Fall 6
Autorin: Sué González Hauck
Schwierigkeitsgrad: Anfänger:innen, Bearbeitungszeit: 2 Stunden
Sachverhalt
BearbeitenBeatriz Burgos Bedoya (B) ist spanische Staatsbürgerin und lebt in Frankfurt am Main. An einem Wochenende im Juli 2019 besuchte B den Frankfurter Christopher Street Day (CSD). Dieser findet jährlich statt und steht in der Tradition der Geschehnisse rund um das Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street, wo insbesondere Homosexuelle und trans Frauen im Jahr 1969 gegen Polizeiwillkür aufbegehrten. Anlässlich des Jubiläums stand der CSD 2019 in Frankfurt unter dem Motto „50 Jahre Stonewall - Wir sind Bewegung!“. Höhepunkt des CSD-Wochenendes war eine Parade, bei der die Teilnehmer:innen begleitet von Techno-Musik spielenden Festwagen durch die Straßen zogen. Dabei wurden auch alkoholische Getränke verkauft und es herrschte eine ausgelassene Partystimmung. Viele Teilnehmer:innen schwenkten Regenbogenfahnen oder hatten sich solche als Cape umgehängt. Einige trugen auch Banner und Transparente mit Botschaften wie „Love is Love“. Auf dem Transparent, das B mit sich trug, war zu lesen: „Stonewall was a riot! No cops at Pride!“.[1] Außerdem führte B auf einem Handwagen einen Lautsprecher mit sich. Diesen benutzte sie unter anderem für folgende Durchsagen: „Bullen raus aus der Parade! No cops at Pride! Zivile Bullen raus aus der Parade - und zwar sofort!“.
Die zuständige Versammlungsbehörde hatte für den CSD verschiedene Auflagen erlassen. Neben Lautstärkenbergrenzungen für die Musik verfügte die Versammlungsbehörde unter dem Unterpunkt „Kundgebungsmittel / Versammlungshilfsmittel“ unter anderem, dass Lautsprecher und Megaphone nur für Ansprachen und Darbietungen, die im Zusammenhang mit der Versammlung stehen, sowie für Ordnungsdurchsagen verwendet werden dürfen. Die zuständige Behörde verhängte gemäß § 29 I Nr. 3 i.V.m. § 15 VersG gegen die B ein Bußgeld in Höhe von 250 Euro mit der Begründung, B habe die auf Lautsprecherdurchsagen bezogene Auflage nicht beachtet, was eine Ordnungswidrigkeit darstelle. Die für derartige Ordnungswidrigkeiten zuständige Strafrichterin am Amtsgericht Frankfurt am Main bestätigte dies, sodass die B zur Zahlung eines Bußgelds in ebendieser Höhe verurteilt wurde. Zur Begründung führte das Amtsgericht unter anderem aus, es bestünden keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Auflage. Es sei bereits zweifelhaft, ob die CSD-Parade überhaupt in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit falle. Schließlich werde hier lediglich das Lebensgefühl einer Subkultur zur Schau gestellt. Selbst wenn das Gericht jedoch von einer kollektiven Meinungsbildung und -kundgabe ausgehe, entfalle dieser Zweck, wenn der Einsatz elektronischer Verstärker allein oder hauptsächlich anderen Zwecken als der Meinungskundgabe zu versammlungsbezogenen Themen diene. Die Auflage und das Bußgeld seien vorliegend auch deshalb gerechtfertigt, weil Polizeibeamt:innen vor derartigen Angriffen auf ihre Persönlichkeit geschützt werden müssten und ein reibungsloser und störungsfreier Ablauf der CSD-Parade auch im Sinne der anderen Teilnehmenden gewährleistet werden müsse.
Nachdem die B einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das amtsgerichtliche Urteil gestellt hat und dieser abgelehnt wurde, stehen ihr keine weiteren Rechtsmittel zur Verfügung. Sie erhebt daher form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde, in der sie sich gegen das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main wendet und eine Verletzung ihres Grundrechts der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG rügt.
Fallfrage
BearbeitenHat die Verfassungsbeschwerde der B Aussicht auf Erfolg?
Bearbeitungshinweis: Von der Verfassungsmäßigkeit der § 29 I Nr. 3 i.V.m. § 15 VersG ist auszugehen. Eine Verletzung des Art. 5 GG ist nicht zu prüfen.
Fußnoten
Bearbeiten- ↑ Das Wort „riot“ kann ins Deutsche mit „Aufstand“, „Ausschreitungen“ oder auch „Krawall“ übersetzt werden. Das Transparent erinnert somit daran, dass es sich bei den Auseinandersetzungen rund um das Stonewall Inn in der Christopher Street um aktive und zum Teil auch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Personen, die sich spontan zum Protest zusammengefunden haben, handelte. In direktem Zusammenhang damit steht dann auch der Aufruf „No cops at Pride! - Keine Polizist:innen bei Pride / auf dem CSD!“.