Trunkenheit im Verkehr
Autor:innen: Lisa Schmidt
Notwendiges Vorwissen: Kenntnis der Prüfung abstrakter Gefährdungsdelikte; Vorwissen zu den anderen Straßenverkehrsdelikten §§ 315b ff. StGB, die zu § 316 StGB leges speciales sind, ist hilfreich.
Lernziel: Da § 316 StGB formell subsidiär zu den meisten anderen Straßenverkehrsdelikten ist, wird es in der typischen Klausur eher am Rande relevant. Wichtig ist dennoch, sich mit den unterschiedlichen BAK-Werten und deren Bedeutung im Gutachten auszukennen. Schwierigkeiten kann außerdem der Bezugspunkt des Vorsatzes bereiten.
In der Praxis hat § 316 StGB mit 40%[1] unter den Aburteilungen und Verurteilungen wegen Straftaten im Straßenverkehr eine hohe Relevanz, auch wenn die (abgeurteilten und verurteilten) Trunkenheitsfahrten in den letzten Jahren abgenommen haben. Obwohl § 316 StGB sämtliche Rauschmittel und neben dem Straßen- auch den Bahn-, Luft- und Schiffsverkehr umfasst, bleiben in Klausuren sowie in der Praxis die (alkoholbedingten) Trunkenheitsfahrten im Straßenverkehr die Regel. Aufgrund der mutmaßlich sehr hohen Dunkelziffer lässt sich zur tatsächlichen Verbreitung nur aufgrund von Dunkelfeldstudien sprechen.[2]
A. Rechtsgut und DeliktsstrukturBearbeiten
Anders als bei den §§ 315b, 315c StGB ist das geschützte Rechtsgut des § 316 StGB ausschließlich die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs.
Der öffentliche Verkehr meint den Straßen-, Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr. In Klausuren wird euch beinahe immer der Straßenverkehr begegnen.
Nach einer nur wenig vertretenen Meinung schützt § 316 StGB auch die Rechtsgüter Leben, Gesundheit und fremdes Eigentum.[3] Das lässt sich mangels Anknüpfung im Wortlaut allerdings nicht gut vertreten. Weil das geschützte Rechtsgut ein Kollektivrechtsgut ist, kann es auch keinen Ausschluss der Strafbarkeit bei absoluter Ungefährlichkeit im Einzelfall (diese Rechtsfigur ist evtl aus den Brandstiftungsdelikten bekannt) geben. Im Ergebnis würde das eine Gestaltung des § 316 StGB als konkretes Gefährdungsdelikt fordern[4], also dass der Tatbestand des § 316 StGB neben der Trunkenheitsfahrt auch den Eintritt einer konkreten Gefahr verlangen müsste. Hier hat sich der Gesetzgeber aber offensichtlich dagegen entschieden.
Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, der Tatbestand ist also schon beim Fahren im Zustand der Fahruntüchtigkeit erfüllt. Es ist damit explizit nicht der Eintritt einer konkreten Gefahr erforderlich, wie es zB bei einem "Beinahe-Unfall" der Fall wäre.
Nur so kann eine Präventionswirkung geschaffen werden.
§ 316 StGB ist außerdem – ebenso wie § 315c StGB – ein eigenhändiges Delikt, eine Zurechnung für eine Mittäterschaft oder mittelbare Täterschaft ist nicht möglich.
Weil § 316 StGB ein verhaltensgebundenes Delikt ist – für den objektiven Tatbestand braucht es nur das Fahren und eben nicht die Manifestation eines anderen Erfolgs oder Ereignisses – ist nach der BGH-Rechtsprechung keine actio libera in causa möglich.[5].
Zuletzt stellt die Trunkenheit im Verkehr eine Dauerstraftat dar.
B. Objektiver TatbestandBearbeiten
1. Führen eines FahrzeugsBearbeiten
Zunächst muss ein Fahrzeug geführt werden. Ein Fahrzeug wird definiert als Beförderungsmittel, das zum Transport von Menschen oder Sachen bestimmt ist. Das gilt unabhängig von seiner Antriebsart, also kann auch ein Fahrrad oder ein Segelboot ein Fahrzeug sein.[6] Voraussetzung ist, wie sich aus dem Wortlaut ableitet, dass es fahren kann, das Reiten eines Pferdes ist damit beispielsweise ausgeschlossen. Schwierig wird es natürlich bei Fortbewegungsmitteln, die nicht so alltäglich im Straßenverkehr herumfahren. Daher gilt: Die besonderen Fortbewegungsmittel gemäß § 24 I StVO gehören nicht zu den Fahrzeugen im Sinne von § 316 StGB.
Kompliziert ist, was unter „ähnliche“ in § 24 I StVO subsumiert werden soll. Inliner oder Skateboards werden unterschiedlich eingeordnet. Bei der Klausurbearbeitung kommt es vor allem auf das Problembewusstsein und die entsprechende Argumentation an.
Ein Fahrzeug führt, wer es – eigen- oder mitverantwortlich – in Bewegung setzt oder hält, dabei dessen Antriebskräfte bestimmungsgemäß anwendet oder die Fortbewegung des Fahrzeugs unter Handhabung der jeweiligen technischen Vorrichtungen ganz oder teilweise leitet. Wichtig ist also insbesondere, dass das Fahrzeug in Bewegung ist und vom Täter gesteuert wird. Ob das Fahrzeug sich mit Motorkraft oder aufgrund der Schwerkraft bewegt, ist unerheblich.[7] Im Stillstand wird das Fahrzeug nicht geführt.
Beispiele:
Ein Fahrzeug führt damit, wer beim Abschleppen Lenkung und Breme bedient.
Ein Motorrad ohne Motorkraft zu schieben oder lediglich mit angelassenem Motor auf der Stelle zu stehen, fällt nicht unter das Führen eines Fahrzeugs.
Ob Fahrlehrer:innen aufgrund ihrer technischen Eingriffsmöglichkeiten in das Fahrzeug als Fahrzeugführer zu qualifizieren sind, ist umstritten. Einige befürworten das aufgrund von § 2 XV S. 2 StVG, wieder andere sehen in derselben Norm den Gegenbeweis, der Fahrlehrer werde einem Fahrzeugführer nur im Rahmen des StVG gleichgestellt und eben nicht in anderen Gesetzen.[8]
2. im VerkehrBearbeiten
Mit Verkehr sind alle in den §§ 315 – 315d StGB geschützten Verkehrsarten gemeint. Unter § 316 StGB fallen allerdings nur Vorgänge im (faktisch) öffentlichen Verkehrsraum. Klausurrelevant ist natürlich besonders der Straßenverkehr.
Die Öffentlichkeit ergibt sich aus der faktischen Zugänglichkeit; Eigentumsverhältnisse oder Widmungen spielen hier keine Rolle. Sobald eine Fläche für jedermann zugänglich ist und von der Allgemeinheit (im Sinne eines unbestimmten Personenkreises) tatsächlich benutzt wird, gehört sie zum öffentlichen Verkehrsraum.
Öffentlich sind damit auch Parkplätze von Geschäften, Parkhäuser, Fußgängerbereiche oder Straßen in einem zwar abgezäunten, aber auch für Besucher:innen zugänglichen Komplex.
3. im Zustand der FahruntüchtigkeitBearbeiten
Ein Fahrzeugführer ist „fahruntüchtig“ (fahrunsicher), wenn seine Gesamtleistungsfähigkeit "infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer oder körperlicher Ausfälle so weit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern".[9] Bei § 316 StGB kann die Fahruntüchtigkeit nur durch berauschende Mittel wie Alkohol, Drogen oder Medikamente erreicht werden (anders dagegen bei § 315c I Nr. 1b StGB). Wie das Wort „infolge“ in § 316 StGB anzeigt, muss der Konsum jedenfalls mitursächlich für die Fahruntüchtigkeit sein.
Alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit Entscheidend für die Fahruntüchtigkeit ist die Blutalkoholkonzentration (BAK).
In der Klausur wird die BAK meist angegeben.
In der Praxis wird die BAK zum Zeitpunkt der Blutprobe bestimmt und für den Tatzeitpunkt zurückgerechnet. Die Rückrechnung erfolgt mit den für den Täter günstigsten Sicherheitszuschlägen und Abbauwerten. Die Kenntnis von Berechnungsschwierigkeiten wird erst im 2. Examen relevant.[10]
Es gibt die absolute und die relative Fahruntüchtigkeit. Beide reichen für eine Fahruntüchtigkeit iSv § 316 StGB aus, unterliegen aber unterschiedlichen Beweisanforderungen.
Die individuelle Fahruntüchtigkeit könnte in jedem Einzelfall eigentlich nur mit hohem Aufwand durch Gericht und Sachverständige festgestellt werden. Angesichts der Häufigkeit des Delikts ist das nicht realisierbar. Die Rechtsprechung hat für die Fortbewegungsmittel Kfz und Fahrrad, gestützt auf rechtsmedizinische Erkenntnisse, mit der absoluten und relativen Fahruntüchtigkeit Grenzwerte zur Handhabung in der strafrechtlichen Prüfung entwickelt.
Absolute Fahruntüchtigkeit Unabhängig von anderen Beweiszeichen gilt die Fahrzeugführerin, die eine BAK von über 1,1 Promille hat, als absolut fahruntauglich. Das ist auch unwiderlegbar, die betroffene Person hat also keine Möglichkeit eines Gegenbeweises.
Bei Autofahrer:innen liegt die BAK für die absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,1 Promille. Diese ergibt sich rechnerisch aus einem Grundwert von 1,0 und einem Sicherheitszuschlag von 0,1, um die Streubreite verschiedener Bestimmungsmethoden aufzufangen. Bei Radfahrer:innen liegt die BAK bei 1,6 Promille.
Besonderheiten ergeben sich beim sog. Sturztrunk und der darauffolgenden Anflutungsphase. Dort bleibt die BAK bei Tatzeit zwar noch hinter dem Grenzwert zurück, erreicht ihn aber danach. Bei einem solchen Sturztrunk wird der Körper mit Alkohol überflutet und die Leistungsfähigkeit ist bereits stark herabgesetzt, der Alkohol ist aber noch zu sehr im Körper verteilt, um ihn exakt zum Zeitpunkt der Blutprobe zu bestimmen (vgl. § 24 a I StVG). Auch hier wird eine absolute Fahruntüchtigkeit bejaht.
Ab einer BAK von 2,0 Promille kann für andere zu prüfende Delikte über § 21 StGB nachgedacht werden.
Relative Fahruntüchtigkeit Bei der relativen Fahruntüchtigkeit ist der jeweilige BAK-Wert nur ein Indiz, es müssen darüber hinaus noch weitere Indizien in Form von alkoholbedingten Ausfallerscheinungen hinzutreten. Solche alkoholbedingten Ausfallerscheinungen können Fahrfehler, Gangart, Aussprache oder das sonstige Verhalten der Person sein. Zu einer BAK von mind. 0,3 Promille müssen im Rahmen einer Gesamtwürdigung alkoholbedingte Ausfallerscheinungen hinzutreten, die insgesamt zu einer Bewertung der Fahrerin als fahruntüchtig führen.
Teilweise wird diskutiert, ob eine relative Fahruntüchtigkeit auch unter 0,3 Promille möglich ist. Dazu müssten die Ausfallerscheinungen aber schon sehr ins Gewicht fallen – s. Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. V, 3. Aufl. 2019, § 316 Rn. 66 m.w.N.
Für Drogen und andere berauschende Mittel existieren noch keine solchen festen Werte. Es sind also entsprechende Ausfallerscheinungen erforderlich, die sich auf die Fahreignung auswirken. Die Vorgehensweise entspricht hier tendenziell der bei der relativen Fahruntüchtigkeit.
C. Subjektiver TatbestandBearbeiten
Bei der Prüfung des Vorsatzes ist zu unterscheiden: Bzgl. des Führens eines Fahrzeugs ist immer Vorsatz erforderlich, bzgl. der Fahruntüchtigkeit (oder Fahrunsicherheit) unterscheidet § 316 StGB zwischen Vorsatz (Abs. 1) und Fahrlässigkeit (Abs. 2) → D.
Vorsätzlich im Sinne von § 15 StGB handelt, wer in Kenntnis der Umstände des objektiven Tatbestands handelt und deren Verwirklichung mindestens billigend in Kauf nimmt (Umkehrschluss aus § 16 I 1 StGB). Bzgl. § 316 I StGB bedeutet das, dass der Täter die Möglichkeit der Umstände für die spezifische Leistungsminderung (die Fahrunsicherheit) kennt und dennoch fährt. Wer sich trotz Kenntnis der Umstände (gemeint ist: trotz Kenntnis der Konsummenge und des Konsumzeitraums) dennoch für fahrsicher hält, unterliegt einem (unbeachtlichen) Subsumtionsirrtum. Es ist damit keine Kenntnis einer BAK-Grenze erforderlich, diese ist nicht Tatbestandsmerkmal.
In der Praxis sind diese Fälle naturgemäß sehr anfällig für Probleme in der Beweisführung. Bis zum ersten Staatsexamen muss es natürlich hinreichende Angaben im Sachverhalt geben. Aus einer hohen BAK allein kann nicht ohne weiteres auf vorsätzliches Handeln geschlossen werden. In der Subsumtion kommt es damit wie immer auf die tatsächlichen Umstände im Einzelfall an. Zu den Indizien können neben einem auffälligen Fahrstil (denkbar ist zu unvorsichtiges, aber auch auffällig vorsichtiges Fahren) die Konsummenge, der Einnahmezeitraum, aber auch Intelligenz und Selbstkritik der Fahrerin gehören.
Lediglich bei Kraftfahrer:innen haben sich in der Rechtsprechung teilweise gewisse Erfahrungssätze gebildet, jedenfalls ab einer BAK über 1,1 Promille.
Problematisch bei der Vorsatzbeurteilung ist natürlich, dass die Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten zu den typischen Auswirkungen von Alkohol zählt. In dubio pro reo berechtigt aber nicht schon zu Zweifeln, wenn der Täter formelhaft vorträgt, sich „fahrtüchtig gefühlt“ zu haben. Bei kräftigem Trinken in Fahrbereitschaft wird in der Regel zumindest bedingter Vorsatz vorliegen. Erst ab einer hohen BAK kann von Vorsatz bzw. dem Erkennen der eigenen Fahrunsicherheit nicht mehr ausgegangen, teilweise werden hier aber erst Werte um die 2 Promille vorgeschlagen. Hier wird tendenziell eher eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit gemäß § 316 II StGB zu prüfen sein, wie auch bei Verneinung des Vorsatzes.
D. Fahrlässigkeit, § 316 II StGBBearbeiten
§ 316 II StGB regelt die fahrlässige Trunkenheit im Verkehr. Der Täter hält sich also bewusst oder unbewusst fahrlässig für fahrtüchtig. Aufgrund der Deliktsstruktur als eigenhändiges Tätigkeitsdelikt ist Fahrlässigkeit bzgl. des Führens eines Fahrzeugs kaum möglich (ebenso bei § 315c I, III StGB). Aufgrund der allgemeinen Bekanntheit der Auswirkungen von Alkoholkonsum dürfte die Vorhersehbarkeit grds. gegeben sein. Ansonsten folgt die Prüfung von § 316 II StGB der üblichen Fahrlässigkeitsstruktur.
E. RechtswidrigkeitBearbeiten
Aufgrund des Rechtsguts von § 316 StGB – die Sicherheit des öffentlichen Verkehrs – kommt eine Rechtfertigung durch Notwehr oder Einwilligung nicht in Betracht. Eine Tat nach § 316 StGB kann sich (nach ganz überwiegender Auffassung, s.o.) nicht gegen ein Rechtsgut eines Angreifers richten und kann damit keine taugliche Verteidigungshandlung iSv § 32 StGB darstellen.
In Extremfällen kann eine Rechtfertigung gem. § 34 StGB in Betracht kommen. Zu denken wäre hier bspw. an eine (Trunkenheits-)Fahrt, um eine Entführung zu verhindern. In der Regel wird auch § 34 StGB jedoch zu verneinen sein, zum einen in der Erforderlichkeit, wenn mildere, ebenso effektive Mittel zur Verfügung stehen (Fahrt durch andere Personen, Krankenwagen, Taxi), oder in der Interessenabwägung.
F. SchuldBearbeiten
Bei jedweder Art von Konsum, insb. bei Alkoholisierung, kommt naturgemäß eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit jedenfalls in Frage und es könnten die §§ 20, 21 StGB zu erörtern sein.
Auch für §§ 20, 21 StGB haben sich BAK-Werte zur Orientierung entwickelt. Schuldunfähigkeit wird ab einer BAK von 3,0 Promille angenommen, verminderte Schuldfähigkeit ab 2,0 Promille. Für Tötungsdelikte liegt die Schwelle nochmal jeweils um 0,3 Promille höher.
Früher wurde in der Rechtsprechung auch oft die Rechtsfigur der actio libera in causa (alic) herangezogen, seit der Grundsatzentscheidung des BGH (BGHSt 42, 235), die eine alic für das Tätigkeitsdelikt ausschließt, ist das in der Praxis nicht mehr der Fall. Damit einhergehende Schwierigkeiten können gut über § 323a StGB, der als Auffangtatbestand dient, gelöst werden.
G. Täterschaft und TeilnahmeBearbeiten
1. TäterschaftBearbeiten
Da es sich bei § 316 StGB um ein eigenhändiges Delikt handelt, kann Täter nur sein, wer jedenfalls Teilfunktionen, die für die Bewegung des Fahrzeugs zuständig sind, selbst bedient. Eine mittelbare Täterschaft ist damit so gut wie ausgeschlossen. Eine Mittäterschaft kommt nur in Betracht, wenn jede Person als Fahrzeugführer anzusehen ist, also eine für die zielgerichtete Fortbewegung des Fahrzeugs im Verkehr notwendige Tätigkeit ausübt (beispielsweise wenn eine Person lenkt, die andere die Kupplung bedient). Eine Strafbarkeit durch Unterlassen wird in Ausnahmefällen diskutiert.
Teilweise wird mithilfe der Rechtsfigur der ommissio libera in causa – eine Rechtsfigur, die dem Täter vorwirft, sich im Vorhinein zur Wahrnehmung seiner Handlungsmöglichkeiten außerstande gesetzt zu haben[11] – eine Strafbarkeit durch Unterlassen (§ 13 StGB) befürwortet, wenn ein alkoholkranker Täter es in nüchternem Zustand unterlassen hat, sich seines Fahrzeugs zu entledigen. Dagegen wird aber eingewandt, dass einerseits die bloße Haltereigenschaft nicht zu einer Garantenstellung führen könne und andererseits so Täter bevorteilt würden, die im Zustand der Trunkenheit ein anderes als ihr eigenes Fahrzeug benutzen.[12] Dass diese Frage in einer Klausur kommen könnte, ist wohl eher unwahrscheinlich.
2. TeilnahmeBearbeiten
Für eine Teilnahme müsste eine (in der Praxis eher seltene) vorsätzliche Haupttat, also § 316 I StGB, vorliegen. Es müsste also sowohl einen seine Fahrunsicherheit zumindest für möglich haltenden und sich damit abfindenden Täter sowie einen Teilnehmer mit denselben Vorsatzgegebenheiten geben. Denkbar ist ein Anstifter, der den fahrunsicheren Täter zur Fahrt überredet oder einem fahrwilligen Täter Alkohol verabreicht (aufgrund der Beweisschwierigkeiten wird das in der Praxis wohl kaum vorkommen, für Klausuren ist es natürlich hypothetisch denkbar). Auch Beihilfe kommt in Betracht, zB durch Ausleihen des Fahrzeugs, sofern die Vorsatzvoraussetzungen erfüllt sind; bloßes gemeinsames Trinken stellt im Regelfall keine Beihilfe dar. Ebenfalls nachgedacht werden kann, im Fall eines Unfalls oder anderen Ereignisses, über die §§ 222, 229 StGB durch eine Gastgeberin oder andere Person, die den betrunkenen Täter ins Auto steigen sieht.
H. VersuchBearbeiten
Der Versuch einer Trunkenheitsfahrt iSv § 316 StGB ist nicht strafbar.
Es gab bereits Gesetzesentwürfe, um eine Versuchsstrafbarkeit einzuführen, der Gesetzgeber hat diese jedoch nicht umgesetzt. Dass der Versuch nicht strafbar ist, wird weiterhin kritisiert. Für eine Versuchsstrafbarkeit wird neben einem kriminalpolitischen Strafbedürfnis auch systematisch angeführt, dass der Versuch der Gefährdung des Straßenverkehrs in gewissen Fällen, darunter die Alkoholisierung, gemäß § 315c I Nr. 1, II StGB sehr wohl strafbar, dieser Fall mangels nachweisbaren Gefährdungsvorsatzes allerdings selten erfüllt sei. Gegen die Versuchsstrafbarkeit spricht auch die restriktive Handhabung der vorsätzlichen Vollendungsstrafbarkeit. Wenn bereits selten Vorsatz angenommen wird, so würde das auch für einen etwaigen Versuch gelten.[13]
I. StrafzumessungBearbeiten
Der Strafrahmen von Geldstrafe bis zu Freiheitsstrafe von einem Jahr ist sowohl für das Vorsatz- als auch für das Fahrlässigkeitsdelikt derselbe. Diese Gleichstellung ist nicht unumstritten, allerdings für das erste Staatsexamen nicht relevant. Natürlich kann dennoch bei der individuellen Strafzumessung die Strafe für die Vorsatztat schwerer ausgestaltet werden als die für die Fahrlässigkeitstat.
Die überwiegende Auffassung sieht in der Gleichstellung aufgrund der abstrakten Gefährlichkeit des Delikts kein Problem mit dem Schuldgrundsatz.[14] In der Praxis hat die Schuldform vielmehr Relevanz für die weiteren Maßnahmen. Neben der Strafhöhe kann sie auch darüber bestimmen, ob eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 II Nr. 2 StGB oder eine Sperrfrist nach § 69a StGB verhängt werden. Wichtig kann auch sein, dass die Rechtsschutzversicherung die Verfahrenskosten üblicherweise nur bei einer Fahrlässigkeitstat übernimmt.[15]
J. KonkurrenzenBearbeiten
Gem. § 316 I letzter Hs. StGB ist die Trunkenheit im Verkehr formell subsidiär ggü. §§ 315a, 315c StGB. Da mit "Tat" allein die Trunkenheitstat gemeint ist, sind nur die §§ 315a I Nr. 1, 315c I Nr. 1 StGB Qualifikationen. Mit § 315c I Nr. 2 StGB ist Tateinheit möglich.
Klausurhinweis: Aufgrund dieser Subsidiarität ist § 316 StGB erst nach den anderen in Frage kommenden Straßenverkehrsdelikten zu prüfen, bzw. ggf. nicht zu prüfen.
Weil § 316 StGB eine Dauerstraftat ist, ist das Delikt bereits mit dem Anfahren vollendet und erst dann beendet, wenn die Fahrt endgültig abgeschlossen ist oder die Fahrunsicherheit nicht mehr besteht.
Klausurhinweis: Bei Fahrtunterbrechungen ist deshalb genau auf den Zweck und die Fahrtabsicht zu schauen. So stellt eine Pause zum Tanken zum Zweck der Weiterfahrt keine für § 316 StGB relevante Unterbrechung dar.
Tatmehrheit gem. § 53 StGB ist möglich, wenn ein neuer Tatentschluss gefasst wird.
Beispiel: Das ist oft der Fall, wenn sich der Täter zu einer sog. Unfallflucht gem. § 142 StGB entschließt und darum weiterfährt.
Tateinheit gem. § 52 StGB ist insb. mit den §§ 315, 315a I Nr. 2, 315b StGB denkbar. Darüber hinaus stehen sämtliche Delikte, die innerhalb der Dauerdelikt-Phase verwirklicht, also aufgrund der Fahrt oder durch die Fahrt ermöglicht werden, in Tateinheit mit § 316 StGB. Häufig sind das die §§ 113, 142, 242, 323a StGB, Verletzungs- und Tötungsdelikte, § 21 StVG, Waffendelikte oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG).
Wissen für das zweite StaatsexamenBearbeiten
Im zweiten Staatsexamen werden auch Berechnungsmethoden zur Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration (BAK) sowie die dortigen Berechnungsschwierigkeiten relevant.
Weiterführende StudienliteraturBearbeiten
- Angesichts der nur bedingten Klausurrelevanz von Problemen im Rahmen von § 316 StGB sollte eines der gängigen Lehrbücher vollkommen ausreichen.
Zusammenfassung: Die wichtigsten PunkteBearbeiten
- Die BAK-Werte für die Annahme absoluter und relativer Fahruntüchtigkeit.
- Bei absoluter Fahruntüchtigkeit steht die Fahruntüchtigkeit unwiderlegbar fest, bei der relativen Fahruntüchtigkeit dagegen sind weitere Indizien erforderlich.
- Der Vorsatz muss sich nicht auf die BAK-Werte beziehen, sondern auf die Umstände, die die Fahruntüchtigkeit bewirken.
- Konkurrenzen: Nicht jede Unterbrechung der Fahrt führt zu Tatmehrheit gem. §§ 316, 53 I StGB.
- Gem. § 316 I letzter Hs. StGB ist § 316 StGB formell subsidiär.
FußnotenBearbeiten
- ↑ König, in: LK-StGB/Bd. XVII, 13. Aufl. (2021), § 316 Rn. 1; Strafverfolgungsstatistik (Hrsg. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden) Tabelle 2.1, abrufbar über www.destatis.de.
- ↑ vgl. Kazenwadel/Vollrath, in: Krüger: Das Unfallrisiko unter Alkohol, 1995, S. 115 ff. (123).
- ↑ Wolters, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2016), § 316 Rn. 2.
- ↑ Zieschang, in: NK-StGB, 5. Aufl. (2017), StGB § 316 Rn. 5 ff..
- ↑ BGHSt 42, 235.
- ↑ Fischer, StGB, 69. Aufl. (2022), § 316 Rn. 4.
- ↑ Hecker, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), StGB § 316 Rn. 19.
- ↑ siehe zum Streitstand: Wolters, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2016), § 316 Rn. 15; Fischer, StGB, 69. Aufl. (2022), § 316 Rn. 49a m.w.N..
- ↑ BGHSt 13, 83 (90); Ernemann, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, 5. Aufl. (2021), StGB § 316 Rn. 7.
- ↑ Vertiefend zur Berechnung siehe Pegel, in: MüKo-StGB, Bd. V, 3. Aufl. (2019), § 316 Rn. 77 ff. m.w.N..
- ↑ Bosch, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. (2019), StGB Vorb. zu §§ 13 ff. Rn. 144.
- ↑ Wolters, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2016), § 316 Rn. 11.
- ↑ König, in: LK-StGB/Bd. XVII, 13. Aufl. (2021), § 316 Rn. 228.
- ↑ König, in: LK-StGB/Bd. XVII, 13. Aufl. (2021), § 316 Rn. 181.
- ↑ Wolters, in: SK-StGB, 9. Aufl. (2016), § 316 Rn. 16.