabei ist zu beachten, dass M hier auf der untersten Stufe der Drei-Stufen-Theorie, nämlich der Berufsausübung betroffen ist. Die Bekämpfung von Steuerbetrug in dem von § 146a II AO erfassten Umfang stellt zudem ein Gemeinschaftsgut dar, dass einen solchen Eingriff grundsätzlich rechtfertigen kann. Ferner ist der Ausdruck eines Bons nicht zwingend erforderlich, vielmehr kann auch eine Übermittlung per App oder Mail erfolgen. Des weiteren hat der Gesetzgeber mit § 146a II AO eine Ausnahmeregelung für unzumutbare Beeinträchtigungen geschaffen.

Auch soweit M auf Art. 20a GG verweist, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Denn Art. 20a GG schafft im hier relevanten Bereich als Staatszielbestimmung lediglich eine Berücksichtigungs- und Begründungspflicht des Gesetzgebers bei gesetzgeberischen Entscheidungen, welche die natürlichen Lebensgrundlagen betreffen. Eine solche Prüfung ist durch den Gesetzgeber erfolgt, der die Folgen der "Bonpflicht" auch im Anbetracht der Möglichkeit der Übermittlung per Mail oder App als hinnehmbar eingestuft hat.

Nach alledem ist von einer Angemessenheit des § 146a II AO auszugehen.

Damit ist § 146a II AO sowohl formell als auch materiell verfassungsgemäß.

Mithin liegt eine taugliche und verfassungsgemäße Beschränkung von Art. 12 I GG vor.

IV. Zwischenergebnis

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Folglich ist der Eingriff gerechtfertigt, Art. 12 I GG ist nicht verletzt. Da der Schutzbereich des Art. 12 I GG das hier betroffene Verhalten des M schützt, kommt eine subsidiäre Anwendung des Art. 2 I GG nicht in Betracht.

Die Verfassungsbeschwerde des M ist somit unbegründet.

C. Ergebnis

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Die Verfassungsbeschwerde des M ist zulässig, aber unbegründet und hat daher keine Aussicht auf Erfolg.


D. Abwandlung

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Fraglich ist, ob das Betreiben des Kiosk durch M auch auf unionaler Ebene grundrechtlich geschützt ist sowie, ob und ggf. wie sich dies auf den Prüfungsmaßstab des BVerfG auswirkt.

I. Unionaler Grundrechtsschutz

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In Betracht kommen hier Art. 15 I EU-GRC, wonach jede Person das Recht hat, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben, sowie Art. 16 EU-GRC, der die unternehmerische Freiheit schützt (2.). Hierfür müsste die EU-GRC jedoch zunächst anwendbar sein (1.).

Die Anwendbarkeit der EU-GRC setzt gemäß Art. 51 I 1 Alt. 2 EU-GRC in dem hier einschlägigen Fall mitgliedstaatlichen Handelns die "Durchführung des Rechts der Union" voraus. Bei einer mitgliedstaatlichen Regelung (hier: der Bußgeldbescheid) ist daher zu prüfen, ob mit ihr eine Durchführung einer Bestimmung des Unionsrechts bezweckt wird, welchen Charakter diese Regelung hat und ob mit ihr nicht andere als die unter das Unionsrecht fallende Ziele verfolgt werden.[2] Hier erfolgt der Erlass des Bußgeldbescheid aufgrund der Vorgaben der Bonpflicht-VO. Diese wurde auch kompetenzgemäß und als Bestandteil einer breit gefächterten Zielsetzung der Union erlassen, sodass von einer "Durchführung des Rechts der Union" im Sinne des Art. 51 I Alt. 2 EU-GRC auszugehen ist. Die EU-GRC ist damit anwendbar.

2. Schutzbereich Art. 15 EU-GRC

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Ferner müsste der Schutzbereich des Art. 15 I EU-GRC in persönlicher und sachlicher Hinsicht eröffnet sein. Selbst wenn man angesichts Art. 15 II EU-GRC eine Unionsbürgerschaft des M fordern würde, wäre diese Voraussetzung erfüllt, da M als Deutscher gemäß Art. 9 S. 2 EUV Unionsbürger ist. M betreibt den Kiosk zur Erhaltung seiner Lebensgrundlage, sodass ein Beruf im Sinne des Art. 15 I EU-GRC vorliegt und auch der sachliche Schutzbereich eröffnet ist. Ferner handelt es sich bei dem Betreiben des Kiosk um eine unternehmerische Betätigung, weshalb auch der Schutzbereich des Art. 16 EU-GRC eröffnet ist.

Klausurtaktik

Dies konnte hier in dieser knappen Form festgestellt werden, da die Tätigkeit des M wohl eindeutig als Beruf im Sinne des Art. 15 I EU-GRC einzuordnen ist. Die Kenntnis einer EU-GRC-spezifischen Berufsdefinition konnte von den Berarbeiter:innen nicht verlangt werden. Sehr gute und gute Bearbeiter:innen konnten jedoch unter Verweis auf den Hauptfall und Art. 52 IV EU-GRC die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 15 I EU-GRC zusätzlich begründen. Nicht erwartet wurde, dass sich die Bearbeiter:innen mit dem Verhältnis von Art. 15 zu 16 EU-GRC beschäftigen, auch da der EuGH insoweit häufig eine gemeinsame Prüfung vornimmt.[3]

Fraglich ist nun, wie sich dies auf den Prüfungsmaßstab des BVerfG auswirkt. Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass eine parallele Geltung der Grundrechtsebenen möglich ist und insoweit (nach herrschender, vom BVerfG geteilter Meinung) kein Exklusivitätsverhältnis besteht. Zu klären ist jedoch, welche Grundrechtsebene durch das BVerfG im Ausgangspunkt heranzuziehen ist.

Klausurtaktik

Die hier aufgeworfene Fragestellung darf nicht mit derjenigen verwechselt werden, welche gerichtlichen Zuständigkeiten bei der Überprüfung von möglicherweise grundrechtswidrigen Unionsakten bestehen (Stichwort: "Solange I bis Bananenmarkt"). Im vorliegenden Fall geht es vielmehr um mitgliedstaatliches Handeln, das von Unionsrechtsakten - mehr oder weniger stark - beeinflusst bzw. vorgezeichnet ist.

Diese Fragestellung hat das BVerfG in seinen Recht-auf-Vergessenwerden-Entscheidungen wie folgt beantwortet:

Soweit eine mitgliedstaatliche Entscheidung in einem unionsrechtlich vollständig vereinheitlichen Bereich getroffen wird, prüft das BVerfG diese aufgrund seiner aus Art. 23 I GG folgenden Integrationsverantwortung allein am Maßstab der Grundrechte der EU-GRC. Unter "Grundrechten" im Sinne des Art. 93 I Nr. 4a GG sind damit auch Unionsgrundrechte zu verstehen. Dies begründet das BVerfG damit, dass auch die Unionsgrundrechte heute zu dem gegenüber der deutschen Staatsgewalt durchzusetzenden Grundrechtsschutz gehören. Sie sind nach Maßgabe des Art. 51 I EU-GRC innerstaatlich anwendbar (s.o.) und bilden zu den Grundrechten des Grundgesetzes ein Funktionsäquivalent.[4] Im "gestaltungsoffenen Bereich" erfolgt die Prüfung hingegen anhand der nationalen Grundrechte des Grundgesetztes unter Verwendung der EU-GRC als Auslegungsmaßstab. Dies folgt nach dem BVerfG daraus, dass angesichts des gemeinsamen Fundaments in der EMRK für Regelungsbereiche, in denen das Unionsrecht selbst keine Einheitlichkeit verlangt, davon ausgegangen werden kann, dass die Grundrechte des Grundgesetzes auch das Schutzniveau der Charta mitgewährleisten.[5]

Fraglich ist damit hier, ob der Bußgeldbescheid der Finanzbehörde in einem unionsrechtlich vollständig vereinheitlichen Bereich oder im gestaltungsoffenen Bereich getroffen wurde. Bei der Abgrenzung dieser Bereiche verbieten sich nach dem BVerfG schematische Lösungen, sodass allein aus dem Erlass der Bonpflich-VO als Verordnung mit den in Art. 288 UAbs. 2 AEUV bezeichneten Wirkungen keine Rückschlüsse gezogen werden können. Denn "auch Verordnungen können durch Öffnungsklauseln Gestaltungsfreiräume der Mitgliedstaaten begründen, ebenso wie Richtlinien zwingende und abschließende Vorgaben machen können. Von einer vollständig vereinheitlichten Regelung ist aber grundsätzlich auszugehen, wenn eine Verordnung einen bestimmten Sachverhalt abschließend regelt. Dabei werden deren Regelungen nicht schon dadurch insgesamt gestaltungsoffen, dass sie für eng eingegrenzte Sonderkonstellationen die Möglichkeit abweichender Regelungen schaffen. Solche Öffnungsklauseln lassen Gestaltungsmöglichkeiten nur in dem jeweils freigegebenen Umfang, erlauben aber nicht, die Anwendung der Regelung insgesamt an den Grundrechten des Grundgesetzes zu messen."[6]

Klausurtaktik

Eine derart ausführliche Darstellung kann von den Bearbeiter:innen nicht erwartet werden, die grundsätzlichen Weichenstellungen einer Abgrenzung sind jedoch aufzuzeigen.

Mangels verwertbarer Hintergrundinformationen zum Regelungskontext der Bonpflicht-VO ist daher Art. 2 Bonpflicht-VO unter Berücksichtung der vom BVErfG aufgezeigten Maßstäbe auszulegen. Für einen unionsrechtlich vollständig vereinheitlichen Bereich spricht, dass Art. 2 Bonfplicht-VO eine grundsätzliche Befolgungspflicht und nur zweckgebundene Ausnahmemöglichkeiten vorsieht. Gegen diese Einordnung spricht jedoch, dass sowohl die Ausnahmetatbestände als auch die Bußgeldhöhen innerhalb des vorgegebenen Rahmens in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt werden. Letzteres spricht hier eher für eine Einordnung in den gestaltungsoffenen Bereich.

Damit ist davon auszugehen, dass das BVerfG Art. 2 Bonpflicht-VO an den Grundrechten des GG messen, jedoch die Grundrechte der EU-GRC als Auslegungsmaßstab miteinbeziehen wird.

Klausurtaktik

An dieser Stelle war auch die gegenteilige Auffassung gut vertretbar.

III. Ergebnis/Beantwortung der Fragen des M

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M ist daher zu antworten, dass Art. 15 I EU-GRC in seinem Fall anwendbar ist und das BVerfG diesen (voraussichtlich) als Auslegungshilfe heranziehen wird.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

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  • Art. 12 I GG begründet einen einheitlichen Schutzbereich der Berufsfreiheit; der Regelungsvorbehalt nach Art. 12 I 2 GG gilt sowohl für die Berufsausübung als auch für die Berufswahl
  • Bei der Prüfung von Art. 12 I GG sind die bereichsbezogenen Rechtsprechungslinien des BVerfG (insb. Erfordernis einer berufsregelnden Tendenz/3-Stufen-Theorie) zu beachten und in den allgemeinen Prüfungsaufbau einzupflegen
  • Die unmittelbare Betroffenheit durch ein Gesetz muss im Rahmen der Beschwerdebefugnis besonders begründet werden
  • Eine Prüfung des Anwendungsbereichs der EU-GRC und die Rechtsprechung des BVerfG zur Anwendung der EU-GRC/des GG als Prüfungsmaßstab in unionsrechtlich beeinflussten Bereiche lassen sich gut in Grundrechtsklausuren integrieren


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Inhaltsverzeichnis des Buches

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Zusatzmaterial / Weiterentwickelte Fälle

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Fußnoten

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  1. BVerfG, Urt. v. 11.6.1958 - 1 BvR 596/56 = BVerfGE 7, 377 - Apothekenurteil.
  2. EuGH Urt. v. 6.03.2014, C‑206/13, Rn. 25 (24 ff.).
  3. Dazu eingehend Kühling, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 2017, GRC Art. 15 Rn. 25.
  4. BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 - 1 BvR 16/13 -, Rn. 59 ff. = BVerfGE 152, 152 - Recht auf Vergessen I.
  5. BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 - 1 BvR 276/17 -, Rn. 59 ff. = BVerfGE 152, 216 - Recht auf Vergessen II.
  6. BVerfG, Beschl. v. 6.11.2019 - 1 BvR 276/17 -, Rn. 79 = BVerfGE 152, 216 - Recht auf Vergessen II.