Gehirn und Sprache: Der Pulsschlag des Geistes


Plädoyer für das Einbeziehen der Hirnforschung

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Sprache ist kein Produkt der Zunge sondern des Gehirns. Folglich ist die moderne Gehirnforschung zunehmend auch für die Linguistik und Philosophie von Interesse.

Der Sprachwissenschaftler Wolfgang Sucharowski schrieb in Sprache und Kognition (1996): „Nicht eine Theorie an sich kann das Erkenntnisziel sein, sondern eine Theorie über Sprache, die mit Erkenntnissen aus der psycho- und neurolinguistischen Forschung verträglich ist und insofern an solche Prozesse heranführt, die aufgrund der neurophysiologischen Disposition Sprache und Sprechen ermöglichen.“ Sucharowski geht davon aus, dass der vom Kognitionssystem des Menschen konstruierten Welt ein universales konzeptuelles System zugrunde liegt, „welches die Welt überhaupt erst erfahrbar macht und die Struktur der projizierten Welt organisiert.“ Dazu bemerkt er: „Konstitutiv für eine sprachpsychologische Erklärung ist eine theoretische Grundlegung der Zeitlichkeit einzelner Produktionsschritte“.

Sucharowskis Absichten verfolgend erinnere ich, was im Abschnitt „Am Anfang war der Rhythmus“ resümiert wurde: „Halten wir fest, dass es zahlreiche Hinweise für einen Arbeitstakt der geistigen Tätigkeit gibt, also des gesuchten Algorithmus, der Sinn und Sprache erzeugt.“

Dieser Gedanke kann weitergeführt als Brücke in die Neurophysiologie des Organs führen, in dem die geistige Tätigkeit stattfindet; zu den messbaren Vorgängen des lebendigen Gehirns.

Jeder Algorithmus, der sich in einer Schleife endlos wiederholt, erzeugt mit seiner regelmäßigen Abfolge auch einen Rhythmus.

Umgekehrt kann man immer dort, wo man einen Rhythmus entdeckt, einen Algorithmus dahinter vermuten, denn jede regelmäßige Erscheinung folgt einem Gesetz, dass mathematisch formuliert werden kann.

Das Organ, in dem Sinn und Sprache fortwährend erzeugt werden, ist die Großhirnrinde. Beim Schlaganfall kommt es oft zum Sprachverlust, weil der für die Sprache wichtigste Teil der Hirnrinde zerstört wurde. Die Betroffenen können aber immer noch Sinn verstehen, sinnvoll handeln, weil die andere Hälfte des Gehirns noch arbeitet. Auch das ist nicht mehr möglich, wenn durch Narkose oder Gifte die Großhirnrinde völlig lahmgelegt wird und das Bewusstsein entschwindet.

Die Frage kann also sein, ob in der lebenden Großhirnrinde ein Rhythmus zu finden ist, der als Hinweis für die Iteration eines Algorithmus dienen kann?

Zum Vergleich: In der Brust schlägt, von außen kaum zu bemerken, eine rhythmische Aktivität des Herzens, die nach einem genauen Schema von den Vorhöfen beginnend durch den Herzmuskel verläuft.

„Gibt es auch einen Pulsschlag des Geistes?“ ist eine Frage, die an die Hirnforschung gerichtet ist.

Die Gehirnwellen

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Erstes EEG von Hans Berger

Heute gehört es schon zum Allgemeinwissen, dass im Gehirn Wellen gemessen und aufgezeichnet werden können, deren prominenteste Erscheinung die Alphawellen sind, die 1929 von dem Arzt Hans Berger in Jena erstmalig aufgezeichnet (Elektoencephalographie, EEG) und veröffentlicht wurden. Inzwischen haben unzählige Untersuchungen mit verfeinerter Technik ein breites Spektrum dieser typischen Spannungsschwankungen in der Großhirnrinde nachgewiesen, das EEG ist wie das EKG eine ärztliche Standarduntersuchung und Wissenschaft für sich geworden.

Lange bekannt ist der Zusammenhang der Hirnwellenfrequenz mit dem Grad der Wachheit (Vigilance) des Subjekts. Die schnellsten Wellen bis 40 Hz treten bei offenen Augen und geistiger Anspannung vorwiegend im visuellen Cortex auf.

In der entspannten Laborsituation findet man bei offenen Augen oder geistigen Aufgaben im EEG überwiegend Betawellen (13-30 Hz) mit der Tendenz zur Desynchronisation.

Bei geschlossenen Augen und ruhendem Geist sind über der ganzen Hirnrinde nur noch acht bis zwölf synchrone Schwankungen (Alphawellen) zu registrieren, die beim Öffnen der Augen oder beim Lösen einer Rechenaufgabe sofort wieder in die schnelleren Betawellen (16-30Hz) übergehen. Wenn die Person einschläft oder in Narkose versetzt wird, werden die Wellen langsamer, weniger als sechs pro Sekunde (Deltawellen). In den Traumphasen, die sich durch schnelle Augenbewegungen (REM-Schlaf) feststellen lassen, treten jedoch wieder Alphawellen auf.

Die Bedeutung, die heute den Hirnwellen beigemessen wird, lässt sich daran erkennen, dass als moderne Definition des Todes einer Person nicht deren Herzstillstand, sondern die Null-Linie im EEG, der Hirntod, international festgelegt wurde.

Obwohl schon Hans Berger einen Zusammenhang der Alphawellen mit der „psychischen Energie“ nachweisen wollte, sind neben dem Wachheitsgrad, der Aufmerksamkeitsverteilung und einer bioelektrischen Beteiligung bei der Wahrnehmung (evoced Potentials) und der Handlungsvorbereitung (Bereitschaftspotential) bisher keine psychisch-geistigen Funktionen mit der Hirnwellentätigkeit in Verbindung gebracht worden, schon gar nicht die Sinnbildung oder sprachliche Funktionen.

Während der Rhythmus des Herzens und seine elektrische Aufzeichnung im EKG gut mit dem Wissen von der Funktion des Herzens in Einklang gebracht werden können, ist der im EEG aufgezeichnete Rhythmus der Großhirnrinde immer noch erklärungsbedürftig im Hinblick auf seine Beteiligung an den geistigen Vorgängen.

  • Was bewirken die schnellen Spannungsschwankungen in der Großhirnrinde, und warum treten sie oft über der ganzen Hirnrinde synchronisiert auf?
  • Was bewirken die unterschiedlichen Frequenzen in der Hirnrinde, wenn sie vom Schlaf bis zur angespannten Aufmerksamkeit schneller werden?
  • Warum sind die Wellen in den Traumphasen genau so schnell, wie im Wachzustand?

Der Arbeitstakt des Gehirns

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Solche spekulativen Fragen sind in den medizinischen EEG- Laboratorien unbeliebt und werden dort gar nicht erst gestellt, aber ein Mathematiker mit ausgeprägtem philosophischen Interesse, der Vater der Kybernetik Norbert Wiener, schrieb schon 1948 in seinem Bestseller „Kybernetik“:

...“dass der weitverzweigte Synchronismus in verschiedenen Teilen des Cortex vermuten lässt, dass er von irgendeinem zentralen „Uhrwerk“ angetrieben wird. Wir können vermuten, dass dieser Alpharhythmus mit der Formwahrnehmung verbunden ist und dass er etwas mit der Natur eines Abtastrhythmus zu tun hat, wie der Rhythmus beim Abtastprozess eines Fernsehapparates (S.177).

Zu ähnlichen Ansichten kam der Physiker Dean Wooldridge in dem Buch „The Machinery of the Brain“ (1967), als er schrieb:

„Die im EEG erzeugten Dendritenspannungen sind für gewöhnlich zu klein, um die Neurone zu ihrer charakteristischen Impulsabgabe zu veranlassen. Dennoch hat das Auf und Ab der Dendritenspannungen wahrscheinlich ein entsprechendes Auf und Ab der Bereitschaft zur Folge, mit der die Neurone auf den Empfang der spezifischen Impulsarten von anderen Neuronen reagieren. Mit anderen Worten , der Alpharhythmus dürfte die Ausbreitung einer periodischen Sensibilisierungswelle über alle Neurone anzeigen.“

Wooldridge zog ähnliche Parallelen wie Wiener:

Diese Interpretation des Alpharhythmus erinnert an die Zeitgeber, die man zur Synchronisation von Digitalrechnern verwendet. Das Ergebnis ist in beiden Fällen, dass die vielen Einzelteile des Systems nur in diskreten, periodischen Zeitintervallen sensitiviert und arbeitsbereit sind“ (S. 132).

Der Mathematiker und der Physiker, beide brachten vor Jahrzehnten einen fruchtbaren Gedanken aus dem Vergleich der elektrischen Hirntätigkeit mit der Rechenmaschine und dem Fernsehapparat in die Diskussion, die hier weitergeführt werden soll.

Heute sprechen schon Kinder von der Taktfrequenz ihrer Computer, die nicht hoch genug sein kann, damit die neuesten Spiele einwandfrei laufen.

Beweise für die Arbeitstakttheorie

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Der Rhythmus der Gehirnwellen ist dagegen extrem langsam, und dennoch können die Menschen viele Leistungen schneller als die besten Computer, zum Beispiel das sofortige Erkennen von Gesichtern oder die sensomotorischen Leistungen beim Tischtennis. Wie ist dieser Widerspruch aufzulösen?

Wir halten den Vergleich mit dem Computer aufrecht, wenn wir diesem Problem nachgehen und zunächst mit einer einfachen Berechnung beweisen, dass die langsame Frequenz der Hirnwellen sich beim Menschen notwendigerweise aus seiner Körpergröße und der Nervenleitgeschwindigkeit ergibt. Dazu gehen wir von der Annahme aus, dass die Taktfrequenz in einem System durch die längsten Wege innerhalb des Systems begrenzt wird, weil eine Taktperiode nicht schneller sein darf als die Zeit, die für den längsten Weg von ihr benötigt wird.

Vom Kopf bis zum großen Zeh sind circa zwei Meter Nervenleitung die längste Wegstrecke im System Mensch. Weil die Nervenleitung bei maximal hundert Metern pro Sekunde mindestens 0,02 Sekunden für zwei Meter braucht und noch Verzögerungen in synaptischen Übertragungen dazugerechnet werden können, muss der Arbeitstakt in einem datenverarbeitenden System Mensch deutlich unter 50 Hz liegen, um vom Kopf bis zu den Füßen wirksam zu sein.

Einen Beweis für die Annahme, dass die Körpergröße des Organismus die Taktfrequenz seines Nervensystems begrenzt, findet man im Tierreich: Giraffen, Wale und Elefanten haben langsamere Bewegungen als Stichlinge oder Hunde, Mäuse und Wiesel sind sehr flink auf ihren kurzen Beinen, weil sie einen sehr schnellen Rhythmus haben, der Kolibri hat den schnellsten Flügelschlag unter den Vögeln, das Albatros den langsamsten. Insekten zeigen die Abhängigkeit ihrer Taktfrequenz von der Körpergröße mit der Tonhöhe ihrer Fluggeräusche, vom tiefen Brummen der großen Hummel bis zum hohen Schwirren der kleinen Mücke, dazwischen Biene und Fliege. Die Fruchtfliegen haben über 300 Flügelschläge pro Sekunde.

Bei Menschen gibt es auch kleinere und größere Individuen, und bei den Kleinen hat man oft den Eindruck, dass sie als Ausgleich etwas flinker sind als die Großen. Bei Spitzensportlern können solche feinen Unterschiede sich bemerkbar machen, und tatsächlich sind beim schnellsten Reaktionssport, dem Tischtennis, die besten Spieler immer deutlich unter 180cm, überwiegend Chinesen von relativ kleinem Wuchs. Die Großen sammeln ihre Erfolge dafür beim Basketball.

Aus diesen Beobachtungen lässt sich schließen, dass der im Vergleich zum Computer extrem langsame Rhythmus der Hirnwellen dem menschlichen Organismus als Arbeitstakt der Datenverarbeitung wahrscheinlich optimal angepaßt ist.

Ein Arbeitstakt im Gehirn, von dem wir nichts bemerken? Das kann bei vielen Lesern zum „Stirnrunzeln“ führen.

Um die Annahme zu prüfen, nehmen wir einmal das Gegenteil an, also dass es keine periodischen Sensibilisierungswellen in den Neuronen der Großhirnrinde gäbe, welche die Nervenzellen nur in diskreten, periodischen Zeitintervallen sensitivieren und arbeitsbereit machen, so wie es von D. Wooldridge und N. Wiener vorgedacht wurde.

Dabei wäre zu berücksichtigen, dass in der Hirnrinde jede Pyramidenzelle mit tausenden Verästelungen über alle Teile des Cortex in Verbindung mit anderen gleichartigen Zellen steht, die wiederum tausendfache Verbindungen haben. Wenn jede Pyramidenzelle zu jeder Zeit erregbar wäre, dann würde ein einziger Nervenimpuls genügen, um sich schnell wie ein Buschfeuer auf alle Zellen des Gehirns auszubreiten. Eine Verarbeitung nachfolgender Erregungen wäre unter diesen Umständen nicht mehr möglich.

Das Nervensystem verfügt aber nicht nur über die Möglichkeit der Erregung, sondern auch der Hemmung. Jede Nervenzelle kann zur Bildung von Impulsen angeregt oder auch daran gehindert werden. Mit dieser Fähigkeit lässt sich eine unkontrollierte Ausbreitung von Erregungen optimal durch einen Rhythmus verhindern, mit dem alle Zellen synchron abwechselnd in einen erregbaren oder unerregbaren Zustand versetzt werden.

Während in den gehemmten Phasen alle Nervenaktivität unterdrückt wird, können die Zellen in den erregbaren Phasen genau im gleichen Augenblick, sehr dicht an ihrer „Zündspannung“, gemeinsame Erregungskomplexe bilden. Das Ergebnis ist dann ein rhythmisch wechselndes Muster von Erregungszuständen, in dem die augenblicklichen Informationen des ganzen Systems enthalten sind.

Fazit: Der periodisch hemmende Arbeitstakt verhindert den Kollaps des Systems und macht aus dem verfilzten Nervenzellen-Teppich einen Mustergenerator für neuronale Netze, ein Organ der Orientierung.

Hebbs Gedächtniskonzept mit neuronalen Netzen wird durch eine periodische Arbeit der Hirnrinde nicht in Frage gestellt, sondern eher erst dadurch ermöglicht, wenn die Neuronen nur in kurzen Momenten synchron feuern können. Dann können sie nach dem Modell der Hebb´schen Synapsen ihre spezifischen Verbindungen knüpfen und ganzheitlich zusammenhängende Muster wachsen lassen, die sich in jeder Sekunde mehrfach erneuern, damit immer die aktuelle Situation abbilden und gleichzeitig in das Wachstum von Gedächtnisspuren umgesetzt werden. Vermutlich werden die Eigenschaften der neuronalen Netze, die von den Nervenzellen in der Hirnrinde gebildet werden, auch von der Art der Verästelung geprägt sein, die speziell von den Pyramidenzellen ausgebildet wird.

Wenn hier die Ausbildung einer fraktalen Grenzstruktur nach dem Vorbild der Mandelbrotmenge vermutet wird, dann wurden dafür schon Argumente genannt, die in den gemeinsamen Eigenschaften der Mandelbrotmenge mit dem Sinn-Ganzen und seiner sprachlichen Auslegung begründet liegen.

Eine haargenaue Beschreibung der corticalen Verästelungen erscheint fast unmöglich. Unter Beachtung der spezifischen, wurzelartigen Verästelungsformen von Pyramidenzellen lässt sich aber eine fraktale Geometrie ihrer Verbindungen annehmen, die in ihren Wachstumsvorschriften, den Genen, verankert ist, und ihren neuronalen Netzen fraktale Eigenschaften verleiht.

Der Rhythmus der Gehirnwellen kann demnach als Arbeitstakt für einen Algorithmus gesehen werden, der mehrmals in einer Sekunde die Pyramidenzellen synchron empfindlich für eintreffende Signale macht. Gleichzeitig erregte Zellen bekommen mit jeder gemeinsamen Erregung einen Impuls, sich mit neuen synaptischen Kontakten zu vernetzen. Die Verästelungen der Dendriten erhalten durch genetische Information eine fraktale Geometrie.

Das Ergebnis der rhythmischen Aktivität ist dann ein ganzheitlich verbundenes fraktales Netzwerk, in dem alle früheren Erregungsmuster schon Spuren in Form von gewachsenen Verbindungen hinterlassen haben, wie in unserem Gedächtnis.

Zugegeben, so ein Arbeitstakt im Großhirn ist nicht leicht vorstellbar. Das ganze Gehirn ist schwer durchschaubar und außer den EEG-Wellen haben wir bisher keinerlei Hinweise für eine rhythmische Aktivität der Hirnrinde. Vor allem bemerken wir selbst nichts von einem derartigen „Pulsschlag des Geistes“, denn unser Bewusstseinsstrom erscheint als ein ununterbrochenes Kontinuum ohne einen bemerkbaren Rhythmus.

Rhythmus in der Wahrnehmung

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Um dennoch eine Vorstellung von der Existenz eines geistigen Rhythmus zu erhalten, erinnern wir uns an ein bekanntes Phänomen im Kino: Dort werden 25 Bilder pro Sekunde vorgeführt, aber wir erleben dabei nicht die einzelnen Bilder, sondern ein kontinuierliches Geschehen wie in der Realität. Das gleiche passiert beim Fernsehen nur mit einem kleinen Lichtpunkt, der in einer Sekunde zeilenweise 25 mal über den ganzen Bildschirm huscht. Unser Gehirn erkennt niemals den schnellen Lichtpunkt sondern erzeugt daraus lebendig zusammenhängende Bilderfolgen.

Bemerkenswert ist dabei, dass diese visuelle Verschmelzung genau bei den Frequenzen beginnt, die im EEG bei offenen Augen registriert werden, nämlich im Bereich der Beta-Wellen.

Unter der Annahme eines geistigen Arbeitstaktes kann man sich vorstellen, dass ein kontinuierlicher Eindruck immer dann entstehen muss, wenn jede sensible Periode des Gehirns ein ähnliches Bild erhält. Die dazwischen liegenden unerregbaren Phasen der Hirntätigkeit überbrücken dann die dunklen Intervalle der Kinovorführung, und aus einzelnen Bildern entsteht subjektiv ein zusammenhängender, lebendiger Eindruck.

Das gleiche Verschmelzungsphänomen begegnet uns beim Hören von Luftdruckwellen. Ab circa 18 Wellen pro Sekunde hören wir nicht mehr einzelne Wellen, sondern ein zusammenhängendes tiefes Brummen, einen Ton. Wenn die Wellen schneller werden, verändert sich der kontinuierliche Klang in der Art, dass wir sagen: Der Ton wird „höher“ korrekt wäre „schneller“).

Für die Ähnlichkeit der Verschmelzungsfrequenzen im optischen und akustischen Kanal bietet nur der Arbeitstakt der Hirnrinde eine plausible Erklärung.

Wenn die Vorstellung eines „geistigen Pulses“, der sich in den Hirnwellen und der Verschmelzungsfrequenz der Wahrnehmungen äußert, auch auf die Handlungen ausgedehnt wird, dann müsst sich sein Wirken auch in den schnellsten Bewegungen als Begrenzung zeigen.

Rhythmus in Handlungen

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Der schnellste Rhythmus, den ein Mensch bewusst erzeugen kann, ist der Trommelwirbel. Sein Rhythmus kann durch jahrelanges Training bis auf ca. 16 Schläge pro Sekunde gesteigert werden, hier ist für alle Schlagzeuger eine unüberwindbare Grenze. Trillernde Musiker erzeugen maximal zwölf Perioden pro Sekunde, aber auch nur durch spezielle Übungen. Der Weltmeister auf der Schreibmaschine bringt es auf maximal zehn Anschläge pro Sekunde. Untrainierte Menschen sind deutlich langsamer, genau gesagt nur etwa halb so schnell. Fünf bis sechs mal pro Sekunde können wir mit dem Finger auf die Tischplatte klopfen, fünf bis sechs sprachliche Artikulationen sind in einer Sekunde möglich, und in der Musik sind die schnellen Sechzehntelnoten ungefähr in diesem Tempobereich zu spielen.

Bei den letzten olympischen Spielen wurde der 100-Meter-Lauf im Fernsehen in Zeitlupe vorgeführt, was eine Gelegenheit zum Zählen der Schritte ergab. Alle Läufer hatten genau die gleiche Schrittzahl, in den zehn Sekunden machten sie genau 50 Schritte, also zwei Meter mit jedem Schritt, fünf Schritte pro Sekunde.

Grob gesagt kann man also die schnellen Bewegungsrhythmen im Verhältnis zu den Hirnwellen nur halb so schnell ausführen. Daraus könnte ein Kritiker den Schluss ziehen, dass der Zusammenhang mit den Hirnwellen nicht ersichtlich ist. Man kann aber auch in dem Verhältnis 1:2 ein harmonisches Verhältnis erkennen und darin einen Hinweis für einen gesetzmäßigen Zusammenhang vermuten.

Dieser Zusammenhang kann in einer Handlungskontrolle bestehen.


Rhythmus in der sensomotorischen Kontrolle

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Jede Handlung, die wir gezielt ausführen, bedarf einer ständigen (sensomotorischen) Kontrolle, um das Ziel optimal zu erreichen. Denken wir an Ballspiele, das Radfahren oder das Fangen einer Frisbyscheibe, dann sind diese Tätigkeiten nur denkbar mit einer Kontrollinstanz, die jeden Handlungsschritt überwacht und jederzeit Korrekturen der Handlungen einleiten kann. Schon das normale Laufen und Stehen auf zwei Beinen ist unmöglich ohne eine dauernde Kontrolle durch das Gleichgewichtsorgan, die uns gar nicht bewusst ist. Bewusste Kontrolle herrscht beim Sprechen, bei dem wir uns gleichzeitig auch zuhören und sofort jeden Versprecher korrigieren können.

In einem taktweise arbeitenden System kann der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolgskontrolle sehr einfach dadurch hergestellt werden, dass auf jeden Handlungsschritt ein Kontrollschritt folgt, der korrigierend auf den nächsten Handlungsschritt wirkt, dem wiederum ein Kontrollschritt folgt und so weiter. So kann sich ein dynamisches System in periodischem Wechsel optimal an eine dynamische Umwelt anpassen.

Der technisch gebildete Leser erkennt in einer rhythmischen Folge von Handlung und Kontrolle ein einfaches Modell von Rückkopplung, die als grundsätzliches Merkmal von zielgerichteten Vorgängen in der belebten Natur und in der Technik gilt. Er kann damit auch verstehen, warum die schnellsten Bewegungen nur halb so schnell wie der Arbeitstakt sind, wenn nach jedem Bewegungsimpuls eine Kontrollphase folgen muss.

Die langsameren Rhythmen, die bei vielen Arbeitsvorgängen (Hämmern, Rudern) zu beobachten sind, verhalten sich zum schnellsten Rhythmus ebenso harmonisch, wie die Einteilungen des musikalischen Rhythmus in sechzehntel-, achtel-, viertel-, halbe- und ganze Noten, also mit Verdoppelung der Zeitwerte . Deutlich wird dieser harmonische Zusammenhang in den Liedern, die bei rhythmischen Arbeiten entstanden sind, beim Gleisbau, Spinnen, Marschieren, Treideln usw. Beim Wandern kann man eine synchronisierte Tätigkeit von Bein- und Atembewegungen feststellen, wobei z.B. auf vier Schritte ein Atemzug kommt.

Biologische und technische Taktfrequenz

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Auf eine Besonderheit des biologischen Arbeitstaktes gegenüber technischen Vergleichen kann noch eingegangen werden:

In den Computern ist der Arbeitstakt nicht variabel, sondern er wird sehr exakt durch einen elektrischen Schwingkreis erzeugt, so schnell wie möglich und mit größter Präzision, genau wie die „Unruhe“ einer Uhr.

Der Rhythmus der Gehirnwellen und der Rhythmus unserer Bewegungen ist dagegen nicht auf eine exakte Frequenz beschränkt, er ist bis zu einer messbaren Grenze stufenlos variabel, wie es im EEG zu sehen und in der Musik zu hören ist.

Sicher ist die Erzeugung einer starren Frequenz ein technisch einfacher Vorgang, verglichen mit der Erzeugung einer in Grenzen variablen Taktfrequenz. Einfache Lebewesen haben oft sehr starre Bewegungsrhythmen, die nicht veränderbar erscheinen, z.B. die Kriechbewegungen von Würmern, die Kontraktionen der Quallen, das Zirpen der Zikaden. Im Lauf der Evolution zeigte sich die Fähigkeit zur Variation der Gangart natürlich als Vorteil und etablierte in den Gehirnen der höheren Tiere Taktgeber mit variabler Frequenz, welche Bewegungen in beliebigen Variationen vom Bummeltempo bis zur schnellen Fluchtreaktion gestatteten.

Damit soll gesagt sein, dass ein variabler „Hirnschrittmacher“ keine neue Errungenschaft der Menschen ist, sondern allen Säugetieren gemeinsam und in jedem Säugetierhirn nachweisbar ist.

Ein deutlicher Beweis für die Existenz einer variablen Taktfrequenz im Gehirn ist der Schlaf, der immer von einem stark verlangsamten Rhythmus der Hirnwellen begleitet ist. Wir können uns vorstellen, dass die Pyramidenzellen durch den langsamen Rhythmus unempfindlicher für Erregungen werden, kaum noch an ihre „Zündschwelle“ kommen und deshalb nur noch auf stark überschwellige „Weckreize“ reagieren.

Dahinter steckt ökonomischer Sinn. Die Pyramidenzellen verbrauchen sehr viel Energie bei ihrer Arbeit. In Ruhephasen können sie nicht ausgeschaltet werden wie ein Computer, aber ihr Energiebedarf wird stark gedrosselt, wenn sie durch einen langsamen Rhythmus unempfindlicher gemacht werden. Beim Menschen und allen Säugetieren wird der Energieverbrauch im Schlaf deshalb stark herabgesetzt.

Die Hirnstruktur, welche den variablen Pulsschlag des Geistes für die Gehirnrinde erzeugt, ist bekannt, sie wird „aufsteigendes Aktivierungssystem“ (ARAS) oder „Schlaf-Wach-System“ genannt und gehört zur Formatio reticularis des Hirnstamms.


Die Korrelationstheorie der Hirnforschung

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Oben wurde bereits beschrieben, dass die ersten theoretischen Vorstellungen über eine rhythmische Tätigkeit des Gehirns schon vor circa 50 Jahren, am Beginn des Computerzeitalters, von dem Mathematiker Norbert Wiener und dem Physiker Dean Wooldridge veröffentlicht wurden.

In der Hirnforschung kam dieser Gedanke 1981 wieder durch den Physiker Christoph von der Malsburg – heute Professor an der Ruhr-Universität Bochum, in die Diskussion. In seiner „Korrelationstheorie der Hirnfunktion“ beschrieb v.d. Malsburg die zeitliche Verknüpfung von Nervenzell-Verbänden, das Bindungsproblem der Hirnforscher, als Ergebnis einer rhythmischen Hirnaktivität.

Wolf Singer, Direktor am Max Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt a.M. und eine wachsende Zahl weiterer Wissenschaftler (Andreas Engel, Christof Koch, Rodolfo Llinas) bestätigten in folgenden Jahren die Existenz zeitlich synchronisierter Entladungen von neuronalen Ensembles in tierischen und menschlichen Gehirnen.

Mit vielen Untersuchungen konnte der Psychologe Ernst Pöppel, München, die theoretischen und neurophysiologischen Ergebnisse dieser Theorie untermauern und ihre psychologischen Konsequenzen formulieren. E. Pöppel geht davon aus, dass eine synchronisierende Aktivität von Nervenzellen die notwendige Bedingung für Entscheidungen und für die Identifikation von Ereignissen ist und auch dafür sorgt, dass wir Bewegungen in einem regelmäßigen Tempo ablaufen lassen können, also mit gleichbleibendem Tempo sprechen, gehen und auch musizieren können. Neuronale Oszillationen bezeichnet er als das Grundgerüst einer zeitlichen Koordinierung, eines inneren Fahrplans. Die Zeit wird nach Pöppel durch das Gehirn für uns überhaupt erst hergestellt in rhythmischen „Zeitquanten“, deren Periode ca. 30msec dauert, aber in gewissen Grenzen variabel ist.

„Synchronizität erzeugt Ganzheit“ ist der Grundsatz, unter dem der Philosoph Thomas Metzinger die Korrelationstheorie mit der Grundfrage der Philosophie (nach dem Verhältnis von Geist und Materie) in Verbindung bringt. In dem Aufsatz „Ganzheit, Homogenität und Zeitkodierung“ machte er folgende Grundannahme: „Die im Rahmen der Korrelationstheorie postulierte Form der Zeitkodierung ist der allgemeine Integrationsmechanismus, mit dessen Hilfe - zumindestens bei Systemen unseres eigenen Typs - alle Formen repräsentionaler Ganzheit generiert werden.“ Warum diese theoretische Annahme für eine philosophische Theorie des Geistes interessant ist, erklärte Metzinger so: „Wenn wir ein begrifflich konsistentes und auch empirisch nicht unplausibles Modell der Eigenschaftsbindung, also der Bildung von repräsentationalen Objekten als einer Form der Selbstorganisation besitzen, dann verfügen wir nämlich über die ersten Bausteine für eine naturalistische Theorie des Bewusstseins - also: für eine Erklärung von unten“.

Welcher Art dieses Modell sein sollte, präzisiert Metzinger: „Was wir eigentlich benötigen, ist ein mathematisches Modell, das auf präzise und empirisch plausible Weise die phänomenale Ontologie des menschlichen Gehirns beschreibt-also das, was es dem bewussten Erleben nach in der Welt gibt“.

Wir können also mit Metzinger, Pöppel und allen Anhängern der „Korrelationstheorie“ annehmen, dass die subjektive Zeit diskontinuierlich abläuft, dass der Ablauf unseres Erlebens und Verhaltens zerhackt ist in Zeitquanten von wechselnder Frequenz (zwischen circa 8 - 30 Perioden pro Sekunde). Die wiederholte Gleichzeitigkeit beziehungsweise die gleichartige Zeitfolge von Reizmustern verschiedener Herkunft ist für das Gehirn die Basis für die Fixierung neuronal übergreifender Strukturen, die in den „Zeitfenstern“ zu Einheiten verschmelzen. Die subjektive Empfindung eines kontinuierlichen Zeitstroms ist demnach eine Illusion, die sich aus der Verknüpfung aufeinander folgender „Augenblicke“ ergibt.

Die Vorstellung einer periodisch gequantelten Bewusstseinstätigkeit wird manchen Menschen schwer fallen, weil man nichts davon bemerken kann.

Umso mehr Bewunderung verdient der Berliner Arzt Carl Ludwig Schleich, der die Erkenntnis einer periodischen geistigen Tätigkeit schon vor 85 Jahren in seinem Buch „Bewußtsein und Unsterblichkeit“ (Rowohlt-Verlag) beschrieb: „Das Ich blitzt von neuem auf in jeder Sekunde. Es ist also etwas, was immer im Augenblick neu entsteht, und ist nichts Kontinuierliches. Es scheint uns nur deshalb kontinuierlich, dauernd vorhanden, eine Kette von Zuständen, das Gefühl eines Beständigen, eines dauernden Seins, weil diese Phase des Aufblitzens der Sternschnuppen von der bewussten und der unbewussten Welle immer wieder von neuem aufspringt und Blitz auf Blitz folgt, so schnell hintereinander aufzuckt, dass eben für uns die Täuschung einer Dauer und eines Zustandsverweilens entsteht.“(S.48)

Es sind immer noch nicht viele Wissenschaftler, die in den Hirnwellen einen Schlüssel zum Verständnis der Arbeitsweise der Großhirnrinde bzw. des Bewusstseins sehen, und ihre Folgerungen sind noch sehr vorsichtig und vage gehalten.

Unsere Vorstellung der rhythmischen Arbeitsweise kam ausgehend von der komprimierenden Funktion der Sprache über die Annahme eines iterierenden Algorithmus auf die Notwendigkeit eines neuronalen Taktes. Sie steht, was das Bindungsproblem betrifft, völlig im Einklang mit der „Korrelationstheorie“. Darüber hinaus erweitern unsere Gedanken die „Korrelationstheorie“ mit einem mathematischen Modell in den Bereich der Sprache und verbinden sie mit einem rhythmisches Konzept der sensomotorischen Handlungskontrolle.