In diesem Artikel betrachten wir Funktionenräume. Ein Funktionenraum ist ein Vektorraum, dessen Elemente Abbildungen
von einer nichtleere Menge
in einen Vektorraum
sind.
Ein Vektorraum mit überabzählbar vielen Einträgen
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Wir haben einige Beispiele für
-Vektorräume über einem allgemeinen Körper
kennengelernt: Für eine natürliche Zahl
gibt es den Koordinatenraum
. Die Vektoren in
sind Tupel
mit
. Die Vektoren in
haben also
Koordinaten. Im Folgenraum
sind die Vektoren Folgen in
, d.h. die Vektoren haben die Form
mit
. Intuitiv haben die Vektoren im Folgenraum
so viele Koordinaten, wie es natürliche Zahlen gibt, also abzählbar unendlich viele.
Gibt es einen Vektorraum, dessen Vektoren noch mehr als abzählbar unendlich viele Koordinaten haben? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns erst überlegen, wie wir Vektoren mit abzählbar unendlich vielen Koordinaten gefunden haben. Dafür haben wir Folgen über dem Körper
betrachtet. Formal ist eine Folge
eine Funktion
Also besteht der Folgenraum
aus allen Funktionen aus den natürlichen Zahlen
in den Körper
. Weil der Definitionsbereich der Funktionen die abzählbar unendliche Menge
ist, haben die Vektoren im Folgenraum abzählbar unendlich viele Koordinaten.
Wir können auch Funktionen aus einer Menge, die mächtiger als
ist, untersuchen. Dafür nehmen wir eine überabzählbare Menge
und betrachten alle Funktionen
. So erhalten wir die Menge aller Abbildungen von
nach
:
Was ist eine mögliche Vektorraumstruktur auf
? Wieder können wir uns anschauen, wie die Vektorraumstruktur beim Folgenraum funktioniert. Im Folgenraum ist die Vektoraddition und skalare Multiplikation komponentenweise definiert, d.h. für zwei Folgen
,
und einem Skalar
gilt
Wir erinnern uns, dass die Folgen die Folgen
und
formal Funktionen
und
sind:
Wie sieht die Funktionsvorschrift von
und
aus? Es ist
und
Also sind die Funktionen
und
definiert durch
und
.
So können wir auch allgemein die Vektoraddition
und skalare Multiplikation
in
mit einer nichtleeren Menge
definieren. Für zwei Funktionen
und
ist
gegeben durch
für
.
Genauso ist die Skalarmultiplikation gegeben durch
.
Der Vektorraum
hat für jedes Element in
eine "Koordinate". Da
überabzählbar ist, hat
überabzählbar viele Koordinaten.
Wir haben uns überlegt, dass die Menge aller Abbildungen
ein
-Vektorraum sein sollte. Können wir noch einen allgemeineren Vektorraum der Abbildungen
finden? Was muss eine Menge
erfüllen, damit wir eine komponentenweise Addition
und skalare Multiplikation
auf
definieren können?
Für zwei Abbildungen
soll
gegeben sein durch
für jedes
. Um die Abbildung
zu definieren, muss also
eindeutig bestimmt sein. D.h. wir müssen in
addieren können. Die skalare Multiplikation
von
mit der Abbildung
ist definiert durch
mit
. Hier muss
eindeutig bestimmt sein. D.h. wir müssen Elemente aus
mit Elementen in
multiplizieren können. Wir brauchen also eine skalare Multiplikation in
.
Damit
ein
-Vektorraum ist, braucht man in
eine Addition und skalare Multiplikation. D.h.
muss ein
-Vektorraum sein. Für jeden
-Vektorraum
und jede Menge
sollte auch die Menge der Abbildungen
einen
-Vektorraum bilden. Diesen nennen wir Funktionenraum. Wir werden später noch formal beweisen, dass
tatsächlich ein Vektorraum ist.
Sei
ein Körper,
ein
-Vektorraum und
irgendeine nichtleere Menge.
Dann können wir die Menge der Abbildungen von
nach
definieren:
Hinweis
Für diese Definition haben wir noch nicht benutzt, dass
ein Vektorraum ist. Es genügt, wenn
eine Menge ist.
Auf dieser Menge definieren wir eine Addition und eine Skalarmultiplikation:
Definition (Vektorraumverknüpfungen auf
)
Die Addition
ist wie folgt definiert:
Die Summe von zwei Abbildungen
ist eine Abbildung
, die durch
für alle
gegeben ist.
Ähnlich definieren wir die Skalarmultiplikation
:
Für ein Skalar
und eine Abbildung
ist die Skalarmultiplikation
definiert durch
für jedes
.
Hinweis
Für die Definition brauchen wir nur, dass
ein Vektorraum ist, da hier die Addition und die skalare Multiplikation stattfinden.
kann tatsächlich eine beliebige Menge (d.h. ohne algebraischer Struktur) sein.
Erklärung zur Definition der Addition und skalaren Multiplikation
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Wir haben die Vektoraddition
und die skalare Multiplikation
im Funktionenraum
formal definiert. Die Addition ist definiert durch
. Aber was heißt das nun?
Für die Funktionen
haben wir eine Funktion
definiert. Jede Funktion
ist durch ihre Werte an den
bestimmt. Das heißt, um
zu definieren, müssen wir
für
bestimmen. In unserer Definition ist
festgelegt als die Addition der Vektoren
und
, also
.
Ähnlich funktioniert die skalare Multiplikation. Für ein Skalar
und eine Funktion
haben wir die Funktion
definiert. Die Werte dieser neuen Funktion
sind gegeben durch die skalare Multiplikation von
mit dem Vektor
, also
.
Satz (
ist ein Vektorraum)
ist ein
-Vektorraum.
Wie kommt man auf den Beweis? (
ist ein Vektorraum)
Wir gehen vor wie im Artikel Beweise für Vektorräume führen. Also müssen wir die acht Vektorraumaxiome beweisen. An der Kommutativität der Addition zeigen wir, wie man solche Beweise führt. Für die Kommutativität müssen wir folgende Aussage beweisen
Seien also
und
. Wir müssen zeigen, dass
gilt. Sowohl
als auvch
sind in
, also Abbildungen von
nach
. Wann sind zwei Abbildungen gleich? Sie sind genau dann gleich, wenn sie für jedes
den gleichen Funktionswert haben. Also gilt
genau dann, wenn für alle
das Folgende gilt:
. Hier können wir nun die Definition von
benutzen:
Beweis (
ist ein Vektorraum)
Wir müssen nun also die acht Vektorraumaxiome nachprüfen.
Beweisschritt: Assoziativität der Addition
Beweisschritt: Kommutativität der Addition
Beweisschritt: neutrales Element der Addition
Wir müssen nun zeigen, dass es ein neutrales Element
gibt.
Das heißt,
soll für alle
gelten.
Wir zeigen, dass die Nullabbildung
diese Eigenschaft besitzt.
Sei
. Dann gilt für alle
:
Also folgt
. Damit ist gezeigt, dass
ein neutrales Element bezüglich der Addition besitzt.
Beweisschritt: Inverse bezüglich der Addition
Sei
mit
.
Wir müssen zeigen, dass es ein
gibt, sodass
gilt.
Da
ein Vektorraum ist, existiert zu jedem
ein Inverses
bezüglich "
" mit
. Wir definieren
. Es gilt
. Wir zeigen, dass
das Inverse zu
ist. Es gilt für jedes
:
Also gilt
.
Damit haben wir gezeigt, dass es zu einem beliebigen
ein
gibt mit
.
Beweisschritt: Skalares Distributivitätsgesetz
Beweisschritt: Vektorielles Distributivitätsgesetz
Beweisschritt: Assoziativität für Skalare
Beweisschritt: Unitäres Gesetz
Hinweis
Einige zählen die Abgeschlossenheit der Addition und der skalaren Multiplikation auch noch zu den Vektorraumaxiomen. Diese folgen aber daraus, dass
selbst ein
-Vektorraum ist. Das haben wir uns im Hinweis nach der Definition der Verknüpfungen überlegt.
Außerdem muss gelten, dass
nicht leer ist. Dies folgt direkt aus der Existenz eines neutralen Elements bezüglich der Addition.
Die Menge der differenzierbaren Funktionen als Untervektorraum eines Funktionsraums
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Im vorherigen Abschnitt haben wir gezeigt, dass die Menge aller Abbildungen von einer nichtleeren Menge
in einen
-Vektorraum
wieder ein
-Vektorraum ist. Wir betrachten nun den Spezialfall
,
und
. Wir wissen bereits, dass
ein
-Vektorraum ist. Wir haben also bisher gezeigt, dass die Menge der Abbildungen
ein
-Vektorraum ist.
Wir betrachten nun die Menge der differenzierbaren Funktionen
. Wir bezeichnen diese mit
.
Satz
Die Menge der differenzierbaren Funktionen
bildet einen
-Vektorraum.
Beweis
Die Menge der differenzierbaren Funktionen
ist eine Teilmenge der Menge der Abbildungen
, d.h.
. Um zu zeigen, dass
einen
-Vektorraum bildet, reicht es zu zeigen, dass
ein
-Untervektorraum von
ist.
Dazu müssen wir die 3 Unterraumkriterien zeigen.
Beweisschritt: ![{\displaystyle {\mathcal {D}}(]0,1[,\mathbb {R} )\neq \emptyset }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/b776e54b957875f1f87d0231d1da573d14f9350e)
Die Funktion
ist eine differenzierbare Funktion. Also:
.
Beweisschritt: Für alle
gilt
.
Seien
differenzierbar, d.h.
. Wir haben in Analysis I gezeigt, dass die Funktion
differenzierbar ist. Folglich gilt
.
Beweisschritt: Für alle
und alle
gilt
.
Sei
und
. Wir haben in Analysis I gezeigt, dass die Abbildung
differenzierbar ist. Somit gilt
.
Damit haben wir gezeigt, dass
ein
-Untervektorraum von
ist.
Wir haben bereits gesehen, dass die Menge der Folgen über
einen Vektorraum bezüglich der koordinatenweisen Operationen bildet.
Eine Folge
mit Einträgen in
können wir auffassen als Funktion
.
In diesem Sinne ist der Folgenraum ein Spezialfall des Funktionenraums
, indem wir
und
setzen.