Mittelwertsatz – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

Der Mittelwertsatz ist einer der zentralen Sätze der Differentialrechnung und besagt (grob gesprochen), dass die Steigung der Sekante zwischen zwei verschiedenen Punkten einer differenzierbaren Funktion irgendwo zwischen diesen beiden Punkten als Ableitung angenommen wird. So verknüpft der Mittelwertsatz die Sekantensteigung mit der Ableitung einer Funktion. Globale Eigenschaften, die mit Hilfe der Sekantensteigung ausgedrückt werden können, sind so mit Hilfe des Mittelwertsatzes auf Eigenschaften der Ableitung zurückführbar. Im Abschnitt „Schrankensatz“ werden wir eine nützliche Anwendung untersuchen. Weitere folgen dann in den Kapiteln „Kriterium für Konstanz und Monotoniekriterium“, „Ableitung und lokale Extrema“ und „Regel von L'Hospital“. Auch der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung basiert auf dem Mittelwertsatz.

Motivation Bearbeiten

Erklärung des Mittelwertsatzes und Beispiele (YouTube-Video vom YouTube-Kanal "MJ Education")

Wir haben uns bereits mit dem Satz von Rolle beschäftigt. Zur Wiederholung: Der Satz von Rolle besagt, dass es für jede stetige Funktion  , die in   differenzierbar ist und für die   gilt, ein Argument   geben muss, welches   erfüllt:

 
Skizze zum Satz von Rolle

Wie können wir diesen Satz für den Fall   verallgemeinern? Muss die Ableitung   für ein   auch einen bestimmten Wert annehmen? Zunächst fällt auf, dass   nicht zwangsläufig   sein muss:

 
Image 1 about the mean-value theorem

Überlegen wir uns nochmal, wie die Situation beim Satz von Rolle war. Zum einen ist die Steigung der Tangente an den Graphen von   in   gleich  . Zum anderen ist aber auch die Steigung der Sekante durch die beiden Randpunkte   und   von   gleich  , da   und damit   ist. Die Sekante zwischen den Punkten   und   und die Tangente im Punkt   liegen damit parallel:

 
figure 2 about mean-value heorem

Sei nun allgemeiner  . Betrachten wir die Sekantensteigung   zwischen den Punkten   und  . Diese ist ungleich Null und entspricht der mittleren Steigung von   im Intervall  . Fassen wir beispielsweise die Funktion als Ortsfunktion eines Autos in Abhängigkeit von der Zeit auf, so entspricht die mittlere Steigung der Durchschnittsgeschwindigkeit   des Autos in der Zeit von   bis  .

Wenn das Auto zum Zeitpunkt   schneller als   fährt (sprich: Die Ableitung   ist größer als die Sekantensteigung  ), so muss es bis zum Zeitpunkt   Zeiten gegeben haben, an denen es langsamer als   gefahren ist, sonst kann es die Durchschnittsgeschwindigkeit   nicht erreichen. Bei einem Beschleunigungs- oder Bremsvorgang nimmt das Auto alle Geschwindigkeiten zwischen Anfangs- und Endgeschwindigkeit an und springt nicht einfach von der Anfangs- auf die Endgeschwindigkeit (hier nehmen wir an, dass die Geschwindigkeitsfunktion stetig ist). Da das Auto mal schneller und mal langsamer als   war, muss es einen Zeitpunkt   geben, an dem es genau die Geschwindigkeit   hat. Analog können wir argumentieren, wenn das Auto zum Zeitpunkt   langsamer als   fährt. Für unsere Funktion   bedeutet das, dass es tatsächlich ein   geben muss mit  . Dies ist die Aussage des Mittelwertsatzes:

 
Image 3 about the mean-value theorem

Es scheint also ein   mit   zu geben. Diese Intuition wollen wir im Folgenden zu einem Satz formen und formal korrekt beweisen. In unserer Argumentation haben wir beispielsweise verwendet, dass die Ableitung stetig ist. Nun muss die betrachtete Funktion nicht stetig differenzierbar sein. Dass aber auch in diesem Fall der Mittelwertsatz erfüllt ist, werden wir im Beweis zeigen.

Mittelwertsatz Bearbeiten

 
Illustration zum Mittelwertsatz: Sei   eine Funktion, die auf   ableitbar ist. Die Sekante von   zwischen den Stellen   und   wird als Tangentensteigung an mindestens einer Stelle   angenommen.

Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung ist eine Verallgemeinerung des Satzes von Rolle und lautet wie folgt:

Satz (Mittelwertsatz)

Sei   eine stetige Funktion mit   und auf dem offenen Intervall   differenzierbar. Dann existiert ein   mit  .

Hinweis

Die Voraussetzungen, um den Mittelwertsatz anzuwenden, entsprechen denen des Satzes von Rolle, nur dass   nicht gelten muss. Die benötigten Prämissen müssen aus denselben Gründen wie beim Satz von Rolle zutreffen. Ebenso liefert der Mittelwertsatz lediglich eine Existenzaussage. Das   mit der besagten Eigenschaft existiert, kann in der Praxis aber oftmals nicht explizit bestimmt werden. Auch muss das   nicht eindeutig sein. In den folgenden Grafiken ist eine Funktion eingezeichnet, die die Sekantensteigung an zwei Stellen   und   annimmt:

 
Beispiel einer Funktion, die die Sekantensteigung zwischen a und b an zwei verschiedenen Stellen als Tangensteigung annimmt.

Ein Spezialfall sind lineare Funktionen   für   mit  . In diesem Fall ist   für alle  . Sprich: die Sekantensteigung wird überall als Tangentensteigung angenommen:

 
Special case of the mean-value theorem

Beweis Bearbeiten

Wie kommt man auf den Beweis? (Mittelwertsatz)

Wie oben schon erwähnt, wollen wir den Mittelwertsatz mit Hilfe des Satzes von Rolle beweisen. Dazu müssen wir aus der gegeben Funktion   eine Hilfsfunktion   so konstruieren, dass wir auf diese den Satz von Rolle anwenden können. Wir benötigen hierzu eine auf   stetige und auf   differenzierbare Funktion  . Zudem sollte   sein. Dann gilt mit dem Satz von Rolle   für ein  . Können wir außerdem die Hilfsfunktion so wählen, dass   ist, so folgt aus   die Gleichung  . Dies ist äquivalent zu  , also der Formel des Mittelwertsatzes. Die Funktion

 

besitzt die gewünschten Eigenschaften. Insbesondere ist

 

Die folgenden Grafiken illustrieren den Zusammenhang zwischen der Funktion   und der Hilfsfunktion  :

Beweis (Mittelwertsatz)

Sei   eine stetige Funktion mit   und auf   differenzierbar. Eine passende Hilfsfunktion   ist gegeben durch

 

  ist auf   stetig und auf   differenzierbar, da   nach Voraussetzung diese Bedingungen erfüllt und   eine Komposition aus   und dem Polynom ersten Grades   ist. Außerdem gilt

 

Nach dem Satz von Rolle existiert ein   mit  . Es wurde also ein   gefunden, das   erfüllt. Somit folgt die Behauptung des Mittelwertsatzes.

Äquivalenz von Mittelwertsatz und Satz von Rolle Bearbeiten

Der Mittelwertsatz und der Satz von Rolle sind sogar äquivalent. Um dies zu zeigen, müssen wir einerseits aus dem Mittelwertsatz den Satz von Rolle folgern und andererseits aus dem Satz von Rolle den Mittelwertsatz beweisen. Letzteres haben wir aber bereits im Beweis dieses Kapitels getan, sodass wir nur noch vom Mittelwertsatz auf den Satz von Rolle schließen müssen.

Sei   eine stetige Funktion mit   und auf   differenzierbar.   ist also eine Funktion, auf die der Mittelwertsatz anwendbar ist. Weiterhin gelte  , damit auch alle Voraussetzungen des Satzes von Rolle gegeben sind. Nach dem Mittelwertsatz existiert nun ein   mit  , denn mit   ist  . Es gibt also tatsächlich ein   mit  , was genau die Aussage des Satzes von Rolle ist. Damit sind der Mittelwertsatz und der Satz von Rolle äquivalent.

Übungsaufgabe Bearbeiten

Aufgabe (Aufgabe)

Sei   eine beliebige stetige, in   differenzierbare Funktion mit  . Welchen Wert muss die Ableitungsfunktion   auf jeden Fall annehmen?

Lösung (Aufgabe)

Da alle Prämissen des Mittelwertsatzes gegeben sind, ist dieser hier anwendbar. Deshalb existiert ein   mit  . Die Ableitungsfunktion muss also auf jeden Fall den Wert   annehmen.

Anwendung: Beweis von Ungleichungen Bearbeiten

Mit Hilfe des Mittelwertsatzes lassen sich häufig nützliche Ungleichungen beweisen. Der Trick dabei ist, zunächst den Mittelwertsatz auf eine Hilfsfunktion (die oftmals auf einer Seite der Ungleichung steht) anzuwenden. Anschließend schätzen wir dann den Ausdruck   passend ab.

Beispielaufgabe: Beweis einer Ungleichung Bearbeiten

Aufgabe (Beweis einer Ungleichung mit dem Mittelwertsatz)

Beweise, dass folgende Ungleichung für alle   gilt:

 

Beweis (Beweis einer Ungleichung mit dem Mittelwertsatz)

Wir wählen als Hilfsfunktion

 

Sei   beliebig. Die Funktion   ist als Komposition stetiger Funktionen auf   stetig und auf   differenzierbar. Nach dem Mittelwertsatz gibt es daher ein   mit

 

Nun können wir   abschätzen:

 

Damit gilt die Ungleichung:

 

Diese Ungleichung ist äquivalent zu der zu beweisenden Behauptung

 

Ungleichung zum Logarithmus Bearbeiten

 
Für alle   ist die Ungleichung   erfüllt.

Aufgabe (Ungleichung zum Logarithmus)

Zeige mit Hilfe des Mittelwertsatzes, dass folgende Ungleichung für alle   erfüllt ist:

 

Wie kommt man auf den Beweis? (Ungleichung zum Logarithmus)

Für die Ungleichung   gilt

 

Der Ausdruck   entspricht dem Differenzenquotienten   im Mittelwertsatz angewendet auf die Funktion  . Es gibt also ein   mit  . Wenn wir   abschätzen können, so sind wir am Ziel. Nun ist   und mit   für   können wir die Ungleichung   beweisen. Schauen wir uns nun die fehlende Ungleichung   an:

 

Wieder erscheint der Differenzenquotient   welcher nach dem Mittelwertsatz gleich einer Ableitung   für ein   ist. Nun ist   und damit können wir die fehlende Ungleichung   beweisen.

Beweis (Ungleichung zum Logarithmus)

Sei   beliebig. Wir definieren   durch  . Dann ist   stetig auf dem kompletten Definitionsbereich   und ist auf   differenzierbar. Damit ist der Mittelwertsatz anwendbar. Nach diesem existiert ein   mit

 

Beweisschritt:  

Wegen   ist

 

Beweisschritt:  

Wegen   ist

 

Hinweis

Die Ungleichung lässt sich für alle   erweitern. Für   gilt

 

Ist nun  , so gibt es ein   mit  . Damit gilt dann

 

sowie

 

Dabei haben wir für die Abschätzungen die beiden oben bewiesenen Ungleichungen verwendet. Also gilt für alle  :

 

Anwendung: Der Schrankensatz Bearbeiten

Definition und Beweis des Schrankensatzes Bearbeiten

Satz (Schrankensatz)

Sei   stetig und in   differenzierbar. Weiter sei die Ableitungsfunktion   beschränkt. Dann gibt es mit   ein  , sodass   für alle   gilt. Insbesondere gilt die Abschätzung, falls   auf   stetig differenzierbar ist.

Beweis (Schrankensatz)

Seien   beliebig gewählt mit  . Schränken wir nun den Definitionsbereich von   auf   ein, so bleiben Stetigkeit und Differenzierbarkeit erhalten. Der Mittelwertsatz ist anwendbar. Also gibt es ein   mit  .

Da nach Voraussetzung   beschränkt ist, existiert  . Für dieses   gilt   für alle  . Somit ist  . Dies ist äquivalent zur Behauptung.

Wenn   stetig differenzierbar auf   ist, so besitzt die stetige Ableitungsfunktion ein Maximum und Minimum. Sie ist damit beschränkt und der Satz kann dann auch für diese Funktion angewandt werden.

Lipschitz-Variante des Schrankensatz Bearbeiten

 
Lipschitz-Variante des Schrankensatz: Eine differenzierbare Funktion mit beschränkter Ableitung ist Lipschitz-stetig, wobei als Lipschitz-Konstante das Supremum der Ableitungsbeträge gewählt werden kann.

Die Ungleichung   für alle   besagt, dass   Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante   ist. Daher können wir den Schrankensatz auch folgendermaßen formulieren:

Satz (Lipschitz-Variante des Schrankensatz)

Sei   stetig und auf   differenzierbar. Weiter sei die Ableitungsfunktion   beschränkt. Dann ist   Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante  . Insbesondere ist jede auf   stetig differenzierbare Funktion   Lipschitz-stetig.

Beispiel (Lipschitz-Stetigkeit von Sinus und Cosinus)

  und   sind stetig und differenzierbar auf  . Außerdem sind deren Ableitungen beschränkt, da für alle   gilt:

 

Damit sind die beiden Funktionen Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante  . Insbesondere gelten für alle   die Abschätzungen

 

und

 

Verständnisfrage: Die Umkehrung des Schrankensatzes lautet: „Sei   stetig und in   differenzierbar. Weiter sei   Lipschitz-stetig. Dann ist die Ableitungsfunktion   beschränkt.“ Ist diese Aussage richtig?

Ja, diese Aussage stimmt ebenfalls. Da   differenzierbar ist existiert für jedes   der Grenzwert

 

Da   Lipschitz-stetig ist, gibt es für alle   ein   mit

 

Mit der Stetigkeit der Betragfunktion und den Grenzwertsätzen gilt damit

 

Also ist   beschränkt.

Praxis: Geschwindigkeitskontrolle mit Lichtschranken Bearbeiten

 
Abbildung einer Lichtschranke

Der ein oder andere, der schon einmal geblitzt worden ist, ist unbewusst mit dem Mittelwertsatz in Berührung gekommen. Zumindest wenn es sich um einen Blitzer Lichtschranken-Technik gehandelt hat. Stell dir vor, du fährst mit dem Auto auf einer Landstraße. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt  . Die zurückgelegte Strecke deines Autos ist durch die differenzierbare Ortsfunktion   gegeben, die von der Zeit   abhängt. Dabei entspricht die Ableitung der Ortsfunktion zum Zeitpunkt   der momentanen Geschwindigkeit, d.h.  . Bei einer Geschwindigkeitsmessung mit Lichtschranken durchfährt man zwei Lichtschranken, die an zwei festen Streckenpunkten   und   platziert sind. Passierst man die beiden Lichtschranken zu den Zeitpunkten   und  , so beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen diesen beiden Messpunkten

 

Da die Ortsfunktion   die Voraussetzungen des Mittelwertsatzes erfüllt, gibt es einen Zeitpunkt   mit

 

Die gemessene Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen den beiden Schranken muss man also mindestens zu einem Zeitpunkt gefahren sein. Ist nun  , wobei   eine gewisse Toleranzgrenze ist (üblicherweise 3%), so wird man geblitzt und zur Kasse gebeten!   Um Fehlmessungen zu vermeiden, werden in der Praxis mehr als zwei Lichtschranken verwendet und mehr als eine Messung durchgeführt. Das Prinzip bleibt aber dasselbe. Eine weitere Technik zur Geschwindigkeitsmessung beruht im Übrigen auf dem Doppler-Effekt und verwendet ein Radar zur Ermittlung der Geschwindigkeit.

Zweiter Mittelwertsatz Bearbeiten

Es gibt eine weitere Variante des Mittelwertsatzes, welcher zweiter oder auch verallgemeinerter Mittelwertsatz genannt wird. Deswegen wird der „normale“ Mittelwertsatz auch erster Mittelwertsatz genannt. Wir werden sehen, dass auch der zweite Mittelwertsatz aus dem Satz von Rolle folgt. Für die zweite Variante benötigen wir neben unserer Funktion   noch eine Funktion  , die ebenfalls die Voraussetzungen des Mittelwertsatzes erfüllt. Der zweite Mittelwertsatz ist nützlich, da sich aus ihm die Regel von L'Hospital herleiten lässt.

Satz und Beweis Bearbeiten

Satz (Zweiter Mittelwertsatz)

Seien   zwei stetige Funktionen, die auf   differenzierbar sind. Weiter sei   für alle  . Dann ist   und es existiert ein   mit

 

Beweis (Zweiter Mittelwertsatz)

Angenommen es gilt  , so gibt es nach dem Satz von Rolle ein   mit  . Dies widerspricht der Voraussetzung des Satzes, dass für alle   die Ungleichung   gilt und so muss   gelten. In Analogie zur Hilfsfunktion aus dem Beweis zum Mittelwertsatz, wählen wir hier die Hilfsfunktion

 

Diese ist auf   stetig und auf   differenzierbar, als Komposition stetiger bzw. differenzierbarer Funktionen. Außerdem gilt  . Damit ist der Satz von Rolle anwendbar, und es gibt ein   mit

 

Dies ist äquivalent zu  .

Aufgabe zum zweiten Mittelwertsatz Bearbeiten

Aufgabe (Gegenbeispiel zum zweiten Mittelwertsatz)

Betrachte die Polynomfunktionen

 

Zeige, dass kein   existiert mit

 

Wie verträgt sich dieses Ergebnis mit dem zweiten Mittelwertsatz?

Lösung (Gegenbeispiel zum zweiten Mittelwertsatz)

Es gilt

 

Andereseits ist für alle  :

 

Damit muss stets   für alle   sein. Nun muss für den zweiten Mittelwertsatz die Voraussetzung   für alle   erfüllt sein. Es ist   auf   stetig und folgende Ungleichungen gelten:

 

und

 

Nach dem Zwischenwertsatz gibt es daher ein   mit  . Also sind die Voraussetzungen des zweiten Mittelwertsatzes nicht erfüllt, und dieser kann somit hier nicht angewandt werden.

Bemerkungen Bearbeiten

Bemerkung 1: Offensichtlich erhalten wir für   den ersten Mittelwertsatz aus dem Zweiten. Den Zweiten haben wir aber aus dem Satz von Rolle gefolgert. Da der erste Mittelwertsatz und der Satz von Rolle äquivalent sind, folgt also auch der zweite Mittelwertsatz aus dem Ersten. Die beiden Mittelwertsätze sind daher äquivalent.

Bemerkung 2: Lassen wir die Voraussetzung   für alle   weg, so gilt der zweite Mittelwertsatz immer noch in der Form

 

Verständnisfrage: Warum gilt der zweite Mittelwertsatz auch in dieser allgemeineren Form?

Angenommen, es gibt (mindestens) ein   mit  . Gilt außerdem  , so gibt es mit dem Satz von Rolle ein   mit  , und auf beiden Seiten der Gleichung steht Null. Gilt  , so funktioniert der Beweis analog zu dem oben mit der Hilfsfunktion  .

Übersicht der Folgerungen aus den Mittelwertsätzen Bearbeiten

In der Einleitung hatten wir schon erwähnt, dass sich aus den Mittelwertsätzen zahlreiche wichtige Resultate folgern lassen.

  • Wir haben den Schrankensatz für differenzierbare Funktionen mit beschränkter Ableitung bewiesen. Mit diesem lässt sich die Lipschitz-Stetigkeit zahlreicher Funktionen beweisen.
  • Eine weitere praktische Folgerung ist das Kriterium für Konstanz. Dieses besagt, dass eine Funktion konstant ist, falls   ist (Die Ableitung ist konstant Null). Damit können wir den Identitätssatz der Differentialrechnung herleiten. Dieser sagt aus, dass sich zwei Funktionen mit identischer Ableitung lediglich um eine Konstante unterscheiden. Er ist ein wesentlicher Bestandteil des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung. Eine weitere Konsequenz aus dem Kriterium für Konstanz ist die Charakterisierung der Exponentialfunktion über die Differentialgleichung  .
  • Ebenso lässt sich mit dem Mittelwertsatz das Monotoniekriterium für differenzierbare Funktionen beweisen. Dieses stellt einen Zusammenhang zwischen dem Monotonieverhalten der Funktion und dem Vorzeichen der Ableitungsfunktion her. Genauer ist   genau dann monoton steigend (bzw. fallend), falls   (bzw.  ) ist. Daraus kann man ein hinreichendes Kritrerium für die Existenz eines Extremums einer Funktion in einem Punkt herleiten.
  • Aus dem zweiten Mittelwertsatz können die Regeln von L'Hospital gefolgert werden. Mit deren Hilfe lassen sich zahlreiche Grenzwerte von Quotienten zweier Funktionen mit Hilfe der Ableitung berechnen.

Die aufgeführten Punkten sind im folgenden Übersichtsdiagramm zusammengefasst:

 
diagramm about the corollars of the mean value theorem