Regel von L'Hospital – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“
Als letzte Anwendung des Mittelwertsatzes, genauer gesagt des zweiten Mittelwertsatzes, wollen wir die Regel von L’Hospital herleiten. Diese stellt eine praktische Möglichkeit dar, den Grenzwert einer Quotientenfunktion durch separates Ableiten von Zähler und Nenner zu bestimmen. Benannt ist die Regel nach dem französischen Mathematiker Guillaume François Antoine L’Hospital, sie stammt allerdings von dem Schweizer Mathematiker Johann Bernoulli.
Sei und mit oder mit . Seien differenzierbare Funktionen und gelte für alle . Weiter existiere der Grenzwert . Zudem gelte eine der beiden Aussagen:
und
.
Dann gilt .
Beweis (Regel von L’Hospital)
Wir betrachten zunächst den ersten Fall mit . Wegen und können wir die Funktionen und stetig fortsetzen. Wir erhalten die Funktionen mit und für alle . Weiter setzen wir und .
Wir betrachten nun eine beliebige Folge , die gegen konvergiert. Da die Funktionen und stetig sind, können wir den verallgemeinerten Mittelwertsatz anwenden. Es gibt also eine Folge , so dass für alle gilt bzw. und
Somit folgt
Da dies für jede beliebige Folge gilt, folgt insgesamt .
To-Do:
2. Fall
Nun betrachten wir den Fall . Dazu definieren wir die Hilfsfunktionen Dabei wählen wir ein mit für bzw. für . Wir setzen bzw. . Für alle setzen wir und .
Wir betrachten im Folgenden nur den Fall , da der Beweis für analog geht. Es gilt:
Wir können also die Regel von L’Hospital für den Fall , den wir bereits bewiesen haben, anwenden. Es gilt:
Zunächst behandeln wir die Typen, bei denen sich die Regeln direkt anwenden lassen.
Beispiel (Bestimmung von Grenzwert L’Hospital 1)
Als erstes wollen wir den „Klassiker“
berechnen. Es gilt . Außerdem sind und auf differenzierbar, und es gilt . Da weiter
existiert, gilt mit dem Satz von L’Hospital ebenfalls
Im Allgemeinen schreiben wir dies nicht so ausführlich auf. Wir überprüfen die Voraussetzungen im Kopf, und schreiben das Ergebnis wie folgt auf:
Hinweis
Mit der Regel von L’Hospital lässt sich der Grenzwert sehr einfach als „Einzeiler“ berechnen. Wir weisen allerdings darauf hin, dass wir bei der Anwendung der Regel die Ableitung
verwendet haben. Für die Berechnung dieser wurde also genau dieser Grenzwert benötigt. Da wir die Ableitungen der Grundfunktionen allerdings als bekannt voraussetzen, wenn sie einmal berechnet sind, stellt dies kein Problem dar.
Aufgabe (Bestimmung von Grenzwerten mit L’Hospital)
Bestimme die folgenden Grenzwerte:
Lösung (Bestimmung von Grenzwerten mit L’Hospital)
Teilaufgabe 1:
Teilaufgabe 2:
Beispiel (Bestimmung von Grenzwert L’Hospital 2)
Als nächstes bestimmen wir
Es gilt . Da auch die anderen Voraussetzungen zum Satz von L’Hospital erfüllt sind, gilt
Dieser Grenzwert lässt sich für verallgemeinern zu
Aufgabe (Bestimmung von Grenzwert mit L’Hospital 2)
Bestimme für den Grenzwert
Lösung (Bestimmung von Grenzwert mit L’Hospital 2)
Es gilt
Manchmal ist es auch notwendig die Regeln von L’Hospital mehrmals hintereinander anzuwenden, bevor wir zum gewünschten Ergebnis gelangen.
Beispiel (Bestimmung von Grenzwert L’Hospital 3)
Als nächstes bestimmen wir
Es gilt . Wenden wir L’Hospital an, so erhalten wir
Nun gilt wieder . Wenden wir L’Hospital erneut an, so erhalten wir schließlich
Also gilt insgeamt
Aufgabe (Bestimmung von Grenzwerten mit L’Hospital 3)
Bestimme für die Grenzwerte
Lösung (Bestimmung von Grenzwerten mit L’Hospital 3)
Hier sind die Regeln von L’Hospital nicht unmittelbar anwendbar. Der „Trick“ ist es daher durch Kehrwertbildung einen Bruchterm zu erzeugen, und so einen Grenzwert in der Standardform oder zu erhalten.
Beispiel (Bestimmung von Grenzwert mit L’Hospital 4)
Das Standardbeispiel zu diesem Fall ist der Grenzwert
Es gilt und . Nun erhalten wir durch Kehrwertbildung
Da gilt , ist L’Hospital anwendbar, und wir erhalten
Warnung
Zwar führt die Umformung
auf einen Ausdruck der Form . Jedoch erhalten wir hier durch Anwendung der Regel von L’Hospital
Dieser Ausdruck ist nun wieder vom Typ , hat jedoch eine kompliziertere Form als der Ursprüngliche. Der Trick führt also nicht immer zum Erfolg! :-(
Hinweis
Für zwei beliebige Funktionen und mit den entsprechenden Eigenschaften lautet der Umformungstrick:
oder
Je nachdem mit welcher der beiden Formen sich der Grenzwert danach leichter berechnen lässt.
Aufgabe (Bestimmung von Grenzwerten mit L’Hospital 4)
Berechne
Lösung (Bestimmung von Grenzwerten mit L’Hospital 4)
Als nächstes behandeln wir Differenzen von Grenzwerten, die beide uneigentlich gegen konvergieren. Oftmals handelt es sich dabei um Differenzen von Bruchtermen. Durch Hauptnennerbildung und Zusammenfassen zu einem Bruchterm kann der Ausdruck häufig so umgeformt werden, dass die Regeln von L’Hospital anwendbar sind.
Beispiel (Bestimmung von Grenzwert L’Hospital 5)
Betrachten wir den Grenzwert
Hier gilt . Also ist der Grenzwert vom beschriebenen Typ . Durch Hauptnennerbildung erhalten wir
Wegen ist L’Hospital anwendbar, und wir erhalten
Hinweis
Für zwei beliebige Funktionen und lautet der Umformungstrick:
Aufgabe (Bestimmung von Grenzwerten mit L’Hospital 5)
Bestimme
Lösung (Bestimmung von Grenzwerten mit L’Hospital 5)
Tritt einer der beschriebenen Fälle ein, so wenden wir den Trick an, den wir schon bei der Berechnung der Ableitung von verallgemeinerten Potenzfunktionen angewendet haben: Wir schreiben zunächst als . Da auf ganz stetig ist, lässt sich der Limes „nach Innen ziehen“. Der dort gebildetet Grenzwert ist nun sehr häufig von Typ und lässt sich wie oben beschrieben mit den Regeln von L'Hopital berechnen.
Beispiel (Bestimmung von Grenzwert mit L’Hospital 6)
Der „Klassiker“ hier ist der Grenzwert
Dieser ist von Typ . Wie oben beschrieben formen wir ihn um zu
Ziehen wir den Limes in die Exponentialfunktion, so entsteht der Grenzwert
Dieser ist von Typ . Weiter oben hatten wir ihn wie folgt berechnet
Wegen der Stetigkeit von folgt daher
Hinweis
Der Grenzwert ist auch der Hauptgrund, warum gesetzt wird. Denn dadurch íst die Funktion stetig in null.
Hinweis
Für zwei beliebige Funktionen und mit lautet der Umformungstrick:
Aufgabe (Bestimmung von Grenzwerten mit L’Hospital 6)
Berechne die folgenden Grenzwerte
Lösung (Bestimmung von Grenzwerten mit L’Hospital 6)
Nicht immer ist es sinnvoll die Regel von L’Hospital anzuwenden. Insbesondere darf sie nicht angewendet werde, falls die Voraussetzungen nicht erfüllt sind. In diesem Fall kann das überstürzte Anwenden der Regel ein falsches Ergebnis liefern. Daher wollen wir einige Warnbeispiele besprechen, die dies veranschaulichen sollen.
L’Hospital kann sehr langwierig/umständlich sein - Es muss nicht immer L’Hospital sein!Bearbeiten
Wachstumsverhalten von Exponential- und LogarithmusfunktionBearbeiten
Betrachten wir hierzu den Grenzwert
für und
Dieser ist vom Typ und L’Hospital ist somit anwendbar, und ergibt
Der Limes ist nun wieder von Typ . Wiederholen wir die Regel, so gilt
Wir erkennen bei der Anwendung der Regel von L’Hospital das folgende Muster: Der Zähler bleibt bleibt gleich bis auf den Vorfaktor, dieser ändert aber am Divergenzverhalten gegen nichts. Im Nenner vermindert sich die Potenz von in jedem Schritt um eins. Wenden wir daher die Regel von L’Hospital daher insgesamt -mal an, so erhalten wir
Dieses Resultat hätten wir allerdings auch wesentlich schneller und eleganter erreichen können. Wir haben weiter oben schon durch einmaliges Anwenden von L’Hospital gezeigt
für alle . Damit folgt nun
da .
Hinweis
Der Grenzwert besagt, dass jede Exponentialfunktion schneller wächst, als jede noch so große Potenzfunktion.
Aufgabe (Bestimmung von Grenzwert mit L’Hospital 7)
Bestimme für und den Grenzwert
durch
-maliges Anwenden der Regel von L’Hospital.
einmaliges Anwenden der Regel von L’Hospital und geschicktes Umformen.
Lösung (Bestimmung von Grenzwert mit L’Hospital 7)
Teilaufgabe 1: Der Grenzwert ist vom Typ und L’Hospital ist anwendbar. Es gilt
Der Grenzwert ist wieder vom Typ , die Potenz im Zähler verringert sich um eins, die im Nenner bleibt gleich. Nach -maliger Anwendung von L’Hospital erhalten wir damit
Teilaufgabe 2: Es gilt
für alle . Damit folgt nun
da .
Hinweis
Der Grenzwert besagt, dass die Logarithmusfunktion langsamer wächst, als jede noch so kleine Potenzfunktion.
In diesem Abschnitt wollen wir einige Beispiele von Grenzwerten vorstellen, bei denen die Regel von L’Hospital „versagt“. Dies kann passieren, da die Regel von L’Hospital eine hinreichende, jedoch keine notwendige Bedingung für die Existenz des Grenzwerts ist.
Manchmal kann es vorkommen, dass sich die Regel von L’Hospital „im Kreis dreht“. Ein Beispiel ist
Dieser Grenzwert ist vom Typ , und L’Hospital ist anwendbar. Tun wir dies, so erhalten wir
Der entstandene Grenzwert ist nun wieder vom Typ . Schauen wir genauer hin, so erkennen wir, dass sich durch die Anwendung von L’Hospital Zähler und Nenner vertauscht haben. Wenden wir nun die Regel erneut an, so ergibt sich
Es entsteht also wieder der ursprüngliche Grenzwert. Die Regel von L’Hospital bringt uns daher bei diesem Grenzwert nicht weiter! Allerdings gibt es eine relativ einfache Möglichkeit ohne L’Hospital ans Ziel zu gelangen:
Klammern wir im Zähler und Nenner aus, und kürzen anschließend, so erhalten wir
Aufgabe (Berechnung von Grenzwert ohne L’Hospital 1)
Bestimme den Grenzwert
Welches Problem ergibt sich bei der Anwendung der Regel von L’Hospital?
Lösung (Berechnung von Grenzwert ohne L’Hospital 1)
Durch Ausklammern von im Nenner erhalten wir
Die Anwendung der Regel von L’Hospital führt in eine Endlosschleife, denn
Es kann auch passieren, dass die Anwendung von L’Hospital die Situation sogar „verschlimmert“. Das heißt, ein Grenzwert, der existiert, kann durch Anwendung der Regel in einen Grenzwert umgeformt werden, der nicht mehr existiert. Beachtet daher immer: Aus folgt , aber nicht umgekehrt. Insbesondere kann daraus, dass nicht existiert, nicht gefolgert werden, dass nicht existiert. Betrachten wir hierzu
Es gilt . Daher liegt der Fall vor. Anwendung von L’Hospital liefert nun
Nun haben wir aber ein Problem, den dieser Grenzwert existiert nicht. Betrachten wir nämlich die Folgen mit
Diese divergiert bestimmt gegen . Es gilt jedoch
Dieser Grenzwert existiert nicht (auch nicht uneigentlich), da divergiert. Dies bedeutet, dass auch hier L’Hospital unbrauchbar ist. Dass der ursprüngliche Grenzwert sehr wohl existiert, sehen wir an folgendem Umformungstrick: Wegen gilt
Aufgabe (Berechnung von Grenzwert ohne L’Hospital 2)
Bestimme
Welches Problem ergibt sich bei der Anwendung der Regel von L’Hospital?
Lösung (Berechnung von Grenzwert ohne L’Hospital 2)
Zunächst gilt mit einem simplen Umformungstrick:
Weiter ist zum Einen , was unmittelbar aus der Abschätzung folgt. Und zum Anderen ist , was wir mit der Regel von L’Hospital weiter oben gezeigt haben.
Insgesamt erhalten wir
Wenden wir die Regel von L’Hospital an, was erlaubt ist, da der Grenzwert vom Typ ist, so ergibt sich
Dieser Grenzwert divergiert nun, da der ()-Ausdruck für divergiert. Denn für die Nullfolge gilt: . Also war die Anwendung von L’Hospital erneut erfolglos! :-(
L’Hospital kann ein falsches Ergebnis liefernBearbeiten
Dies kann immer dann passieren, wenn die Regel angewendet wird, obwohl die Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Ein Beispiel ist
Genau hinsehen, in diesem Fall geht gegen , nicht ! Da Zähler und Nenner stetig in sind, gilt
L’Hospital ist für den Fall nicht anwendbar. Wendet ihr die Regel trotzdem an, so erhaltet ihr das falsche Ergebnis
Daher solltet ihr immer zuerst überprüfen, ob die Regel von L’Hospital überhaupt anwendbar bzw. nötig ist.
Aufgabe (Berechnung von Grenzwert ohne L’Hospital 3)
Bestimme die Grenzwerte
Welche Grenzwerte ergeben sich bei der fälschlichen Anwendung der Regel von L’Hospital?
Lösung (Berechnung von Grenzwert ohne L’Hospital 3)
Teilaufgabe 1: Durch Einsetzen ergibt sich
Da der Grenzwert vom Typ ist, ist L’Hospital nicht anwendbar. Wenden wir die Regel trotzdem an, so erhalten wir das falsche Ergebnis
Teilaufgabe 2: Da der Grenzwert vom Typ ist, verwenden wir zunächst unseren Standard-Umformungstrick
Für den Ausdruck im Exponenten gilt nun . Wegen ergibt sich
Im Exponenten ist L’Hospital erneut nicht anwendbar. Wenden wir die Regel an, so erhalten wir
Wegen folgt das falsche Ergebnis
Folgerung: Hinreichendes Kriterium für DifferenzierbarkeitBearbeiten
Satz (Kriterium für Differenzierbarkeit)
Sei ein offenes Intervall und . Weiter sei stetig auf und differenzierbar auf . Außerdem existiere . Dann ist f differenzierbar in und es gilt .
Beweis (Kriterium für Differenzierbarkeit)
Wir müssen zeigen:
Nun gilt und . Außerdem sind und differenzierbar für , und . Mit der Regel von L’Hospital gilt
Damit ist in differenzierbar mit .
Alternativer Beweis (Kriterium für Differenzierbarkeit)
Ebenso können wir mit Hilfe des Mittelwertsatzes
zeigen. Sei dazu eine Folge in mit . Dann ist nach Voraussetzung für alle stetig auf (bzw. ) und differenzierbar auf (bzw. ). Nach dem Mittelwertsatz gibt es für alle ein (bzw. ) mit
Da nun und (bzw. ), gilt auch . Wegen folgt . Also erhalten wir
Da mit beliebig war, ist
Hinweis
Eine Funktion, die das Kriterium aus dem Satz erfüllt, ist nicht nur differenzierbar im Punkt . Wegen ist die Ableitungsfunktion sogar stetig in . Daher ist das Kriterium auch hinreichend und nicht notwendig für die Differenzierbarkeit in .
Verständnisfrage: Gib eine differenzierbare Funktion an, die die Voraussetzungen des Satzes nicht erfüllt.
Wir suchen eine differenzierbare Funktion, deren Ableitung in einem Punkt nicht stetig ist. Ein Beispiel hierfür ist die Funktion
Sie hat in die Ableitung , ist dort jedoch nicht stetig, da der Grenzwert
nicht existiert.
Aufgabe (Differenzierbarkeit der Si-Funktion)
Sei
Zeige, ohne Benutzung des Differentialquotienten, dass im Nullpunkt differenzierbar ist, und berechne die Ableitung .
Lösung (Differenzierbarkeit der Si-Funktion)
Schritt 1: ist stetig in null
Mit der Regel von L’Hospital gilt
Also ist stetig in null.
Schritt 2: ist differenzierbar in
Da und auf differenzierbar sind, ist mit der Quotientenregel auch dort differenzierbar. Weiter gilt für :
Schritt 3: ist differenzierbar in null
Wir benutzen das Kriterium aus dem Satz zuvor. (Wegen Schritt 1 und 2 anwendbar.) Es gilt