Leibniz-Kriterium – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

Das Leibniz-Kriterium ist ein spezielles Konvergenzkriterium für alternierende Reihen. Das sind Reihen, bei denen das Vorzeichen bei jedem Summanden wechselt, also Reihen der Form oder , wobei alle positiv sind. Da solche Reihen häufig konvergieren, aber nicht absolut konvergieren, scheitern die anderen Konvergenzkriterien oftmals.

Ein Video zur Einführung des Leibniz-Kriteriums. (YouTube-Video vom Kanal Quatematik)

Wie der Name schon vermuten lässt, wurde das Kriterium von dem Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahre 1682 veröffentlicht. Übrigens wurde auch der Butterkeks mit seinen 52 Zähnen (in Anlehnung an die 52 Zahnräder der ersten von Leibniz entwickelten Rechenmaschine) nach ihm benannt.

Einstiegsbeispiel: Konvergenz der alternierenden harmonischen Reihe Bearbeiten

Da Beweisideen an konkreten Beispielen oftmals besser veranschaulicht werden können, betrachten wir zunächst das Beispiel der alternierenden harmonischen Reihe  . Für die Konvergenz müssen wir zeigen, dass die Folge der Partialsummen   konvergiert. Für   haben die Partialsummen die Werte

 
Die Partialsummen der alternierenden harmonischen Reihe
 

Daran erkennen wir, dass die Werte in immer kleiner werdenden Schritten hin und her springen. Außerdem fällt auf, dass die Partialsummen mit ungeraden Indizes   anscheinend monoton fallen und diejenigen mit geraden Indizes   monoton wachsen. Dies können wir allgemein leicht nachrechnen. Für alle   gilt nämlich

 

d.h.  . Und ganz analog  , d.h.  . Damit ist   monoton fallend und   monoton steigend.

Wenn wir zeigen könnten, dass   nach unten und   nach oben beschränkt sind, dann wären beide (Teil-)Folgen nach dem Monotoniekriterium konvergent. Nun sind aber alle ungeraden Partialsummen durch die geraden Partialsummen nach unten und umgekehrt alle geraden durch die ungeraden nach oben beschränkt, denn für alle   gilt

 

und damit   bzw.  . Insbesondere gilt daher   und  . Also ist   nach unten durch   und   nach oben durch   beschränkt.

Nach dem Monotoniekriterium sind somit   und   konvergent.

Wir sind aber noch nicht fertig! Zum einen müssen wir zeigen, dass beide Teilfolgen gegen denselben Grenzwert konvergieren und zum anderen, dass daraus auch die Konvergenz von   folgt.

Sei also   und  . Wir müssen nun zeigen, dass beide Grenzwerte gleich sind, also dass   gilt. Dies lässt sich aber schnell erledigen. Einerseits ist nämlich mit der Summenregel für Grenzwerte

 

Andererseits haben wir oben   gezeigt. Damit ist nun

 

Also ist   und daher  .

Nun müssen wir noch zeigen, dass   ebenfalls gegen   konvergiert. Dazu müssen wir die Definition der Konvergenz benutzen, d.h. wir müssen zeigen

 

Wir wissen aber bereits

 

da ja   und   gegen denselben Grenzwert   konvergieren. Setzen wir nun  , so folgt unmittelbar

 

Verständnisfrage: Warum reicht   nicht aus?

Die Aussage   bedeutet, dass ab dem Folgenglied   für alle ungeraden Folgenglieder von   die Ungleichung   erfüllt ist.

Analog bedeutet  , dass ab dem Folgenglied   für alle geraden Folgenglieder von   die Ungleichung   erfüllt ist.

Da nun aber   und   gilt, müssen die Ungleichungen natürlich noch nicht ab den Folgengliedern   bzw.   gelten.

Verallgemeinerung der Beweisidee für das Leibniz-Kriterium Bearbeiten

Die Frage ist nun, inwiefern wir den gerade geführten Beweis für die Konvergenz der alternierenden harmonischen Reihe verallgemeinern können, um ein allgemeines Konvergenzkriterium für alternierende Reihen zu erhalten. Dazu müssen wir uns klar machen, welche Eigenschaften der alternierenden harmonischen Reihe wir für den Konvergenzbeweis herangezogen haben.

  • Zum einen wissen wir, dass die nichtnegative Koeffizientenfolge ohne das alternierende Vorzeichen   monoton fällt. Daraus hat sich dann die Monotonie und die Beschränktheit der beiden (Teil-)Partialfolgen   und   und damit deren Konvergenz ergeben.
  • Zum anderen haben wir davon Gebrauch gemacht, dass   eine Nullfolge ist. Daraus konnten wir schließlich folgern, dass   und   und damit auch   gegen denselben Grenzwert konvergieren.

Mehr Eigenschaften der alternierenden harmonischen Reihe hatten wir im Beweis oben nicht verwendet. Genau das sind auch die Voraussetzungen für das Leibniz-Kriterium:

Satz (Leibniz-Kriterium)

Sei   eine nichtnegative monoton fallende Folge reeller Zahlen mit  , dann konvergiert die alternierende Reihe  .

Für den Beweis müssen wir nun nur noch einmal den Beweis, den wir für die Konvergenz der alternierenden harmonischen Reihe geführt haben, für eine allgemeine alternierende Reihe mit denselben Eigenschaften durchführen.

Beweis (Leibniz-Kriterium)

Erneut müssen wir die Konvergenz der Partialsummenfolge   zeigen.

Beweisschritt 1:   ist monoton fallend und   monoton steigend, denn für   gilt

 

und analog  .

Beweisschritt 2:   ist nach unten und   nach oben beschränkt, denn für   gilt

 

Damit ist   sowie  

Nach dem Monotoniekriterium konvergieren somit die Partialsummenfolgen   und  .

Beweisschritt 3:   und   konvergieren gegen denselben Grenzwert. Sei   und  . Da wir in Beweisschritt 2 die Konvergenz beider Folgen gezeigt haben, können wir die Summenregel für Grenzwerte anwenden. Es folgt

 

Andererseits gilt

 

da   eine Nullfolge ist und damit auch die Teilfolge  . Also ist  .

Beweisschritt 4:   konvergiert ebenfalls gegen  . Da   und   gegen   konvergieren, gilt

 

Setzen wir nun  , so folgt

 

Also konvergiert die Reihe  .

Alternativer Beweis Bearbeiten

Alternativ lässt sich das Leibniz-Kriterium auch mit Hilfe des Cauchy-Kriteriums beweisen.

Alternativer Beweis (Leibniz-Kriterium)

Um das Cauchy-Kriterium anwenden zu können, müssen wir zeigen, dass unter den Voraussetzungen des Leibniz-Kriteriums gilt

 

Zunächst betrachten wir nur ungerade   und schätzen für diese die Summe   ab. Zum einen ist

 

Zum anderen gilt

 

Die beiden Ungleichungsketten zusammen ergeben   für ungerade  .

Ganz analog erhalten wir für gerade   die beiden Ungleichungen

 

woraus sich für gerade   ebenfalls   ergibt. Also gilt die Ungleichung für alle  .

Nun war aber nach Voraussetzung   eine Nullfolge, d.h.  . Mit der gerade gezeigten Ungleichung folgt daher

 

Also konvergiert die Reihe   nach dem Cauchy-Kriterium.

Anwendungsbeispiel Bearbeiten

Beispiel (Verallgemeinerte alternierende harmonische Reihe)

Die verallgemeinerte alternierende harmonische Reihe   konvergiert für alle   nach dem Leibniz-Kriterium, denn es gilt

  •   für alle  .
  •   für alle  , also ist   monoton fallend.
  •  , also ist   eine Nullfolge.

Anmerkungen zum Leibniz-Kriterium Bearbeiten

  • Natürlich gilt das Leibniz-Kriterium auch für Reihen der Form  . Denn diese unterscheiden sich nur durch die "umgedrehten" Vorzeichen. Der Beweis funktioniert ganz analog mit vertauschten Rollen von   und  .
  • Ebenso gilt es für Reihen der Form   oder  . Lass dich durch Indexverschiebungen nicht aus der Ruhe bringen!
  • Beachte, dass aus dem Leibniz-Kriterium nur die Konvergenz und nicht die absolute Konvergenz der Reihe folgt. Wie oben schon erwähnt, gibt es viele konvergente alternierende Reihen, die nicht absolut konvergieren. Ein Standardbeispiel ist wieder die alternierende harmonische Reihe  .
  • Im Gegensatz zu manch anderem Konvergenzkriterium kann aus dem Leibniz-Kriterium nie die Divergenz einer Reihe gefolgert werden. Besitzt eine Reihe nicht alle Eigenschaften, die das Kriterium fordert, heißt das nicht, dass die Reihe divergieren muss. Das Leibniz-Kriterium ist in diesen Fällen nicht anwendbar. Siehe hierzu auch das letzte Warnbeispiel unten.

  • Aus dem Beweis zum Leibniz-Kriterium folgt, dass   mit   und   eine Intervallschachtelung ist.
  • Eine weitere Beweismöglichkeit für das Leibniz-Kriterium besteht darin, zunächst das allgemeinere Dirichlet-Kriterium zu beweisen und das Leibniz-Kriterium dann als Spezialfall zu folgern. Genaueres hierzu folgt zum Ende dieses Kapitels.
  • Schließlich lässt sich das Leibniz-Kriterium erweitern auf den Fall, dass   eine nicht-positive, monoton steigende Nullfolge ist. Der Beweis funktioniert ganz analog. Fassen wir beide Fälle zusammen, so konvergiert die Reihe  , falls   eine monotone Nullfolge ist.

Anwendungsaufgabe Bearbeiten

Aufgabe (Leibniz-Kriterium)

Ist die Reihe   konvergent?

Wie kommt man auf den Beweis? (Leibniz-Kriterium)

Um das Leibniz-Kriterium anwenden zu können, müssen wir zeigen, dass die nichtnegative Folge   eine monoton fallende Nullfolge ist. Dies erledigen wir in zwei Schritten.

  1. Wir zeigen:   ist monoton fallend, d.h.  . Dazu ist es oft leichter, eine der beiden äquivalenten Aussagen   oder   zu zeigen. Wir zeigen die Aussage über den Quotienten  .
  2. Wir zeigen:   ist eine Nullfolge, d.h.  . Dies zeigen wir mit Hilfe der Grenzwertsätze für Folgen.

Beweis (Leibniz-Kriterium)

Für   gilt  , sowie

Beweisschritt 1:  

 

Nun ist die Wurzelfunktion streng monoton steigend. Daher ist sie genau dann kleiner oder gleich  , wenn der Ausdruck unter der Wurzel kleiner oder gleich   ist. Nun gilt aber

 

Also gilt  , und damit ist   monoton fallend.

Beweisschritt 2:  

 

Damit ist   eine Nullfolge.

Zusatzfrage: Konvergiert die Reihe absolut?

Nein, denn   divergiert. Es gilt nämlich

 

und   divergiert.

Daher divergiert die Reihe nach dem Minorantenkriterium.

Warnbeispiele zur Beachtung der Voraussetzungen Bearbeiten

Wir weisen darauf hin, dass es zur Anwendung des Leibniz-Kriteriums wichtig ist, immer beide Voraussetzungen an   zu überprüfen. D.h.   muss sowohl monoton fallend als auch eine Nullfolge sein. Im Folgenden diskutieren wir zwei Beispiele von divergenten alternierenden Reihen, für die jeweils nur eine der Voraussetzungen erfüllt ist. Das dritte Beispiel ist eine alternierende Reihe, die konvergiert, obwohl die Voraussetzungen des Leibniz-Kriteriums nicht erfüllt sind. Das Leibniz-Kriterium ist daher nur ein hinreichendes und kein notwendiges Konvergenzkriterium.

Beispiel (Warnbeispiel 1 zum Leibniz-Kriterium)

Zunächst betrachten wir die Reihe  , d.h.  . Hier gilt

  •   ist monoton fallend.

Aufgabe (Monotonie)

Beweise dies.

Beweis (Monotonie)

Es gilt   und damit  . Also ist   monoton fallend.

  •   ist jedoch keine Nullfolge, denn mit den Grenzwertsätzen für Folgen gilt  .

Also ist das Leibniz-Kriterium nicht anwendbar. Des Weiteren divergiert die Reihe. Dazu verwenden wir das Trivialkriterium und zeigen, dass   keine Nullfolge ist. Hierfür reicht es, zu zeigen, dass die Teilfolge   keine Nullfolge ist, denn wenn eine Teilfolge nicht gegen   konvergiert, dann kann die gesamte Folge auch nicht gegen   konvergieren. Mit Hilfe der Grenzwertsätze folgt nun  . Also divergiert die Reihe nach dem Trivialkriterium.

Beispiel (Warnbeispiel 2 zum Leibniz-Kriterium)

Als zweites betrachten wir die Reihe   mit  . Für diese gilt

  •   ist nicht monoton fallend. Das wird sofort klar, wenn wir die ersten Folgenglieder betrachten:  . Wir erkennen, dass   usw. gilt. Allgemein ist für alle   immer   (Beweis über Induktion) und daher  . Also ist die Folge nicht monoton fallend, da ansonsten   gelten müsste.
  • Allerdings ist   eine Nullfolge.

Aufgabe (Nullfolge)

Beweise dies.

Beweis (Nullfolge)

Offensichtlich ist   und  . Also gilt

  und  

(Genauer gelten die Ungleichungen für   und für  .)

Nun können wir mit dem gleichen Argument wie gegen Ende des Beweises zum Leibniz-Kriterium   folgern: Für   gilt dann

 

Also konvergiert   gegen  .

Also ist das Leibniz-Kriterium auch hier nicht anwendbar. Die Reihe divergiert ebenso. Um dies zu zeigen, verwenden wir das gleiche Argument, welches wir bei der Divergenz der harmonischen Reihe benutzt haben, indem wir zeigen, dass die Partialsummenfolge   unbeschränkt ist. Dazu benutzen wir die Abschätzung

 

Aus dieser folgt

 

Da nun die harmonische Reihe divergiert, divergiert auch   und damit die gesamte Reihe.

Beispiel (Warnbeispiel 3 zum Leibniz-Kriterium)

Zuletzt betrachten wir die Reihe   mit  . Für diese gilt

  •   ist nicht monoton fallend. Denn für alle   gilt  .

Also ist eine Voraussetzung des Leibniz-Kriteriums nicht erfüllt. Dennoch konvergiert die Reihe nach dem Majorantenkriterium.

Aufgabe

Beweise, dass die Reihe   konvergiert.

Lösung

Es gilt

  •   für alle  
  •  

Also ist die Reihe nach dem Majorantenkriterium absolut konvergent und daher auch konvergent.

Folgerung: Fehlerabschätzung für den Grenzwert Bearbeiten

Wie auch mit den anderen Konvergenzkriterien kann man mit dem Leibniz-Kriterium zwar die Konvergenz einer Reihe zeigen, nicht jedoch deren Grenzwert berechnen. Im Kapitel über die harmonische Reihe wurde schon erwähnt, dass   gilt. Um das zu zeigen, reicht das Leibniz-Kriterium jedoch nicht aus, wir brauchen dafür weitere Hilfsmittel. Allerdings können wir aus dem Beweis zum Leibniz-Kriterium eine praktische Fehlerabschätzung herleiten, mit der sich der Grenzwert abschätzen lässt.

Im Beweis haben wir gezeigt, dass   monoton fallend ist und gegen   strebt. Genauer noch gilt mit dem Monotoniekriterium  . Zur Wiederholung: Das Infimum einer Menge war die größte untere Schranke einer Menge. Also gilt damit   für alle  . Genauso war   monoton steigend mit  . Da das Supremum eine kleinste obere Schranke war, gilt   für alle  . Insgesamt erhalten wir also   sowie  .

Hieraus folgen nun aber die beiden Ungleichungen

 

Aus beiden Ungleichungen zusammen erhalten wir damit die Abschätzung

 

Satz (Fehler-Abschätzung für alternierende Reihen)

Konvergiert eine alternierende Reihe   nach dem Leibniz-Kriterium, so gilt

 

Beispiel (Fehler-Abschätzung für alternierende Reihen)

Mit den zu Beginn des Kapitels berechneten Werten für die alternierende harmonische Reihe können wir ein Intervall angeben, in denen sich der Grenzwert   befindet.

Mit der Fehlerabschätzung gilt  . Wegen   liegt der Grenzwert daher im Intervall  . Runden wir auf drei Dezimalstellen ab bzw. auf, so ergibt sich die besser zu beurteilende Aussage  . Tatsächlich ist  .

Verallgemeinerung des Leibniz-Kriteriums: Dirichlet-Kriterium Bearbeiten

Das Dirichlet-Kriterium lässt sich auf Reihen der Form   anwenden. Der Beweis beruht auf der abelschen partiellen Summation, auf die wir an dieser Stelle jedoch verzichten wollen, da das Kriterium in Grundvorlesungen meist nicht behandelt wird. Der Beweis der Kriteriums und der abelschen partiellen Summation befindet sich in der entsprechenden Übungsaufgabe.

Satz (Dirichlet-Kriterium)

Seien   und   reelle Folgen mit

  1. Die Partialsummen   bilden eine beschränkte Folge,
  2.   ist monoton fallend,
  3.  .

Dann konvergiert die Reihe  .

Wir sehen sofort, dass die Voraussetzungen an   genau dieselben sind wie im Leibniz-Kriterium. Setzen wir nun  , so ist die erste Voraussetzung erfüllt, und wir erhalten das Leibniz-Kriterium. Es stellt also einen Spezialfall des Dirichlet-Kriteriums dar.

Aufgabe

Zeige, dass   die erste Voraussetzung aus dem Dirichlet-Kriterium erfüllt, d.h. dass   beschränkt ist.

Lösung

Es gilt

 

Also ist   offensichtlich beschränkt.