Cauchy-Produkt für Reihen – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

In diesem Kapitel wollen wir untersuchen, unter welchen Voraussetzungen es erlaubt ist, Reihen miteinander zu multiplizieren. Für die Produktreihe werden wir eine sehr praktische Formel herleiten, die Cauchy-Produkt Formel. Eine sehr wichtige Anwendung ist die Funktionalgleichung der Exponentialfunktion. Als Voraussetzung für das Cauchy-Produkt wird, wie schon beim Umordnungssatz, die absolute Konvergenz die entscheidende Rolle spielen.

Der Intuitive Ansatz scheitert Bearbeiten

Ziel in diesem Kapitel ist es eine Reihenformel   für das Produkt zweier Reihen   herzuleiten und zu untersuchen unter welchen Voraussetzungen die Produktreihe konvergiert. Wie wir schon im Kapitel Rechenregeln für Reihen gesehen haben, ist die intuitive Lösung   leider falsch. Als Beispiel betrachten wir das Produkt der beiden geometrischen Reihen   und  . Denn mit der Geometrischen Summenformel gilt zum einen

 

Zum Anderen ist aber

 

Wir können diese Formel daher ,,getrost vergessen´´!

Multiplikation endlicher Summen Bearbeiten

Um der tatsächlichen Reihenformel auf die Schliche zu kommen, betrachten wir zunächst endliche Summen   und  . Der Vorteil bei endliche Summen ist, dass bei diesen die allgemeine Rechengesetze gelten (siehe Eigenschaften für Summe und Produkt). Wir können die Summanden des Produktes also beliebig ausmultiplizieren, vertauschen und Klammern setzen, um eine Summenformel der Form   zu erhalten.

1. Versuch: Ausmultiplizieren der vollen Summequadrate Bearbeiten

Es gilt

 

Andererseits gilt ebenso

 

 
Vertauschung der Reihenfolge bei Doppelsummen

Die beiden Doppelsummen bringen uns jedoch leider nicht weiter, da beide Summen von   bis   laufen, und wir ja eine kompakte Darstellung   suchen. Die innere Summe darf dafür nur bis   laufen! :-(

2. Versuch: Dreieckssummen Bearbeiten

Der „Trick“ beim Cauchy-Produkt ist es, nicht wie oben die vollen „Quadratsummen“ zu betrachten, sondern nur die Reihenfolge der „Dreieckssummen“ zu vertauschen:

 
Vertauschung der Reihenfolge bei den Dreieckssummen

 

Cauchy-Produktformel mit Beispiel Bearbeiten

Damit haben wir einen „heißen Kandidaten“ für unsere Reihen-Produktformel gefunden! Dieser lautet:  

Bevor wir uns an den allgemeinen Beweis der Formel ranwagen, überprüfen wir sie zunächst Mal an unserem Beispiel von oben. Wir haben schon gezeigt  . Andererseits gilt

 

Also ist unsere Formel für diese beiden Reihen richtig!

Gegenbeispiel mit konvergenten Reihen Bearbeiten

Im Beispiel oben waren beide Reihen   und   absolut konvergent. Die Frage ist nun, ob dies, wie beim Umordnungssatz für Reihen eine hinreichende und notwendige Bedingung ist, oder ob es ausreicht, wenn die beiden Reihen nur im gewöhnlichen Sinne konvergieren.

Dazu betrachten wir die Reihe  . Diese konvergiert nach dem Leibniz-Kriterium, jedoch nicht absolut, da die Reihe   nach dem Verdichtungskriterium divergiert. Wir bilden das Produkt der Reihe mit sich selbst, d.h. es ist  . Für die rechte Seite in unserer Formel gilt dann

 

Nun ist aber

 

Also ist die Folge der Reihenglieder   keine Nullfolge. Nach dem Trivialkriterium divergiert die Reihe  .

Dieses Gegenbeispiel zeigt, dass „gewöhnliche“ Konvergenz für die beiden Reihen, die multipliziert werden nicht ausreicht!

Cauchy-Produkt für absolut konvergente Reihen Bearbeiten

Satz (Cauchy-Produkt für Reihen)

Sind die Reihen   und   absolut konvergent, so konvergiert auch die Produktreihe   absolut und es gilt die Cauchy-Produktformel

 

Beweis (Cauchy-Produkt für Reihen)

Seien   und   die  -te Partialsummen der Reihen und   und  .

Beweisschritt:   und   konvergieren.

Da   und   absolut konvergieren, konvergieren nach den Grenzwertsätzen für Folgen ebenso   und  . Außerdem konvergiert   gegen   und   ist eine Cauchy-Folge.

Beweisschritt:   mit   konvergiert ebenfalls gegen  

 
Quadratsumme

Multiplizieren wir die Partialsummen   und  , so erhalten wir die „Quadratsumme“

 
 
Dreieckssume

Andererseits ist   gleich der „Dreieckssumme“

 
 
Differenz aus Quadrat- und Dreieckssumme

Wegen   ist außerdem

 
 
Differenz der Quadratsummen

Zuletzt ist noch   und daher  . Dabei ist   die Gaußklammer, d.h. größte ganze Zahl  . Diese bewirkt, dass   abgerundet wird, falls   ungerade ist. Ist   gerade, so ändert sie Nichts. Daraus folgt für den Betrag unserer Differenz

 

Da   nach Beweisschritt 1 eine Cauchy-Folge ist, konvergiert die Differenz für   gegen  . Damit folgt

 

Beweisschritt:   konvergiert absolut, d.h.  .

Es gilt

 

Also sind die Partialsummen   beschränkt, daraus folgt die absolute Konvergenz der Reihe  .

Anwendungsbeispiele Bearbeiten

Funktionalgleichung der Exponentialfunktion Bearbeiten

Wir starten mit der „Mutter aller Anwendungsbeipiele“ zum Cauchy-Produkt, der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion. Die Exponentialreihe   konvergiert mit dem Quotientenkriterium für alle   absolut, denn

 

Damit ist die Cauchy-Produktformel anwendbar, und es gilt

 

Cauchy-Produkt Geometrischer Reihen Bearbeiten

Die Geometrische Reihe   konvergiert für alle   mit   absolut und es gilt die Geometrische Summenformel  .

 

Andererseits gilt mit der geometrischen Summenformel  . Daraus folgt nun

 

Hinweis

Allgemeiner gilt für alle   und für   die Formel

 

Für   ergibt sich die geometrische Summenformel, für   die Formel aus dem Beispiel. Zum Beweis verweisen wir auf die entsprechende Übungsaufgabe.

Cauchy-Produkt von Sinus- und Kosinus-Reihe Bearbeiten

Mit Hilfe des Cauchy-Produktes lassen sich auch verschiedene Identitäten für die Sinus- und Kosinusfunktion beweisen. Dazu benutzen wir die Reihendarstellungen   und  . Diese konvergieren nach dem Quotientenkriterium absolut für alle  .

Additionstheorem der Sinusfunktion Bearbeiten

Wir zeigen zunächst das Additionstheorem für die Sinusfunktion

  für alle  

Wir starten auf der rechten Seite der Gleichung

 

Hinweis

Sehr ähnlich zeigt man für alle   das Kosinus-Additionstheorem

 

Zum Beweis siehe auf die entsprechende Übungsaufgabe.

Formel für die Kosinusfunktion Bearbeiten

Als zweites Beispiel zeigen wir für   die Formel

 

Da die Kosiuns-Reihe   für   absolut konvergiert, gilt

 

Hinweis

Die Formel kann einfacher auch ohne das Cauchy-Produkt mit Hilfe des Additiontheorems für den Kosinus und des trigonometrische Pythagoras beweisen:

 

Abschließendes Gegenbeispiel Bearbeiten

Wir haben oben schon gesehen, dass das Cauchy-Produkt zweier konvergenter Reihen, die jedoch nicht absolut konvergieren, divergieren kann. Ebenso kann es auch umgekehrt sein, dass das Cauchy-Produkt zweier divergenter Reihen konvergiert. Dazu betrachten wir die Reihen

 

Beide Reihen sind offensichtlich divergent, da die Partialsummen unbeschränkt sind. Für das Cauchy-Produkt gilt jedoch

 

Also konvergiert das Cauchy-Produkt und ergibt sogar null! Wer hätte das gedacht?! ;-)