Kubische Gleichungen (Gleichungen 3. Grades) können zunächst reduziert werden zu einer speziellen Variante, der Normalform. Lösungen dieser Normalform werden mit den cardanischen Formeln bestimmt. Damit werden alle Nullstellen eines gegebenen kubischen Polynoms berechnet.
Die Formeln wurden, zusammen mit Lösungsformeln für quartische Gleichungen (Gleichungen 4. Grades), erstmals 1545 von dem Mathematiker Gerolamo Cardano[1] in seinem Buch Ars magna veröffentlicht. Entdeckt wurde die Lösungsformel für die reduzierten kubischen Gleichungen von Niccolò Tartaglia,[2] laut Cardano sogar noch früher durch Scipione del Ferro.[3] Von Cardano selbst stammt die Methode zur Reduzierung der allgemeinen Gleichung dritten Grades auf diesen Spezialfall.
Die cardanischen Formeln waren eine wichtige Motivation für die Einführung der komplexen Zahlen, da man im Fall des casus irreducibilis (lat. für „nicht zurückführbarer Fall“) durch das Ziehen einer Quadratwurzel aus einer negativen Zahl zu reellen Lösungen gelangen kann. Diesen Fall zu lösen schaffte erst François Viète (Vieta) um 1600 mittels der Trigonometrie.
Die cardanischen Formeln besitzen heute für eine rein numerische, d. h. angenäherte Lösung kubischer Gleichungen kaum noch eine praktische Bedeutung, da sich die Lösungen näherungsweise bequemer durch das Newton-Verfahren mittels elektronischer Rechner bestimmen lassen. Sie sind dagegen für eine exakte Berechnung der Lösungen in Radikalen von erheblicher Bedeutung.
Sie kann durch Division durch A zunächst in die Normalform gebracht werden:
Wie bei den quadratischen Gleichungen behandeln wir auch kubische Gleichungen immer in dieser Normalform.
Mit Hilfe der Substitution[4] wird in der Normalform das quadratische Glied beseitigt und man erhält die reduzierte Form:
Das quadratische Glied entfällt; man kann die Gleichung in der reduzierten Form schreiben:
Die reduzierte Form wird mithilfe der Cardanischen Formel aufgelöst; anschließend werden durch Rücksubstitution die Lösungen der ursprünglichen Gleichung bestimmt.
Wegen der Sonderfälle kann sowie vorausgesetzt werden (auch wenn es unten im Fall A nochmals angesprochen wird).
Im Unterschied zur quadratischen Gleichung ist es bei der kubischen Gleichung erforderlich, komplexe Zahlen zu betrachten – sogar dann, wenn alle drei Lösungen reell sind.
Beginnen wir mit der Substitution :
Durch Koeffizientenvergleich mit der reduzierten Form ergeben sich daraus folgende Beziehungen:
Dies wird wie folgt entwickelt:
Dabei wird D als Diskriminante bezeichnet. Wenn wir nun die Gleichungen (2) und (3) addieren sowie subtrahieren und durch 2 teilen, erhalten wir:
Auf diesem Weg erhalten wir je drei komplexe dritte Wurzeln von und , die sich jeweils um den Faktor unterscheiden, wobei die primitive dritte Einheitswurzel[5] ist. Dies liefert insgesamt neun mögliche Kombinationen für die Lösungen der kubischen Gleichung. Wegen der Zusatzbedingung ergeben tatsächlich nur drei dieser Paare die Lösungen der kubischen Gleichung.
Beispielsweise ist die Kombination keine Lösung, wie die Probe zeigt:
Wegen gilt diese Gleichheit nur für oder – beides wurde für diesen Abschnitt ausgeschlossen.
Auf diesem Weg stellt man fest, dass folgende Kombinationen (mit als weiterer Einheitswurzel) die drei Lösungen der reduzierten Form liefern:
Das Lösungsverhalten hängt entscheidend vom Vorzeichen der Diskriminante ab:
: Es gibt entweder eine doppelte reelle Lösung und eine einfache reelle Lösung (Fall C) oder eine dreifache reelle Lösung (Fall A).
: Es gibt genau eine reelle Lösung und zwei imaginäre Lösungen (Grafik: Fall B).
: Es gibt drei verschiedene reelle Lösungen (Fall D).
Für gibt es für den Verlauf des zugehörigen Graphen zwei Möglichkeiten: entweder Fall B oder streng monoton wachsend (nicht im Bild dargestellt).
Fall A mit ist bereits durch die einfachen Sonderfälle erledigt. Dabei ist die einzige (dreifache) Lösung, und es gilt:
Sofern Fall C mit nicht als einfacher Sonderfall erledigt ist, wählt man reell. Nach den obigen Formeln gibt es dann eine einfache reelle und eine doppelte reelle Lösung für z:
Die jeweils letzte Gleichheit ergibt sich aus folgender Umstellung der reduzierten Form der Gleichung:
Man wählt für und jeweils die reellen Wurzeln.
Es gibt genau eine reelle und zwei konjugiert komplexe Lösungen, die sich nach den obigen Formeln so ergeben:
Somit erhält man als Lösungen der kubischen Gleichung:
Allerdings ist das Ausziehen der Kubikwurzeln nicht immer einfach. Cardano führt als Beispiel an: . Hierbei wählen wir und reell. Somit ergeben sich und . Für die Techniken zum Ausziehen von verschachtelten Wurzeln sei auf die Fachliteratur verwiesen.
Man wählt und jeweils konjugiert-komplex zueinander, so ergeben sich dann durch drei verschiedene reelle Lösungen.
Bei der Bestimmung von müssen jedoch dritte Wurzeln aus echt komplexen Zahlen berechnet werden. Deshalb wird dieser Fall casus irreducibilis genannt. Mithilfe der trigonometrischen Funktionen können die Lösungen jedoch auch reell berechnet werden: Nach den Additionstheoremen der Trigonometrie gilt für alle diese Beziehung:
Schreibt man die Gleichung in der reduzierten Form mit Hilfe des Ansatzes um, ergibt sich:
Dabei wurde gewählt, sodass der Klammerausdruck in (2) verschwindet. Es ergibt sich:
Einsetzen in liefert mit und zunächst den Lösungsansatz und daraus folgend die drei Lösungen:
Die Gleichung hat also die folgenden drei Lösungen:
Lässt man für eine kubische Gleichung in Normalform komplexe Koeffizienten zu, so kann man Real- und Imaginärteil der linken Seite der Gleichung gesondert betrachten und erhält zwei Gleichungen nur mit reellen Koeffizienten.
Man kann aber auch direkt mit komplexen Koeffizienten arbeiten. Das Vorgehen dafür entspricht weitgehend dem vorstehenden Abschnitt, es gibt aber nur zwei Fälle:
: Dies ist auch im Komplexen das Kriterium für mehrfache Nullstellen. Die oben für diesen Fall angegebenen Formeln gelten unverändert.
: Die oben für den Fall angegebenen Formeln gelten analog; die beiden dritten Wurzeln sind dabei wegen der Zusatzbedingung so zu wählen, dass ihr Produkt ergibt. Das Ausziehen der komplexen dritten Wurzeln auf trigonometrischem Weg führt zu einem Lösungsweg, der dem für den Fall , den casus irreducibilis, angegebenen entspricht. Dabei ist der Winkel an die komplexen Radikanden anzupassen.
Heute wissen wir, dass quadratische, kubische und quartische (biquadratische) Gleichungen algebraisch auflösbar sind, d. h. es gibt für sie Lösungsformeln, die nur algebraische Operationen (Grundrechenarten und Wurzelziehen) enthalten.
Alle Bemühungen, algebraische Gleichungen höheren als vierten Grades algebraisch aufzulösen, blieben allerdings ohne Erfolg. Von 1824 bis 1826 bewies Abel,[6] dass eine algebraische Gleichung, deren Grad größer als 4 ist, im allgemeinen nicht algebraisch lösbar ist; es gibt also für derartige Gleichungen keine Lösungsformeln. (Lediglich für spezielle Gleichungen gibt es algebraische Lösungen.)
Der Nachweis, dass es keine entsprechenden Formeln für Gleichungen fünften und höheren Grades geben kann, hat allerdings die Entwicklung der Algebra entscheidend beeinflusst.
Die Tatsache, dass jede algebraische Gleichung n-ten Grades genau n komplexzahlige (oder auch reelle, nicht notwendig verschiedene) Lösungen besitzt, hat Gauß 1799 in seiner Doktorarbeit bewiesen. Damit war allerdings keine Methode angegeben, wie diese Lösungen zu finden wären.
Wir hatten ihn nur in einer speziellen Variante für quadratische Gleichungen benutzt. Für kubische Gleichungen in der Normalform liefert er folgende Eigenschaften der Wurzeln:
Darüberhinaus stellt der Satz[7] Aussagen über Polynome beliebigen Grades zur Verfügung.
Dieser Satz besagt, dass jedes nicht konstante Polynom im Bereich der komplexen Zahlen mindestens eine Nullstelle besitzt. Der Körper wird als algebraisch abgeschlossen bezeichnet. Dagegen sind die reellen Zahlen nicht algebraisch abgeschlossen; schließlich gibt es für das Polynom keine reelle Nullstelle.
Bei der Herleitung ging es um neun mögliche Kombinationen für die Lösungen der kubischen Gleichung in der reduzierten Form. Untersuche, ob die folgenden Kombinationen Lösungen liefern; dabei soll die primitive dritte Einheitswurzel sein.
Wir setzen die möglichen Lösungen in die Gleichung ein und machen die Probe. Wiederholt wird verwendet.
(a) ist eine mögliche Lösung:
(b) ist keine mögliche Lösung:
Der Klammerausdruck ist ungleich 0, wie bei der Herleitung festgestellt wurde. Für die Cardanische Formel hatten wir die Voraussetzungen gesetzt, also gilt auch . Damit erfüllt diese Kombination nicht die Gleichung.
↑Diese Substitution und auch Umwandlungen für die Cardanische Formel sehen sehr konstruiert und unmotiviert aus. Eine schöne Erläuterung für solche Beweisschritte gibt es unter „Wenn Beweise vom Himmel fallen“.