Zusammenfassung Bearbeiten

Die historische Analyse zeigte, dass das Problem der Klassengröße offen­sichtlich so alt ist, wie es schulische Einrichtungen gegeben hat. Wie an­satzweise dargelegt werden konnte, gab es im Mittelalter und in der frühen Neuzeit immer wieder Empfehlungen darüber, wie groß denn eine Klasse oder Schülergruppe sein sollte, um gute Lernerfolge zu erzielen.

Die Pädagogik hat für den diskutierten Zeitraum theoretisch wenig zur Frage der Klassengröße beigetragen. Dies liegt sicher daran, dass pädagogi­sche Reformvorschläge an anderen, auch grundsätzlicheren Punkten anset­zen. Ein direkter Bezug von Reformpädagogik zur Klassengröße wäre etwas weit hergeholt. Dennoch wurde auch an dieser Frage deutlich, wie wenig die Reformpädagogik (im weitesten Sinne) durchsetzungsfähig war. Flitner hat dies sehr schön ausgedrückt: "Warum die Ideen von freiheitlicher, vernünf­tiger Erziehung, wie von diesen Klassikern gedankenreich entwickelt, nicht eigentlich stilbildend wurden, warum sie vom Geist der Karlsbader Be­schlüsse, der Stiehlschen Regulative, der Kadetten- und Korps-Erziehung, des Industrialismus und schließlich des blinden Führer-Gehorsams über­mannt wurden, warum auch der reformpädagogische Aufbruch des frühen 20. Jahrhunderts sich nicht durchzusetzen vermochte - das scheinen mir die großen historischen Fragen zu sein, die der weiteren Klärung bedürfen" (FLITNER, 1989, S. 45).

Ein qualitativer Sprung ist im 19. Jahrhundert festzustellen, und zwar im Zuge der wachsenden Verantwortung, die der Staat für die schulische Bil­dung übernahm. Verordnungen und Richtlinien zeugen von einer immer stärker werdenden Integration der Schule in den allgemeinen Gesetzesappa­rat. Dies gilt auch für die Festlegung von Klassengrößen. Auffallend ist da­bei jedoch die Tatsache, dass zwischen den Richtwerten und der schulischen Wirklichkeit große Diskrepanzen bestanden. Dies zeigt, dass die Nicht-Ein­haltung von Richtlinien, so auch im Falle der Klassengrößen, häufig keine Konsequenzen nach sich zog.

Die Institutionalisierung der Schule führte zu zwei für die Veränderung der Klassengröße relevanten Einschnitten: nämlich zur Einführung der Jahr­gangsklasse und damit zur Abschaffung des Fachklassensystems. Die Erset­zung der alten Gruppierungsart nach der individuellen Leistung durch die Gruppierungsart nach der Jahrgangszugehörigkeit erhöhte entscheidend den Stellenwert der schulischen Komponente Klassengröße.

Nachdem der Staat sich im 19. Jahrhundert immer mehr der Schulverfas­sung angenommen hatte, wurden auch Bestimmungen hinsichtlich der Klas­sengröße erlassen. Dabei handelte es sich meist um Maximalgrenzen. Im Unterschied aber zur heutigen Zeit konnten damals diese Grenzen über­schritten werden, ohne dass dies zu Konsequenzen wie Klassenteilung oder Einstellung neuer Lehrer geführt hätte.

Generell wichtig - insbesondere für den Vergleich mit der Bundesrepublik (s. Kap. 3) - ist die Erkenntnis, dass die Richtvorgaben keineswegs als Klas­senteiler zu verstehen waren. Es gab viele Klassen, die den Richtwert z.T. stark überschritten hatten. Dies mündete schließlich in die sog. Überfüllung­diskussion, die - obwohl auch für die Volksschulen zutreffend - besonders für die Höheren Schulen geführt wurde.

Die tatsächlichen Klassengrößen hingen von verschiedenen Faktoren ab. Auffallend häufig fand man kleinere Klassen in Privatschulen. So nimmt es nicht wunder, dass historisch gesehen die Privatschulen gerade für die wohl­habenderen Schichten - neben anderen Gründen - immer attraktiv geblieben sind.

Außerdem hingen die Klassengrößen auch von den finanziellen Möglich­keiten des Landes bzw. der Stadt ab. Obwohl direkte Relationen zwischen wirtschaftlichem Wohlstand und Klassengröße nicht nachweisbar sind, kann doch davon ausgegangen werden, dass in ökonomisch bzw. finanziell schwä­cheren Gebiete die Schüler-Lehrer-Relationen tendenziell ungünstiger wa­ren.

Auffallend war während des gesamten 19. und frühen 20. Jahrhunderts der große Stadt-Land-Unterschied hinsichtlich der Klassengröße. Auch hier drückte sich wieder das wirtschaftliche Gefälle aus und wurde erneut durch die vergleichsweise schlechtere Ausbildung auf dem Lande reproduziert.

Die Tatsache, dass die deutsche Gesellschaft im 19. und frühen 20. Jahr­hundert eine Klassengesellschaft war, drückte sich auch in den Schüler-Leh­rer-Relationen aus: die Volksschulen, in die der überwiegende Teil der Be­völkerung (bis zu 90%) ging, hatten im allgemeinen die schlechtesten Schü­ler-Lehrer-Relationen, d.h., die Klassen waren in diesem Schultyp am größ­ten. Am anderen Ende der Skala lagen die Höheren Schulen.

So schlecht die Ausbildungschancen im 19. und frühen 20. Jahrhundert für Mädchen waren, so können relevante geschlechtsspezifische Klassengrö­ßendifferenzen nicht nachgewiesen werden.


Betrachtet man die Rechtsentwicklung und die Veränderung der Statisti­ken für die vier großen Gruppen von Schulen einmal parallel, dann kommt man zu einigen interessanten Bezügen (Die Zeit vor 1800 soll dabei ausge­spart bleiben):[1] Für die Volksschule läßt sich zeigen, dass die Richtwerte von 100 im 19. Jahrhundert auf 40 im Dritten Reich gefallen waren. Um die Jahrhundertwende lagen die Richtwerte zwischen 50 und 100, Preußen legi­timierte zu diesem Zeitpunkt 70 Schüler pro Klasse. Durchschnittlich be­suchten aber nur 50 Schüler pro Klasse die Volksschule. Viele Klassen, vor allem in den Städten, lagen also unter dem Richtwert, die Statistiken sowie die Überfüllungsdiskussion zeigten aber, dass zahlreiche Klassen erheblich über diesen Werten gelegen haben mußten. In der Weimarer Zeit betrug der Richtwert nach wie vor 80 Schüler, die durchschnittliche Klassengröße al­lerdings pendelte sich bei 40 Schülern pro Klasse ein. Auch hier ist eine durchschnittliche Unterschreitung festzuhalten.

Dies hing damit zusammen, dass die Richtwerte stets zu hoch angesetzt waren - zu hoch gemessen an den zeitgenössischen pädagogischen Erkennt­nissen und erst recht nach heutigen Bewertungskriterien.

Charakteristisch für die statistischen Durchschnittswerte war ferner die überaus starke Streuung, was - in Worten ausgedrückt - auf ein starkes Bil­dungsgefälle hinweist. Stadt und Land boten bildungshistorisch gesehen zwei recht unterschiedliche Ausbildungsmöglichkeiten. Erst in der Bundes­republik fanden An- und Ausgleichungsprozesse von Stadt und Land statt.

Die Mittelschulen (einschließlich des höheren Mädchenschulwesens) zählten im 19. Jahrhundert ca. 40 Schüler pro Klasse, wobei die höheren Mädchenschulen und die Privatschulen hierin günstiger abschnitten. Dieser Durchschnittswert entsprach auch in etwa den juristischen Vorgaben (45-50). In der Weimarer Republik lagen die tatsächlichen Besuchszahlen bei 15 (Privatschulen) bzw. ca. 30 Schüler pro Klasse (öffentliche Schulen). Die Gesetzgebung ging von einem Maximalwert von 50 Schülern pro Klasse aus. Im Dritten Reich wurde der Maximalwert auf 30-40 gesenkt, die tat­sächlichen Verhältnisse änderten sich nicht.

Der Höhere Schulwesen verzeichnete im 19. Jahrhundert eine Verbesse­rung der Schüler-Lehrer-Relation von ca. 40:1 bis 20:1 (ca.1820) über 30:1 bis 15:1 (ab 1830) zu 20:1 bis 10:1 ab 1830. Bei den Richtwerten galt die 50:40:30-Regel, je nach Klassenstufen (Unterstufe, Mittelstufe und Ober­stufe). In der Weimarer Republik blieben diese Richtwerte erhalten, die Klassengröße lag bei ca. 27 Schülern pro Klasse, eine Zahl, die sich im Drit­ten Reich noch einmal geringfügig senkte, bei Richtwerten von 25-40 (ab 1938). Die Klassen des höheren Schulwesen blieben damit bis zum Zweiten Weltkrieg ziemlich konstant.

Das Hilfsschulwesen änderte ebenfalls kaum seine durchschnittlichen Klassengrößen; die lagen bei rund 20 Schülern pro Klasse.


Mit dieser Entwicklungsskizze ist auch die Ausgangslage für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben.





Ergänzungen Bearbeiten

  1. Das Sonderschulwesen sei ausgespart, da die Datenlage zu dürftig ist.