Absolute Konvergenz einer Reihe – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

In diesem Kapitel werden wir mit der absoluten Konvergenz eine neue und stärkere Art der Konvergenz kennenlernen, welche auch bei einer beliebigen Umsortierung der Summanden ihr Konvergenzverhalten nicht ändert, was wir in einem späteren Kapitel genauer betrachten werden.

Motivation Bearbeiten

Bei endlichen Summen ist es egal, in welcher Reihenfolge man die Summanden aufschreibt. Beispielsweise ist das Ergebnis von

 

dasselbe wie von

 

Dies gilt aufgrund der Kommutativität der Addition. Sie besagt, dass   für alle reellen Zahlen   ist. Wenn man endlich oft benachbarte Summanden vertauscht, ändert sich das Ergebnis nicht. Diese Invarianz bzw. „Unveränderlichkeit“ des Werts endlicher Summen gegenüber Summandenvertauschungen geht bei unendlichen Summen (also bei Reihen) verloren. Nehmen wir eine Reihe

 

Der Wert dieser Reihe kann sich durch eine Umordnung der Summanden ändern. So kann der Wert der folgenden Reihe ein anderer sein, als bei der ursprünglichen Reihe:

 

Bei einer Umordnung der Summanden kann eine konvergente Reihe sogar divergent werden und umgekehrt. Es stellt sich die Frage: Wann können wir die Summanden einer Reihe beliebig umordnen, ohne dass ihr Grenzwert oder gar ihr Konvergenzverhalten geändert wird? Für konvergente Reihen über reelle Zahlen kann man diese Frage leicht beantworten:

Das Grenzwertverhalten einer reellwertigen und konvergenten Reihe ist genau dann immun gegen eine Umsortierung ihrer Summanden, wenn sie absolut konvergiert.

Definition Bearbeiten

Was ist absolute Konvergenz?

Definition (absolute Konvergenz)

Eine Reihe   konvergiert genau dann absolut, wenn   konvergiert.

Eine Reihe ist also genau dann absolut konvergent, wenn die Reihe ihrer Absolutbeträge konvergiert. Bei absolut konvergenten Reihen werden die Beträge ihrer Summanden so schnell klein, dass die Summe der Beträge beschränkt bleibt (und damit die Reihe konvergiert).

Hinweis

Ist   für alle  , dann ist  . Die absolute Konvergenz einer Reihe   mit   ist damit gleichbedeutend mit der Konvergenz dieser Reihe.

Also: Eine Reihe mit ausschließlich nicht negativen Summanden konvergiert genau dann absolut, wenn sie konvergiert.

Jede absolut konvergente Reihe konvergiert Bearbeiten

Absolute Konvergenz ist eine stärkere Form der Konvergenz einer Reihe. Absolut konvergente Reihen sind genau die konvergenten Reihen, deren Konvergenzverhalten immun gegen eine Umsortierung der Summanden ist. Jede absolut konvergente Reihe konvergiert. Dies zeigen wir im folgenden Satz:

Satz (Absolute Konvergenz impliziert normale Konvergenz.)

Jede absolut konvergente Reihe konvergiert.

Beweis (Absolute Konvergenz impliziert normale Konvergenz.)

Sei   eine absolut konvergente Reihe. Das bedeutet   konvergiert. Wir betrachten nun die Reihen als Partialsummenfolgen. In diesem Beweis wollen wir Cauchy-Folgen anwenden. Wir zeigen, dass die Partialsummenfolge der Reihe   eine Cauchy-Folge ist. Sei dafür  . Da   konvergiert, ist die Partialsummenfolge   eine Cauchy-Folge. Also gibt es ein  , sodass für alle  . Fassen wir die Summen zusammen und nehmen o.B.d.A. an, dass  , dann gilt

 

Nun schätzen wir die Partialsummen der Reihe   ab. Seien  , so folgt

 

Also ist   eine Cauchy-Folge und konvergiert deshalb. Somit konvergiert auch  .

Alternativer Beweis (Beweis mit Cauchy-Kriterium für Reihen)

Wir können den Beweis von oben auch kürzer formulieren, indem wir das Cauchy-Kriterium für Reihen benutzen. Sei   eine Reihe, die absolut konvergiert. Wir wissen also, dass   konvergiert. Wir wenden auf   das Cauchy-Kriterium für Reihen an. So erhalten wir

 

Nun folgt aus der Dreiecksungleichung, dass   ist. Wenn also   kleiner als   ist, dann muss auch   kleiner als   sein. Dementsprechend folgt

 

Dies ist aber genau das Cauchy-Kriterium dafür, dass   konvergiert. Also muss  konvergent sein.

Hinweis

Aus dem Beweis folgt insbesondere  , falls die Reihe absolut konvergiert. Es ist nämlich im Fall der absoluten Konvergenz:

 

Nicht jede konvergente Reihe ist absolut konvergent Bearbeiten

Wir haben gerade bewiesen, dass jede absolut konvergente Reihe eine konvergente Reihe ist. Die Umkehrung gilt aber nicht: Es gibt konvergente Reihen, die nicht absolut konvergieren. Ein Beispiel ist die alternierende Reihe  . Diese Reihe konvergiert, was man mit dem Leibniz-Kriterium beweisen kann. Jedoch ist diese Reihe nicht absolut konvergent, da   die divergente harmonische Reihe ist. Merken wir uns also:

Jede absolut konvergente Reihe konvergiert, aber nicht jede konvergente Reihe konvergiert absolut.

Charakteristisches Kriterium für absolute Konvergenz Bearbeiten

Nun möchten wir ein notwendiges und hinreichendes Kriterium für absolute Konvergenz untersuchen. Jede Reihe   lässt sich in ihre positiven und negativen Reihenglieder zerlegen. Formal definieren wir dazu

 

und

 

Ist beispielsweise  , so ist

 

und

 

Es gilt   und damit  . Die Frage ist nun, wann die beiden Reihen   und   konvergieren. Dann folgt auch  . Im folgenden Satz zeigen wir, dass die beiden Reihen genau dann konvergieren, wenn die ursprüngliche Reihe absolut konvergiert.

Satz (Kriterium für absolute Konvergenz)

Die Reihe   konvergiert genau dann absolut, wenn   und   konvergieren. In diesem Fall gilt  .

Beweis (Kriterium für absolute Konvergenz)

Beweisschritt: Wenn   absolut konvergiert, dann konvergieren auch   und  .

Sei   absolut konvergent. Es konvergiert damit  . Es gilt sowohl   als auch  . Nach dem Majorantenkriterium für Reihen konvergieren   und   absolut. Damit konvergieren sie auch im gewöhnlichen Sinn.

Beweisschritt: Wenn   und   konvergieren, dann konvergiert   absolut.

Seien   und   konvergent. Es gilt  , und damit folgt aus den Rechenregeln für Reihen  .

Beispiel (Absolut konvergente Reihe)

Die Reihe   konvergiert absolut. Dies gilt, da   konvergiert. Wir zeigen das im Kapitel „Beschränkte Reihen und Konvergenz“. Nach dem Kriterium für absolute Konvergenz konvergieren auch   und  . Umgekehrt folgt aus der Konvergenz der Reihen   und   die absolute Konvergenz der Reihe  .

Verständnisfrage: Konvergieren   und   auch dann immer, wenn   „nur“ normal konvergiert (also nicht absolut konvergiert)?

Nein, gewöhnliche Konvergenz reicht nicht aus. Betrachte die alternierende harmonische Reihe  . Diese konvergiert, aber   und   divergieren.

Vertiefung: Bedingte und unbedingte Konvergenz Bearbeiten

Du kannst dir vorstellen, dass es in gewissen Situationen wichtig ist zu wissen, welche konvergenten Reihen durch eine Umordnung der Summanden ihr Konvergenzverhalten und ihren Grenzwert behalten und bei welchen dies nicht zwangsläufig der Fall ist. Für einige Beweise ist es notwendig, eine Reihe umzuordnen. Für solche Beweise muss man wissen, wann eine Reihe ohne Bedenken umgeordnet werden kann und wann man vorsichtig sein muss. Hierzu unterscheidet die Mathematik folgende zwei Arten der Konvergenz:

Unbedingte Konvergenz
Eine Reihe konvergiert unbedingt, wenn diese Reihe konvergiert und auch jede Umordnung dieser Reihe gegen denselben Grenzwert konvergiert.
Bedingte Konvergenz
Eine Reihe konvergiert bedingt, wenn die Reihe konvergiert und es mindestens eine Umordnung der Reihe gibt, bei der diese Reihe divergiert oder gegen einen anderen Grenzwert konvergiert.

Für reellwertige Reihen sind die unbedingt konvergenten Reihen genau die Reihen, die absolut konvergieren. Nun wird dir vielleicht schon aufgefallen sein, dass wir bisher nur behauptet, aber noch nicht bewiesen haben, dass absolut konvergente Reihen ihr Konvergenzverhalten bei Umordnung der Summanden nicht verändern. Weil der Beweis aber recht lang ist, möchten wir ihn an dieser Stelle nicht führen.