Kern einer linearen Abbildung – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

Der Kern einer linearen Abbildung enthält die Informationen, die unter der Abbildung verloren gehen. Mit dem Kern lässt sich die Injektivität von linearen Abbildungen charakterisieren. Er spielt außerdem eine zentrale Rolle beim Lösen linearer Gleichungssysteme.

Einführung Bearbeiten

Wir haben spezielle Abbildungen zwischen Vektorräumen kennengelernt, sogenannte lineare Abbildungen. Sie sind strukturerhaltend; das heißt, sie vertragen sich mit der Addition und der skalaren Multiplikation eines Vektorraums. Wir können uns eine lineare Abbildung von   nach   deshalb als etwas vorstellen, das die Vektorraumstruktur von   nach   transportiert.

Einleitende Beispiele Bearbeiten

Wir betrachten zwei Konten, die jeweils den Kontostand   bzw.   aufweisen. Diese Information können wir mit einem Vektor   beschreiben. Der Gesamtkontostand ist die Summe der beiden Kontostände. Wir können ihn ausrechnen, indem wir die Abbildung

 

anwenden. Diese Abbildung ist linear und transportiert daher die Vektorraumstruktur von   nach  . Dabei geht Information verloren: Man weiß nicht mehr, wie das Geld auf die Konten verteilt ist. Beispielsweise kann man die Einzelkontostände   und   nicht mehr unterscheiden, da sie beide auf denselben Gesamtkontostand   abgebildet werden. Insbesondere ist die Abbildung nicht injektiv. Dafür bekommen wir die Information, wie viel Geld insgesamt auf den Konten liegt.

 
Drehung der reellen Ebene um 90° gegen den Uhrzeigersinn

Wir betrachten als Nächstes die Abbildung

 

Anschaulich entspricht das einer Drehung des   um   Grad gegen den Uhrzeigersinn. Durch Rückgängigmachen dieser Drehung kann man aus jedem gedrehten Vektor in   den ursprünglichen Vektor zurückgewinnen. Formal gesprochen ist diese Abbildung ein Isomorphismus und es geht keine Information verloren. Insbesondere ist das Bild linear unabhängiger Vektoren wieder linear unabhängig (weil ein Isomorphismus injektiv ist, siehe den Artikel Monomorphismus) und das Bild eines Erzeugendensystems des   ist wieder ein Erzeugendensystem des   (weil ein Isomorphismus surjektiv ist, siehe den Artikel Epimorphismus).

Zuletzt betrachten wir wieder die Drehung, aber betten die gedrehte Ebene anschließend in den   ein:

 

Obwohl diese Abbildung nicht mehr bijektiv ist, geht hier genauso wie oben beim Transport der Vektorraumstruktur des   in den   keine Information verloren: Wie im vorherigen Beispiel werden wegen der Injektivität verschiedene Vektoren im   auf verschiedene Vektoren im   abgebildet. Auch lineare Unabhängigkeit von Vektoren bleibt erhalten. Allerdings wird ein Erzeugendensystem des   nicht auf ein Erzeugendensystem des   abgebildet. Zum Beispiel schickt die Abbildung die Standardbasis   auf  , was kein Erzeugendensystem des   ist. Die Eigenschaft einer Menge von Vektoren, ein Erzeugendensystem zu sein, hängt vom umliegenden Raum ab. Das ist bei der linearen Unabhängigkeit nicht der Fall; sie ist eine „intrinsische“ Eigenschaft von Mengen von Vektoren.

Herleitung Bearbeiten

Wir haben verschiedene Beispiele von linearen Abbildungen gesehen, die einen  -Vektorraum strukturerhaltend in einen anderen  -Vektorraum transportieren. Dabei ging unterschiedlich viel „intrinsische“ Information aus dem ursprünglichen Vektorraum (etwa Unterschiede von Vektoren oder lineare Unabhängigkeit) verloren. Das letzte Beispiel legt nahe, dass injektive Abbildungen solche intrinsischen Eigenschaften erhalten. Andererseits sehen wir: Wenn   nicht injektiv ist, dann gibt es Vektoren   mit  . In dem Fall geht also unter   der Unterschied   von   und   verloren. Die Differenz   ist wieder ein Element in  . Da   linear ist, können wir   umformulieren: Es gilt

 

Intuitiv ist   genau dann injektiv, wenn Unterschiede   von Vektoren unter   nicht verloren gehen (auf null abgebildet werden). Weil   strukturerhaltend ist, gilt für alle   und  : Wenn  , dann ist auch

 

Wenn der Unterschied von   und   unter   verloren geht, dann auch der von   und  . Genauso gilt für  : Ist   und  , so gilt auch

 

Also geht auch der Unterschied von   und   verloren. Die Unterschiede, die unter   verloren gehen, sind selbst Vektoren in  . Diese schickt   auf das Nullelement   von   und sie liegen damit in  . Umgekehrt lässt sich jeder Vektor   als Differenz   schreiben; das heißt, der Unterschied   zwischen   und dem Nullvektor geht unter   verloren. Das Urbild   misst genau, welche Unterschiede von Vektoren (wie viel „Information“) beim Transport von   nach   verloren geht. Unsere Überlegungen zeigen, dass   sogar ein Untervektorraum von   ist. Wir geben diesem Unterraum einen Namen: den Kern von  .

Definition Bearbeiten

Der Kern einer linearen Abbildung misst intuitiv, wie viel „intrinsische“ Information über Vektoren aus   (Unterschiede von Vektoren oder lineare Unabhängigkeit) beim Anwenden der Abbildung verloren geht. Der Kern ist das Urbild des Nullvektors.

Definition (Kern einer linearen Abbildung)

Seien   und   zwei  -Vektorräume und   linear. Dann nennen wir   den Kern von  .

In der Herleitung haben wir gesehen, dass der Kern einer linearen Abbildung von   nach   ein Untervektorraum von   ist. Wir beweisen es noch einmal ausführlich.

Satz (Der Kern ist ein Vektorraum)

Sei   eine lineare Abbildung zwischen den  -Vektorräumen   und  . Dann ist   ein Untervektorraum von  .

Beweis (Der Kern ist ein Vektorraum)

Um die Behauptung zu überprüfen, müssen wir vier Dinge zeigen:

  1.  
  2.  
  3. Für alle   gilt  .
  4. Für alle   und alle   gilt  .

Beweisschritt:  

Die erste Behauptung folgt direkt aus der Definition.

Beweisschritt:  

Da   linear ist, wissen wir, dass   gilt. Also ist  .

Beweisschritt: Für alle   gilt  .

Nun zeigen wir den dritten Punkt: Für alle   gilt

 

Damit ist auch   im Kern von  .

Beweisschritt: Für alle   und alle   gilt  .

Der vierte Schritt funktioniert analog zum dritten Schritt: Für alle   und alle   gilt

 

Das heißt, dass  .

Beispiele Bearbeiten

Wir bestimmen den Kern der Beispiele aus der Einleitung.

Vektor wird auf die Summe der Einträge abgebildet Bearbeiten

Wir betrachten die Abbildung

 

Der Kern von   besteht aus den Vektoren   mit  , also  . Mit anderen Worten ist

 

Damit ist der Kern von   ein eindimensionaler Untervektorraum von  . Allgemeiner können wir für   die Abbildung

 

betrachten. Wieder liegt ein Vektor   per Definition genau dann im Kern von  , wenn   gilt. Wir können   also frei wählen und setzen dann  . Damit ist

 

Somit ist der Kern von   ein  -dimensionaler Unterraum von  . Man sagt auch, er ist eine Hyperebene im  .

Rotation im   Bearbeiten

Wir betrachten die Rotation

 

Angenommen   liegt im Kern von  , d.h. es gilt

 

Daraus folgt  . Also liegt nur der Nullvektor im Kern von   und es ist  .

  wird gedreht in den   eingebettet Bearbeiten

Als nächstes betrachten wir

 

Wie im vorherigen Beispiel bestimmen wir den Kern, indem wir einen beliebigen Vektor   wählen. Es gilt also

 

Wieder folgt  , sodass auch für diese Abbildung   gilt.

Ableitung von Polynomen Bearbeiten

Zum Schluss betrachten wir eine Abbildung, die nicht in der Einleitung vorkam: die Abbildung

 

die ein reelles Polynom auf seine Ableitung abbildet. Das heißt, ein Polynom

 

mit Koeffizienten   wird auf das Polynom

 

abgebildet. Anschaulich bestimmen wir zu   ein Polynom  , das in jedem Punkt die Steigung von   angibt. Aus dieser Information erfährt man noch, wie das Polynom „aussieht“ (ähnlich wie bei einer Schablone). Wir wissen aber nicht mehr, wo genau es sich auf der  -Achse befindet, denn beim Ableiten geht die Information über den konstanten Teil des Polynoms verloren. Polynome, die eine Verschiebung entlang der  -Achse voneinander sind, können wir nach dem Ableiten nicht mehr unterscheiden. Zum Beispiel haben sowohl   als auch   die Ableitung  . Die Abbildung   bildet sie also auf dasselbe Polynom ab.

Der Kern von   enthält somit genau die konstanten Polynome:

 

Die Inklusion „ “ ist klar, denn die Ableitung eines konstanten Polynoms ist immer das Nullpolynom. Für die umgekehrte Inklusion „ “ betrachten wir ein beliebiges Polynom   und zeigen, dass es konstant ist. Es gilt   für ein   und gewisse Koeffizienten  . Wegen   gilt

 

und mit Koeffizientenvergleich folgt  . Also ist   konstant.

To-Do:

Sobald der Polynomring-Artikel geschrieben ist, auf den Koeffizientenvergleich darin verlinken

Kern und Injektivität Bearbeiten

In der Herleitung haben wir gesehen, dass eine lineare Abbildung genau dann Unterschiede von Vektoren erhält, wenn der Kern nur aus dem Nullvektor besteht. Wir haben dort auch gesehen, dass die Linearität impliziert: Eine lineare Abbildung ist genau dann injektiv, wenn der Unterschied von Vektoren nicht verloren geht. Wir haben also den folgenden Satz:

Satz (Zusammenhang zwischen Kern und Injektivität)

Seien   und   zwei  -Vektorräume und sei   linear. Dann ist   genau dann injektiv, wenn   ist. Insbesondere ist   genau dann injektiv, wenn  .

Zusammenfassung des Beweises (Zusammenhang zwischen Kern und Injektivität)

Für den Satz müssen wir zwei Richtungen zeigen:

  • Wenn   injektiv ist, dann ist  .
  • Aus   folgt, dass   injektiv ist.

Die erste Richtung können wir mit einem direkten Beweis zeigen. Für die andere Richtung müssen wir unter der Annahme   zeigen, dass für beliebige   und   mit   schon   folgt. Wenn wir Vektoren   mit   haben, was gilt dann für  ? Und was bedeutet das für  ? Für den „insbesondere“ Teil benutzen wir, dass nur Vektorräume der Form   die Dimension Null haben.

Beweis (Zusammenhang zwischen Kern und Injektivität)

Beweisschritt: Wenn   injektiv ist, dann ist  .

Nehmen wir zunächst an, dass   injektiv ist. Wir wissen bereits, dass   ist. Da   injektiv ist, kann kein anderer Vektor auf   abgebildet werden; schließlich bilden injektiven Funktionen maximal ein Argument auf einen Funktionswert ab. Damit ist  , denn der Kern ist als die Menge aller Vektoren definiert, die den Nullvektor treffen.

Beweisschritt: Aus   folgt, dass   injektiv ist.

Sei  . Um zu zeigen, dass   injektiv ist, betrachten wir zwei Vektoren   und   aus   mit  . Dann ist

 

Also ist  . Da wir   angenommen haben, folgt   und damit  . Somit gilt   für alle  . Dies ist genau die Definition dafür, dass   injektiv ist.

Beweisschritt:   ist genau dann injektiv, wenn   ist.

Wir haben schon gezeigt, dass   genau dann injektiv ist, wenn   ist. Es bleibt zu zeigen, dass dies äquivalent dazu ist, dass   ist. Der Kern von   ist ein Untervektorraum von  . Ein Untervektorraum von   ist genau dann gleich  , wenn seine Dimension Null beträgt. Also ist   genau dann injektiv, wenn  .

Alternativer Beweis (Zusammenhang zwischen Kern und Injektivität)

Man kann diesen Satz auch mit nur einer Kette von äquivalenten Aussagen zeigen:

 


Je größer der Kern ist, desto mehr Unterschiede zwischen Vektoren gehen verloren und desto „weniger injektiv“ ist die Abbildung. Der Kern ist damit ein Maß für die „Nicht-Injektivität“ einer linearen Abbildung.

Injektive Abbildungen und Untervektorräume Bearbeiten

In den einleitenden Beispielen haben wir vermutet, dass injektive lineare Abbildungen „intrinsische“ Eigenschaften von Vektorräumen erhalten. Das sind Eigenschaften, die nicht vom umliegenden Vektorraum abhängen: etwa die lineare Unabhängigkeit von Vektoren oder die Verschiedenheit von Vektoren. Die Eigenschaft, ein Erzeugendensystem zu sein, kann bei injektiven linearen Abbildungen verloren gehen, wie wir im Beispiel der gedrehten Einbettung von   in den   gesehen haben: Die Abbildung ist injektiv, aber die Standardbasis von   wird nicht auf ein Erzeugendensystem von   abgebildet.

Was genau bedeutet es, dass eine Eigenschaft einer Familie   von Vektoren nicht vom umliegenden Vektorraum   abhängt, also eine „intrinsische“ Eigenschaft von   ist? Oft wird für Eigenschaften von Vektoren aus   (zum Beispiel die lineare Unabhängigkeit) die Vektorraumstruktur von   benötigt, also die Addition und die skalare Multiplikation. Um Eigenschaften der Vektoren in   zu untersuchen, betrachten wir deshalb den kleinsten Unterraum von  , der diese enthält. Das ist gerade der von den Vektoren in   aufgespannte Unterraum  . Wir wollen eine Eigenschaft von   intrinsisch nennen, wenn sie nur von  , aber nicht von   abhängt.

Beispiel (Intrinsische und nicht intrinsische Eigenschaften)

Sei   ein Vektorraum und   eine Teilmenge von Vektoren.

  • Lineare Unabhängigkeit der Vektoren in   ist eine intrinsische Eigenschaft, denn die Definition der linearen Unabhängigkeit lässt sich auch in   überprüfen und braucht den umliegenden Vektorraum   nicht.
  • Verschiedenheit der Vektoren in   ist ebenfalls eine intrinsische Eigenschaft: Alles, was benötigt wird, um diese zu untersuchen, sind Vektoren   sowie ihre Differenz  .
  • Nicht intrinsisch ist dagegen die Eigenschaft von  , ein Erzeugendensystem von   zu sein: Es reicht nicht, nur   zu betrachten. Um zu entscheiden, ob die Familie   ein Erzeugendensystem von   ist, muss man   mit dem umliegenden Vektorraum   vergleichen.

Was haben intrinsische Eigenschaften einer Familie von Vektoren mit der Injektivität zu tun? Sei   eine lineare Abbildung. Angenommen,   erhält intrinsische Eigenschaften von Vektoren, das heißt: Hat eine Familie   eine gewisse intrinsische Eigenschaft, so hat auch ihr Bild   unter   diese Eigenschaft. Dann erhält   auch die Verschiedenheit von Vektoren, da dies eine intrinsische Eigenschaft ist. Das bedeutet: Sind   verschieden,  , so ist auch ihr Bild unter   verschieden,  . Also ist   injektiv.

Umgekehrt gilt: Ist   injektiv, dann ist   isomorph zu dem Unterraum   von  . Denn, indem wir die Abbildung   im Bild einschränken, erhalten wir eine injektive und surjektive lineare Abbildung  , also einen Isomorphismus. Insbesondere gilt für jede Familie   in  , dass der Unterraum   von   zu   isomorph ist. Letzterer hat damit dieselben Eigenschaften wie  . Somit erhält   intrinsische Eigenschaften von Teilmengen von  .

Wir haben also gesehen:   ist genau dann injektiv, wenn   intrinsische Eigenschaften von Teilmengen von   erhält.

Kern und lineare Unabhängigkeit Bearbeiten

Im vorherigen Abschnitt haben wir gesehen, dass injektive lineare Abbildungen   genau die linearen Abbildungen sind, die intrinsische Eigenschaften von   erhalten. Eine solche intrinsische Eigenschaft ist auch die lineare Unabhängigkeit einer Familie von Vektoren: Die Frage, ob gewisse Vektoren linear unabhängig sind, betrifft nur die Vektoren selbst und den Nullvektor.

Also sollten injektive lineare Abbildungen die lineare Unabhängigkeit von Vektoren erhalten, d. h. das Bild linear unabhängiger Vektoren ist wieder linear unabhängig. Umgekehrt kann eine lineare Abbildung nicht injektiv sein, wenn sie die lineare Unabhängigkeit von Vektoren nicht erhält, da die intrinsische Information „linear unabhängig sein“ verloren geht.

Insgesamt erhalten wir den folgenden Satz, welcher schon im Artikel zum Monomorphismus bewiesen wurde:

Satz (Injektive lineare Abbildungen erhalten lineare Unabhängigkeit)

Seien   und   zwei  -Vektorräume und   eine lineare Abbildung. Dann gilt   genau dann, wenn das Bild jeder linear unabhängigen Teilmenge von   wieder linear unabhängig ist.

Insbesondere ist für jede lineare Abbildung   der Vektorraum   ein  -dimensionaler Unterraum von  . Deshalb kann es im Endlichdimensionalen keine injektive lineare Abbildung von   nach   geben, wenn   gilt. Das wurde ebenfalls schon im Artikel zum Monomorphismus gezeigt.

Kern und lineare Gleichungssysteme Bearbeiten

Der Kern einer linearen Abbildung ist bei der Untersuchung von linearen Gleichungssystemen ein wichtiger Begriff.

Sei   ein Körper und  . Wir betrachten ein lineares Gleichungssystem

 

mit   Unbekannten   und   Zeilen. Es ist  , wobei   und  . Wir können dieses Gleichungssystem auch mithilfe der Matrixmultiplikation schreiben:

 

wobei  ,   und  . Die Lösungsmenge bezeichnen wir mit

 

Eine Lösung des linearen Gleichungssystems   für eine gegebene rechte Seite   zu bestimmen bedeutet, Urbilder von   unter der linearen Abbildung

 

zu finden.

To-Do:

Verlinken, wo die Abbildung "Matrizen mit einer gegebenen festen Matrix multiplizieren" untersucht wird? Insbes. wo erklärt wird, dass die linear ist. Evtl. auch zu dem Artikel, wo erklärt wird, wie man den Kern einer Matrix bestimmt (Gauß), wenn dieser geschrieben ist

Das Gleichungssystem   hat Lösungen, wenn das Urbild   nicht leer ist. In diesem Fall, können wir uns fragen, ob es mehrere Lösungen gibt oder ob die Lösung eindeutig ist. Mit anderen Worten, uns interessiert, wie viele Urbilder ein   unter   hat.

Per Definition der Injektivität gilt: Jeder Punkt   hat genau dann ein höchstens einelementiges Urbild, wenn die Abbildung   injektiv ist. Das bedeutet, dass das lineare Gleichungssystem   für jedes   höchstens eine Lösung hat, also  . Weil   linear ist, ist die Injektivität gleichbedeutend mit  . Wir können also schon festhalten:

Satz (Eindeutigkeit von Lösungen)

Sei   ein Körper und seien  ,   und  . Dann gilt

 

Hinweis

Die Lösungsmenge von   kann leer sein. Dies tritt zum Beispiel ein, wenn   die Nullmatrix und   ist. Folglich trifft der Kern keine Aussage über die Existenz von Lösungen, sondern nur über ihre Eindeutigkeit. Um etwas über die Existenz von Lösungen zu sagen, kann man das Bild von   betrachten.

Auch wenn   nicht injektiv ist, also   gilt, können wir mithilfe des Kerns noch Genaueres über das Aussehen der Lösungsmenge aussagen: Die Differenz zweier Vektoren   und  , die   auf denselben Vektor abbildet, liegt im Kern von  . Deshalb kann man das Urbild eines   unter   als

 

schreiben, wobei   ein beliebiges Element aus   ist. Das zeigt der folgende Satz:

Satz (Lösungsmenge von LGS und Kern)

Sei   ein Körper und seien  ,   und  . Sei   eine Lösung des linearen Gleichungssystems  . Dann gilt

 

Insbesondere ist eine Lösung   des Gleichungssystems genau dann eindeutig, wenn die von   induzierte lineare Abbildung   den Kern Null hat.

Beweis (Lösungsmenge von LGS und Kern)

Wir müssen die Gleichheit   beweisen. Dafür zeigen wir beide Teilmengenbeziehungen.

Beweisschritt:  

Sei  . Dann gilt  . Der einzig mögliche Kandidat für  , um die Gleichung   zu erfüllen, ist  . Weil

 

gilt, ist  .

Beweisschritt:  

Wir zeigen, dass   für jedes   gilt. Sei   beliebig. Dann gilt  . Weil   nach Annahme eine Lösung von   ist, folgt

 

Also ist   ebenfalls eine Lösung von   und liegt somit in der Menge  .

Wir haben damit die Aussage des obigen Satzes noch erweitert. Je größer der Kern von   ist, also je "weniger injektiv" die Abbildung   ist, desto „weniger eindeutig“ sind Lösungen von  , sofern welche existieren. Die Lösungsmenge eines linearen Gleichungssystems   ist der um eine partikuläre Lösung   verschobene Kern der induzierten linearen Abbildung  . Des Weiteren gilt

 

Die Lösungsmenge des homogenen Gleichungssystems   (das heißt mit rechter Seite Null) ist der Kern von  .

Hinweis

Wie beim vorherigen Satz wird keine Aussage darüber gemacht, ob für ein gegebenes   überhaupt Lösungen von   existieren. Der Kern charakterisiert nur die Eindeutigkeit.

Aufgaben Bearbeiten

Aufgabe (Injektivität und Dimension von   und  )

Seien   und   zwei endlichdimensionale Vektorräume. Zeige, dass es genau dann eine injektive lineare Abbildung   gibt, wenn   gilt.

Wie kommt man auf den Beweis? (Injektivität und Dimension von   und  )

Um die Äquivalenz zu beweisen, müssen wir zwei Implikationen zeigen. Für die Hinrichtung benutzen wir, dass jeder Monomorphismus   lineare Unabhängigkeit erhält: Ist   eine Basis von  , so sind die   Vektoren   linear unabhängig. Für die Rückrichtung müssen wir mithilfe der Annahme   einen Monomorphismus von   nach   konstruieren. Dafür wählen wir Basen in   und   und definieren dann mit dem Prinzip der linearen Fortsetzung einen Monomorphismus durch die Bilder der Basisvektoren.

Lösung (Injektivität und Dimension von   und  )

Beweisschritt: Es gibt einen Monomorphismus  

Sei   ein Monomorphismus und   eine Basis von  . Dann ist   insbesondere linear unabhängig und daher ist   linear unabhängig. Es folgt also, dass   ist. Somit ist   ein notwendiges Kriterium für die Existenz eines Monomorphismus von   nach  .

Beweisschritt:   es gibt einen Monomorphismus

Umgekehrt können wir im Fall   einen Monomorphismus konstruieren: Sei   eine Basis von   und   eine Basis von  . Dann ist  . Wir definieren eine lineare Abbildung  , indem wir

 

für alle   setzen. Nach dem Prinzip der linearen Fortsetzung existiert eine solche lineare Abbildung und ist durch diese Vorschrift eindeutig bestimmt. Wir zeigen nun, dass   injektiv ist, indem wir beweisen, dass   gilt. Sei  . Weil   eine Basis von   ist, gibt es   mit

 

Damit folgt

 

Da   linear unabhängig sind, muss   für alle   gelten. Also folgt für  :

 

Wir haben gezeigt, dass   gilt und somit ist   ein Monomorphismus.

Aufgabe

Sei die lineare Abbildung   gegeben. Bestimme den Kern von  .

Lösung

Wir suchen die Vektoren  , für die   gilt. Sei dafür   ein beliebiger Vektor in   für den   gilt. Wir untersuchen nun, welche Eigenschaften dieser Vektor hat. Es gilt

 

Also ist   und  . Daraus können wir schließen, dass   gelten muss. Mit anderen Worten erfüllt jeder Vektor   im Kern von   die Bedingung  . Nehmen wir jetzt einen Vektor   mit  . Dann gilt

 

Wir sehen  . Insgesamt gilt

 

Verständnisfrage: Kannst du dir   in der Ebene veranschaulichen? Wie sieht das Bild von   aus? Wie verhalten sie sich zueinander?

 
Der Kern von f

Wir haben schon gesehen, dass

 

Nun bestimmen wir das Bild von  , indem wir   auf die Standardbasis anwenden.

 

Also gilt  . Wir sehen, dass die beiden Vektoren linear abhängig sind. Das heißt, wir können das Bild mit nur einem Vektor erzeugen:  .

In unserem Beispiel sind Bild und Kern der Abbildung   Geraden durch den Ursprung. Die beiden Geraden schneiden sich nur in der Null und spannen zusammen den ganzen   auf.

Aufgabe

Sei   ein Vektorraum,  , und   eine nilpotente lineare Abbildung, d.h. es gibt ein   sodass

 

die Nullabbildung ist. Zeige, dass   gilt.

Gilt auch die umgekehrte Richtung, das heißt, ist jede lineare Abbildung   mit   nilpotent?

Lösung

Beweisschritt:   nilpotent  

Wir beweisen die Aussage durch Kontraposition. Das heißt wir zeigen: Ist  , dann ist   nicht nilpotent.

Sei  . Dann ist   injektiv, und als Verkettung injektiver Funktionen ist auch   injektiv. Mit vollständiger Induktion folgt, dass für alle   die Funktion   injektiv ist. Damit ist dann aber auch   für alle  . Da der Kern der Nullabbildung ist ganz   wäre, ist   für kein   die Nullabbildung. Folglich ist   nicht nilpotent.

Beweisschritt: Die umgekehrte Implikation

Die umgekehrte Implikation gilt nicht. Es gibt Abbildungen, die weder injektiv noch nilpotent sind. Zum Beispiel können wir

 

definieren. Diese Abbildung ist nicht injektiv, denn es gilt  . Sie ist aber auch nicht nilpotent, denn es ist   für alle  .