Traktorenlexikon: Ritscher

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Ritscher ist eine ehemalige deutsche Traktorenmarke der Moorburger Trecker Werke GmbH (MTW) bzw. später der Karl Ritscher GmbH. Ab 1920 bis in die 1960er Jahre wurden an verschiedenen Standorten in Hamburg und Umland ungefähr 8000 Ritscher-Schlepper gefertigt.

Ritscher 832 L Junior (Baujahr 1957)

Geschichte

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Die Schleppermarke Ritscher geht auf ein von Heinrich Wilhelm Ritscher (18??–1918) im 19. Jahrhundert (1874?[1]) gegründetes Familienunternehmen im Hamburger Stadtteil Moorburg zurück. Es handelte sich dabei um eine Werft mit Abwrackbetrieb. Die Werft bestand schon vor der Übernahme durch Ritscher.[1]

 
MTW-Logo

Karl Ritscher (*19. Februar 1896; † 18. Juni 1970), ein Sohn (oder Enkel?[1]) des Firmengründers, hielt sich von 1914 bis 1919 in den USA auf und arbeitete zur Finanzierung seines Ingenieurstudiums zeitweise bei Ford und der Cleveland Tractor Company (Cletrac).[2] Nach Ende des Ersten Weltkriegs kehrte er nach Hamburg zurück und begann dort in der Moorburger Werft mit der eigenen Traktorentwicklung.

Zunächst baute Karl Ritscher versuchsweise einen Kettenschlepper, der 1920 unter dem Namen „Panther“ vorgestellt wurde.[2] Die verbesserte „Graue Laus“ kam dann 1921 als erster von Ritscher verkaufter Schlepper zur Auslieferung. Ebenfalls 1921, nach dem Tod des Vaters im Jahr 1918, wurden die verschiedenen Unternehmensbereiche (Werft, Abwrackbetrieb, Schiffshandel, Schlepperbau) unter den erbenden Geschwistern Ritscher aufgeteilt.[2] Dabei verblieb die Unternehmensabteilung „Moorburger Trecker Werke“, kurz MTW, bei Karl Ritscher. Endgültig besiegelt wurde die Aufteilung 1928.[2] In den 1920er Jahren fertigten die MTW vorwiegend Kettenschlepper.

 
Dreirad-Schlepper Typ N (Baujahr 1937)

Die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg überstanden die Treckerwerke u.a. durch Rüstungsaufträge aus Berlin. Noch in der Vorkriegszeit (wann?) fing Ritscher an, Grabenreiniger herzustellen, und 1936 wurde mit dem „Typ N“ das erste Ritscher-Dreirad vorgestellt – eine damals in den USA verbreitete Konstruktionsform. Im Nationalsozialismus produzierte Ritscher vor allem Kettenlaufwerke für die Wehrmacht.[3] Dabei konnte das Unternehmen auf Erfahrungen mit den bereits vor dem Krieg entwickelten landwirtschaftlichen Kettenschleppern zurückgreifen.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges reichten die vorhanden Produktionsstätten in Moorburg nicht mehr aus. Bedingt durch die Rüstungsproduktion waren die Werke zudem Ziel von Fliegerangriffen. Karl Ritscher erweiterte sein Unternehmen um Werke in Harburg (1940–1942, wann genau?), Lüneburg (1942) und Sprötze (1943). Bis 1944 war ein wesentlicher Teil der Produktion ins Dorf Sprötze (heute ein Stadtteil von Buchholz in der Nordheide) verlagert worden.

Nach Kriegsende 1945 kam das teilweise als Rüstungsbetrieb eingestufte Unternehmen nur schleppend wieder in Gang. Regulär konnten erst ab 1948 wieder Grabenreiniger und Dreiradschlepper produziert werden. In den 1950er Jahren brachte Ritscher nach und nach eine komplett neue Vierrad-Schlepperreihe mit Motorleistungen bis 40 PS auf den Markt. 1954 wurde der erste Ritscher-Geräteträger vorgestellt. Diese vielseitig einsetzbare Schlepperreihe wurde „Multitrak“ bzw. „Multitrac“ genannt. Eine Besonderheit war außerdem, ebenfalls ab 1954, der Grabenreiniger „York“, der auf Grund seiner ungewöhnlich aussehenden Ponton-Bauweise auch „Schlick-Rutscher“[2] genannt wurde.

Das Nachlassen des Schlepperbooms, das Ende der 1950er Jahre/Anfang der 1960er Jahre einsetzte, hat Karl Ritscher offenbar rechtzeitig erkannt. 1961 verkaufte der 65-jährige Ingenieur seinen Betrieb an die Berliner Maschinenbau AG (vormals L. Schwartzkopff), die im Sprötzer Werk fortan Drehbänke, Setz- und Textilmaschinen baute.[2] Bis 1963 sollen noch einige Multitracs und bis 1970 sogar noch einige York-Grabenreiniger entstanden sein.[2]

Es wurden Schlepper mit folgenden Typenbezeichnungen vertrieben:

Die Übersicht ist eventuell noch unvollständig und kann vielleicht auch noch besser sortiert werden.

Kettenschlepper

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Ritscher-Kettenschlepper mit Anbaugerät zur Grabenreinigung

Der erste von Karl Ritscher versuchsweise auf der Werft gebaute Kettenschlepper war 1920 der „Panther“. Im Jahr darauf wurde eine verbesserte Version entwickelt, die „Graue Laus“ genannt wurde und der erste verkaufte MTW-Traktor war. Von 1924 bis 1931 wurden weitere MTW-Kettenschlepper „für Land- und Forstwirtschaft und Industrie“ gebaut, die unter den Modellbezeichnungen „M“, „E“, „D“ und „Dg“ angeboten wurden. 1942, bereits im Zweiten Weltkrieg, wurde mit dem „Ritscher R 50“ noch ein Kettenschlepper mit 50 PS leistendem Deutz-Motor fertiggestellt, der allerdings ein Prototyp blieb. Nach Kriegsende wurde die Produktion von Raupenschleppern nicht wieder aufgenommen.



Dreiräder

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Typ N (Baujahr 1937), Detailansicht Motorblock

Dreirädrige Schlepper zeichnen sich besonders durch ihre große Wendigkeit (d.h. einen geringen Wendekreis) aus. Anfang des 20. Jahrhunderts waren sie in den USA verbreitet, in Europa jedoch nur selten zu sehen. Das erste Ritscher-Dreirad, der „Typ N“, wurde 1936 vorgestellt und anschließend weiterentwickelt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs nahm Ritscher die Produktion von Dreiradschleppern mit neuen Modellen wieder auf. Sie wurde jedoch nach wenigen Jahren zugunsten der stärker nachgefragten Vierradschlepper eingestellt.

N 200/300

Vierradschlepper

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Der erste von Ritscher gebaute Vierradschlepper war 1941 der Typ „204“ mit 22/24-PS-Deutz-Motor. Im Jahr 1942 folgte der „G 25“ genannte Traktor mit Holzgasmotor, der aber Prototyp blieb. Nach Kriegsende entwickelte Ritscher dann – entsprechend der allgemeinen Nachfrage auf dem deutschen Schleppermarkt – diverse neue Modelle mit Motorleistungen zwischen 12 PS (Typ „512“) und 40 PS (Typ „540“ sowie Typ „936 Super“).

200/G 400 500 600 800/900

  • G 25 (anlegen) (1942;
    Prototyp mit Gas-Ottomotor)


  • Komet R 830 (anlegen) (1959–1961)
  • Komet R 830 Spezial (anlegen) (1959–1961)

Geräteträger

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Die Zahl der von 1954 bis 1963 gebauten Ritscher-Geräteträger wird auf etwa 2000 geschätzt. Das erste Modell „512 G“ hieß „Multitrak“, die weiteren ab 1955 gefertigten Modelle wurden dann „Multitrac“ genannt. Ende der 1950er Jahre kam noch der „Baumulti“, ein Geräteträger/Schlepper mit Kippmuldenaufbau hinzu.

Durch Zusammenarbeit mit Güldner und Deutz entstanden in Sprötze außerdem etwa 700 weitere Multitracs (Güldner Multitrac, Deutz Multitrac), die sich von den Ritscher-Multitracs quasi nur durch die firmentypisch anderen Farbgebungen und die Verwendung jeweils eigener Güldner- bzw. Deutz-Motoren unterschieden.

500 G D 20 Baumulti

Literatur

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  • Klaus Tietgens: Ritscher-Schlepper – Typen, Daten, Geschichte(n). Schwungrad-Verlag, 2009. ISBN 9783980318549.

Quellen und Anmerkungen

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  1. 1,0 1,1 1,2 vgl. Traktor Veteranen Freunde Club Hartberg: Nostalgie/Geschichtliches – Ritscher. 1.9.2004; darin: „Im Jahre 1874 übernahm Heinrich Wilhelm Ritscher in Moorburg/BRD eine Werft. Sein Enkel Karl Ritscher (…)“
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 freundederritscher.de: Die Geschichte der Moorburger Trecker Werke.
  3. vgl. Sonderkraftfahrzeuge der Wehrmacht
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  Commons: Ritscher-Traktoren – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikipedia: Moorburger Treckerwerke – enzyklopädische Informationen
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