Babybuch: Windelfrei
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Eine uralte, weltweit verbreitete und doch für viele ungewöhnliche Alternative zum Windeln des Babys und anschließender Sauberkeitserziehung ist Windelfrei, im englischen Elimination Communication (EC) oder Infant Potty Training (IPT) genannt.
Windelfrei (oder Abhalten, Topffit, natürliche Sauberkeitserziehung...) hat nichts mit Töpfchentraining oder Sauberkeitserziehung zu tun, sondern mit Vertrauen in die Kompetenz des Neugeborenen und seine Kommunikationsfähigkeit. Man reagiert auf die Zeichen des Babys und läßt es, meist verbunden mit einem Signallaut oder -Zeichen, über ein Gefäß pullern oder kackern. Dann braucht das Baby nicht in seinen Ausscheidungen zu liegen. Es lernt, dass seine Äußerungen und seine Gefühle über die Vorgänge in seinem Körper richtig und wichtig sind. Und nicht zuletzt ist es sehr ökologisch...
Wichtige Punkte dabei sind:
1. Gelassenheit: Es ist immer nur ein Angebot zum Pullern/Kackern, es darf kein Zwang oder Ärger dabei sein und möglichst auch keine Selbstvorwürfe. Die "Ausscheidungskompetenz" liegt beim Baby. Und wenn es gerade dann pullert, wenn man es endlich NICHT mehr abhält, dann hat man eben etwas falsch verstanden oder etwas falsch gemacht - kein Grund, wütend auf sich oder das Kind zu werden. Fehler gehören zum Lernen dazu, und leider weiss man in unserer Kultur weniger über das Abhalten als ein neugeborenes Kind. Man kann ein wenig nachhelfen, damit es sich entspannen kann (selbst Pullern - da läßt auch die eigene Körperspannung nach, die sich auf das Kind überträgt und es am Loslassen hindert, Wasser laufen lassen, beim Stillen oder Trinken abhalten, andere Haltungen ausprobieren), mit Ablenkung arbeiten (Fernsehen oder ein Buch dabei anschauen lassen), aber Pannen oder Streiks wird es immer geben. Zur Probe lächelnd und gelassen etwas aufwischen (Tip aus dem Buch "TopfFit", siehe unter Quellen) ist eine gute Übung. Der Härtetest wäre, gelassen Schokolade oder gar Brombeeren aus dem Teppich zu entfernen. Wenn das nämlich rausgeht, ist auch Muttermilchstuhl kein Problem (außer vielleicht Kindspech). Womit wir schon beim nächsten Punkt wären:
2. Wohnungseinrichtung: Ein hochfloriger Edelteppich wäre ein Problem, und empfindliche Polstermöbel. Alles andere hat seine Vor- und Nachteile. Saugfähige Teppichböden sind schwieriger zu reinigen und zu trocknen, allerdings kommt da das Kind seltener auf die Idee, in der Pfütze Patschen spielen zu wollen (wie es bei Laminat oder Fliesen der Fall sein kann, dann am besten alternative Patschmöglichkeiten anbieten, z.B. im Waschbecken). Babyurin hat übrigens wenig Eigengeruch, es besteht also nicht die Gefahr, dass Bei Zugluft oder fusskalten Böden kann man etwas Waschbares unterlegen oder dem Kind doch etwas anziehen (z.B. Babylegs, das sind eine Art Fußstulpen für Babys). Bei der
3. Kleidung ist auch manches Praktischer als anderes. Solange das Kind noch klein ist und nicht so lange warten kann, braucht das Ausziehen von Strampler oder Einteiler vielleicht zu lange und machen es nachts richtig wach. Strumpfhosen und Hosen sind auch in Babygrößen zu haben und lassen sich in einem Rutsch runterziehen. Ein Body ist bei Pannen äußerst unpraktisch, eine Alternative wären Flügelhemd und später Unterhemd und ein Schlüpfer (wobei die meisten kleinen Größen leider Windelschnitt haben und viel zu groß sind) oder eine Windelschlupfhose. Denn auch
4. Windeln und andere Hilfsmittel sind möglich, allerdings sollte deren Zweck nur in Ausnahmefällen darin bestehen, dass das Kind möglichst viel dort hineinpullern kann und trotzdem "schön trocken bleibt" (Teilzeit-Windelfrei), denn dann signalisiert es vielleicht nicht mehr zuverlässig oder verlernt den Zusammenhang zwischen dem Gefühl im Bauch und dem nassen Ergebnis, und Mama verlässt sich darauf und reagiert nicht mehr schnell genug. Als "Backup" (also zur Sicherheit) aber ist z.B. eine gefaltete Mullwindel (oder eine Damenbinde) in der Schurwoll-Schlupfhose oder im Schlüpfer völlig o.k. - Kletthosen sind beim Runterziehen ungünstig und die Klettverschlüsse der Einwegwindeln sind zusätzlich nach einigen Öffnungen meist schon kaputt und man muss eine leere Windel wegwerfen. Mullwindeln sind sowieso günstig bei Windelfrei: sie sind billig, gut zum Aufwischen (und für viele andere Dinge), trocknen schnell... und der Nachteil der geringen Aufnahmekapazität ist, wie oben gesagt, bei Windelfrei gar keiner. Wasserdichte Unterlagen (unter dem Laken, damit es das Baby nicht spürt) oder verfilzte Wolldecken im Bett sind ja sowieso nicht verkehrt.
5. Signale: Da gibt es so viele verschiedene wie Kinder, und sie ändern sich noch zusätzlich beim gleichen Kind über die Zeit. Also flexibel bleiben... Das fängt an mit einer starken Körperspannung - wenn das Baby viel getragen wird, kann man das leicht fühlen. Wenn man sich ein Handzeichen (vielleicht aus der Zeichensprache, aber auch ein selbstgewähltes ist möglich) oder einen Signallaut überlegt, den man relativ konsequent immer dann verwendet wenn man das Baby abhält, wird es leicht lernen das auch selbst zu verwenden. Ansonsten gibt es auch vom Baby selbstausgedachte Laute oder Zeichen, es zieht sich die Hose aus, fasst sich in den Schritt oder krabbelt zum Töpfchen hin - alles möglich. Wie man sieht, ändert sich alles, sogar wenn man nach
6. Timing geht. Das bedeutet, dass man sich über einige Zeit anschaut, wann das Baby pullern muss und zu welchen Situationen, und es dann versucht abzuhalten. Es ist eigentlich ein guter Start und nach dem Schlafen meistens eine sichere Bank - wenn man nach dem Timing des Kindes geht und nicht nach irgendwelchen Terminen. Allerdings ändert sich auch das Timing, und mit dem Älterwerden können Babys sowieso länger mit dem Pullern warten, weil die Blase größer wird. Es funktioniert aber oft auch, wenn man vor dem Schlafen oder bevor man Rausgehen muss nochmal pullern läßt, wie man das bei größeren Kindern auch macht.
7. Intuition: Für eigentlich rational veranlagte Personen wohl das Erstaunlichste überhaupt beim Windelfrei. Wenn man einmal erlebt hat, dass man sich am Bein, auf dem das Kind sitzt, auf einmal angepullert fühlt, obwohl da (noch) nichts ist, und das Kind es dann erleichtert laufen lässt wenn man es daraufhin abhält, dann muss man einfach glauben dass Intuition funktioniert. Dann hört man auf das kleine Stimmchen im Ohr, das plötzlich sagt: "Sie muss mal!". Und wenn man dann auch reagiert und nicht denkt: "Sie hatte doch eben erst gepullert", oder "Ich mache schnell nur das hier zuende" - dann ist es eine gut funktionierende Methode, und zu Streikzeiten meist die einzige. Denn wenn das Baby gerade krabbeln lernt, oder greifen, oder sprechen, oder laufen... - dann ist das Pullern- oder Kackern-Müssen meist eine lästige Ablenkung vom eigentlich Wichtigen und kein Signal wert.
8. nachts: Gerade nachts im Bett ist Abhalten sinnvoll, wenn das Baby sich sonst stundenlang hin- und herwälzen würde, weil es zwar muss, der Schlaf aber stärker als der Druck der Blase ist. Wenn dann der Druck übermächtig wird, erschwert der Schmerz (bei Jungen zusätzlich der erigierte Penis) ein entspanntes Laufenlassen oft zusätzlich. Natürlich kann man trotz windelfrei tagsüber nachts Windeln verwenden oder das Baby auf eine Unterlage (z.B. ein Handtuch) pullern lassen, das man dann wechselt. Wem es aber zu dumm ist, erst mehr oder weniger langwierig das Baby dazu zu überreden in die Windel zu pullern, nur um danach doch aufzustehen um sie zu wechseln, der kann nächtliches Abhalten probieren (auch in Verbindung mit einer Sicherheitswindel). Dabei kann jedoch eine Wanderung ins Bad, meist verbunden mit Licht und langwierigem Ausziehen, kontraproduktiv sein. Wenn das Baby dabei nur schreit und alle Beteiligten erst richtig munter werden, ist eine geeignete KLeidung und ein Töpfchen neben dem Familienbett, auf das das Baby ohne große Umstände beim ersten Knöttern gesetzt oder über das es gehalten werden kann, sinnvoller. Ein Geheimtipp, wenn der Druck der Blase trotzdem zu schmerzhaft ist um sich zu entspannen, ist Stillen. Wenn dem Baby (erstmal) Hunger/Durst wichtiger sind und es sich durchstreckt, kann man es ja gegen Ende des Stillens nochmal versuchen, wenn man (z.B. aufgrund von Timing) weiss, dass es doch noch pullern muss. Wenn das Baby nachts kackern muss, sollte man vielleicht doch ins Bad gehen um es abzuhalten, aber dass müsste man bei einer vollen Windel ja auch.
9. Unterwegs abzuhalten ist manchmal ein Problem. Wie bei größeren Kindern auch sollte man versuchen, vorher nochmal alle pullern zu lassen. Bei langen Autofahrten kann man den Sitz schützen oder doch Windeln anziehen und öfter Pausen machen - auch auf Verdacht schnell kurz anhalten oder die nächste Abfahrt runter und es auf dem Töpfchen im Auto ausprobieren ist sinnvoll. Im Zug gibt es ja überall Toiletten. Wenn man sich traut und beim Einkaufen fragt, darf man auch in Läden oft das Klo benutzen. Manche Kinder sind aber sehr eigen und können ganz schlecht auf fremden Klos (wie manche Erwachsenen ja auch). Da nimmt man das gewohnte Töpfchen mit und kippt es aus oder in ein verschließbares Gefäß um. Manche Kinder lassen sich auch zum "Gießen eines Baumes oder Busches" überreden. Durch zweiteilige Anziehsachen ist das auch im Winter einfach und schnell gemacht. Ein Tragetuch, das so gebunden wird, dass das Baby schnell herausgehoben werden kann, ist dabei hilfreich, denn durch den Körperkontakt sind die Signale des Babys leichter zu verstehen. Alles in allem ist es eine faszinierende Art der
10. Kommunikation: das Kind tut etwas, ich reagiere, es reagiert wieder (oder umgekehrt), man versteht sich immer besser - und das schon bei Neugeborenen! Wie meine kleine Maus mit ihren 3 Tagen in der Abhaltehocke lospullerte... Apropos:
11. Haltungen: bei ganz kleinen Babys ist es wichtig, sie richtig sicher zu halten - Unsicherheit kann das Loslassen verhindern. Also z.B. an den Bauch oder die Brust gelehnt und mit beiden Armen die Oberschenkel und mit den Oberarmen noch den Kopf halten. Im Liegen strullern lassen birgt die Gefahr, dass meterweit alles nass wird (bei Mädchen wie bei Jungs) und beim Kackern im Liegen hilft die Schwerkraft nicht mit. Man kann allerhand ausprobieren: gemeinsam auf dem Klo sitzend - nach vorn oder nach hinten schauend, mit dem Gesicht zum Spiegel über das Waschbecken halten, am Badewannenrand, auf einem extra kleinen Töpfchen (Tierfutternäpfe, Teigschüsseln...) mehr oder weniger allein sitzend... Für den Rücken kann es sehr bequem sein, das Töpfchen auf die Wickelauflage zu stellen, aber da findet jeder etwas, was für ihn und das Kind passt - und auch hier ändern sich die Vorlieben.
Quellen:
Laurie Boucke: "TopfFit!: Der natürliche Weg mit oder ohne Windeln ", ISBN-13: 978-3937797113