Elektrokardiographie: Anatomie und Physiologie
Das Reizbildungs- und -leitungssystem
BearbeitenDie Erregung wird vom Sinusknoten über den AV-Knoten, das His-Bündel, die Tawaraschenkel und die Purkinjefasern zu allen Arealen des Kammermyokards geleitet. Das Reizbildungs- und Leitungssystem wird nicht von Nervenzellen, sondern von spezialisierten Muskelzellen aufgebaut. Dabei gibt jeweils der Schrittmacher mit der höchsten Taktfrequenz, i.d.R. der Sinusknoten, die Herzfrequenz vor. Die Erregung kann sich auch direkt von Muskelzelle zu Muskelzelle ausbreiten, dies geht jedoch etwas langsamer. Ziel der Reizleitung ist eine möglichst gleichzeitige Erregung und Kontraktion aller Muskelzellen der beiden Ventrikel.
- Sinusknoten - Primärer Taktgeber, f = 60-80/s
- AV-Knoten - Vorhof-Kammer-Überleitung, niedrige Leitungsgeschwindigkeit, Frequenzfiltereffekt,
- Sekundäre Taktgeber f = 30-50/s (Schrittmacherzellen liegen dem AV-Knoten benachbart im Vorhof)
- His-Bündel
- Ventrikelschrittmacher (Tertiärer Schrittmacher) f = 20-30/s
- Tawara-Schenkel - 3 Faszikel: der rechter Tawaraschenkel bildet einen Faszikel, der linke Tawara-Schenkel spaltet sich in einen links-anterioren und einen links-posterioren Faszikel auf.
- Purkinjefasern
Die elektrische Erregung strömt durch das Herz von der Basis zur Spitze (Vorhöfe, Septum) und wieder zurück (Ventrikelwände), (fast) wie eine Meereswelle am Strand.
Erregungsablauf am Kammermyokard
Bearbeiten- Die septale Erregung erfolgt überwiegend von links.
- Die freie Wand wird in beiden Ventrikeln simultan erregt.
- Die epikardialen Areale depolarisieren zuerst.
Dipoltheorie
Bearbeiten-__V__+ | | In Ruhe ist die muskuläre Zellmembran innen gegenüber außen + + + + + + + + + + negativ geladen (Ruhemembranpotential). Ein an die Außen- ------------------- U[mV] = 0 membran angelegtes Voltmeter V misst hingegen die - - - - - - - - - - Spannung U (Potentialdifferenz) 0mV.
-__V__+ | | - - + + + + + + + + In dieser Abb. breitet sich ein Aktionspotential von links ------------------- U[mV] = 0 nach rechts über die Zelle aus. + + - - - - - - - - -->
-__V__+ | | + - - - - + + + + + Wenn das AP die 1. Elektrode erreicht misst V eine Spannung. ------------------- U[mV] = + Diese ist wegen der Polarität des Voltmeters (- -> +) - + + + + - - - - - positiv. ------>
-__V__+ | | + + + - - - - + + + Ist das AP an beiden Elektroden angekommen, so beträgt das ------------------- U[mV] = 0 Potential wieder 0mV. - - - + + + + - - - ------>
-__V__+ | | + + + + + - - - - + Wenn die Zellmembran an der ersten Elektrode wieder ------------------- U[mV] = - repolarisiert, kann V wieder eine Spannung messen, diesmal - - - - - + + + + - mit negativem Vorzeichen. ------>
-__V__+ | | + + + + + + + - - - Das Membranpotential ist an beiden Elektroden wieder ------------------- U[mV] = 0 repolarisiert, die gemessene Spannung 0mV. - - - - - - - + + + ----->
Das Voltmeter misst also Potentialdifferenzen (Dipol) an der teilweise erregten Zelle, nicht an der erregten und nicht an der unerregten. Was für die einzelne Muskelfaser gilt, gilt in ähnlicher Weise für den ganzen Herzmuskel, der ein funktionelles Synzytium darstellt. Die Potentialschwankungen (Vektoren) breiten sich dabei über den Körper aus und können an der Körperoberfläche abgeleitet werden. Hier misst man wie bei der Einzelzelle auch ein biphasisches Potential (0 -> (+) -> 0 -> (-) -> 0).
Die EKG-Welle
BearbeitenDie EKG-Welle spiegelt den Herzzyklus wieder.
Anteil | normale Länge | Faustformellänge | Bedeutung |
---|---|---|---|
P-Welle | 50-100 ms, < 120 ms | < 100 ms | Vorhoferregung |
PQ-Strecke (Ende der P-Welle bis Q-Zacke) | - | < 100 ms | AV-Überleitung |
PQ-Zeit (P-Welle + PQ-Strecke) | 120-210 ms | < 200ms | Vorhoferregung und AV-Überleitung |
QRS-Komplex | < 110 ms | < 100 ms | Kammererregung |
ST-Strecke | - | - | Das Kammermyokard ist vollständig erregt |
T-Welle | - | - | Repolarisation des Ventrikelmyokards |
QT-Zeit | 320-390 ms | - | QRS + ST-Strecke + T-Welle |
Die Nulllinie wird durch die isoelektrische Linie vorgegeben. Positive Spannungen zeigen nach oben, negative nach unten.
Vektoren
BearbeitenDie vorbeschriebene EKG-Welle lässt sich mit einer einzigen Ableitung (am besten in Richtung der Herzachse, z.B. Minuspol an den rechten Arm, Pluspol an den linken Fuß, entsprechend Ableitung II nach Einthoven) erfassen. Um dem Ganzen eine räumliche Dimension zu geben, werden im allgemeinen mehrere Ableitungen benutzt, mit denen die Teilvektoren des Summenvektors (z.B. der Kammererregung, QRS) erfasst werden. Ein Teilvektor ist dabei einfach die Projektion des Gesamtvektors in die Ableitung (Orientierung: - -> +). Dabei gilt:
- Liegt der Summenvektor genau in der Richtung der Ableitung (0°) so ist der Teilvektor genau so groß, d.h. maximal positiv.
- Steht der Summenvektor senkrecht auf der Ableitungsrichtung (90°), so ist der Teilvektor 0.
- Ist der Summenvektor der Ableitungsrichtung (- -> +) entgegengesetzt (180°), so ist der Teilvektor in dieser Ableitung wieder maximal, jedoch mit negativem Vorzeichen.
_ _ /| /\ |\ / | \ Summenvektor: ----> / | \ <---- / | \ ----> / | \ |/_ \/ _\| Teilvektor: ----> --> . <-- <---- <-- . --> ----> Ableitung: (-) - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - > (+) EKG-Kurve: ++ + 0 - -- - 0 + ++
Die Raumrichtung des Teilvektors ist durch die Ableitung gegeben, der Betrag und die Polarität des Teilvektors entspricht dem Ausschlag bzw. der Amplitude der EKG-Kurve.
Durch mehrere Ableitungen in der Frontal- und der Horizontalebene kann man nun die Erregungsausbreitung (Summenvektor) und lokale Störungen gut erfassen.