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Sozialklima von Gruppen



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Einführung in den Problemkreis

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Lernumweltforschung - ein neuer Trend?

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Eine grobe Durchsicht der sozialwissenschaftlichen Veröffentlichungen macht eindrucksvoll deutlich, dass das Interesse an der Lernumweltforschung in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat. Man wird nicht bestreiten können, dass es auch innerhalb der Wissenschaft zeitabhängige Selektionsprozesse gibt, die gewissen Forschungsfragen, abhängig von Zeitproblemen eine bevorzugte Behandlung zuteil werden lassen. Durch das gestiegene Interesse an der Lernumweltforschung könnte man behaupten, dass auch diese einem gewissen Modetrend unterliegt. Dabei wird allerdings oft übersehen, dass es vorwiegend theoretische 'Zwänge' sind, die diese Forschungsrichtung fordern. Es lässt sich schon durch eine historische Betrachtung der sozialwissenschaftlichen Theorienbildung der letzten 100 Jahre zeigen, dass sich die Erklärung menschlichen Verhaltens ohne eine Einbeziehung der Umwelt nicht bewährt hat. Dies zeigt sich in den traditionellen Disziplinen Psychologie, Soziologie und Pädagogik.

Es sind vorwiegend historische Gründe, warum innerhalb der Sozialwissenschaften die Erforschung von Lernumwelten allmählich nach guten Anfängen um die Jahrhundertwende wieder entdeckt wird. Das letzte Hindernis in diesem Prozess der Wiederentdeckung war die Tatsache, dass nach dem zweiten Weltkrieg die deutsche Psychologie bzw. Soziologie stark durch die USA beeinflusst war. Die Ursache lag u.a. im wissenschaftlichen Vakuum, welches als Folge des 'Dritten Reiches' entstand. Eine Anknüpfung an die Ergebnisse deutscher Forschungen vor den Dreißiger Jahren war damit weitgehend verhindert. Hinzu kam die z.T. unfreiwillige Auswanderung von maßgeblichen Wissenschaftlern.

Die Amerikaner hatten eine besondere Sichtweise von Psychologie. Diese wird von ITTELSON et al. treffend charakterisiert: "Der Gegenstand einer Wissenschaft der Psychologie war der Mensch und nicht seine Umwelt" (1977, S.86). Der Organismus und sein Verhalten wurde unabhängig von der Umwelt untersucht (vgl. BARKER, 1960, S.11).

Zu den Psychologen erklärt MITCHELL, dass dies diejenigen Sozialwissenschaftler seien, die sich zwar von ihrem Selbstverständnis her am ehesten mit dem Verhalten beschäftigen, aber am wenigsten die Umwelt als Faktor der Verhaltensaufklärung beachtet hätten (1969, S.697; s.a. HUNT, 1975). Erst seit ca. 20 Jahren ist hier aber eine Veränderung zu beobachten (s. z.B. PEKRUN, 1983, S.16).

Auch die Soziologie hat einen nicht geringen Einfluss auf die Lernumweltforschung gehabt. Wenn man die Soziologie grob in Makro- und Mikrosoziologie unterteilt, kann man mit aller Vorsicht behaupten, dass nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst eher makrosoziologischen Fragestellungen nachgegangen wurde. Die resultierenden Erklärungen für menschliche Zustände und Prozesse waren theoretisch komplex und eher praxisfern. Zudem vernachlässigten diese umfassenden Theorieansätze weitgehend die Beschreibung der Probleme des Einzelnen (s. z.B. die Systemtheorien um PARSONS und LUHMANN). Die daran ansetzende Kritik bewirkte den Paradigmawechsel zur Mikrosoziologie in den siebziger Jahren.

Die Soziologie beeinflusste auch noch in anderer Beziehung psychologische und pädagogische Denk- und Arbeitsweisen. Gemeint ist die Renaissance des symbolischen Interaktionismus und der Ethnomethodologie, die beide mit ihren kontextbezogenen Erklärungen für menschliches Verhalten anregend auf andere sozialwissenschaftliche Disziplinen wirkten.

Für die deutsche Pädagogik ist der Lernumweltaspekt ebenfalls nicht ganz neu. Sie hat sich schon früh implizit mit der Erklärung menschlichen Verhaltens durch den Kontext beschäftigt. Die älteren pädagogischen Ansätze, die die Bedeutung des Sozialklimas erkannt hatten, sind vorwiegend mit den Namen FLITNER und NOHL (beide in NOHL & PALLAT, 1933), RUPPERT (1965) und WINNEFELD (1957) verbunden. Dabei muss man manchmal überrascht sein, wie aktuell manche Aussagen dieser Autoren heute noch sein können.

Es existieren allerdings nur wenige empirische Belege, die die älteren pädagogischen Theorien zu diesem Themenbereich stützen könnten. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die wissenschaftlichen Träger deutscher Pädagogik, nämlich die Lehrstuhlinhaber, vorwiegend an der Hermeneutik orientiert waren. Erst mit der später einsetzenden Entwicklung eines geeigneten Methodeninventares nach dem Zweiten Weltkrieg konnten neue Zugänge zur Realität eröffnet werden bis zur Tatsache, dass die meisten Lehrstühle heute in Richtung Bildungsforschung ausgerichtet sind

Man kann zusammenfassend feststellen, dass das Thema Lernumwelt durch verschiedene Prozesse innerhalb der Wissenschaftsdisziplinen Psychologie, Soziologie und Pädagogik aktualisiert wurde. In der Pädagogik setzt sich in jüngster Zeit zunehmend die Erkenntnis durch, dass zukünftige pädagogische Forschung ohne einen Einbezug von Umweltvariablen nur einen beschränkten Erklärungswert für menschliches Verhalten besitzt.



Zugänge zur Lernumwelt

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Der Begriff 'Lernumwelt' ist keineswegs genau spezifiziert, sondern beinhaltet eher ein Konglomerat verschiedener Ansätze und Zugänge zur Umwelt. Unterschiedliche Definitionen, Messverfahren und Datenqualitäten erschweren eine Vergleichbarkeit von Untersuchungen gerade in diesem Forschungsbereich (vgl. Parey & INGENKAMP, 1973; Mitchell, 1969, S.699f; PERVIN, 1975, S.3; vgl. auch MEISTER, 1978, S.551; WALTER, 1976).

Hinzu kommt, dass die Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern verschiedener Richtungen oftmals zu einer von der Sache her nicht gerechtfertigten Verhärtung der Standpunkte führen. Aber trotz aller Unterschiedlichkeit sind zwei zentrale Fragen allen Ansätzen gemeinsam:


  1. Wie und in welchem Ausmaß beeinflusst die Umwelt das Verhalten? Und umgekehrt: Wie beeinflussen Individuen die Umwelt?
  2. Welche Mechanismen spielen bei der Verbindung Person und Umwelt eine Rolle? Verschiedene Antworten auf diese Fragen werden in Kap. 2 vorgestellt.


Besondere Schwierigkeiten zeigen sich bei dem Versuch, den Begriff Lernumwelt abzugrenzen. Von den vielen Definitionen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, erscheint die von BLOOM wegen ihres umfassenden Charakters geeignet. BLOOM - als Vertreter der sogenannten 'Chicagoer Schule' (s. WOLF, 1980) - definiert wie folgt:

"Unter Umwelt verstehen wir die Bedingungen, Einflüsse (forces) und äußeren Reize, die auf Menschen einwirken. Dies können psychische, soziale, aber auch intellektuelle Einflüsse und Bedingungen sein. Nach unserer Auffassung reicht Umwelt von den unmittelbarsten sozialen Interaktionen bis zu den entferntesten kulturellen und institutionellen Einflüssen. Wir glauben, dass die Umwelt aus einem Netzwerk von Einflüssen und Faktoren besteht, die den Menschen umgeben. Wenn auch einige Menschen diesem Netzwerk widerstehen können, werden nur äußerst selten (in extremen Fällen) Individuen völlig ausweichen oder entkommen können. Umwelt ist eine formende und verstärkende Kraft, die auf Menschen einwirkt" (BLOOM, 1964, S.187, zit. n. WOLF, 1980, S.173).

Umwelt ist bei BLOOM also eine Kraft, der man nicht entrinnen kann. Umwelteinflüsse haben demnach zwangsweise verhaltenswirksame Relevanz. Dieser Aspekt wird bei WOLF noch stärker betont:

Lernumwelt "kennzeichnet die sozial-wissenschaftliche Sichtweise, aus ausgewählten, situativen Gegebenheiten unter Berücksichtigung personenspezifischer Größen Verhaltens(änderungen) zu erklären" (WOLF, 1981).

Was sind diese 'Gegebenheiten', und wie findet man einen Zugang zu ihnen? Will man eine Art 'Grobgliederung' der sozialen Gegebenheiten vornehmen, dann bietet sich ein Modell von MARTINDALE (1979) an (Abbildung 1. 1), welches soziale Realität durch zwei dichotome Faktoren (objektiv-subjektiv; mikro-makro) beschreibt.


 
Abbildung 1.1: Grobgliederung sozialer Gegebenheiten (n. Martindale, 1979)


Mit Hilfe dieses Modells kann man Aspekte der Lernumweltforschung charakterisieren und Zugänge zu ihr offen legen. Einmal stellt sich nämlich allen Konzeptionen die Frage, ob Umwelt von außen (objektiv) oder durch die in dieser Umwelt lebenden Individuen (subjektiv) erfasst werden soll. Mit dieser heftig diskutierten Frage wird sich die vorliegende Arbeit durch das Einbeziehen verschiedener Theorien (Kap. 2) beschäftigen. Es stellt sich dabei das Problem, wie Umwelt als Faktor der Verhaltensbeeinflussung untersucht werden kann:


  • Ist Umwelt als ein einzelner Reiz (mikroanalytisch) oder
  • als etwas Globales (makroanalytisch) zu verstehen?


Die Lernumweltforschung beschäftigt sich mit verschieden großen Ausschnitten von Umwelt (PERVIN, 1975). Die kleinste, gerade noch eindeutig identifizierbare Umwelteinheit ist der 'Reiz' (stimulus). Wenn verschiedene Reize in einem kausalen Zusammenhang stehen, so spricht man von 'Episode'. Erst wenn Episoden in einem Bezugsrahmen stattfinden, liegt eine 'Situation' vor. Eine Situation "ist ein räumlich und zeitlich begrenzter Ausschnitt der aktuellen Umwelt einer Person, die darin handelt oder zu handeln beabsichtigt" (WAKENHUT, 1978, S.15). Ihr Bezugsrahmen kann dabei physikalisch, zeitlich, aber auch psychologisch definiert werden. Bestimmte gleichartige, generalisierte Situationen werden als 'Setting' bezeichnet. Hierbei handelt es sich um ein homoeostatisches System, welches Verhalten regelt. Die umfassendste Einheit ist die 'Umwelt' (environment). Sie ist im Grunde nicht mehr forschungspraktisch klar definierbar, da sie alles umfasst.

Diese beiden oben genannten Zugänge (subjektiv vs. objektiv, mikro vs. makro) des MARTINDALEschen Modells bleiben trotz ihrer Differenzierungsfähigkeit unvollständig: Umwelt bleibt inhaltlich offen, es wird keine Aussage darüber gemacht, aus welchen 'Dingen' Umwelt konkret besteht.

Vielleicht können hier andere Differenzierungsversuche weiterhelfen. CONYNE & CLARK (1981) z.B. unterscheiden inhaltsbezogen die institutionelle, physikalische und soziale Umwelt. Anhand dieser Darstellung kann man verschiedene Disziplinen einzelnen Inhaltsbereichen zuordnen. Die Möglichkeit weiterer Typisierungen vorausgesetzt, zeigt sich deutlich, dass die Organisationssoziologie eher der institutionellen Umwelt zuzuordnen ist. Mit der physikalischen Umwelt beschäftigt sich die sog. 'environmental psychology' amerikanischer Herkunft. Demgegenüber wird die soziale Umwelt oft zum Gegenstand pädagogischer und sozialpsychologischer Fragestellungen. Jede Entscheidung für den einen oder anderen Bereich gibt einen bestimmten Ausschnitt der Realität wieder. Hier zeigen sich gleichermaßen Schwächen und Stärken einer solch künstlichen Trennung. Die Schwächen werden besonders von PROSHANSKY hervorgehoben: "There is no physical setting that is not also a social and cultural setting" (1976, S. 308).

Jeder dieser drei Bereiche ist also für sich genommen eher eine unzulässige Reduktion der tatsächlichen Verhältnisse. Es wird sich später noch zeigen, dass der allen drei Umwelttypen gemeinsamen Schnittfläche besonderer heuristischer Wert zukommt. Ob der oben bereits angesprochene Zugang zu den Umwelttypen nun eher objektiv oder eher subjektiv verläuft - das ist eine wichtige theoretische Frage, die für die Sozialklimaforschung bereits beantwortet scheint: Ihr Selbstverständnis gründet sich u.a. auf den subjektiven Zugang zur Umwelt. So wird auch in der vorliegenden Arbeit davon ausgegangen, dass dem subjektiven Zugang ein größerer Erklärungswert zukommt. Dies gilt es allerdings noch genauestens zu begründen.


 
Abbildung 1 2: Umwelttypen (nach Coyne&Clark,1981)

Gründe für die Erforschung des Sozialklimas

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Die umfassende Literatur zum Sozialklima könnte zu dem Schluss führen, dass dieser Bereich zur Genüge erforscht und durchforstet sei. Doch dieser Eindruck täuscht. Abgesehen davon, dass sich mit der Zeit soziale Zustände ändern können und erneute Untersuchungen erforderlich machen, zeigt eine genauere Durchsicht der Literatur, dass die Sozialklimaforschung noch in den Kinderschuhen steckt.

Die Fülle der Literatur darf nämlich (1) nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass es im Rahmen der Sozialklimaforschung nur wenige Wissenschaftler waren, die ein breites Fachpublikum erreichten. Dies zeigt sich in der Literaturliste deutlich an den Namen ANDERSON, FRASER, MOOS und WALBERG aus dem US-amerikanischen bzw. australischen Bereich und dem Namen DREESMANN im deutschsprachigen Raum.

Ferner (2) kann festgestellt werden, dass das Sozialklima - sieht man genauer hin - eigentlich besonders unzureichend erforscht ist, da die Arbeiten relativ oft auf einem restringierten Paradigma beruhen.

Was (3) die Theorie betrifft, steht sie sogar auf besonders schwachen Füßen. Ein Mehr an theoretischer Aufarbeitung erscheint deshalb sinnvoll und nützlich, was in Kap.2 versucht werden soll. MAGNUSSON (1981b) charakterisiert diesen Sachverhalt wie folgt: Situationsanalysen helfen, Verhalten zu verstehen, weil Verhalten in Situationen stattfindet und weil nur die Kenntnis über die Situation es möglich macht, Verhalten zu verändern. CANTOR skizziert lapidar: Das Wissen eines Laien über die Situation ist psychologisch, deshalb muss die Situation wissenschaftlich erforscht werden (1981). ROTH (1981) sieht zwar die Gefahren einer solch extremen Zuwendung zur neuen ökologischen Psychologie vor allem darin, dass es den "theoretischen und methodischen Weg für die Lösung aller Probleme" nicht gibt. Er betont allerdings, dass er den ökologischen Ansatz für eine "wesentliche Bereicherung" (1981, S.12) hält. Der Sinn der Sozialklimaforschung liegt darin, die Möglichkeiten der Vorhersage für verhaltensrelevante Variablen zu erhöhen (FRASER, 1980b).

Es gibt außerdem (4) noch eine Reihe methodischer Probleme, die sich mit dem Transfer von Individualdaten auf Kontextebene beschäftigen. Der bisher doch recht allgemein gehaltene Ruf nach sog. Mehrebenenanalysen muss konkretisiert werden.

Ein weiterer Grund (5) liegt in der potentiellen praktischen Relevanz der Sozialklimaforschung. Das sieht auch ROTH (1981). Bei ihm taucht ein wichtiger Gedanke auf: Das Verhältnis von Grundlagenforschung und angewandter Forschung verschiebt sich immer mehr zugunsten der Grundlagenforschung. Demgegenüber besteht offensichtlich bei den Praktikern (z.B. Lehrern) durchaus ein Bedarf nach praktischen Handlungsanweisungen. Naive, propädeutische Veröffentlichungen von Lehrern für Lehrer (z.B. FOX et al., 1966) machen deutlich, dass die Praktiker die Wichtigkeit dieses Forschungsbereiches längst erkannt haben.

Mitchell betont in diesem Zusammenhang die noch ungelösten Schwierigkeiten, die auf dem allgemein bekannten Theorie-Praxis-Problem beruhen: Er kommt nach einer - allerdings schon älteren - Analyse zu dem Schluss, dass die Lernumweltforschung die Beziehung zwischen Person und Umwelt zwar einerseits noch nicht fein genug analysieren kann, andererseits aber die Ergebnisse schon wieder so differenziert sind, dass sie für den Praktiker kaum umzusetzen sind. So scheint ALTMANNs These gerechtfertigt: Das größte Hindernis liegt in der schlechten Kommunikation zwischen Forscher und Praktiker (1973, S.100).

Neuere Autoren zeigen aber die Möglichkeit auf, Ergebnisse aus der Sozialklimaforschung zu administrativen Entscheidungen heranzuziehen, um institutionelle Veränderungen oder sogar 'sozialen Wandel' (SINCLAIR, 1977, S.3) herbeizuführen (s.a. ANDERSON, 1982; BAIRD, 1971, 1974; FINLAYSON, 1973; SCHWARZER, 1979; WALTER, 1972). Ob allerdings die Zusammenarbeit zwischen Forscher und Praktiker einmal so gut werden wird, bleibt abzuwarten.




Allgemeiner Rahmen und Aufbau der Arbeit

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Vor diesem Hintergrund greift diese Einführung zwei zentrale Fragestellungen auf, die die derzeitige Umweltdiskussion beschäftigen.

  1. Welche Umwelt hat höhere Relevanz für menschliches Verhalten: Die sogenannte objektive Umwelt oder die sogenannte subjektive Umwelt?
  2. Inwieweit ist die Wahrnehmung der Umwelt durch Merkmale des Individuums und/oder durch irgendwie geartete Gruppenfaktoren bestimmt?

Diese beiden Fragestellungen dienen als Grundlage zur Problemstrukturierung dieser Einführung. Graphisch ist dies in Abb. 1.3 verdeutlicht: Indem man objektive und subjektive Umwelt gegenüberstellt und personenbezogene Umwelt gegenüber der gruppenbezogenen Umwelt berücksichtigt, kommt man zu einer Art Vierfelderschema. Im Feld 1 oben links sind diejenigen Auffassungen angesiedelt, die der objektiven Umwelt eine hohe Bedeutung zur Erklärung menschlichen Verhaltens zuweisen. Es folgt schließlich das sehr viel größere Bündel von Theorien, die die subjektiv durch Gruppen vermittelte Umwelt als Erklärungsvariable für menschliches Verhalten mit einbeziehen (die Zelle 2 oben rechts). Diese subjektiv orientierten Theorieansätze sind notwendige Grundlage dafür, das Konstrukt Sozialklima zu bestimmen. Das Konstrukt selbst wird allerdings erst in Zelle 4 angesprochen. Dabei geht es um die Frage, ob es subjektiv vermittelte Umweltfaktoren gibt. Zelle 3 schließlich steht für die allen Gruppenmitgliedern objektiv identische Umwelt und deren Beitrag zur Erklärung menschlichen Verhaltens.


 
Abbildung 1.3: Grobklassifizierung von Umwelttheorien


Im folgenden wird eine Übersicht über die wesentlichen Argumentationsfolgen dieser Einführung gegeben.


  • Die Erforschung des Sozialklimas ist nach wie vor aus wissenschaftsinternen und -externen Gründen aktuell (dieses Kapitel).
  • Grundlegend für wissenschaftliche Arbeit ist ein theoretisches Konstrukt gefasst in einer Definition. Deshalb werden Definitionen zum Sozialklima vorgestellt (Kap. 2.1).
  • Der Wert des begrifflich gefassten Konstruktes zeigt sich in seinem Beitrag zu einer Theorie. Aus diesem Grunde werden zunächst nah verwandte Theorien menschlichen Verhaltens vorgestellt. Diesen Theorien ist gemeinsam, dass sie die Umwelt mit einbeziehen (Kap. 2.2).
  • Neben diesen Theorien zum individuellen menschlichen Verhalten werden Gruppenkonzepte mit herangezogen. So wird der Tatsache Rechnung getragen, dass das Sozialklima ein Gruppenphänomen ist. (Kap. 3).
  • Im 4. Kapitel wird erläutert, wie das Sozialklima erfasst werden kann.
  • Nach diesen theoretischen und methodischen Überlegungen wird ein Überblick über Ergebnisse der vorliegenden Sozialklimaforschung gegeben. (Kap. 5).



Zusammenfassung

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Im ersten Kapitel dieser Arbeit wird aufgezeigt, dass die Lernumweltforschung keineswegs ein neuer Trend ist, sondern schon seit langem zentrale Fragen zur Erklärung des menschlichen Verhaltens untersucht. Dabei zeigt sich, dass die drei großen traditionellen Wissenschaften Pädagogik, Psychologie und Soziologie verschieden starke Gewichtungen dieser Fragestellung vornehmen. Traditionellerweise beschäftigte sich die Psychologie mit Individualverhalten, wobei die Umwelt im heutigen Sinne weniger berücksichtigt wurde. Die ältere Soziologie neigte dazu, makrosoziologische Fragestellungen zu bevorzugen. Die Pädagogik hingegen, die sich mit praktischem Handeln in einer Situation beschäftigen muss, war seit jeher gezwungen, sich mit der Einbeziehung der Umwelt zu Erklärung menschlichen Handelns zu beschäftigen.

Lernumweltforschung ist an sich ein sehr weiter und grober Begriff. Man kann ihn allerdings durch die zwei Gegensatzpaare Makro- versus Mikroforschung und objektive Umwelt versus subjektive Umwelt eingrenzen. Auch der Begriff der Umwelt ist an sich nur ein sehr grobes Pendant zum Begriff der Person. Eine Ausdifferenzierung bzw. Untergliederung durch die Begriffe Setting, Situation, Episode und Stimulus ist möglich, der Erklärungswert aber noch ungeklärt.






Definitionsansätze und Theorien

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Definitionsansätze

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Frühe Ansätze

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Bei einer Forschungsrichtung, die schon relativ viel empirische Arbeiten vorgelegt hat, kann man eine ausführliche Diskussion über Definitionen ihres grundlegenden Konzeptes erwarten. Das Sozialklima wurde aber meist stillschweigend als schon endgültig definierte Basis aller Forschungen angesehen. So verwundert es nicht, wenn JAMES & JONES von einer eklatanten Diskrepanz zwischen der Popularität der Klimaforschung und der Uneinheitlichkeit der Definitionen sprechen (1974; s.a. BOOCOCK, 1973; NIELSON & KIRK, 1974). Die Autoren folgern daraus, dass es keine allen Ansprüchen gerecht werdende Definition von Sozialklima geben wird. Schraubt man die Ansprüche allerdings nicht so hoch, dann kann man auf dem schwierigen Felde der Begriffsdefinition einen Schritt weiterkommen.


Wenn ein psychologisches Konstrukt für menschliches Verhalten bedeutsam ist, so findet sich dieses meist in irgendeiner Form in der Alltagssprache wieder. Dieser Bezug zur Umgangssprache ist nicht neu (vgl. ALLPORT & ALLPORT, 1921; v.FRIEDEBURG, 1966), aber anschaulich. Auch das Sozialklima ist umgangssprachlich schon längst erfasst und wird meist dort angesprochen, wo Urteile über Institutionen oder Gruppen irgendeine Rolle spielen. Begriffe wie 'Betriebsklima', 'Klimazone', 'Atmosphäre', 'Corpsgeist', 'Klassengeist', 'Ethos', 'Stimmung' (RUTTER & MAUGHAN, 1980) sprechen für sich (DREIKURS, 1971; GÖTTE, 1962; MEISTER, 1965; WITTE, 1979).


Diese "überindividuelle, sozialpsychologische Äußerungsform" (GÖTTE, 1962, 33) wird aber auch in früheren wissenschaftlichen Ansätzen kaum präziser gefasst. Einmal ist es die Summe der Einstellungen und Verhaltensweisen (GÖTTE, 1962, 35), "mehr oder minder klare und unausgesprochene Meinungen, Gefühlsreaktionen, Verhaltensweisen, also ... subjektive Momente ..."(ADORNO & DIRKS, 1955, 9) zum anderen der emotionale 'tone' einer Gruppe (WITHALL, 1949, 348) sowie einfach ein 'Gesellungstrieb' (P. LERSCH), 'feel' (THOMAS, 1976), 'Gemeinschaftsgefühl' (A. ADLER, s. KAISER, 1977). über das Sozialklima haben - freilich unter anderen Begriffen - schon bedeutende Pädagogen, wie z.B. PESTALOZZI ('Erziehungsraum von Vertrauen und Liebe') und andere reformpädagogische 'Klassiker' (FRÖBEL, ROUSSEAU), nachgedacht, die alle die "Klassengruppe als eine Identität" (HEILAND, 1979) gesichert sehen wollten.


Es lagen also schon seit langem Begriffe für das Sozialklima vor, aber erst nach einer gewissen Ausdifferenzierung von Forschungsfragen und einer Hinwendung zur analytischen Sichtweise von Wissenschaft wurde die Notwendigkeit erkannt, den Begriff schärfer zu fassen, als bisher geschehen. Alleine durch historische Bezüge und aneinandergereihte Synonyme des Sozialklimas ist dieses noch nicht definiert. Dem Begriff und der Definition gelten die nächsten beiden Abschnitte.




Zum Begriff 'Klima'

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Der Begriff 'Klima' fand schon relativ früh Verwendung für die Beschreibung von Gruppenphänomenen; das 'Betriebsklima' ist in diesem Zusammenhang vermutlich der älteste Begriff. Der Eingängigkeit und Plausibilität dieses Begriffes ist es wohl auch zuzuschreiben, dass man - wenn auch nicht grundsätzlich in der Alltagssprache - den Begriff 'Klima' als Adaption aus der Meteorologie beibehalten hat.


'Klima' kommt vom griechischen 'Klinein', was mit 'neigen' übersetzt werden kann. ARISTOTELES verwendete diesen Begriff für die Neigung einer Landschaft gegen die einfallende Sonnenstrahlung. Klima wird heute als 'mittlerer Zustand' aller meteorologischen Erscheinungen während eines bestimmten Zeitraumes bezeichnet (JOLK, 1957). CHEMNITZ (1978) beschreibt die Adaption des Begriffes auf den sozio-emotionalen Bereich sehr genau, so dass darauf hier nicht mehr weiter eingegangen werden muss.



Die Definition des Sozialklimas

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Die naiv-psychologischen Vorstellungen über das Sozialklima sind als allgemeiner Umriss des Problems sicher geeignet, können aber wegen ihres Allgemeinheitsgrades nicht zur Grundlage wissenschaftlicher Arbeit dienen. CHEMNITZ weist darauf hin, dass dem Sozialklima eine 'Ganz- oder Komplexqualität' zukomme, was man gerade bei der Definition berücksichtigen müsse. Er formuliert: "Sozio-emotionales Klima ist die Bezeichnung für ein Gruppenphänomen, das typisch für eine Gruppe ist und als diffus-gefühlsartige Ganz- oder Komplexqualität einer Gruppe zu eigen ist" (1978, 119).


Diese Betonung des 'diffus-Gefühlsartigen' findet sich schon bei WITHALL (1949) und PERKINS (1951). In der neueren Klimaforschung allerdings wird dieser Aspekt - außer bei CHEMNITZ- nicht mehr betont. Denn die undifferenzierte Beschreibung von affektiven Gruppenprozessen durch 'Lust/Unlust' und 'Erregung/Beruhigung' reicht bei den aktuellen pädagogischen Fragestellungen schon lange nicht mehr aus.


Es ist schwierig, eine formale Definition so zu konstruieren, dass sie nicht trivial, sondern gebrauchsfähig wird. Ein möglicher Ausweg besteht darin, das Konzept dort, wo möglich, zu spezifizieren. CHEMNITZ beispielsweise schlägt deshalb den Begriff 'sozio-emotionales Klima' vor, da dieser den Sachverhalt am besten träfe (1978, 117f). Dieser Begriff unterscheidet sich von dem des Sozialklimas eigentlich nur in der Betonung des emotionalen Aspektes. CHEMNITZ nahm einen Transfer von seiner Methode (Klima erhoben durch Fragen nach der 'Stimmung' des Einzelnen) auf den Begriff vor. Im folgenden werden Definitionsbestandteile des Begriffes Sozialklima diskutiert, um einer möglichen endgültigen Definition näher zu kommen.



a) Bezugsrahmen

In der Literatur ist der Begriff des Klimas immer in einen bestimmten Zusammenhang gestellt worden: Schulklima (z.B. FEND, 1977), Klassenklima (z.B. MEISTER, 1978) oder auch Klassengeist (SPECHT & FEND, 1979) sowie Unterrichtsklima (z.B. DREESMANN, 1980a). CHEMNITZ (1978) referiert nahezu zehn verschiedene Bezeichnungen für dieses Konstrukt. Schulklima z.B. unterscheidet sich von Klassenklima durch folgende Kriterien: Es umfasst thematisch andere Bereiche (Schulleitung etc.) und es ist eine weitere, hierarchisch höhere Organisationsform. Damit ist Klassenklima nicht Ausschnitt des Schulklimas (so PEKRUN, 1983, 86), sondern hat eine hierarchisch tiefer liegende eigenständige Qualität.


Nun wird man sich fragen müssen, wieso in dieser Arbeit der Begriff des 'Sozialklimas der Klasse' verwendet wird und nicht der des Klassen- oder Unterrichtsklimas. Klassenklima reduziert den Klimabegriff allzu sehr auf die institutionelle Funktion der Klasse. Dabei wird nicht deutlich genug, dass die Klasse als Gruppe - wie noch zu zeigen sein wird - in vielerlei Hinsicht eine sozialpsychologische Einheit wie jede andere Gruppe in anderem Zusammenhang ist. Hinzu kommt, dass das Sozialklima einer Klasse auch von exogenen Faktoren abhängig ist und nicht - wie der Begriff Klassenklima suggeriert - ein in sich geschlossenes System ist.


Unterrichtsklima ist eine restriktive Bezeichnung. Sie schränkt das Sozialklima auf einen zeitlich-geographischen Raum ein, wobei übersehen wird, dass Aspekte des Sozialklimas nicht nur vom Unterricht abhängen, sondern auch von nicht rein unterrichtlichen Faktoren wie z.B. die Schüler-Schüler-Beziehungen. Eine weitere - noch auszudifferenzierende - Folge ist, dass Forscher dabei die starke Konfundierung von Fach (Unterricht) und Lehrer übersehen (s. z.B. DREESMANN, 1980a).



b) Kontinuität

Personen, die einen meteorologischen Zustand als Klima bezeichnen, machen damit u.a. deutlich, dass keine Möglichkeit besteht, diesen Zustand zu ändern. Das meteorologische Klima ist personenunabhängig (falls man nicht menschengemachte Veränderungen wie z.B. Smog dazuzählt). Das soziale Klima hingegen ist eher eine Beschreibung eines sozialpsychologischen Zustandes, wobei die Personen als Gruppe weitgehend die alleinigen Urheber dieses Klimas sind. Das Sozialklima ist demnach personenabhängig, hat also eine andere Qualität als der meteorologische Begriff.


Der Bedeutungsumfang des Begriffes Sozialklima umfasst den Begriff 'Kontinuität', allerdings weniger stark als beispielsweise der Begriff 'Kultur'. Mit der oben angesprochenen Analogie des Sozialklimabegriffes zum Begriff des Klimas aus der Meteorologie hat sich DIEDERICH (1984) eingehend beschäftigt. Seine Hauptkritik besteht darin, dass die subjektiv erlebte Umwelt lange nicht so konstant ist, wie es der Klimabegriff suggeriert. Schulische Wirklichkeit wandele sich ständig und sei in Teilbereichen und über die Zeit verschieden. In der Klimaforschung aber würden von den Schülern Generalisierungen über die Zeit verlangt, quasi nur aggregierte Werte erfragt. Treffender sei der Begriff des 'Wetters', da dieser der schulischen Realität näher käme (vgl. dazu aber CHEMNITZ, 1978). Diese Kritik DIEDERICHs ist nicht ganz unbegründet. In der Tat verläuft die Sozialklimaforschung in der von ihm charakterisierten Weise. Die Frage ist nur, ob DIEDERICH und die bisherige Sozialklimaforschung die gleichen Ziele verfolgen. DIEDERICH bevorzugt die Erhebung und Analyse kurzfristiger Einflüsse und Ereignisse. Der Klimaforschung allerdings ging es immer um langfristige Wirkungen (vgl. LINDGREN, 1974: Sozialklima als 'langfristige Atmosphäre'; s.a. PEKRUN, 1983, 66) , manchmal in der Spannbreite eines ganzes Schuljahres. Es geht im letzten Ansatz - wie DIEDERICH richtig feststellt - um generalisierte Ansichten der Schüler über ihre subjektiv erlebte Umwelt. In den verschiedensten Theorien werden aber gerade diese generalisierten Ansichten und Erwartungen herangezogen, um zukünftiges Verhalten zu prognostizieren. Eine Darstellung dieser Theorien wird noch folgen (s. Kap. 2.4). Der Begriff des Sozialklimas umfasst in seiner Bedeutung sicherlich mehr als sein meteorologisches Pendant. Bedeutungsverschiebungen und Erweiterungen sind unvermeidlich, resultierende Probleme werden aber durch eine eindeutige Definition vermieden.



c) Klima als molarer Begriff

Klima bezieht sich auf alle Mitglieder einer Gruppe und wird damit ein für alle Gruppenmitglieder übergreifender Begriff. Dies wird mit allen Vor- und Nachteilen durch die Definition von DREESMANN (1980) deutlich. Er definiert das Sozialklima als den "gemeinsamen Erlebensanteil der Schüler einer Klasse" . Man kann diese Definition in etwa wie folgt darstellen (s. Abb. 2.1):



 
Abb. 2.1: Das Sozialklima zweier Klassen



Beide Klassen (N(1) = 4, N(2) = 4) zeichnen sich durch ein verschieden starkes Klima aus. Klasse 1 hat ein gering ausgeprägtes Klima (=schwarzes Quadrat in der Mitte), in Klasse 2 ist das Bild stark verschoben: es gibt insgesamt ein stark ausgeprägtes Klima, aber Schüler 3 und 4 haben keine gemeinsame subjektive Wahrnehmung der Lernumwelt im Gegensatz zu z.B. Schüler 1 und 2. Diese Art der Definition ist nicht neu. ALLPORT & ALLPORT haben bereits 1928 diese Übereinstimmung von Beurteilern als Maß zur Bewertung von Persönlichkeitseinschätzungen eingeführt. Eine inhaltliche Bestimmung des Klimas wird durch diese Definition nicht gegeben.



d) Mehrdimensionalität

Eine solche ist theoretisch bisher noch nicht abgeleitet worden, d.h., dass die Inhalte des Klimabegriffes meist empirisch (z.B. bei der Konstruktion von Fragebogen) ermittelt wurden, wie z.B. 'Kohäsion', 'Wettbewerbsorientierung', 'Kooperation' und viele andere mehr (s. MOOS, 1974a). Man muss sich vorstellen, dass jede der beiden Darstellungen in Abb. 2.1 nicht für das Klima allgemein gilt, sondern für einzelne Klimadimensionen (z.B. Kohäsion und wahrgenommene Schwierigkeit des Unterrichts) stehen kann. Theoretisch kann das schwarze Quadrat in der Mitte sogar ganz verschwinden, das Klima ist dann 'nicht existent'. Man muss davon ausgehen, dass das Sozialklima verschiedene Umweltdimensionen gleichzeitig umfassen kann.



e) Differenzierungsfähigkeit

Sozialklima ist ein Begriff zur Beschreibung von Gruppen, womit untrennbar verbunden ist, dass dieser Begriff zwischen Gruppen unterscheiden kann. Wenn er dies nicht könnte, würde er als Definitionsbestandteil von Gruppe unfruchtbar sein.


In Anlehnung an SYDOW & CONRAD (1982) soll folgende Definition Ausgangspunkt weiterer Überlegungen sein:

Das Sozialklima von Schulklassen als hypothetisches Konstrukt ist

  • ein auf die Schulklasse bezogenes,
  • differenzierendes,
  • relativ überdauerndes,
  • molares und
  • mehrdimensionales Aggregat subjektiver Wahrnehmung und kognitiver Verarbeitung von situationalen Reizen, das sich in der Beschreibung von Umwelten, Strukturen und Verhalten in der Schulklasse bzw. in einem ihrer Subsysteme (z.B. Cliquen) durch das Individuum widerspiegelt und die Bildung von Einstellungen zur Lernsituation sowie individuelles Verhalten beeinflusst.


Der zweite Teil dieser Definition soll erst einmal dahingestellt sein. Er enthält allerdings auch nur Aussagen zur Entstehung und Wirkung des Sozialklimas, etwas, was nicht unbedingt in eine Definition gehört.


Klima ist also ein relativ überdauernder Aspekt der Umwelt, der von den Handelnden erfahren wird, Ihr Verhalten beeinflusst und durch bestimmte charakteristische Begriffe der Umwelt beschrieben werden kann (TAGIURI, 1968).


Neben dieser Definition gibt es noch einige 'Ausreißer', die Sozialklima gänzlich anders definieren. Schon das Studium des Inhaltsverzeichnisses des einschlägigen Werkes von DUNKIN & BIDDLE (1974) macht deutlich, dass 'climate' in einem anderen Sinnzusammenhang verwendet wird als in dem, wie er bisher gebraucht wurde. 'Climate' umschreibt dort die Führungsstilforschung, formelle und informelle Normen sowie Sozialstrukturen der Klasse im allgemeinen Sinne. All diese Faktoren beeinflussen das Sozialklima, sind aber kein Bestandteil von diesem.

Nun könnte man annehmen, dass der Klimabegriff einer Wandlung unterlegen war und dass dieser Begriff heute eindeutig auf Lernumweltaspekte und deren Wahrnehmung begrenzt ist. Dem ist leider nicht so: HOFFMANN (1973) schreibt über Klima, meint aber Techniken der Verhaltensmodifikation. KÖTTL & SAUER (1980) erheben soziometrische Strukturen und bezeichnen diese als soziales Klima.


CHEN & FRESKO (1978) bezeichnen mit 'school climate' die Selektionsrate einer Schule. Auch hier muss wieder gesagt werden, dass die Selektionsrate eine wichtige Kontextvariable ist und wohl auch Einfluss auf das Sozialklima haben wird, aber beide Begriffe kann man nicht synonym behandeln. Auch in seiner grundsätzlich positiv zu bewertenden Arbeit definiert SCHREINER (1973) Sozialklima etwas außerhalb des wissenschaftlichen Konsens als die "Gesamtheit der sozialen Erfahrungen von Schülern und Lehrern in der Schule" (1973, 134). Das Sozialklima hängt sicher mit den sozialen Erfahrungen interdependent zusammen, ist aber mit diesen nicht gleichzusetzen.


In neueren Arbeiten schlägt man vor, „je nach Fragestellung der Untersuchung, zwischen drei Formen der Anwendung des Klimabegriffs zu unterscheiden“ (GREWE 2003, S. 14).

Der erste Typus, das psychologische (auch: individuelle) Klima, basiert auf der Wahrnehmung der Umwelt durch den Einzelnen (vgl. EDER 1996, S. 27). Da das Individuum in Interaktion mit anderen Personen einer Gruppe steht, ergibt sich dieses Klimakonstrukt nicht nur aus der Wahrnehmung des Einzelnen, sondern auch aus kollektiv geteilten sowie kommunizierten Wahrnehmungen (vgl. S. 27). Einen Beleg dafür liefert EDER (1996, S. 212).

Den zweiten Typus bezeichnet der Autor als aggregiertes Klima, welches den Durchschnitt individueller Wahrnehmungen durch Mittelwertbildung angibt (vgl. S. 27). Ein solches Klima ist in der Realität jedoch nicht vorhanden, es sei denn, die Schulmitglieder stimmen wirklich in ihren Wahrnehmungen überein, da sie diese reflektiert haben (vgl. DREESMANN, EDER, FEND, PEKRUN, SALDERN, WOLF 1992, S. 664).

Ein solches Klima wäre der dritte Typus, das kollektive Klima, das durch gemeinsam geteilte Wahrnehmungen auf der Basis von Kommunikation und Interaktion entsteht (vgl. EDER 1996, S. 27).


In der zurückliegenden Diskussion wurde mehr oder minder nur Literatur aus dem pädagogisch-psychologischen Bereich berücksichtigt. Dies scheint im ersten Anlauf legitim, aber bei genauerer Sicht eine Vernachlässigung von Befunden aus anderen Forschungstraditionen zu sein. Aus diesem Grunde wird im nächsten Abschnitt eine Übersicht über Sozialklimaansätze in der Organisationspsychologie erstellt.




Exkurs: Der Sozialklimabegriff in der Organisationspsychologie

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Es kann bei der derzeitigen Literaturlage kein Zweifel daran bestehen, dass das Sozialklima oder ähnliche Konstrukte in der Organisationspsychologie eine ältere Tradition haben als im weiteren Umfeld der Schulpsychologie oder -pädagogik. Diese sehr viel früher vollzogene Rezeption des Klimabegriffes in die Organisationslehre ist historisch dadurch bedingt, dass LEWIN während seiner Forschungstätigkeit am 'Massachusetts Institut of Technology' (MIT) intensiv und erfolgreich mit Industrieunternehmen zusammengearbeitet hat. Und dies in einer Zeit des massiven Taylorismus, der - wie bekannt - den 'homo oeconomicus' als Leitbild seiner Ideologie verfocht.


So hat sich - wie SYDOW (1981) feststellt - das Klimakonzept auch zuerst im angloamerikanischen Bereich und erst später im deutschsprachigen Raum durchgesetzt. Es fällt zudem auf, dass in der organisationspsychologischen Literatur die Rolle des Sozialklimas als zentraler Bestandteil in der Erklärung des Organisationsverhaltens gesehen wird, was sich in den folgenden zu beschreibenden Modellen niederschlägt.



Definitionsansätze in der Organisationspsychologie

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Ältere deutschsprachige Definitionsansätze zum Betriebsklima wurden schon an anderer Stelle angesprochen (s. Kap.1). Innerhalb der Organisationspsychologie bzw. Managementlehre scheint es große Meinungsverschiedenheiten über den Begriff des Organisationsklimas zu geben (DESSLER, 1976; s.a. CONRAD & SYDOW, 1981).


CAMPBELL et al. (1970, 390) definieren das Klima als eine "Menge von Attributen und Erwartungen", die die Organisation beschreiben (s.a. HELLRIEGEL & SLOCUM, 1976). DESSLER betont die Wahrnehmung verschiedener Dimensionen der Organisationsumwelt durch die Individuen (1976, 187; s.a. GIBSON et al., 1973). Das Organisationsklima wird auch als 'Persönlichkeit' oder 'Charakter' einer Organisation bezeichnet, eine Zuschreibung, die auch von MOOS präferiert wird (DUBRIN, 1974; PORTER & LAWLER, 1975). Oft wird in diesem Zusammenhang von Eigenschaften, Charakteristika und Attributen gesprochen, die wahrgenommen werden (HUSE & BOWDITCH, 1977; KELLY, 1974; NEUBERGER, 1977) und die das Verhalten des Einzelnen und der Gruppe beeinflussen (GIBSON et al., 1973; GILMER & DECI, 1977; HELLRIEGEL & SLOCUM, 1976; HODGETS & ALTMANN, 1979; ROSENSTIEL, 1980; STAEHLE, 1980; STEERS, 1977).


Wesentlich an diesen Teildefinitionen sind vor allem zwei Aspekte:

- Klima ist eine Menge (Summe) von wahrgenommenen Merkmalen,

- Klima beeinflusst das Verhalten.


Diese beiden Aussagen sind deshalb wichtig, da sie Gegenstand heftiger Diskussionen gewesen sind, wie später noch zu zeigen sein wird. Zwei Autoren ergänzen die Definitionen des Organisationsklimas um folgende Bestandteile:

- das Klima einer Organisation unterscheidet sich von dem anderer Organisationen,

- das Klima ist relativ überdauernd,

- das Klima ist die Folge von Verhalten der Mitglieder einer Organisation sowie der Regeln und Bestimmungen dieser Organisation(DUBRIN, 1974; WEINERT, 1981).


Man hat keine Mühe, diese Erkenntnisse auch in der schul- bzw. klassenbezogenen Klimaforschung wiederzufinden. Z.T. treten in der Managementliteratur recht exotische Bezeichnungen für das Sozialklima auf ('Zeitgeist einer Organisation', KELLY, 1974) oder das Sozialklima wird auf bestimmte eingegrenzte Verhaltensbereiche bezogen, wie das z.B. HOFFMANN (1980) für das Konfliktverhalten tut. Weitgehende Einigkeit scheint darüber zu bestehen, dass das Organisationsklima ein Konzept mit subjektivem Charakter ist, wobei es Schwierigkeiten in der Abgrenzung zu der parallel verlaufenden Forschung zur Arbeitszufriedenheit zu geben scheint (NEUBERGER, 1974a,b; SYDOW, 1981; GEBERT & ROSENSTIEL, 1981).




Zur Zentralität des Organisationsklimas in betriebsorganisatorischen Modellen

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Es fällt ins Auge, dass Organisationspsychologen und Betriebswirtschaftler - letztere wohl aufgrund ihrer weitgehend anerzogenen kybernetischen Denkweise - dem Klima innerhalb von Organisationsprozessen eine eindeutige Rolle zuweisen und dies auch graphisch auszudrücken versuchen, jedenfalls weit öfter, als dies in den pädagogischen Wissenschaften geschieht. Dabei kann man zwei grundsätzliche Interpretationsrichtungen unterscheiden: Einmal ist das Organisationsklima eher peripher ausgelagert und 'durchdringt' alle Bereiche der Organisation, zum anderen wird das Klima zum zentralen Bestandteil des Ablaufes von Organisationsprozessen.


Zur ersten - kleineren - Gruppe gehören die Arbeiten von CAMPBELL et al. (1970), DUBRIN (1974) und BLEICHER & MEYER (1976). Stellvertretend hierzu ist das Modell von CAMPBELL et al. in Abb. 2.2 wiedergegeben.


 
Abb. 2.2: Die Rolle des Organisationsklimas bei CAMPBELL et al. (1970, 475)


In diesem Modell wird deutlich, dass das Klima als Indikator für Organisationsprozesse gewertet wird (s. hierzu besonders BLEICHER & MEYER, 1976). Unklar bleibt, wo in diesem offenen System etwas geändert werden könnte, um das Klima evtl. zu verbessern. Dieses Problem ist bei den Modellen der zweiten Gruppe leichter zu lösen, da hier dem Klima innerhalb der Organisation eine eindeutige Funktion zugewiesen wird. So z.B. bei DESSLER (1976, s. Abb. 2.3), der in seinem recht einfachen Modell die intervenierende Rolle des Klimas deutlich macht (s.a. FRESE, 1980; HUSE & BOWDITCH, 1977 und das Modell von STEERS, 1977, 104).


 
Abb. 2.3: Die intervenierende Rolle des Organisationsklimas nach DESSLER (1976)


In DESSLERs Modell wird besonders die sozialpsychologische Rolle des Organisationsklimas hervorgehoben. GIBSON et al. (1973) machen den intervenierenden Charakter des Klimas besonders deutlich (s.Abb. 2.4).


 
Abb. 2.4: Die intervenierende Rolle des Organisationsklimas nach GIBSON et al 1973)



Ebenso differenziert sehen HELLRIEGEL & SLOCUM (1976) die Stellung des Klimas, wie in Abb. 2.5 deutlich wird.


 
Abb. 2.5: Die Rolle des Organisationsklimas nach HELLRIEGEL & SLOCUM (1976)


Dieses Modell fällt durch die konsequente Verwendung von Doppelpfeilen auf. Dies bedeutet, dass zwischen den Komponenten keine Kausalbeziehungen angenommen werden, sondern es werden ausschließlich Interdependenzen favorisiert. Dies macht die empirische Fundierung durch evtl. gewünschte Effektschätzungen im Gegensatz zum Modell von GIBSON et al.(1973) nicht gerade einfacher.


Ein Modell von HODGETTS & ALTMANN (1979) wirft eine ganz andere Perspektive auf. Hier wird das Organisationsklima synthetisch auf die verschiedenen Managementebenen (Top, Middle, Lower) bezogen. Dieses Modell (Abb. 2.6) ließe sich evtl. auf ähnliche Analyseebenen im Schulsystem beziehen - ein Gedanke, der später noch einmal aufgegriffen wird (s. Kap.4).


Innerhalb der Organisationspsychologie ist die wichtige Rolle des Sozialklimas erkannt. Diese kurze Übersicht über verschiedene Modelle zeigt allerdings ein gravierendes Maß an Unsicherheit in der Erklärung darüber, wie und wo das Sozialklima die Organisation beeinflusst. Ein Rückgriff auf vorliegende Theorien erscheint damit unerlässlich. Dabei sollten diejenigen Theorien berücksichtigt werden, die sich zur Erklärung menschlichen Verhaltens mit dem Begriff Umwelt im weitesten Sinne auseinandersetzen.


 
Abb. 2.6: Das Organisationsklima als unabhängige und abhängige Variable, je nach Führungsebene (HODGETTS & ALTMANN, 1979)



Zusammenfassung und Überleitung

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Wie oben im vorangegangenen Abschnitt dargestellt wurde, gestaltet sich die Erforschung des Sozialklimas durch ungenaue Begrifflichkeit besonders problematisch. Einerseits ist das Phänomen erkannt und propädeutisch auch benannt, andererseits aber gerade deshalb wissenschaftlich kaum abgrenzbar. Dem Begriff haften Konnotationen (überdauernd, sozial, gruppenbezogen) an, die durch eine Arbeitsdefinition erfasst sind. Trotz mancher Kritik findet die Definition des Sozialklimas als 'gemeinsame Erlebensweise' von Mitgliedern einer Gruppe oder Institution einen breiten Konsens. Eine Diskussion über vorliegende Theorien zur Erklärung menschlichen Verhaltens sollte hier noch offene Probleme klären helfen.


Wie hinlänglich bekannt ist, wurden vorerst zwei unabhängige Erklärungsbereiche herangezogen: personenabhängige und personenunabhängige (=umweltabhängige ) Merkmale. Nachdem die dieser Dichotomie zugehörigen Theorieansätze (Personalismus vs. Situationalismus) nicht die erwünschte Erklärungskraft nachweisen konnten, wurde die gegenseitige Abhängigkeit beider in den Mittelpunkt gerückt. Auf diese als Interaktionismus bekannte Richtung und die dazugehörigen Vorläufer soll im folgenden hingearbeitet werden, da nur auf diesem Wege die theoretische Fundierung des Konzeptes 'Sozialklima' deutlich werden kann.


Allerdings muss vorher eine notwendige Einschränkung gemacht werden: Den verhaltenstheoretischen Ansätzen, in denen die Umwelt oder Situation als Erklärungsvariable mit einbezogen wird, geht es vorwiegend um die Klärung individuellen Verhaltens und damit auch um die individuell subjektive Wahrnehmung der Umwelt. Sozialklima als Gruppenphänomen wird nicht angesprochen. Dies wird Aufgabe des 3. Kapitels sein. JAMES & JONES (1974) unterscheiden aus diesem Grunde auch das (individuelle) 'psychological climate' und das 'organizational climate' als Gruppenphänomen. Da ersteres aber unbestreitbar ein Fundament des letzteren ist, ist es auch gerechtfertigt, diejenigen Ansätze und Theorien genauer zu analysieren, die etwas zur subjektiven Umweltwahrnehmung zu sagen haben.






Eine Systematisierung von Forschungstraditionen

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Es entstanden im Laufe dieses Jahrhunderts verschiedene theoretische Ansätze, um situationsabhängiges, menschliches Verhalten zu erklären. Diese wurden durch den recht allgemein formulierten Willen geleitet, geeignete Erklärungen für das Zusammenwirken zwischen Umwelt und Mensch zu finden. SPROUT & SPROUT (1971) kennzeichnen diese lose Klammer wie folgt: Die Rahmenbegriffe jeder ökologischen Aussage sind 'Umwelt', die 'Einheit innerhalb ihrer Umwelt' und die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen beiden. Dieses umfassende Forschungsgebiet zeichnet sich wie wenig andere durch ein hohes Ausmaß von Interdisziplinarität aus. Ein eindeutiges Zuordnen zu Wissenschaftsdisziplinen wie Pädagogik, Psychologie, Soziologie oder Anthropologie erscheint deshalb nicht sinnvoll. Es ist aber wegen der Fülle der vorliegenden Arbeiten zweckmäßig, eine Systematisierung unabhängig von den traditionellen Disziplinen zu finden, u.a. auch schon mit der Absicht, umwelttheoretische Ansätze, die wenig zum Sozialklimaansatz beitragen können, von vorneherein auszuschalten.


Ein Versuch wurde von MEISTER (1978, 551) vorgestellt. Er unterscheidet vier Betrachtungsweisen:

  • a) die globale Wahrnehmung und Einschätzung von Lernumwelten,
  • b) die Einschätzung einzelner Aspekte oder Komponenten,
    • c) Feststellung und Messung durch objektive Beobachtung einzelner Merkmale der Lernumwelt,
    • d) Feststellungen über Merkmalsvergesellschaftungen (z.B. Summenwerte, Faktoren-strukturen u.ä.).


Diese Einteilung wird der Komplexität des Gegenstandes nicht gerecht, da Methodenanwendungen (siehe d), globale vs. spezifische Einschätzung (siehe a und b) sowie objektive vs. subjektive Sichtweise (siehe a, b vs. c) vermengt werden. Bei dem Systematisierungsversuch MEISTERs wird deutlich, nach wie vielen Kriterien man systematisieren könnte. Eine Klärung durch ein einzelnes Kriterium muss daher unbefriedigend bleiben.


Es liegen neben MEISTER noch weitere Systematisierungsversuche vor (FURNHAM & ARGYLE, 1981; MOOS, 1973, 1974a; SCHREINER, 1973; WALTER, 1972). Vorab sei festgestellt, dass die Trennungen in diese Versuche künstlich ist, so dass es zu Überschneidungen kommen muss. Im folgenden seien die Ansätze der genannten Autoren zusammengefasst:


Demographischer Ansatz:

Hierbei wird davon ausgegangen, dass sich Umwelt durch die Eigenschaften der in dieser Umwelt befindlichen Personen charakterisieren lässt. Typische Merkmale dieser Personen sind etwa: Alter, Geschlecht, sozio-ökonomischer Status, Fähigkeiten, u.s.w.


Ökologischer Ansatz:

Im Rahmen dieses Ansatzes wurden überwiegend folgende Aspekte von Umwelt erfasst: a) meteorologische und geographische Variablen, b) Variablen der physikalisch gestalteten Umwelt.


Organisationsstruktureller Ansatz:

Es wird angenommen, dass das Verhalten der Menschen von bestimmten strukturellen Dimensionen der Organisation beeinflusst wird. Solche Dimensionen sind etwa: Beschäftigungsverhältnisse, Verdienstmöglichkeiten, Kontrollmaßnahmen, Merkmale der formellen Interaktionen und Kommunikationsstruktur.


Sozial-perzeptiver Ansatz:

Umwelt wird hierbei durch die Wahrnehmung der in dieser Umwelt befindlichen Menschen charakterisiert.


'Behaviour-setting'-Ansatz:

Dieser durch Roger BARKER begründete Ansatz konzeptualisiert Umwelt als ökologische Einheiten ('settings'), die sowohl Umwelt- als auch Verhaltensdeterminanten aufweisen.


Funktionale bzw. Verstärkungseigenschaften von Umwelten:

Grundannahme hierbei ist, dass Menschen ihr Verhalten von Situation zu Situation vor allem als Funktion der jeweiligen Verstärkungskonsequenzen ändern.


Soziometrischer Ansatz:

Hier werden Merkmale der informellen Interaktions- und Kommunikationsstruktur untersucht (z.B. Cliquenformation, Statusdefinitionen).


Interaktionsanalytischer Ansatz:

Gegenstand der Analyse ist hier die Häufigkeit und Intensität bestimmter Merkmale der Interaktion zwischen Lehrer und Schülern und zwischen Schülern untereinander (z.B. akzeptierende vs. tadelnde Äußerungen u.s.w.).


Psychoanalytischer Ansatz:

Das Verhältnis von Lehrer und Schüler wird in Begriffen von 'Übertragung', 'Abwehrmechanismen', 'unbewussten Konflikten' usw. analysiert.


Psychometrischer Ansatz:

Im Zentrum der Analyse stehen Variablen wie Intelligenz, Leistungsmotiv, Konzentrationsfähigkeit u.s.w.


Interaktionale Psychologie:

Dieser durch die Interaktionismusdebatte bekannte Ansatz steht kennzeichnend für die Frage nach einer Wechselwirkung von Person und Umwelt.


Symbolischer Interaktionismus:

Dieser originär soziologische Ansatz geht von den Bedeutungen der Dinge aus und ist wohl der früheste, der die subjektive Struktur von Umwelt berücksichtigt hat.


Die verschiedenen Ansätze zeigen durch ihre verschiedene Bedeutungsweite, wie schwierig es ist, Umweltforschung zu partialisieren. Auf den ersten Blick wird deutlich, dass nicht alle Ansätze zur theoretischen Fundierung des Sozialklimas beitragen können. Aus diesem Grunde wurden für die nähere Darstellung einige wesentliche Ansätze ausgewählt, die die subjektive Bedeutung der Situationen in ein theoretisches Konzept einzuordnen versuchen (vgl. SCHULTZ, 1979). Bei dieser Darstellung sollten natürlich Kritiker des subjektiven Zugangs zur Umwelt nicht fehlen. Im folgenden werden - grob klassifiziert - die sog. Umwelttheorien dargestellt, die Aussagen über den Person-Umwelt-Bezug machen. Zusätzlich aufgeführt werden die sozial-kognitiven Lerntheorien, weil sie durch die Annahme von Lernprozessen evtl. klären können, wie eine Person zu einer bestimmten Sichtweise über ihre Umwelt kommt.




Umwelttheorien

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Unter Umwelttheorien werden alle die Ansätze gefasst, die die Umwelt, wenn auch durchaus unterschiedlich, zur Erklärung menschlichen Verhaltens heranziehen. Die Bedeutung dieser Theorien für die Sozialklimaforschung ist durchaus unterschiedlich. Um das theoretische Umfeld zu skizzieren, müssen auch Auffassungen berücksichtigt werden, die den subjektiven Zugang zur Umwelt ablehnen. Dazu gehören beispielsweise die Konzeptionen von WOHLWILL und BARKER. Die Sozialklimaforschung hebt sich von diesen beiden Ansätzen bewusst ab und beruft sich auf Theorien, die der wahrgenommenen Umwelt als Grundlage zur Erklärung menschlichen Verhaltens ein größeres Gewicht beimessen. Die Theorie, die diesbezüglich derzeit eine Renaissance erlebt, ist der sog. symbolische Interaktionismus, ein originär soziologischer Ansatz. Aber auch die Werke K. LEWINs sind eine fruchtbare Quelle für diesen Zugang zur Umwelt.


Ein prominenter und weitaus tiefgründigerer Kritiker von LEWIN als z.B. WOHLWILL war E. BRUNSWIK, dessen Ansatz dem einfachen Dualismus objektiv-subjektiv kaum zugeordnet werden kann. Wegen der Originalität seiner Gedanken muss sich auch ein Klimaforscher mit ihm auseinandersetzen. Nicht fehlen darf die Konzeption H. MURRAYs, auf den sich eine Reihe von Motivationspsychologen stützen. Er vollzog die analytische Trennung von Person und Umwelt. Aber erst die Erweiterung durch STERN mit dem Hinweis auf den Gruppenbezug von Verhalten macht diesen Ansatz für die Soziaklimaforschung diskussionswürdig.


Sind die bisher aufgezählten Auffassungen durchaus 'Klassiker' im besten Sinne, so gibt es dennoch auch neuere Arbeiten, die ältere zu erweitern suchen. Dazu gehört z.B. U. BRONFENBRENNER, der eine Ausdifferenzierung der topologischen Regionen LEWINs vorstellt und dabei z.T. eine Hierarchie von Umwelteinheiten annimmt.


Dass die Person-Umwelt-Debatte nicht isoliert dasteht, sondern auch in anderen Wissenschaftsdisziplinen eine große Rolle spielen kann, zeigt eine Arbeit von OERTER et al., die aus der Denkpsychologie kommt und stark an die Konzeption MURRAYs erinnert.


Den Abschluss der Darstellung verschiedener Umwelttheorien wird durch eine kurze Zusammenfassung der Interaktionismusdebatte gebildet. An ihr wird deutlich, dass einseitige Ansätze fruchtlos bleiben und differenzierteren Versuchen eine größere Chance eingeräumt werden muss, die Person-Umwelt-Problematik zu klären.


Die Darstellung der Theorien soll zeigen,

  • dass die Erklärung menschlichen Verhaltens ohne einen irgendwie gearteten Einbezug der Umwelt unfruchtbar ist und
  • dass unter den verschiedenen Zugängen zur Umwelt eines Individuums der Weg die größte Chance hat, bei dem das Individuum selbst helfen muss, diesen Zugang zu verschaffen.


Die Zahl der angesprochenen Theorien bedingt notwendigerweise eine Kürzung der Darstellung der einzelnen Ansätze. Diese Kürzung ist manchmal unzulässig, zumindest kann sie missverständlich sein. Die Häufung von Begriffen und ihren Relationen untereinander auf engstem Raum ist z.T. schwer zu lesen. Dabei lässt die Unterschiedlichkeit der Ansätze ein übergreifendes Rahmenschema nur teilweise zu (sonst bräuchte man sie ja nicht getrennt darzustellen), einige Querverbindungen sind dennoch möglich und werden auch gezogen.


Die Lektüre wird erleichtert, wenn man sich folgende Fragen vergegenwärtigt:


  • a) Kann der Ansatz eindeutig dem objektiven oder subjektiven Zugang zur Umwelt zugeordnet werden?
  • b) Wenn a) positiv beantwortet werden kann: Welchem Zugang ist der Ansatz zuzuordnen?
  • c) Werden Person (oder Organismus) und Umwelt eindeutig getrennt und daraus - gewissermaßen als    Synthese - Verhalten erklärt? Oder wird eine Trennung abgelehnt?
  • d) Werden in den Ansätzen gleiche Instanzen eingeführt, auch bei unterschiedlichen Begriffen?
  • e) Worin liegt - wenn überhaupt - ein möglicher Beitrag eines Ansatzes für die Sozialklimaforschung?



Umwelttheorien

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Die 'Environmental Psychology' J.F. WOHLWILLs

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Man kann J.F. WOHLWILL wohl als den prägnanten Verfechter einer 'Environmental Psychology' bezeichnen, der sich entschieden gegen 'high-inference measures' als Grundlage zur Verhaltenserklärung wendet ("The environment is not in the head", 1973). WOHLWILL lakonisch: Subjektive Messungen sind eben subjektiv, und will man die Welt verbessern, so können es doch nur objektive Tatsachen sein, die zur Grundlage für eine solche Entscheidung werden (s.a. ALTMAN, TAYLOR & WHEELER, 1971; PROSHANSKY, 1973).


Das Hauptargument gegen die subjektivistische Sichtweise liegt in der Erklärung der Prozesse zwischen Umwelt und Verhalten. Die der Argumentation zugrundeliegende Gleichung lautet:

Verhalten = f  (Umwelt)


wobei die Person im Moment außer Acht gelassen wird. Die Gleichung ist aber noch unter einem anderen Aspekt unvollständig: Die Umwelt wird auch durch das Verhalten geprägt: "Environment - that's us" (BECKER & BOSSERT, 1978; WEINSTEIN & WOOLFOLK, 1981; WOHLWILL, 1973). Dazu gilt:

Umwelt = f  (Verhalten)

Es liegt also eine Zirkularität zwischen Verhalten und Umwelt vor:


 
Abb. 2.7: Interaktion von Umwelt und Verhalten



Erfasst man nun - so der weitere Gedankengang - Umwelt durch den Handelnden (subjektiv), so kann man die Effekte nicht mehr voneinander trennen (ASTIN, 1974, 175; GUMP, 1978, 135; WOHLWILL, 1973, 177). Der Ausweg liegt nur darin, die Umwelt objektiv zu erheben. WOHLWILL schlägt deshalb folgenden Mechanismus vor:


 
Abb. 2.8: Der Einfluss der Person auf die Beziehung von Umwelt und Verhalten



Das Verhalten wird durch die Umwelt determiniert, welche reziprok durch das Verhalten (mit)bestimmt wird. Nur indirekt kann das Verhalten auch durch die subjektiv empfundene (wahrgenommene) Umwelt bestimmt werden. Dieser Prozess ist zudem situationsabhängig. Wenn also eine Person sich die Finger an der Herdplatte verbrennt und sofort darauf reagiert (falls physiologisch alles in Ordnung ist), so liegt der direkte Weg vor. Beim Sozialklima dagegen handelt es sich vorwiegend um sozio-emotionale Aspekte von Umwelt, die wahrscheinlich nicht direkt das Verhalten beeinflussen, sondern immer über personeninterne Schemata wirken. Insofern darf man wohl sagen, dass das Modell von WOHLWILL für die Erforschung des Sozialklimas wegen seiner Bevorzugung des direkten Weges weniger Bedeutung hat, als es die Verfechter der objektivistischen Sichtweise gern sehen würden.


An einem jüngeren Vertreter der 'Environmental Psychology' (STOKOLS, 1981) wird deutlich, dass auch diese Forschungsrichtung sich den Argumenten bezüglich einer Einbeziehung der Wahrnehmung der Umwelt nicht ganz entziehen kann. Man könnte sogar davon sprechen, dass alte Positionen aufgegeben werden. STOKOLS formulierte seine Thesen in Abhebung zum Sozialklimakonzept (s.Kap. 2.1.3). Die wahrgenommene Umwelt ist nach STOKOLS die Totalität der funktionalen, motivationalen und emotionalen Bedeutungen der physikalischen Umwelt. Sein Konzept des 'social field' berücksichtigt ausschließlich physikalische Aspekte der Umwelt, lässt also insbesondere sozio-emotionale Bestandteile unbeachtet. Ein 'social field' kann aus einem Setting oder Teil-Setting bestehen. Es wird immer in Bezug auf Gruppen von Individuen beschrieben. Es hat verschiedene Komplexitätsgrade und kann auch über die Anzahl der nicht übereinstimmenden Meinungen von Einzelmitgliedern beschrieben werden (Darstellung). Wenn Untergruppen sich in der Beurteilung der physikalischen Umwelt unterscheiden, so spricht STOKOLS von 'heterogenity'. Auch werden in seiner Konzeption Ausprägungsunterschiede zwischen der realen Umwelt und der idealen Umwelt (contradictions) berücksichtigt (s. Kap. 5.4.2).


Der 'social-field'-Ansatz zeigt inhaltlich eine Nähe zur Sozialklimakonzeption. Er beschränkt sich allerdings auf die physikalische Umwelt und vermeidet Wahrnehmungsdimensionen wie z.B. Faktoren in einem Fragebogen, da einem 'social-field' immer spezifische Inhalte zugeordnet sind. Die subjektive Beschreibung der physikalischen Umwelt beschränkt sich auf die Funktion einzelner Umweltbestandteile aus der Sicht des einzelnen Beobachters.


In der Konzeption STOKOLs' wird den Gruppenmitgliedern eine aktive Rolle zugesprochen. Die Motivation einer Gruppe, ihre Umwelt zu verändern und an ihre Bedürfnisse anzupassen, bezeichnet er als 'transformatial potential'. Wenn die Gruppe die Umwelt an ihre 'group goals' angepasst hat, liegt eine 'group-environment congruence' vor. Den Prozess der Veränderung der Umwelt kann man wie folgt skizzieren:


 
Abb. 2.9: Ablaufmodell zur Veränderung der physikalischen Umwelt


Wenn die Prozesse in der Gruppe als Glied der Kette fehlen, dann liegt ungeplantes Verhalten vor.


Der Konzeption STOKOLS liegt ein nicht gerechtfertigter Optimismus zugrunde, denn letztendlich ist die Veränderung der physikalischen Umwelt nicht nur eine Frage der Motivation der Gruppe, sondern auch der Möglichkeiten einer Gruppe, ihre Umwelt zu verändern. Schulkinder werden ihr Klassenzimmer nur soweit verändern können, wie es die schulischen Instanzen zulassen. Die Beschränkung ausschließlich auf die physikalische Umwelt ist kaum verständlich, denn man wird sich fragen müssen, ob diese Restriktion hinreichend ist, um das Verhalten von Gruppen ausreichend zu beschreiben. STOKOLS legte 1978 ein Sammelreferat über die 'Environmental Psychology' vor. Unter den mehr als fünfhundert Literaturangaben findet sich nicht eine, die der Klimaforschung zugeordnet werden könnte.


Der Anteil physikalischer Umweltbestandteile an der Erklärung menschlichen Verhaltens ist sehr gering. Dies hat m.E. zwei Gründe:


  • a) Dem Verhalten von Gruppen sind von physikalischer Seite oft Grenzen gesetzt. Diese Grenzen gelten für alle Gruppenmitglieder. Die Frage ist, warum das individuelle Verhalten nun trotzdem noch verschieden ist. Eine Kontextvariable kann die Abweichung des individuellen Verhaltens vom Gruppenverhalten nicht erklären.


  • b) Gruppen und Individuen entwickeln eine hohe Anpassungsfähigkeit an ihre Umwelt, soweit beide sie nicht verändern können. Das Maß der Verhaltenserklärung durch physikalische Faktoren wächst m.E. mit der Seltenheit und Ausgefallenheit der Situationen. Würde man z.B. Straßen mit Glassplittern bedecken und gleichzeitig verbieten, Schuhe zu tragen, wäre das darauffolgende Verhalten eindeutig durch die physikalische Umwelt bestimmbar. Solche Extremsituationen kommen aber eben im alltäglichen Leben kaum vor.


Diese oder ähnliche Kritikpunkte an einer einseitigen Orientierung an der objektiven physikalischen Umwelt scheinen bei ihren Verfechtern nicht ohne Wirkung geblieben zu sein. So kann man z.B. bei ITTELSON et al. nachlesen: "Tatsache ist, dass es eine objektive Umwelt gibt, die in sehr ähnlicher Weise von allen Menschen erfahren wird" (1977, 107). 43 Seiten weiter dagegen: "Daraus folgt also, dass unterschiedliche Menschen oder Zusammenschlüsse von Menschen, dieselbe Umwelt unterschiedlich wahrnehmen können..."(1977, 151). Letztere Position sei sogar 'vielfach bewiesen'.


HOLAHAN fordert eine Abwendung der ökologischen Psychologie von der ausschließlich objektiven Erfassung von Umwelt, um damit menschliches Verhalten zu erklären: Der ökologisch arbeitende Psychologe sollte

  • das aktive, kreative und problemorientierte Handeln des Individuums beachten,
  • die Komplexität menschlichen Handelns berücksichtigen,
  • das gegenüber der Umwelt zielgerichtete Handeln nicht außer Acht lassen und die wechsel-seitige Beeinflussung von Individuum und Umwelt zum Gegenstand seiner Forschung machen (1978, 165f.).


Ein weiterer Versuch zur Erklärung menschlichen Verhaltens ist die Ökopsychologie R. BARKERs.

BARKERs Ansatz einer ökologischen Psychologie

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Die Theorie BARKERs könnte man eher als objektivistischen Ansatz charakterisieren, weil die konsequente Umsetzung seiner ökologischen Psychologie Fremdbeobachtung als Erhebungsmethode präjudiziert (SCHREINER, 1973, 34; s.a. CONYNE & CLARK, 1981).


BARKER - ein ehemaliger Kollege LEWINs (vgl. MARROW, 1977) - entstammt der Schule der Gestaltpsychologie. Sein Ziel war die Erklärung molaren menschlichen Verhaltens in bestimmten Umfeldern. Ausgangspunkt seines Ansatzes ist die Kritik an den vor seiner Zeit konzipierten Versuchen, Mensch-Umwelt-Beziehungen zu erklären.


BARKER unterscheidet folgende Ansätze (1978a, 29-35):


  • a) die 'encapsulated psychologies', bei denen die distalen Phänomene, auf die die Personen reagieren, beschrieben werden (Vertreter: LEWIN).


  • b) die 'excapsulated psychologies', bei denen Umwelt definiert wird als Bündel distaler Reize, die mit Verhalten korrelieren. BRUNSWIK, als wichtigster Vertreter, nennt dies 'probabilistischer Funktionalismus'.


  • c) den 'transactional approach', bei dem die Umwelt einer Person durch Klassifikation der sozialen und konkreten Gegenstände beschrieben wird, mit denen die Person interagiert.


  • d) den 'hypothocentric approach', bei dem die Umweltgegebenheiten durch Interview erfasst und mit Verhaltensäußerungen korreliert werden.


BARKER verdeutlicht die Begrenztheit dieser Ansätze durch ein Beispiel aus den Baseballsport (BARKER, 1981, 187f.). Ein Fremder möchte die Umwelt (Rolle) des 'First Baseman' in einem Baseballspiel verstehen. Analog der oben angeführten Ansätze kann er sich beispielsweise für den 'transactional approach' entscheiden. Dabei würde er den Spieler durch ein Rohr beobachten und gerade soviel Umgebung mit einbeziehen, um alle inputs und outputs zu bemerken (Ball fangen, Ball werfen...). Durch eine solch idiozentrische Beobachtung wird der Fremde jedoch nicht das Baseballspiel verstehen, welches dem First Baseman erst Sinn verleiht. Nun könnte der Fremde auch einen 'encapsulated' Zugang zur Umwelt des First Baseman suchen. Dazu würde er seine Beobachtungen durch Interviews ergänzen. Aus diesen beiden Daten könnte er den Raum des First Baseman konstruieren (Leistungen, Fehler, Urteile über Fairness...). Dieses Vorgehen würde jedoch die Unangemessenheit des ersteren noch übertreffen. Was hierbei bleibt, ist lediglich ein Fragment der Umwelt.


Versucht nun der Fremde, den 'hypothocentric approach' anzuwenden, wobei er z.B. seinen Nachbarn über die Umwelt des First Baseman befragt, so ist die gewonnene Information abhängig von den gestellten Fragen sowie den Einstellungen des Informanten u.a. mehr. Zum Schluss könnte der Fremde versuchen, die 'excapsulated' Methode anzuwenden. Hierzu berechnet er unzählige Korrelationen zwischen den Anstrengungen des Baseman (Bälle fangen, Fouls...) und den Umweltattributen, die dabei eine Rolle spielen (Geschwindigkeit des Balles, Gewicht des Schlägers...). Aber auch damit wird der Fremde sicher nicht die Regeln des Spieles verstehen.


BARKER ist der Ansicht, dass die traditionellen Ansätze weitgehend ungeeignet sind, um Gesetzmäßigkeiten der Umwelt zu erfassen, da sie sich immer auf die Sichtweise von Individuen beziehen, meist sogar nur eines Individuums. Daher scheint es ihm sinnvoller, die Person 'auszublenden' und nur die Umwelt zu beobachten. BARKERs Ansatz ist demnach extraindividuell orientiert.


BARKER entwickelte eine Alternative: das sog. 'behavior setting', "the basic environmental unit in ecological psychology" (WICKER, 1979). Das behavior setting ist in der frühen Zeit BARKERs als "bio-physikalische Einheit" definiert worden (SCHREINER, 1973, 34). BARKER unterscheidet in diesem Zusammenhang die 'behavior units', Verhaltenseinheiten, die ihre Begrenzung durch das Verhalten selbst finden und 'behavior terresae', also Verhaltenssegmente, die Mosaiksteinchen gleichen, wie z.B. Fünf-Minuten-Zeitintervalle bei der Beobachtung. Es wird zwar zwischen psychologischer und ökologischer Umwelt unterschieden, Verhalten bleibt aber ausschließlich durch die ökologische Umwelt bestimmt und spielt sich in den 'natürlichen Einheiten' der Umwelt (eben behavior settings) ab. Ein behavior setting wird definiert durch physikalische, soziale und behaviorale Determinanten.


Man unterscheidet

  • den strukturellen Aspekt und
  • den dynamischen Aspekt eines behavior settings.


In dem strukturellen Aspekt setzt sich ein behavior setting aus einem oder mehreren "standing patterns of behavior in milieu" zusammen. Dies bedeutet, dass extraindividuelles Verhalten, das an einen bestimmten Punkt in einem Raum-Zeit-System gebunden ist, unabhängig von den darin agierenden Individuen existiert und in einem direkten Bezug zur sachlichen Umgebung, in dem dieses Verhalten zu finden ist, steht (z.B. 4-Uhr-Tee).


Der dynamische Aspekt drückt die Art und die Stärke der gefundenen Verhaltens- und Umgebungselemente aus (BARKER & WRIGHT, 1978). Diese 'structural-dynamic units' (auch: 'behavior episodes') sind durch drei Eigenschaften gekennzeichnet:

  • der Handelnde hat ein Ziel,
  • das Verhalten beinhaltet keine außergewöhnlichen Verhaltensweisen,
  • innerhalb eines behavior units dürfen keine anderen behavior units vorkommen (1978, 3-16).


Behavior settings sind des weiteren gekennzeichnet durch die sog. Synomorphie von Verhalten und Umwelt. Der Begriff der Synomorphie besagt, dass sich Verhalten und Umwelt von ihrer Struktur her ähnlich sind. In Bezug auf das o.a. Beispiel bedeutet das, dass das zeitliche Ende des Baseballspiels auch ein Abbrechen des darin zu findenden Verhaltens bedeutet.


Ein weiteres, einleuchtendes Beispiel dafür ist die hier interessierende Schulklasse: Ein Schüler, der morgens den Klassenraum betritt, begibt sich nun nicht nur in eine neue physikalische Umgebung, sondern befindet sich gleichzeitig dazu in einem System von Normen, die sein Verhalten in der Klasse mitbestimmen. Die neue Umwelt ruft ein bestimmtes Verhalten hervor (BARKER, 1963, 20). Dieses 'Synomorphiekonzept' wurde zuletzt von ROSS (1982) für die Interpretation klassenspezifischen Schülerverhaltens herangezogen. Wenn man die Schulklasse als ein behavior setting betrachtet, so erscheint die von SCHOGGEN (1978) vorgenommene Bezeichnung sinnvoll: Er sieht sie als 'environmental force units', bei denen die Umwelt stärkere Anforderungen an die Personen stellt als in durchschnittlichen behavior settings (vgl. ULICH, 1974: die Schulklasse als 'Zwangsaggregat').


BARKER gibt folgende Quellen der Verhalten-Umwelt-Synomorphie an:

  • physikalische Variablen (z.B. Breite der Strasse),
  • soziale Variablen (Macht des Lehrers),
  • physiologische Mechanismen (Erregungsniveau),
  • Physiognomie der Umgebung als Auslösereiz (Fußball wird nur auf einem ebenen Platz gespielt),
  • Selektionen der beteiligten Personen (Altersbegrenzung im Kindergarten).


Ein behavior setting ist also ein interagierender Komplex von örtlichen, zeitlichen, dinglichen und kognitiven Komponenten. Es existiert unabhängig von individuellem Verhalten und der Wahrnehmung von Personen. Die Grenzen eines behavior settings (räumlich, zeitlich, inhaltlich) umgeben das Verhalten. Beide sind synomorph.


Das Verhältnis von behavior setting und den darin handelnden Menschen kennzeichnet BARKER (1978a, 213f.) wie folgt:

  • die Individuen sind ein Teil des behavior settings,
  • die Eigenschaften eines behavior settings lassen sich nur über die Individuen beschreiben; die Individuen sind das Medium des behavior settings,
  • es gibt eine optimale und notwendige Anzahl von Individuen in einem behavior setting,
  • die schwankende Anzahl von Individuen beeinflusst das Verhalten. Das handelnde Individuum wird einmal der Masse der Handelnden zugewiesen, andererseits auch als Subjekt gesehen (BARKER, 1978, 213f.)

BARKER geht also davon aus, dass Verhalten durch die ökologischen Fakten mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden kann, ohne die Transformationsprozesse zwischen Person und Umwelt zu kennen (1963, 32; 1968, 150). Ein behavior setting verfügt dabei über Mechanismen, deren Aufgabe es ist, deviantes Verhalten zu unterbinden. Diese Kräfte sind es, die ein behavior setting zu einem stabilen System machen (1968, 161).


Anmerkungen zur Methodologie: BARKER lehnt 'herkömmliche Methoden' wie Tests, standardisierte Interviews und Fragebogen ab, da diese durch Vorgaben die Realität nie erfassen können. BARKERs Ökopsychologie greift vorwiegend auf narrative Methoden zurück. Das nachträgliche Erzählen von Handlungen ist die Ausgangsdatenbasis. BARKER lehnt auch eine theoriegeleitete Forschung ab: "In their most adequate form ecological data are phenomena centered and atheoretical" (BARKER, 1978c, 45). Weiter: "The phenomena themselves must dictate the choices, the scales and the distributions" (1978c, 46). Aus dieser Ansicht folgt u.a. eine rein deskriptive Vorgehweise, die sog. 'Henerographie', bei der über einen ganzen Tag eine exakte Detailbeschreibung durchgeführt wird (BARKER, WRIGHT, SCHOGGEN & BARKER, 1978, 51). Diese Auffassung BARKERs über seine Arbeit kann man durchaus als theoretische Grundlage betrachten, weshalb die Ablehnung von Theorie widersprüchlich erscheint.


Für eine Erfassung des Sozialklimas eignet sich BARKERs Methode nicht. Eine Reihe von Kritikpunkten haben SCHREINER (1973, 36ff.) und FATKE (1977, 59ff) schon zusammengestellt: BARKERs Konzept trägt stark deterministischen Charakter, wodurch eine eklatante Vernachlässigung der Interaktion zwischen Person und Umwelt resultiert. Der methodische Aufwand, um alle Kräfte in einem behavior setting zu bestimmen, ist enorm und kaum durch die Qualität der Ergebnisse zu rechtfertigen. Zudem fehlt die Berücksichtigung subjektiv-psychologischer Aspekte (WAKENHUT, 1978, 24).


Für den Klimaforscher mag es zunächst erfreulich erscheinen, ein Konzept gefunden zu haben, welches z.B. die Klasse als Ganzes zu analysieren trachtet. Nun tauchen bei BARKER aber sozio-emotionale Aspekte und deren Erklärung nicht direkt auf, was daran liegt, dass BARKER das Individuum empirisch gewissermaßen als 'black box' betrachtet, obwohl er selbst dem Individuum Motive und individuell verschiedene Wahrnehmungen zugesteht (BARKER et al., 1970, 21). Er nennt dies das 'inside-outside-paradox'. Es bleibt umstritten, ob das behavior setting 'Klasse' ein solch starkes Normgefüge hat, dass Verhalten bis zu einem gewissen Grade vorhersagbar bleibt. Warum dennoch Verhaltens-(Leistungs-) unterschiede auftreten, bleibt ungeklärt. Hinzu kommt, dass Prozesse, die von außen auf das behavior setting einwirken, unbeachtet bleiben. Auch die Erweiterung und Ausdifferenzierung von BARKERs Ansatz durch FATKEs (1977) 'aktional-ökologischen Ansatz' gibt darauf keine Antwort.


Der "bislang umfassendste Ansatz zu einer Analyse von Umwelt im Sinne einer objektiv vorliegenden Realität" (WAKENHUT, 1978) bleibt auch deshalb restringiert, weil das Synomorphiekonzept (die Strukturäquivalenz von Verhalten und Umwelt) nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass Umwelt implizit doch eine unabhängige und Verhalten eine abhängige Variable bleibt. Auch wissenschaftstheoretisch steht dieser Ansatz etwas außerhalb der übrigen Konzeptionen, da er stark konstruktivistische Züge aufweist (MAGOON, 1977).


An den Konzeptionen von WOHLWILL und BARKER zeigte sich gleichermaßen, dass die Einbeziehung der objektiven Umwelt für die Erklärung menschlichen Verhaltens nur bedingt in der Lage ist, hinreichend Antworten auf die vielen Fragen der Person-Umwelt-Interaktion zu geben. Deshalb werden im folgenden Ansätze aufgegriffen, die die subjektive Wahrnehmung der Umwelt hervorheben, zuerst der symbolische Interaktionismus.






Der symbolische Interaktionismus

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Im folgenden wird der symbolische Interaktionismus (im folgenden kurz: SI) daraufhin überprüft, inwieweit er einen theoretischen Beitrag zum Sozialklimakonzept geben kann. Historisch entstand der SI aus dem Behaviorismus (WATSON) und dem Pragmatismus amerikanischer Prägung. Diese Verbindung wurde von C.H. COOLEY (1926) am stärksten betrieben (HELLE, 1977, 53). COOLEY unterschied recht früh zwischen materieller und sozialer Umwelt und konzipierte entscheidend das 'Selbst' (die Darstellung des 'I', 'me', und 'Self' würde hier zu weit führen (BRUMLIK, 1973)).


HECKHAUSEN (1980, 58) bezeichnet LEWIN als den ersten, "der ein Konzept der Wechselwirkung zwischen Person und Situation formulierte". Diese Charakterisierung vernachlässigt andere, schon ältere Konzeptionen. Die Leistungen Kurt LEWINs stehen außer Zweifel (dazu 2.2.1.4), aber es muss auch W.I. THOMAS genannt werden, der als erster eine Konzeption der Wechselwirkung zwischen Person und Umwelt formulierte. Das nach ihm benannte, sehr häufig zitierte Theorem: 'If men define situations as real, they are real in their consequences' (THOMAS & THOMAS, 1928) ist Aufhänger vieler Gedanken zum Sozialklimakonzept geworden und wird im Moment wieder für die Organisationsklimaforschung aktualisiert (z.B. SCHNEIDER & REICHERS, 1983).Sein Forscherleben weist bestimmte Charakteristika auf: W.I.THOMAS (gleichaltrig mit G.H.MEAD - der 'Symbolfigur' des SI) war ursprünglich Literaturprofessor und unterrichtete Englisch, Griechisch und Naturgeschichte. Erst in seiner zweiten Promotion wendete er sich der Soziologie zu. Ein Jahr vor LEWINs Geburt besuchte THOMAS Berlin und Göttingen. Ihm ging es primär darum, die Situation zu definieren. Sein bekannt gewordenes Theorem entwickelte er maßgeblich aus seinen Forschungen über polnische Einwanderer, also über Menschen, die aus einem anderen Kulturkreis kamen. Die Anpassungsprozesse der Polen innerhalb ihrer neuen Heimat waren sein zentraler Forschungsgegenstand. Die Parallele zu BRONFENBRENNER (s. 2.2.1.7) ist nicht zu übersehen.


W.I.THOMAS ist also ein wenig bekannt gewordener Mitdenker des symbolischen Interaktionismus. Als bekannter Vertreter des SI gilt G.H.MEAD; erst seine Schüler - so z.B. H.BLUMER - haben posthum die Vorlesungsmanuskripte herausgegeben.


THOMAS und sein Kollege F. ZNANIECKI (1981) bauten COOLEYs Konzeption weiter aus: Das Individuum stellt den subjektiven Faktor ('attitude'), die Gesellschaft den objektiven Faktor ('value') dar. Das Individuum interpretiert eine Situation und handelt danach, es verändert aber durch sein Handeln auch die Umwelt. Präziser ist dieser Gedanke auch bei jüngeren Konzeptionen nicht formuliert worden. Aber aktuell bleiben auch die methodischen Probleme: "die Entzweiung zwischen Subjekt und Objekt in methodisch befriedigender Weise" aufzuheben (HELLE, 1977, 73). Auf dieses Problem wird noch an weiteren Stellen eingegangen werden, da es auch bei anderen Konzeptionen auftritt.


BLUMER selbst fasst die Prämissen des SI wie folgt zusammen (1980):

  1. Die Menschen handeln aufgrund von Bedeutungen der Dinge. Der Mensch ist nicht ausschließlich reagierendes Wesen.
  2. Die Bedeutung der Dinge resultiert aus der Interaktion mit Mitmenschen. Die Bedeutung steckt nicht im Objekt, sondern wird diesem durch das Individuum verliehen. Die Bedeutung ist ein soziales Produkt.
  3. Die Bedeutung wird durch Kommunikation mit sich selbst und anderen modifiziert.


Die Punkte 2. und 3. heben die Bedeutung der Kommunikation und des sozialen Handelns für die Wechselwirkung zwischen Person und Umwelt besonders hervor. Dadurch wird dieser Ansatz für die Sozialklimaforschung wichtig.

Folgt man dem SI, dann definiert sich eine Situation als eine soziale Konstruktion von Realität (BALL, 1972), die jedoch erst bei einer übereinstimmenden Definition verschiedener Individuen zur Realität wird.


In diesem Zusammenhang ist der Hinweis auf das Thomas-Theorem ( "if men define situations as real, they are real in their consequences") - wie in der Literatur so oft geschehen - eigentlich nicht zutreffend, denn er definiert die Situation eigentlich nicht, sondern sagt etwas über die Folgen der Situation.


PERINBANAYAGAM kritisiert diesbezüglich, dass das THOMAS-Theorem nichts über die Prozesse innerhalb der Situation und innerhalb von Personen aussagt (1981, 324). THOMAS & ZNANIECKI werden aber an einer anderen Stelle viel deutlicher: "Die Situation ist ein Set von values und attitudes (s.o. - Anm. d. Verf.), mit denen das Individuum oder die Gruppe handelt, wobei dieses Handeln geplant und die Folgen des Handelns berücksichtigt werden. Jede konkrete Handlung ist die Folge einer Situation" (1981, 7, Übers.d.Verf.).


Zu jeder Situation stehen drei Datentypen zur Verfügung:

  • die objektiven Bedingungen,
  • die bereits existierende Einstellung der Person oder Gruppe,
  • die subjektive Bedeutung der Situation.


Den dritten Typus nennt THOMAS 'definition of the situation'. MOLLENHAUER (1972, 123) lehnt diese Bezeichnung ab, da sie missverständlich wirke: Die Person, so könnte man meinen, definiere erst bewusst und explizit die Situation, um dann schließlich zu handeln. Dieser Gedanke ist kaum nachvollziehbar, da THOMAS & ZNANIECKI die bewusste Definition nicht voraussetzen und auch nicht von Explizierung reden. MOLLENHAUER wollte wohl stattdessen auf seinen Begriff der Situationsdefinition (=Definition der Situation durch objektive, außersituative Verhältnisse) abheben (1974, 127f).


Dem SI stehen die Ethnomethodologie und Teile der Anthropologie sehr nahe. Das Leben mit Hilfe des 'Dramaturgischen Modells' (HARRE, 1981; OERTER, 1979) darzustellen, war vorwiegend die Idee von E. GOFFMAN. Die Beschreibung sozialer Situationen mit Begriffen aus der Theaterwelt machen in mancherlei Hinsicht Gedanken des SI deutlicher als dessen Wissenschaftssprache. Es ist in dieser Konzeption keine Frage, dass 'physical settings' zum Verhalten des 'actors' beitragen. Die Umwelt wird, soweit sie für den 'actor' bedeutungsvoll ist, als 'scene' oder auch als 'Umwelt' (im Englischen) bezeichnet (HARRE, 1981, 365):


 


Diese Aussage wird dann ausdifferenziert, wenn eine Person einer 'Umwelt' zwei 'Interpretationsschemata' (SM_A,SM_B) auflegt. Diese Person lebt dann in zwei 'Umwelten':


 


Diese Feststellung ist keine mathematische Spielerei, sondern aus intraindividueller Sicht bedeutsam. Empathie ist in diesem Zusammenhang die Fähigkeit, ein zweites Interpretationsschema einer anderen Person zu rekonstruieren und sein Verhalten dann darauf einzurichten.


Nach dieser Konzeption wird ein actor überhaupt erst dann handeln können, wenn er einer Situation eine Bedeutung zugeschrieben hat. STEBBINS gibt einen Hinweis, wie man Situationen beschreiben könnte: "(1) the social scientist's picture of the objective situation in which the actor finds himself; (2) the aggregate view of the objective situation as constructed from the individual views of a number of actors in the same situation" (1981, 349). Besonders der zweite Punkt erinnert an entsprechende Vorgehensweisen in der Klimaforschung (Man vergleiche dazu die Definition in Kap. 2.1.3.).


Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass von der schon älteren Konzeption des SI bedeutende Impulse für die Sozialklimaforschung möglich sind. So ist es nicht verwunderlich, dass der SI derzeit auch hier eine Renaissance erlebt, zumal er die Pädagogik und Psychologie gleichermaßen bereichern kann.




Das Lebensraum-Konzept Kurt LEWINs

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Die 'Feldtheorie' von Kurt LEWIN (1963), dem "intellektuellen Vater der modernen Sozialpsychologie" (HELMREICH, 1975), hat auf alle Versuche, menschliches Verhalten zu erklären, einen nachhaltigen Einfluss ausgeübt (BIERBRAUER, 1983; PLAUM, 1981). So ist kaum eine sozialpsychologische oder motivationspsychologische Abhandlung zu finden, in der LEWIN nicht zumindest in den einleitenden Bemerkungen zitiert wäre.


Der Grund, weswegen LEWIN in dieser Abhandlung über die Erforschung des Sozialklimas seinen Platz findet, liegt in seiner Konzeption von einer 'psychologischen Umwelt'. Er selbst gab zwar nie eine Zusammenfassung seiner Feldtheorie, andere Autoren haben diese nachgeholt (z.B. BERGIUS, 1976; HECKHAUSEN, 1980; KNÖRZER, 1976; LANG, 1979; LANGENHEDER, 1973a; PEKRUN, 1983).

Innerhalb der Feldtheorie spielt der Begriff des 'Lebensraumes' eine zentrale Rolle. LEWIN meint damit, wie später noch deutlich wird, die Situation. Der Lebensraum repräsentiert den für die einzelne Person wichtigen Ausschnitt aus der objektiven Umwelt. Er konstituiert sich durch die Wahrnehmung der realen Umwelt selbst und durch das Wissen der wahrnehmenden Person über die Umwelt. Das Verhalten des Individuums ist eine Funktion dieses Lebensraumes:


 


wobei der Lebensraum eine Funktion von Person und Umwelt ist,


 


Hieraus folgt die wohlbekannte (BRONFENBRENNER, 1981, 32) 'banale' Formel über menschliches Verhalten:


 


"Die Dynamik des Geschehens ist allemal zurückzuführen auf die Beziehung des konkreten Individuums zur konkreten Umwelt" (LEWIN, 1931). Alles Verhalten und Erleben ist Funktion der Person und ihrer Umwelt. Lebensraum ist also die durch die Person rekonstruierte (d.h. subjektive) Umwelt. Jedes Verhalten ist allein von der subjektiven Verarbeitung abhängig.


Der Lebensraum selbst gliedert sich in mehr oder weniger stark abgegrenzte, zeitlich und räumlich definierte Regionen. Jede Region hat für das Individuum einen bestimmten subjektiven Wert, die Valenz (MARROW, 1977). Die Bewegung von einer Region in eine andere nennt LEWIN 'Lokomotion' (1969, 67). Diese wird verursacht durch ein 'Kraftfeld', das durch die mit verschiedenen Valenzen ausgezeichneten Regionen verursacht wird. Regionen mit positiver Valenz üben eine Anziehungskraft aus, Regionen mit negativer Valenz stoßen ab. Die Lokomotion von einer Region zu einer anderen (also z.B. das Streben nach einer bestimmten Situation) wird einmal durch den Weg dorthin bestimmt. Dieser kann auch durch Regionen mit negativer Valenz führen, wenn es keine positive Alternative gibt. Zum anderen ist es sehr entscheidend, welche subjektiven Vorstellungen das Individuum über das Erreichen des Zieles hat. Nun stellt sich die Frage, warum eine Situation (LEWIN setzt den Begriff des Lebensraums dem der Situation gleich) für ein bestimmtes Individuum eine bestimmte Valenz hat. Nach LEWIN ist eine Antwort nur durch die "Analyse der Geschichte des Individuums und seiner Umwelt zu gewinnen" (LEWIN, 1969, 155). Es gelte, historische Entwicklungen und Ursachenketten zu verfolgen, also die 'historische Kausalfrage' (86) zu stellen:


"Existenz oder Nicht-Existenz und die Zeitlage eines psychischen Faktums sind unabhängig von der Existenz oder Nicht-Existenz und der Zeitlage des Faktums, auf das es sich bezieht" (1969, 58).


So ist der Vorwurf BRUNSWIKs, LEWINs Ansatz sei ahistorisch, unbegründet. Ganz im Gegenteil bestimmen vorausgegangene und zukünftige Situationen die gegenwärtige Situation (Dieser Gedanke wird hier gesondert aufgegriffen.).


Es ist nicht einfach, LEWINs Interpretationen zu seiner Formel  , wie sie in seinen vielen Veröffentlichungen auftreten, zusammenzutragen. Dessen ungeachtet hat sein Konzept einen nicht zu übersehenden Einfluss auf spätere Autoren gehabt, wobei man sich noch fragen muss, ob spätere Entwicklungen eigentlich auch eine Fortentwicklung des LEWINschen Ansatzes gewesen sind. HECKHAUSEN z.B. verneint dies (1980). Die LEWINschen Werke hatten sicherlich zu seiner Zeit erst einmal einen eher irritierenden Effekt, weil er seine Gedanken durch topologische Begriffe zu fassen suchte. Aber die 'brillante Konzeption' (BRONFENBRENNER, 1978) seiner Topologie wurde schließlich doch erkannt. Ein heute noch hochaktuelles Thema bespricht LEWIN in seinem Aufsatz "Der Übergang von der aristotelischen zur galileischen Denkweise in Biologie und Psychologie" (1931). Dort wird der Ursprung seiner 'dynamischen' Sichtweise deutlich (vgl. BISCHOF, 1981), und dort kritisiert er auch ausschließlich methodisch orientierte Forschung (vgl. ATKINSON, 1975, Kap 4).


LEWINs starker Forschungsdrang (MARROW, 1977) ließ ihn wohl übersehen, dass er seine originellen Gedanken zum Lebensraum nicht allzu präzise formuliert hat (LANGENHEDER, 1973a). Unklar ist insbesondere, wie sich die Lokomotion vollzieht. Heute würde man fragen, wie denn die kognitiven Zwischenprozesse aussehen. GRAUMANN spricht in diesem Zusammenhang von der "Unbestimmtheit des Kommas" (1975, 20) bzw. der Formulierung "und ihrer Umwelt" (ausführliche Kritik dazu bei HECKHAUSEN, 1980, 175f), wobei der Einfluss von KOFFKA, der zwischen psychologischer und geographischer Umwelt unterscheidet, angenommen werden darf (s. MASLOW, 1981, 56). LEWINs Ansatz kommt ein 'nur' allgemein heuristischer Wert zu, weil jeglicher Umsetzungsversuch fehlt.


LEWIN selbst lehnt auch den Begriff Theorie im strengen Sinne ab, seine Feldtheorie sei vielmehr eine "Methode der Analyse von Kausalsystemen und der Synthese wissenschaftlicher Konstrukte" (LEWIN, 1963, 87). Wohl deshalb fand LEWINs Ansatz auch keinen "Eingang in die psychologische Messung" (WAKENHUT, 1978, 11).

Mit seinem subjektivistischen Ansatz erntete LEWIN schon recht bald Kritik. Eine der fundiertesten wurde von E. BRUNSWIK formuliert. Dessen Konzeption wird deshalb Gegenstand des nächsten Kapitels sein.






Zur ökologischen Psychologie Egon BRUNSWIKs und ihrer Weiterverarbeitung durch NYSTEDT

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Nach LEWIN ist BRUNSWIKs "Psychologie vom Gegenstande her" (BRUNSWIK, 1934,3; 1939, 48; WOLF, 1981) eine zweite, wichtige, allerdings aus vielen Gründen weniger einflussreiche Konzeption. Der bedeutendste Unterschied zwischen den Ansätzen LEWINs und BRUNSWIKs besteht in der unterschiedlichen Auffassung über die Umwelt. Bei LEWIN ist Umwelt durch die Person vermittelt und wird auch über diese gemessen, BRUNSWIK geht dagegen von den direkten, objektiven Reizen aus und misst die Umwelt nicht über die Person (er verwendet anstelle des Begriffes Person den Begriff Organismus). Die Hauptkritik an rein subjektivistischen Ansätzen wie dem von LEWIN besteht darin, dass eine Systematisierung von Situationen und Bedeutungen von verschiedenen Umweltparametern fehle. (BRONFENBRENNER folgert aus dieser Kritik, dass beide Konzeptionen empirisch unvereinbar sind (1981, 47; vgl. den Optimismus WOLFs 1984)). BRUNSWIK ordnet Umweltreize nach ihrer Bedeutung, Erfahrungsnähe und psychologischer Relevanz. In seiner Sichtweise ordnen sich Reize in einem Kontinuum von organismusfernen (distalen) bis organismusnahen (proximalen) Reizen. BRUNSWIK (1939) macht diese Konzeption an einem Modell deutlich (Abb. 2.10). Das symmetrische Modell gliedert Umweltbestandteile und Verhaltenskonsequenzen nach ihrer Nähe zum Organismus. Vom Organismus aus gesehen nimmt die Relevanz der einzelnen Schichten von links nach rechts (der Reaktionsseite) ab. Die 'Nähe' oder 'Ferne' der Schichten bestimmt sich durch den Raum - oder Zeitfaktor. Der Organismus ist zwar das 'zentrale Element' (WOLF, 1983b), wird aber von BRUNSWIK nicht näher spezifiziert.


 
Abb. 2.10: Das Modell der persönlichen Umwelt nach BRUNSWIK (1939, 37)


In LEWINs Grundaussage, die sich in diesem Modell durch die Sequenz a-O-A repräsentiert, sieht BRUNSWIK allerdings eine unzulässige Verkürzung ('encapsulated'), da man nicht nur die organismusnahen Reize und Verhaltenssegmente berücksichtigen dürfe (1943, 271). Dessen ungeachtet beurteilt er LEWINs Modell für diesen Bereich als das 'most adequate'.


Einen Versuch, die bisher kaum umgesetzten Annahmen BRUNSWIKs zu verdeutlichen, legten JESSOR & JESSOR (1973, 1977) vor. Sie haben die Umweltseite des BRUNSWIK-Modells an Beispielen erklärt (s. Abb. 2.11) Diese Abbildung ist zeilenweise von links nach rechts zu lesen. Die 'Nähe' und 'Ferne' wird leicht erkennbar und ist einleuchtend. BRUNSWIK zieht alle Informationen aus diesem Modell, LEWIN würde sich ausschließlich auf die letzte Spalte beziehen.


 
Abb. 2.11: Dimensionen der Nähe umweltrelevanter Aspekte zum Organismus (n. JESSOR & JESSOR, 1978)


Da JESSOR & JESSOR (1973) in einer empirischen Untersuchung zum Drogenmissbrauch nachweisen konnten, dass mit zunehmender Ferne vom Organismus die Varianz zur Erklärung aktuellen Verhaltens abnimmt, stellt sich die Frage, ob BRUNSWIKs Ansatz über LEWINs hinausgeht. Sie stellen, ausgehend von BRUNSWIK, folgendes fest: "Personale Entwicklung und Verhalten sind logisch abhängig von der proximalen, nicht von der distalen Umwelt" (1973, 806; vgl. auch SIROTNIK, 1982). Hierbei muss man berücksichtigen, dass die Autoren die proximale Umwelt als die wahrgenommene Umwelt definieren (JESSOR, 1981).


Die angedeuteten Probleme spiegeln sich auch in dem sog. 'Linsenmodell' (s.BRUNSWIK, 1943, 1955). Dies sei in Kürze dargestellt (s. Abb. 2.12)(...Bild folgt!):


 
Abb. 2.12: Das Umwelt-Verhaltens-Modell von E. BRUNSWIK



Wenn die schon eingangs erwähnten proximalen Reize die distalen gut repräsentieren, dann liegt 'Ökologische Validität' vor (COHEN, 1969: 'Merkmalsvalidität'; vgl. BRONFENBRENNERs Verwendung dieses Terminus). Inwieweit der Organismus den proximalen Reiz für das Verhalten verwendet, wurde in der 'Nutzbarmachung' (Utilization; COHEN, 1969: 'Merkmalsverwertung') offenbar. Die direkte Beziehung zwischen den distalen Reizen und dem Verhalten wird von ihm als 'funktionale Validität' bezeichnet. Letztere kann hoch sein, auch wenn die ökologische Validität und die Nutzbarmachung gering sind. Das Modell - und dies ist der Kernpunkt - ist durch 'uncertainity' gekennzeichnet. Aus dieser Auffassung folgen die weitreichenden wissenschaftstheoretischen Gedanken BRUNSWIKs, in denen er besonders der experimentellen Psychologie schwere Fehler anlastet, da folgende Annahmen darin nicht berücksichtigt seien:


  • ökologische Repräsentativität: Die Experimentalsituation muss eine Stichprobe aus der 'Population Umwelt' sein.
  • probabilistischer Funktionalismus: Das ökologisch valide Funktionieren des Organismus ist z.T. unbestimmt ('semierratic', 'intrinsical limited'). Es gibt deshalb keine gesetzesartigen Beziehungen.
  • repräsentatives Design: Die Umwelt hat einen probabilistischen Charakter, welcher in der Experimentalsituation erhalten bleiben muss.
  • Kausalgefüge der Umwelt: Reize und deren 'Stellvertreter' sind mehrdeutig. Es existieren in der Umwelt hierarchische Beziehungen ('Umweltwahrscheinlichkeiten'), die es zu analysieren gilt.


Bei all diesen Forderungen übersieht BRUNSWIK nicht, dass das Verhalten des Menschen quasi als Rückwirkung die Umwelt ändert (1956, 20). Hier wird deutlich, dass BRUNSWIKs Auffassung von Psychologie eine gänzlich andere ist als die von LEWIN. BRUNSWIK spricht von einer Psychologie "without the organism" (BRUNSWIK, 1943, 271), in der über die Ermittlung der distalen 'Gegenstände' Wissen über den Organismus zu erlangen sei. LEWIN hingegen würde seine Psychologie rein vom Organismus (von der Person) her definieren. Auch die Umweltbegriffe beider Autoren sind gänzlich verschieden:


LEWIN definiert Umwelt immer psychologisch, BRUNSWIK nur als objektiven Tatbestand. Daraus resultiert die Kritik BRUNSWIKs am LEWINschen Umweltbegriff als 'postperceptual' und 'prebehavioral'.


Die Auffassung, dass man von der Umwelt auf die Person rückschließen könne, trifft in mancherlei Hinsicht zu, allerdings stößt sie schnell an Erkenntnisgrenzen. Z.B. sagt eine liebevoll eingerichtete Wohnung sicherlich etwas über den Geschmack des Bewohners aus. In solchen Fällen allerdings konnte die Person ihre Umwelt bestimmen (vgl. die Zirkularitätsthese von WOHLWILL). So werden hier die 'distalen Reize' vom Organismus zunächst gesetzt und sind später nicht mehr abhängig von ihm, was BRUNSWIK zaghaft andeutet (1952, 20).


Durch LEWINS frühen Tod konnte die Kontroverse von 1943 (vgl. die Zeitschriftenartikel beider Autoren in diesem Zeitraum) zwischen ihm und BRUNSWIK nicht fortgesetzt werden. Die derzeit besonders experimentell orientierte Psychologie könnte ohne Zweifel durch die Gedanken BRUNSWIKS angeregt werden.


Ohne auf die alte LEWIN-BRUNSWIK-Kontroverse noch einmal einzugehen, sind es vor allem zwei Punkte, die an BRUNSWIKs Konzeption zu kritisieren sind. BRUNSWIK hat zum einen seine Theorie nur sehr eingeschränkt empirisch zu belegen versucht. Seine Untersuchungen lagen nach der Ansicht von KRUSE (1978, 99) nur in dem Bereich b-B (s. Abb. 2.10). Soweit er empirisch gearbeitet hat, liegen seine Untersuchungen inhaltlich in einem Bereich, den man heute der Wahrnehmungspsychologie zuordnen würde; es handelte sich also keinesfalls um Untersuchungen, die die ganze Breite menschlichen Verhaltens umfassen. Diesbezüglich ist sein Ansatz restringiert, was seine wissenschaftstheoretischen Gedanken allerdings nicht berührt.


Zum anderen berücksichtigt BRUNSWIK nicht die kognitiven Zwischenprozesse. Dieses ist erst von NYSTEDT (1972, 1981) versucht worden, was - unter Anlehnung an BRUNSWIK - eine eindrucksvolle Bestätigung des subjektiven Ansatzes ist: die Erweiterung des Linsenmodells. Um die Terminologie NYSTEDTs zu verstehen, sei das Linsenmodell in NYSTEDTs Fassung beschrieben (vgl. Abb. 2.13).


NYSTEDT beschreibt das Linsenmodell korrelationsstatistisch. r(ei) bezeichnet die ökologische Validität (=Zusammenhang distale Variable - Reize). r(i) ist die Korrelation der Reize untereinander, r'(i) die Vorstellung einer Person vom Zusammenhang zwischen den Reizen. Die funktionale Validität wird durch r(DB) gemessen. NYSTEDT erschien eine Erweiterung des Linsenmodells sinnvoll, weil er das intrapersonelle, kognitive System verdeutlicht wissen wollte. Die Grundstruktur BRUNSWIKs (Ökologie - Person - Ökologie) bleibt dabei erhalten. Das erweiterte Linsenmodell ist in Abb. 2.13 wiedergegeben.


Im Grunde ist diese Erweiterung dadurch charakterisiert, dass das gesamte Linsenmodell BRUNSWIKs sich noch einmal in der kognitiven Struktur der Person wiederfindet. NYSTEDTs These war, dass das Verhalten einer Person erst dann adäquat erklärt werden kann, wenn die kognitive Repräsentation einer Situation bekannt ist (perzeptuell-kognitives System). So einleuchtend diese Überlegungen sind, die methodischen Probleme wiegen schwer. NYSTEDT selbst überträgt die klassischen Methoden aus der Erforschung der impliziten Persönlichkeitstheorie (rating-Skalen etc.; vgl. BENDER, 1985; v.SALDERN & STILLER, 1980) auf sein Forschungsgebiet, insofern er davon ausgeht, dass die kognitiven Prozesse bei der Beurteilung einer Person ähnlich der einer Situation seien.


 
Abb. 2.13: Das Linsenmodell in der Terminologie von NYSTEDT (1972, 1981)


Damit unterliegt dieser Ansatz ähnlichen Problemen wie die anderen eher objektivistisch orientierten Versuche, den Umwelteinfluss auf das menschliche Verhalten zu erklären. Es muss aber festgehalten werden, dass diese Konzeption noch erweiterungsfähig ist. BRUNSWIKs Beitrag zum Sozialklimakonzept ist fruchtbar, wenn auch nicht durch seine Kritik an LEWIN: Sie führt zu einer Stärkung der eher subjektivistisch orientierten Konzeptionen.

MURRAYs 'need-press'-Konzept und dessen Erweiterung durch STERN

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Ein weiterer Ansatz, der auf den ersten Blick für die Sozialklimaforschung vielversprechend scheint, ist der von H. MURRAY, dem dieser Abschnitt gewidmet ist.


MURRAY hat 1938 ein Verhaltensmodell vorgestellt, welches nach Ansicht vieler Autoren insbesondere die Schulklimaforschung im US-amerikanischen Bereich hinsichtlich theoretischer Annahmen entscheidend beeinflusst hat (so z.B. EKEHAMMER, 1974; HOLLAND, 1973, 6; MITCHELL, 1969; PULVINO & HANSEN, 1972; RANDHAWA & FU, 1973; SCHREINER, 1973, 65; WALTER, 1972). Sein Ausgangspunkt war die Diskussion über die Psychologie als Wissenschaft, wobei er zwei Typen von Psychologen zu erkennen glaubte: die Periphalisten und die Zentralisten (PERVIN, 1978). Die Periphalisten sind am besten durch den Behaviorismus um WATSON charakterisiert: absolute Umweltabhängigkeit des Verhaltens. Die Zentralisten sind dagegen eher als Eigenschaftstheoretiker zu bezeichnen: Persönlichkeit und Verhalten werden durch zentrale interne Prozesse determiniert. Da MURRAY eine Synthese aus beiden Konzeptionen versuchte, ist er neben LEWIN in den dreißiger Jahren der profilierteste Vertreter des frühen Interaktionismus geworden. Dies lässt sich leicht durch die Forderungen, die MURRAY an die Psychologie stellt, erkennen:


  • wird menschliches Verhalten beschrieben, so muss auch die Umwelt beschrieben werden,
  • dabei muss die Interaktion zwischen Person und Umwelt im Mittelpunkt stehen, weniger die Person oder die Umwelt alleine (MURRAY, 1938).


Verhalten entsteht nach MURRAY aus dem Zusammenwirken von Umwelteinflüssen (PRESS) und individuellen Bedürfnissen (NEEDS). Needs sind Konstrukte, die nur aus dem Verhalten abgeleitet werden können. Das Individuum kann durch einen 'set' von needs beschrieben werden, die Umwelt durch einen 'set' von press. Needs lösen das Verhalten aus. Sie sind Basis für die interindividuellen Unterschiede in "Intensität, Dauer und Richtung zielorientierten Verhaltens" (HOEFERT, 1982a, 89).


Press sind Umweltfaktoren und behindern oder fördern die individuelle Bedürfnisbefriedigung einer Person. (MURRAY verwendet 'press' auch im Plural). MURRAY unterscheidet zwischen objektiver und psychologischer Umwelt: 'Alpha press' sind die tatsächlichen Umweltgegebenheiten, 'beta press' sind die durch die Person wahrgenommenen Umweltgegebenheiten (vgl. HEIDER, 1977), wobei MURRAY selbst nur bei einer krankhaften Person annimmt, dass ein Unterschied zwischen alpha- und betapress besteht. Auf diesem Wege können Situationen und Personen durch äquivalente Dimensionen beschrieben werden.


Eine weitere wichtige Annahme MURRAYs ist, dass sich needs und press komplementär gegenüberstehen. (KUERT (1979, 181) spricht hierbei von Isomorphie - einem Begriff, der uns in anderem Zusammenhang noch beschäftigen wird (in Kap. 2.2.1.8).) Komplementäre needs und press (ein sog. 'Thema') unterscheiden sich inhaltlich nicht. (Beispiele dazu sind in der auf dem Konzept MURRAYs aufbauenden Fragebogenbatterie enthalten (s. GARDNER, 1976; SCHNEEWIND & LORTZ, 1978; SCHREINER, 1973, 67ff)).


Neu ist damit die subjektive Wahrnehmung der Umwelt als einer der Parameter für die Verhaltenserklärung. Geblieben ist die Frage, wie Person und Umwelt bzw. needs und beta press zusammenwirken. Das Modell MURRAYs lässt sich wie folgt darstellen:


 
Abb. 2.14: Das Need-Press-Modell von MURRAY


Das Modell MURRAYs nimmt an, dass die Wahrnehmung der Umwelt unabhängig von den Bedürfnissen einer Person ist. Dagegen sprechen allerdings alle Ergebnisse der Forschung zur sozialen Wahrnehmung. Ebenso fehlt explizit eine Rückmeldeschleife vom Verhalten zu den alpha press (wie allerdings schon bei LEWIN).


In Erweiterung von MURRAY unterschied STERN (1970) das beta-press in 'private beta press' und 'consensual beta press'. Letzteres wird "dann als existent angesehen, wenn mehrere Menschen Umweltereignisse übereinstimmend perzipieren" (SCHREINER, 1973, 66). Private beta press bestehen dann, wenn diese Übereinstimmung nicht zustande gekommen ist. Somit bezieht STERN den für die Erforschung des Sozialklimas zentralen Aspekt der Gruppenwahrnehmung mit ein (man vergleiche dazu noch einmal Abb. 2.1). Beide beta-press können nicht objektiv erfasst werden, sind aber die Umwelteinflüsse, die das Verhalten beeinflussen (SCHULTZ, 1979, 827; vgl. das THOMAS-Theorem in Kap. 2.2.1.3).


Für die Erforschung des Sozialklimas erscheint besonders der Gedanke von STERN (1970, 7) von großer Bedeutung zu sein, dass das Zusammenspiel von needs und press das Klima bzw. die Atmosphäre konstituieren würde (KUERT, 1979, 181; SCHREINER, 1973, 66).


Die Kritik zu diesem Konzept MURRAYs und STERNs ist vielfältig. BARKER (1968, 425) lehnt dieses Konzept deshalb ab, weil MURRAY eigentlich die ökologische Umwelt gänzlich außer Acht lasse (vgl. hier die Kritik an BARKER - Kap.2.2.1.2 ). Die Hauptkritik bezieht sich auf die Zuordnung von needs und press (MEISTER, 1978). Das eigentliche Übersetzungsproblem (schulische Umwelt - individuelles Verhalten) sei nicht angesprochen worden, sondern wird im Gegenteil sogar verdeckt (WALTER 1972, 428f): "Wie kommt nach MURRAYs bzw. STERNs Vorstellungen konkretes Verhalten zustande? Sie haben ... die äußeren und inneren Faktoren säuberlich in Press und Need getrennt". Konkretes Verhalten entsteht durch das Treffen einer bestimmten Umweltbedingung auf eine bestimmte Bedürfnisstruktur. Damit drückt sich dieses Parallelitätskonzept der Need-Press-Passung (Person-Environmental-Fit) recht elegant um den Graben zwischen sozialen und psychischen Faktoren und damit um die eigentliche Übersetzungsproblematik herum: "Alle Umweltreize begegnen ... prästabilisierten Verhaltensdispositionen" (vgl. MISCHEL, 1968; ROTTER, 1955). Die Folge davon sei, dass Autoren, die die Fragebogenkonstruktion mit MURRAY oder STERN begründen, "wesentliche Anliegen institutioneller Sozialisation von voreherein ausblenden" (WALTER, 1976, 212; vgl. MOOS, 1979b). Das ist wohl auch der Grund, warum das Konzept MURRAYs in der empirischen Umsetzung wenig erfolgreich war. Das Konzept, das eigentlich keine Theorie darstellt, erscheint zu abstrakt, hat allerdings zumindest heuristischen Wert für die Umweltcharakterisierung durch press (HOEFERT, 1982a, 90). Theorie im eigentlichen Sinne ist es nicht (vgl. HECKHAUSEN, 1980, 103). (Weitere Anmerkungen s. SEIFFKE-KRENKE & TODT, 1977; dort wird MURRAY als Vertreter der Motivationspsychologie diskutiert; s.a. HECKHAUSEN, 1980, 101f; HERBER,1976).




Der ökologische Ansatz Urie BRONFENBRENNERs

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Die bisher vorgestellten Theorien fassen Umwelt als Begriff ohne innere hierarchische Differenzierung auf. Eine Konzeption, die dieses versucht, ist die von U. BRONFENBRENNER, die in diesem Abschnitt näher beleuchtet werden soll.


Während LEWIN den Lebensraum mit Hilfe topologischer Begriffe in verschiedene 'Regionen' eingeteilt und diese Regionen durch verschiedene Nähe zum Individuum (Bedeutsamkeit, 'Valenz', vgl. den Ansatz BRUNSWIKs) beschrieben hat, spezifizierte der stärker empirisch orientierte BRONFENBRENNER die doch recht abstrakt formulierten Regionen LEWINs näher (LÜSCHER, 1976, 20). BRONFENBRENNER selbst bezeichnet LEWIN als "brilliant denkenden Giganten" (1977, 1981), und die ökologische Umwelt betrachtet er "als verschachtelte Anordnung von Strukturen ..., von denen jede wiederum in der nächsten enthalten ist" (1976b, 5; 1978, 35).


BLAU (1979), der sich viele Jahre mit sog. 'structural effects' beschäftigte, kommt zu einer Forderung, die auch von BRONFENBRENNER stammen könnte: Man solle nicht nur Kontexteffekte mit Individuen untersuchen, sondern annehmen, dass Kontexte selbst wiederum Bestandteile von Kontexten seien, deren Effekte Gegenstand von Untersuchungen werden sollten (s.a. WEGNER, 1978). Es ergeben sich nach BRONFENBRENNER vier 'levels': das Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosystem (vgl. HESS & HOWARD, 1981; BATTEGAY, 1974).Das Mikrosystem ist die kleinste, unmittelbar auf die Person bezogene Einheit und lässt sich durch die Elemente Ort, Zeit, physikalische Eigenschaften, Tätigkeit, Teilnehmer und Rolle beschreiben. Es ist somit dem behaviour setting von BARKER eng verwandt. BRONFENBRENNER kritisiert allerdings an BARKER, dass die ausschließliche Beschränkung auf das setting "zwar für die Erforschung tierischen Verhaltens ganz brauchbar sei", aber für den Menschen kaum ausreiche (1978, 34; 1981, 37), denn "der entscheidende Terminus in der Definition des Mikrosystems sei das Wort 'erlebt'" (BRONFENBRENNER, 1981, 38).


Zwei Forderungen BRONFENBRENNERs in Bezug auf die empirische Forschung zum Sozialklima erscheinen wesentlich: Zum einen dürfen zu analysierende Interaktionen nicht nur auf zwei Personen beschränkt sein, vielmehr müssen die Interaktionen zwischen allen Personen des Mikrosystems als wesentlicher Bestandteil der Umwelt berücksichtigt werden. Zum anderen muss die indirekte Wirkung physikalischer Faktoren auf das Verhalten stärker mit einbezogen werden.


Die nächsthöhere Ebene ist das Mesosystem, welches durch ein System von Settings gebildet wird. Welche Settings für das Individuum wichtig sind, und zueinander in Beziehung stehen, kann individuell je nach Lebensalter und -lage verschieden sein. Für Schüler allerdings sind die drei wichtigsten Settings meist Schule, Elternhaus und Peers. BRONFENBRENNER unterscheidet dabei 'Soziale Netzwerke' und 'Institutionen' (1976c, 203). Für die Ökologie des Individuums sind die indirekten Beziehungen zwischen den Settings sehr bedeutsam: So kann z.B. eine Scheidung der Eltern erheblichen Einfluss auf schulische Leistungen haben.


Die Forderung BRONFENBRENNERs, alle für die Person wichtigen Settings in die Analyse mit einzubeziehen, ist nicht so einfach zu erfüllen: Wer soll bestimmen, welche Settings für das Individuum wichtig sind? Der Forscher kann von außen leicht Fehlurteilen unterliegen, so dass nur der subjektive Zugang über die Person selbst bleibt. Dieser Weg ist aber von BRONFENBRENNER nicht vorgesehen.


Die Ausweitung des Mesosystems ist das Exosystem. Die Person ist im Exosystem nicht direkt beteiligt. Das Exosystem umfasst formelle und informelle Strukturen, die in die Settings einwirken, diese evtl. sogar ganz determinieren. Dazu gehören z.B. Massenmedien, Arbeitswelt, Nachbarschaft und Regierungsinstitutionen. BRONFENBRENNER spricht dem Exosystem für die Forschung eher überordnende Funktion zu (1977, 1978).


Das allumfassende, übergeordnete System ist das Makrosystem. Damit sind die "ökonomischen, sozialen, erzieherischen, juristischen und politischen Systeme" (1978, 36) gemeint. BRONFENBRENNER spricht auch von einem 'ideologischen System' (1976c, 204). Die konkreten Manifestationen des Makrosystems sind die darunter liegenden Exo-, Meso- und Mikrosysteme. Das Gesamtmodell ist in Abb. 2.15 in einer Version von BERTRAM (1982) dargestellt. BRONFENBRENNER spezifiziert mit seinen 'lower' bzw. 'higher order units' (SCHEUCH, 1969) Umwelt sehr anspruchsvoll. Dies mag an seiner guten Kenntnis verschiedener Kulturen gelegen haben (geboren in Moskau, in den USA lebend, deutsche Ehefrau), wobei ihn seine Reiselust, die ihn durch die ganze Welt führte, wohl zu der Erkenntnis gelangen ließ, dass es sehr wohl kulturabhängige Umweltmerkmale gibt (vgl. LÖSCHER, 1976; und die Arbeit von BRONFENBRENNER & MAHONY, 1975).


So liegt auch der Wert der Konzeption BRONFENBRENNERs besonders im interkulturellen Vergleich. Es bleibt unbestritten, dass die verschiedenen Umweltbereiche einen erheblichen Einfluss auf das Verhalten haben. Zieht man allerdings das Verhalten von Schülern einer Klasse heran (also von Personen in einem objektiv identischen Mikrosystem), so liegen die Ursachen für interindividuell verschiedenes Verhalten nicht nur im Mikrosystem (vgl. schon JOLK, 1957; WEISS, 1967). Wohl aber kann das Mesosystem der Schüler (Familie, Bezugsgruppen) Aufschluss über Wahrnehmungsdivergenzen geben (EPSTEIN, 1981d; MOOS & DAVID, 1981). Dies erfordert aber für die empirische Praxis kaum zu bewältigende Forschungsvorhaben.


Es erscheint sicherlich fragwürdig, BRONFENBRENNERs Modell als subjektivistischen Ansatz zu charakterisieren. Er selbst leistet aber dieser Charakterisierung Vorschub, wenn er meint, dass seine Ökologie die bisher von Soziologen und Psychologen so vernachlässigte These vertrete, dass "die Umwelt für Verhalten und Entwicklung bedeutsam ist, wie sie wahrgenommen wird, und nicht, wie sie in der 'objektiven' Realität sein könnte" (1981, 20). Dies mag STOKOLS zu der Kritik geführt haben, dass BRONFENBRENNER die physikalische Umwelt nicht berücksichtige (1981, 395).


BRONFENBRENNER versucht, die gesamte Entwicklungspsychologie auf die subjektive Komponente zu konzentrieren: Entwicklung sei die "dauerhafte Veränderung der Art und Weise, wie die Person die Umwelt wahrnimmt und sich mit ihr auseinandersetzt" (1981, 19). Er spricht in diesem Zusammenhang auch von der "Entfaltung" der Vorstellung der Person über ihre Umwelt (1981, 25), wobei auch "unterschiedliche Dispositionen der Situationsbeurteilung" (so HECKHAUSEN, 1980, 15) entwickelt werden. Diese Ansicht spielt aber nicht nur für die Klimaforschung eine große Rolle, sondern hat sich auch schon in jüngeren Forschungsgebieten wie z.B. in der Gerontologie (FOOKEN, 1980) etabliert.


 
Abb. 2.15: Das Systemmodell von U. BRONFENBRENNER (n. BERTRAM, 1979, 1982)

Das Isomorphiekonzept von OERTER et al.

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Zum Abschluss einer Reihe eher verhaltenssoziologisch oder -psychologisch orientierter Theorien wird im folgenden der mögliche Einfluss des Isomorphiekonzeptes von OERTER et al. auf das Sozialklimakonzept diskutiert.


Aus einer gänzlich anderen Richtung als die bisherigen Ansätze - nämlich aus der Denkpsychologie - kommt eine eindrucksvolle Bestätigung der Bedeutung der subjektiv wahrgenommenen Umwelt: der Isomorphie-Ansatz von OERTER, DREHER & DREHER (1977). Die Autoren begründen ihren Ansatz damit, dass die meisten denkpsychologischen Untersuchungen aus dem unmittelbaren Zusammenhang herausgelöst sind (1977, 11). Ziel ist es, die individuelle kognitive Struktur im Hinblick auf ihre Abbildfunktion der objektiven Umwelt zu untersuchen. In Anlehnung an BRUNSWIK fordern die Autoren, repräsentative Stichproben der Ökologie des Individuums einzubeziehen. Dazu werden zwei Begriffe geprägt und erklärt: die 'Subjektive Struktur' (SS) und die 'Objektive Struktur' (OS). In der letzteren ist die natürliche Umwelt sowie die Kultur im weitesten Sinne enthalten. Hinzu kommt die Ökonomie. Letztlich ist die OS die Gesellschaft im weiteren Sinne.


Die SS ist die Repräsentation der OS im Individuum. Sie ist ebenso wie die OS ein System von Elementen und Relationen, wobei die Elemente der SS und der OS miteinander korrespondieren. (Besonders beim letzten Gedanken fällt die Parallele zum vorher erwähnten Need-Press-Modell von MURRAY auf.)


Wenn ein Element der OS umkehrbar eindeutig einem Element der SS zugeordnet ist, so spricht man von 'Isomorphie' (vgl. MURRAY: Thema). Die kognitive Sozialisation "verläuft in Richtung auf Herstellung von Isomorphie" zwischen beiden Strukturen (1977, 17).


Der Prozess des Aufbaues der SS zielt wechselseitig einmal auf die Veränderung der SS und zum anderen auf die Veränderung der OS. Damit ist im Grunde ein altes Problem neu angerissen: Wie verläuft dieser Prozess? Die Autoren berufen sich auf das Tätigkeitskonzept von LEONTJEW (1977). Isomorphie zwischen den beiden Polen wird durch Tätigkeit erreicht. Dadurch wird m.E. das Problem aber nicht unbedingt klarer, da man aus der Tätigkeit nicht ersehen kann, was SS oder was OS ist.


Drei weitere Konzepte sollen an dieser Stelle weiterhelfen: Die 'Exekutive' ist eine aus der SS ausgelagerte Instanz, in der die verschiedenen Aktivitäten des Individuums enthalten sind. Es hat damit die Aufgabe, Teile der SS zu objektivieren, "also in materielle oder ideelle Anteile der OS zu transponieren" (OERTER et al. 1977, 20). Das 'Resultat' ist ein objektives Kriterium, das der Umwelt signalisiert, wieweit die Isomorphie zwischen OS und SS schon gediehen ist. Das Individuum erhält positive Rückmeldung beim Isomorphie-Fortschritt, negative beim Gegenteil. Auch werden eigene Orientierungsmaßstäbe gesetzt ('interner Sollwert'), was in etwa dem Gewissen entspricht. Struktur der OS und interner Sollwert werden mit dem Resultat verglichen, um Rückmeldung zu erhalten. Die 'Situation' wird bei diesem Konzept subjektiv gefasst. Dies entspricht auch dem Ansatz von MISCHEL (1973a), in dem individuell einmalige Reizäquivalente die Situation ausmachen (OERTER et al., 1977, 23), wobei sie immer als Ausschnitt aus der OS zu verstehen ist. Dieses Konzept der Isomorphie erlaubt zwar die "Einordnung interaktionistischer Ansätze" (1977, 26), bringt aber im Hinblick auf die beschriebenen Institutionen und Prozesse nichts Neues, denn sie sind im Grunde bekannt und nur mit neuen Begriffen versehen. Der Ansatz hilft deshalb insbesondere bei der Klimaforschung nicht weiter: Bei zunehmender Isomorphie müsste die Wahrnehmung der Schüler einer Klasse sich bei gleicher Situation annähern und später sogar deckungsgleich werden, eine Annahme, die jegliche Plausibilität vermissen lässt.





Der interaktions-psychologische Ansatz (Interaktionismusdebatte)

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Ein letzter Blick bezüglich der Erklärung der individuell-subjektiven Wahrnehmung der Lernumwelt richtet sich nicht auf eine Theorie, die weitgehend an einen Autor oder eine Autorengruppe gebunden ist, sondern auf eine ganze Diskussionsperiode, nämlich auf die Interaktionismusdebatte.


"Es ist eine klassische Frage der Psychologie, in welcher Weise und in welchem Masse ein gegebenes Verhalten durch die aktuelle Situation zustande kommt oder aber von überdauernden, stabilen Personenmerkmalen abhängig ist". Diese Einleitung von HOEFERT (1982b; vgl. PEKRUN, 1983, 166) kennzeichnet eine langjährige Tradition innerhalb der Psychologie (abgesehen von der 'interactional pedagogy' des R.E.CLARK (1982)). Diese Tradition ist allerdings eher durch die erwähnte Frage, weniger durch befriedigende Antworten bekannt geworden. Wenn HOEFERT - wohl durch EKEHAMMAR (1974) inspiriert - auf KANTOR, KOFFKA, LEWIN und MURRAY als die 'Vorarbeiter' dieser Tradition verweist, die den "offenbar denkmöglichen Rahmen" abgesteckt hätten, so erwähnt er nicht diejenigen Psychologen wie ALLPORT, CATTEL und andere, die die Psychologie durch ihren ausschließlich eigenschaftszentrierten Ansatz behindert haben, gegen den sich für damalige Verhältnisse kritische Psychologen ja erst einmal durchsetzen mussten. Die eigenschaftszentrierte Psychologie war (und ist?) zumindest im empirischen Bereich dominant (ENDLER, 1977), auch wenn CRAIK (1976) fordert, dass die Umwelt auch in der Persönlichkeitspsychologie berücksichtigt werden muss.


Im folgenden werden die drei Konzeptionen (Personalismus, Situationalismus, Interaktionismus) eingehender betrachtet. (Zu den historischen Quellen siehe HOEFERT (1982), EKEHAMMAR (1974) sowie SELLS (1963).)



a) Der Personalismus

Man kann nicht sagen, dass es 'den' personalistischen Ansatz gibt, vielmehr steckt dahinter eine lange Tradition vielfältiger Auffassungen innerhalb der Persönlichkeitspsychologie, denen allen eine Grundannahme gemeinsam ist: Manifestes Verhalten ist eine wesentliche Funktion von stabilen, latenten Merkmalen (Traits). Traits sind in erster Linie hypothetische Konstrukte und dienen der umfassenden Beschreibung von beobachtbaren Verhaltensweisen. Diese 'Zwei-Schichten-Auffassung' (HERRMANN, 1969, 1980) hat ihre methodische Parallele in Faktoren- oder Pfadanalysen mit latenten Variablen (wie z.B. LISREL), wobei folgende Gegenüberstellung gilt:


    Manifeste     →     beobachtbares

    Variable                Verhalten


    latente         →     Hypothetisches

    Variable                Konstrukt

                                (Trait: Eigenschaft)


Die Gesamtheit der latenten Variablen (Traits) ist per definitionem (HERRMANN, 1969) die Persönlichkeit. Verhalten ist dabei relativ stabil. Dem liegt die Annahme der relativen Konsistenz (s. Abb. 2.16, Typ C) zugrunde.


Die empirische Forschung konnte zwar diese auf Dauer bestehenden Traits nachweisen, dies liegt aber daran, dass die Verhaltensvariabilität zwischen den Situationen folgendermaßen erklärt wurde: Fehlende Konsistenz auf Verhaltensebene muss ja nicht gleichzeitig fehlende Konsistenz auf der latenten Ebene bedeuten. WAKENHUT (1978, 73) schließt daraus, dass auf diese Weise personalistische Ansätze empirisch nicht widerlegt werden können.


WAKENHUT (1978) macht deutlich, wie stark diese Persönlichkeitsauffassung die Methodenentwicklung, insbesondere innerhalb der klassischen Testtheorie, beeinflusst hat. Das erste Axiom der klassischen Testtheorie ist das Datenmodell (KRANZ, 1981):


      


wobei   = der beobachtete Wert = manifeste, beobachtbare Variable

  = der wahre Wert = hypothetisches Konstrukt, Trait, latente Variable

  = der Fehler (besser: ungeklärter Anteil)


In t und T ist also eindeutig die Zwei-Schichten-Auffassung nach HERRMANN (1969) impliziert. e wird - wie auch bei KRANZ - als Fehler bezeichnet. Damit wird also intraindividuelle Variabilität (die ja so etwas wie einen spezifischen Situationseinfluss darstellen könnte) als unerwünschter Anteil im Sinne des traitzentrierten Ansatzes bezeichnet.


Es kommt noch ein Problem hinzu:

Relative Konsistenz ist nur durch das Hinzuziehen mehrerer Personen bezüglich eines (oder mehrerer) Traits überprüfbar. Theoretisch sind Traits aber für ein einzelnes Individuum definiert. Diese Art der Definition erscheint unter Hinzuziehung unseres Alltagswissens auch plausibel: Wenn man eine einzelne Person über lange Zeit kennt, kann man Verhaltenskonsistenzen benennen (= Eigenschaften).


Hier wird wieder ein unvereinbares Theorie-Methode-Verhältnis innerhalb des Personalismus aufgezeigt. WAKENHUT zeichnet schärfer: "Akzeptiert man die Annahme, dass Verhalten situationsspezifisch ist, so erübrigt sich eine Persönlichkeitsforschung im herkömmlichen Sinn." (1978).


Die interaktionistische Kritik an den eigenschaftszentrierten Ansätzen zielt "in erster Linie auf die dort behauptete zeitliche und transsituationale Konsistenz oder Stabilität" der jeweiligen Eigenschaften (HOEFERT, 1982, 14). Die wesentlichsten Kritikpunkte dieser Konsistenzannahme lassen sich wie folgt zusammenfassen:


  1. Die durch eigenschaftszentrierte Untersuchungen aufgeklärte Verhaltensvarianz ist äußerst gering (vgl. SARASON et al. 1975; MISCHEL, 1968)
  2. Die durch Beobachtung erhobenen Ergebnisse über Verhaltenskorrelate unterliegen häufig den kognitiven Konstruktionen des Beobachters (BOWERS, 1973; MISCHEL, 1973a)
  3. Wenn in eigenschaftszentrierten Ansätzen situative Einflüsse doch als wichtig erkannt werden, so werden diese in der methodischen Umsetzung stark vernachlässigt.


Die alternativen Vorgehensweisen zum "Mythos der personellen Konsistenz" (HUNT, 1975) werden noch ausführlicher dargestellt (Eine gute Zusammenfassung dazu lieferte HOEFERT, 1982).


Als "Achillesferse der Eigenschaftstheorie" bezeichnet HECKHAUSEN (1980, 9-13) die angenommene Konsistenz über Situationen hinweg. Diese sei nur deshalb möglich gewesen, weil die 'Unterschiedlichkeit von Situationsgegebenheiten' (1980, 11) bei den Schlussfolgerungen so blass geblieben seien.



b) Der Situationalismus

Der Situationalismus, ebenso wie - quasi als Synthese - der Interaktionismus ist durch seine Kritik an eigenschaftszentrierten Ansätzen entstanden. Ansatzpunkt der kritischen Auseinandersetzung ist die Frage, inwieweit Verhalten über Situationen hinweg konsistent ist.


Verhalten ist beim situationalistischen Ansatz ausschließlich von äußeren Faktoren determiniert:


      


Der Situationalismus hat - abgesehen von dem klassischen Behaviorismus (vgl. SKINNER) - kaum einen Einfluss auf die Persönlichkeitsforschung gehabt. Dies lag vorwiegend daran, dass sich der Situationalismus nicht bewähren konnte, was beim Personalismus (s.o.) aufgrund des Datenmodells der klassischen Testtheorie möglich war. Die Erklärung interindividueller Variabilität konnte bei der Annahme, dass Verhalten von außengelagerten Faktoren abhängig ist, nicht gelingen. Auf der Suche nach Erklärungsansätzen wandelte sich schließlich MISCHEL (1968 noch engagierter Situationalist) bis 1973 zum differenzierten Verhaltenstheoretiker. Im Rahmen des behavioristischen Ansatzes zeigte sich allerdings, dass in Teilbereichen Verhalten durchaus rein situationsabhängig erklärt werden kann. Aber auch hier bewährte sich der SKINNERsche Optimismus nicht.


Ebenso wie der personenzentrierte Ansatz konnte sich der Situationalismus nicht durchsetzen. Es blieb der mühsame Versuch eines Kompromisses - in Form des sog. Interaktionismus. WALTER fordert, dass "wir uns nicht voreilig zu einem einseitigen Soziologismus, Psychologismus oder sonstigem -ismus hinreißen lassen" (1972, 426; "Interactionism - like any other '-ism'...", ALKER, 1977)). Dieser Wunsch ist bei der Zuweisungs- und Kategorisierungstendenz innerhalb der Wissenschaft kaum einzuhalten. Deshalb seien im weiteren die herkömmlichen Begriffe - bei aller Vorsicht - weiter verwendet.



c) Der Interaktionismus

Man kann also grob drei Ansätze voneinander unterscheiden, die die 'klassische Frage' zu beantworten suchen: den Personalismus, den Situationalismus und den im folgenden zu diskutierenden Interaktionismus (VORWEG, 1980b). Der erste ist nahezu identisch mit dem eigenschaftszentrierten Ansatz innerhalb der Psychologie, der zweite erklärt menschliches Verhalten als allein durch situative Faktoren bestimmt, der letzte versucht sich an einem durch Wechselwirkungen gekennzeichneten Erklärungsmodell. ARGYLE & LITTLE (1972) referieren vier Typen der Variabilität menschlichen Verhaltens, an denen die drei Grundkonzeptionen verdeutlicht werden können(s. Abb. 2.16).


 
Abb. 2.16: Vier Arten der Variation zwischen Person und Situation (n. ARGYLE & LITTLE, 1972; Abzisse: Ausprägung des Verhaltens)


Typ A ist dadurch gekennzeichnet, dass die Personen sich in verschiedenen Situationen konstant verhalten. Es liegt damit eine absolute Konsistenz des Verhaltens vor. (vgl. ENDLER, 1977; MAGNUSSON, 1982; MAGNUSSON & ENDLER, 1977). In Typ B liegt exakt der umgekehrte Fall vor (absoluter Situationalismus). Bei Typ C und D haben sowohl Person als auch Situation einen Einfluss auf das Verhalten, wobei bei Typ C die Rangfolge der Personen in einer Situation gleich bleibt (relative Konsistenz). Erst bei Typ D ist ein Interaktionismus voll erreicht (Kohärenz).


Handlungen lassen sich demnach durch drei Beurteilungsdimensionen erklären (HECKHAUSEN, 1980,4f):

  • durch den Vergleich mit anderen Personen auf Übereinstimmung des Handelns (individuelle Unterschiede),
  • durch den Vergleich mit anderen Situationsanlässen auf Übereinstimmung des Handelns (Gleichartigkeit über Situationen hinweg), und
  • durch den Vergleich mit früheren gleichen Situationsanlässen auf Übereinstimmung des Handelns (Stabilität über die Zeit hinweg).


Die dritte Beurteilungsdimension ist bei ARGYLE & LITTLE (1972) nicht berücksichtigt, kann aber den Typen der Variabilität logisch äquivalent sein, wenn man die Situation 1-3 als zeitlich hintereinanderliegend, aber inhaltlich gleich, definiert.


Die jahrzehntelange Resistenz der Psychologie gegenüber interaktionistischen Ansätzen führt HUNT (1975) darauf zurück, dass 'Interaktionismus' zu restriktiv definiert wurde. Damit trifft er einen ganz wichtigen Punkt hinsichtlich der sog. statistischen Interaktion. Aber es liegen andere Definitionen von Interaktion vor, die vor allem von ENDLER und EDWARDS (1978), OLWEUS (1976) und PERVIN (1978) zusammengestellt wurden und die nicht restriktiv statistisch sind (s.a. BRAUNS, 1982). HOLLING (1982, 186 ff.) unterscheidet den mechanistischen Interaktionismus vom dynamischen Interaktionismus (s.a. ENDLER & EDWARDS, 1978; PAWLIK, 1982).


Das mechanistische Modell entspricht weitgehend dem statistischen - varianzanalytischen - Interaktionsbegriff. Dies hängt eng mit der Forschungstradition zusammen, in der vorwiegend Varianzanalysen gerechnet wurden. Verhaltensvarianz wurde erklärt durch den Faktor Person, durch den Faktor Situation und durch die Wechselwirkung beider. So entstand jenes Modell, das bald theoretisch überholt sein sollte und empirisch - so OLWEUS (1976) - recht schnell in einer Sackgasse gelandet ist. OLWEUS kritisiert besonders das methodische Vorgehen (Varianzanalyse) und folgert daraus, dass die Frage nach den Erklärungsanteilen inhaltlich unlösbar ist (vgl. SCHMALT & SOLOKOWSKI, 1982) ROTTER bezeichnet die ganze Frage als Pseudoproblem (1981, 174). Diese Kritik stimmt sicherlich für das mechanistische Modell, nicht hingegen für das sog. 'dynamische Modell', das derzeit noch befruchtend wirkt (s. WAKENHUT, 1978, 89).


Mit dem dynamischen Modell ist die Frage, ob eine Interaktion überhaupt vorliegt, durch die Frage, wie diese denn abläuft, verdrängt worden. Das mechanistische Modell mit dem statistischen Interaktionsbegriff ist durch die dynamische Sichtweise abgelöst.


Dieses dynamische Modell ist durch zwei Ebenen charakterisiert:

  • die Interaktion zwischen den Situationen,
  • die Interaktion innerhalb einer Situation (HOLLING, 1982).


Interaktionen zwischen Situationen finden über die Person statt, denn diese begibt sich aktiv in bestimmte Situationen, die wiederum auf die Person in bestimmter Weise wirken. Situationen treten also nicht zufällig auf. Allerdings ist diese Einsicht nicht neu. Einer der eigentlich typischen 'Eigenschaftstheoretiker' (CATTELL) hatte auf diesen Tatbestand auch schon hingewiesen: "Persönlichkeit kann als das Verhalten eines Menschen in einer bestimmten Situation definiert werden."(1973, 29).


Mit der Interaktion innerhalb einer Situation sind die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Reizen, den mediativen Prozessen in der Person und dem daraufhin folgenden Verhalten gemeint, wobei das Verhalten seinerseits wieder Situationsreize hervorruft. Dieser Sachverhalt wird als 'reziproker Interaktionismus' (PEKRUN, 1983, 169f) bezeichnet und lässt sich wie folgt darstellen.


 
Abb. 2.17: Der reziproke Interaktionismus



Im folgenden sollen zusammenfassend und akzentuiert die Merkmale des Interaktionismus dargestellt und die Abgrenzung zu den beiden anderen Ansätzen vollzogen werden. Die wichtigsten Aussagen des Interaktionismus sind wie folgt formuliert (BECKER, 1980; BOWERS, 1973; ENDLER, 1977; ENDLER & MAGNUSSON, 1976a,b ; FURNHAM & ARGYLE, 1981; HERRMANN, 1980; HUNT, 1975; MAGNUSSON, 1974; VORWEG & SCHRÖDER, 1980):

  1. Das Verhalten wird durch einen kontinuierlichen Prozess der Interaktion zwischen Person und Situation determiniert.
  2. Das Individuum ist in diesem Prozess ein intentional und aktiv handelndes.
  3. Bei der Interaktion sind mediative Prozesse von entscheidender Bedeutung.
  4. Die subjektive Bedeutung der Situation für das Individuum ist eine wesentliche Verhaltensdeterminante.


Die Punkte 1) und 2) sind für das mechanistische, nicht aber für das dynamische Modell notwendig und hinreichend. Die Punkte 3) und 4) charakterisieren das dynamische Modell der Interaktion. Dabei fällt besonders Punkt 4) ins Auge: Hier wird die theoretische Anknüpfung des Interaktionismus zur Sozialklimaforschung offenbar.


Wie aber stellt sich diese Interaktion dar? GEBERT & ROSENSTIEL (1981, 14) sehen die Interaktion von Person und Situation vorwiegend über die Handlung vermittelt:


         Person → Handlung → Situation


Handlung wird daher definiert als das 'aktuelle Erleben und Verhalten' der Person. LANTERMANN formuliert diesen Gedanken in LEWINscher Notation: Aktuelles Verhalten (V) einer Person (P) in einer aktuellen Umgebung (U) ist eine Funktion (f) einer handlungskonditionalen Interpendenz von personalen und Umgebungsfaktoren (1982b, 44). LANTERMANN bestätigt nach empirischen Untersuchungen, dass auf der Personen-Seite die Situationswahrnehmung "von ausschlaggebender Bedeutung zur Evozierung von Verhalten ist" (1982b, 53).


MAGNUSSON (1982) kennzeichnet die Situationswahrnehmung als den wichtigsten Bestandteil der dynamischen Interaktion überhaupt. Die theoretische Konsequenz aus dieser Annahme ist, dass das Verhalten allein nicht mehr Gegenstand der Analyse sein kann, sondern dass mediative Prozesse eine zentrale Rolle im dynamischen Interaktionismus spielen müssen. HOLLING (1982), ENDLER (1977) sowie HOEFERT (1982) unterscheiden aus diesem Grunde zwei Ebenen der Konsistenz:

  • die Verhaltens- oder Reaktionskonsistenz (reaction level)
  • und die Konsistenz bei mediativen Prozessen (mediating level)


Vorbereitende Arbeiten zur Synthese beider Ebenen sind bei PEKRUN (1983) zu finden.


Der Interaktionismus blieb von Kritik nicht verschont. Der härtesten Kritik ist er durch den eigenschaftstheoretischen Ansatz ausgesetzt. Im deutschsprachigen Raum traten dabei besonders die Arbeiten von BUXBAUM (1981) und HERRMANN (1980) in den Vordergrund. Sie kritisieren vor allem die mechanistische Auffassung des Interaktionismus. Da dieses ältere Modell aber innerhalb des Interaktionismus durch eine dynamische Sichtweise abgelöst wurde, greift insbesondere die Kritik von BUXBAUM nicht mehr. Der Kritiker benennt Defizite, die spätestens von MAGNUSSON und ENDLER (1977) kompensiert wurden. (Deshalb sei hier auf die Originalliteratur verwiesen, sie hat nur noch historischen Wert (BUXBAUM, 1981; GOLDING, 1975; HECKHAUSEN, 1980; HERRMANN, 1980; OLWEUS, 1976; VORWEG, 1980b).)


Der dynamische Interaktionismus wurde seitens der Vertreter eines eigenschaftszentrierten Ansatzes bisher noch nicht derart vehement angegriffen. Dies mag wohl daran liegen, dass der Interaktionismus neuerer Prägung seinerseits auch in seiner Kritik an den eigenschaftstheoretischen Ansätzen nachgelassen hat. Die besondere Betonung mediativer Prozesse trug wohl zusätzlich zu einer Entschärfung zwischen den genannten Positionen bei. Zudem ist der neuere Interaktionismus auch schlecht angreifbar, da er sehr abstrakt formuliert ist (vgl. MITTENECKER, 1982) und auch kaum Einfluss auf die empirische Forschung hat (vgl. dazu die Kritik bei PEKRUN, 1983, 170). Dies war bei der mechanistischen Sichtweise durch die direkte Ankoppelung an die Varianzanalyse nicht der Fall.


Dem frühen Interaktionismus kann man sicherlich vorwerfen, zu einer Simplifizierung beigetragen zu haben, indem er eine künstliche Trichotomie Personalismus-Situationalismus-Interaktionismus konstatierte, die sich zu einem 'Geschichtsklischee' verdichtete (HERRMANN, 1980). Aber dadurch wurde auch eine Art 'Ordnungsfunktion' (HOEFERT, 1982) ausgeübt, die die wissenschaftliche Diskussion aufgrund ihrer Stereotypisierung angeregt hat. Die Bedeutung von Umwelt, Situation und Stimulus konnte nur so der traditionell gewichtigen Eigenschaftspsychologie entgegengesetzt werden.

PLAUM (1981) wirft den Vertretern des Interaktionismus vor, keine grundlegenden methodischen Neuerungen vorgestellt zu haben. Darüber hinaus seien sie sogar weit hinter LEWIN zurückgeblieben. In der gesamten Diskussion um die Interaktion zwischen Person und Umwelt sei der Entwicklungsaspekt völlig außer acht gelassen worden. Man sollte die Vertreter des Interaktionismus fragen, ob die dynamische Konzeption für die gesamte Lebensspanne gilt oder ob es entwicklungsabhängige Unterschiede gibt.


Einen Ansatz dazu liefert BRONFENBRENNER. Für ihn ist die Interaktion von Person und Umwelt abhängig von dem Entwicklungsstand der Person. Die im dynamischen Interaktionismus zugrundegelegte Wechselwirkung entsteht erst allmählich (1981, 19). Die Umwelt wird im Laufe der Entwicklung zunehmend komplexer, und es treten zunehmend Bereiche hinzu, die nicht unmittelbar handlungsrelevant sind. Es scheint sicher, dass die Konzeption einer 'Ökologischen Entwicklungspsychologie' ihre Berechtigung hat.


Die Bedeutung der bisher dargestellten Theorien für die Sozialklimaforschung ist verschieden stark, sie alle zeigen aber, dass die Beschäftigung mit der Umwelt als Erklärungshilfe für menschliches Verhalten notwendig ist. Alle diese Theorien geben aber kaum Hinweise darauf, warum die Umweltwahrnehmungen zwischen Personen unterschiedlich ausfallen können. Es liegt die Vermutung nahe, dass Aspekte der Sozialisation hier weiterhelfen können. Wahrnehmungsunterschiede werden sicher durch bisher Erlerntes begründet werden können. Ob diese Vermutung richtig ist, soll im nächsten Abschnitt unter Einbeziehung sozial-kognitiver Lerntheorien geklärt werden.





Sozial-kognitive Lerntheorien

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In den bisher dargestellten Theorien wurde mit Deut­lichkeit darauf hingewiesen, dass die subjektive Be­deutung einer Situation verhaltensdeterminierend wirkt. Wenn dies stimmt, dann muss man sogleich fragen, wie eine Person zu ihrer subjektiven Ansicht über ihre Umwelt kommt. Ein Hinweis erbrachte bereits der symbo­lische Interaktionismus, der auf die Bedeutung der Kommunikation verwies. Einstellungen und Meinungen kön­nen im Kommunikationsprozess erlernt werden. Aus diesem Grunde werden im folgenden sozial-kognitive Lerntheo­rien daraufhin analysiert, ob sie präzisere Hinweise dafür geben können. Dazu werden Ansätze von BANDURA, MISCHEL und ROTTER herangezogen. Bei der Aufzählung und Darstellung interaktionistischer Theorien in der Literatur werden häufig auch die Ver­treter der sozial-kognitiven Lerntheorien wie z.B. MISCHEL (1979) als typische Vertreter des Interak­tionismus bezeichnet (ENDLER & MAGNUSSON, 1976). Ebenso wie BANDURA (1979) muss man MISCHEL (1973a) aber eine eigene Qualität zusprechen (vgl. HERRMANN, 1980). Die zuvor dargestellten Theorien lassen sich nämlich unter einer bestimmten Funktionsweise der Interpendenzen von Verhalten, Person und Umwelt subsumieren (BANDURA, 1978). Nach der Ablehnung der beiden unidirektionalen Ansätze   und   wurde vom Interaktionismus der bidirektionale Ansatz favorisiert:  .
Trotz starker Betonung der Relevanz der mediativen Prozesse sind diese in den einzelnen interaktionistischen Theo­rien kaum zu finden. Eine Erweiterung des interaktioni­stischen zu einem reziproken Ansatz scheint dies zu gewährleisten (vgl. LANTERMANN, 1980, 11):


 
Abb. 2.18: Triadic reciprocal interaction


Dieser soll noch stärker die kognitiven Prozesse beto­nen: "Es stimmt zwar, dass das Verhalten von der Umwelt beeinflusst wird, aber die Umwelt ist teilweise von der Person gemacht" (BANDURA, 1978, 345; vgl. die Zirkularitätsthese von WOHLWILL). Folge davon ist, dass ver­schiedene Personen in verschiedenen Situationen mit verschiedenem Verhalten beobachtet werden müssten. So kann es zu Konstellationen kommen, in denen einzelne Komponenten die anderen weit überragen: Wirft man z.B. Babies in tiefes Wasser, so beginnen sie sofort mit Schwimmbewegungen. In diesem Falle ist die Umweltkom­ponente die stärkste Determinante, während personale Faktoren dabei eine äußerst geringe Rolle spielen. MISCHEL spricht in diesem Zusammenhang von einer 'star­ken' Situation. BANDURA (1979) bringt dazu weitere Beispiele. Die Unterscheidung zwischen 'starken' und 'schwachen' Situationen erscheint plausibel, man muss sich allerdings fragen, wie häufig 'starke' Situationen denn tatsächlich im alltäglichen Leben vorkommen, da erst dies zu einer Bewertung der einseitig verfochtenen Umweltdetermination führen kann.


Die sozial-kognitiven Lerntheorien haben vier Grundaus­sagen als gemeinsamen Nenner (MAHONY, 1977; PERVIN, 1978):

  1. Der menschliche Organismus reagiert in erster Linie auf die kognitiven Repräsentationen der Umwelt, weniger auf die Umwelt an sich.
  2. Die kognitiven Repräsentationen hängen funktional mit Lernprozessen zusammen.
  3. Ein Großteil des menschlichen Lernens ist durch Kognitionen beeinflusst.
  4. Gedanken, Gefühle und Verhalten interagieren kausal.

Damit - insbesondere durch den Einbezug von Lernpro­zessen - gehen die sozial-kognitiven Lerntheorien wei­ter als die interaktionistischen Theorien, wie sie in Kap. 2.2.1 referiert worden sind. Die subjektive Wahr­nehmung der Lernumwelt wird sicherlich durch die Erfahrung aus früheren Zeiten beeinflusst. Die sozial­kognitiven Lerntheorien können Hinweise dazu geben. Im folgenden werden drei grundlegende sozialkognitive Lerntheorien dargestellt: ROTTER (1954), MISCHEL (1973) und BANDURA (1979).


ROTTERs soziale Lerntheorie

Nach MURRAY ( vgl. 2. 2. 1. 6) war es vor allem ROTTER, der unter Anlehnung an die Spezifitäts- bzw. Generalitätsthese (PERVIN, 1978) vehement darauf hinwies, dass die subjektive Situation zur Verhaltenserklärung heran­gezogen werden müsste: ...die Art und Weise, wie eine Person eine gegebene Situation wahrnimmt, wird für sie bestimmen, welche Verhaltensweisen die höchste Wahr­scheinlichkeit hat, zu einer Befriedigung zu führen" (ROTTER, 1954, 200). Sein Ausgangspunkt ist die Kritik an der Forschung vor den fünfziger Jahren, die beson­ders eigenschaftszentriert gewesen sei (ROTTER, 1955, 247). Er schliesst in seiner Kritik auch MURRAYs Konzept mit ein (s.Kap. 2.2.1.6). Die Basis seiner Überlegungen ist der Verstärkungscharakter von Situationen, denn Verhalten könne durch zwei Faktoren erklärt werden: durch die individuelle Lerngeschichte des Einzelnen sowie durch die psychologische Situation, die er mit LEWINs Lebensraum gleichsetzt (1955, 249).

Die soziale Verhaltenstheorie nach ROTTER umfasst drei Konzepte:

  • die Verhaltenswahrscheinlichkeit ('behavior-poten­tial'), welche die Wahrscheinlichkeit des Auftretens bestimmter Verhaltensweisen benennt,
  • Erwartung ('expectancy'), die Wahrscheinlichkeit, dass eine Verhaltensweise eine bestimmte Verstärkung her­vorruft,
  • Verstärkungswert ('reinforcement value'), der Wert, der einer bestimmten Verhaltensfolge durch den Han­delnden zugemessen wird.

Verkürzt lautet der Ansatz:

Verhaltenswahrscheinlichkeit = f (Erwartung + Verstär­kungswert)


Die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Verhalten gezeigt wird, ist abhängig davon, mit welcher Wahr­scheinlichkeit eine Verstärkung erwartet wird und da­von, wie der Wert einer solchen Verstärkung bemessen wird. Alle drei Faktoren werden durch die Situation determiniert. Die in vorherigen Situationen erfahrenen Verhaltens-Verstärkungs-Sequenzen (individuelle Lernge­schichte) sind für das Individuum Grundlage zur Beurteilung der aktuellen Situation. Das Modell ROTTERs ist in Abb. 2.19 dargestellt.


 
Abb. 2.19: Die soziale Lerntheorie von ROTTER


Die subjektive (psychologische) Situation ist eine Funktion der objektiven Situation und den an diese Si­ tuation gestellten Erwartungen (ROTTER, 1955, 260; EKEHAMMAR, 1974). Psychologische Situation = (objektive Situation + Er­ wartungen des Individuums) KRAMPEN (1981; PEKRUN, 1983, 112f; ROTTER, 1981) for­muliert diesen Sachverhalt wie folgt:


 


Das Verhaltenspotential (BP) ist eine Funktion von subjektiven Bekräftigungswerten (RV) und subjektiven Erwartungswahrscheinlichkeiten (E). Letztere lassen sich in situationsspezifische und generalisierte Erwar­tungen (GE) aufteilen, wobei diese durch die "Anzahl der vom Handlungsobjekt bislang schon erlebten, subjek­tiv ähnlichen Handlungsituationen", beeinflusst wird (KRAMPEN, 1981; s.a. HECKHAUSEN, 1980, 223). Der letzte Aspekt macht deutlich, dass sowohl der Faktor Person - als auch Situationsfaktoren abhängig von der Lernver­gangenheit sind (ROTTER, 1981):


 
  = eine ähnliche in der Vergangenheit erlebte Situa­tion E,
  = generalisierte Erwartungen,
  = Grad der Neuheit der Situation sind.


­PEAK (1955) und YOUNG (1955) kritisieren an ROTTERs Modell die Lebensferne und die klinische Grundlage seiner Untersuchungen (ROTTER arbeitete wie die Behavioristen mit Ratten). Aber ein Aspekt ist besonders hervorzuheben, weil er zu diesem Zeitpunkt neu war: Eine Situation wird bewertet und wahrgenommen nach der individuellen Lerngeschichte des Individuums. Hand­lungsvollzüge basieren auf dieser Lerngeschichte und der objektiven Situation. Damit wird MURRAYs Hervorhe­bung des beta press eindrucksvoll bestätigt (SCHULTZ, 1979, 828) . Es geht im weiteren vorwiegend um die Frage, inwieweit eine Person glaubt, eine Situation 'im Griff' zu haben. Schreibt die Person ein Handlungsergebnis sich selbst zu, so spricht ROTTER von 'interner Kontrolle'. Glaubt dagegen ein Individuum, dass ein Handlungsergebnis von den äußeren Umständen abhängig war, so spricht er von 'externer Kontrolle'. Diese Konzeption scheint für die Persönlichkeitspsychologie von großer Bedeutung, da sie sich auf das Selbstbild von Personen bezieht (KRAMPEN, 1981; KRIEGER, 1977, 136). Die Definition einer Situation erfolgt - so ROTTER (1981)- als 'common sense term of the social group'. Dieses Abheben von den rein individuellen Erklärungs­faktoren in ROTTERs Modell ist wohl auf die Einsicht zurückzuführen, dass individuelle Lerngeschichte und generalisierte Verhaltenserwartungen zur Verhaltenser­klärung allein nicht genügen. Dieser 'common sense term of a social group' kann als normative Struktur einer Gruppe angesehen werden; vor­rangig handelt es sich aber um das soziale Klima in einer Gruppe: 'common sense' entspricht weitgehend dem 'gemeinsamen Erlebensanteil' der Mitglieder einer Grup­pe, so, wie es von DREESMANN in der Definition zum Sozialklima festgelegt wurde.



Die sozial-kognitive Lerntheorie von WALTER MISCHEL

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Eine jüngere in weiten Bereichen diskutierte Konzeption ist die von MISCHEL, einem ehemaligen Situationalisten. Dieser Ansatz wird im folgenden kurz referiert, weil er theoretische Grundlage einer deutschsprachigen Arbeit zum Sozialklima war (DREESMANN, 1980a). MISCHEL wurde 1968 durch sein Buch 'Personality and Assessment' bekannt. Er trat zu dieser Zeit als Ver­fechter des Situationalismus auf, was eine Reihe von heftigen Kritiken zur Folge hatte (ALKER, 1972; ALSTON, 1976; BEM, 1972; BEM & ALLEN, 1974). Fünf Jahre später schließlich legte MISCHEL (1973 a,b) eine eigene sozial-kognitive Lerntheorie vor, die in weiten Kreisen der Persönlichkeitsforschung anerkannt wurde.

Sein Artikel von 1973 setzt sich zu Beginn mit den Kritikern seines Standpunktes von 1968 auseinander und wird durch eine erneute Kritik des eigenschaftszen­trierten Ansatzes weitergeführt. Ebenso wird die Dis­kussion um den Konsistenzbegriff noch einmal aufge­griffen. Schließlich arbeitet MISCHEL zwei wesentliche Aussagen als Grundlage weiterer theoretischer Überle­gungen aus:

  • Zur Erklärung menschlichen Verhaltens müssen inter­venierende Variablen zwischen objektiver Situation und dem Verhalten angenommen werden. Dabei ist
  • die Lerngeschichte des Individuums von besonderer Bedeutung.

Diese Erkenntnis ist ja nicht so neu, dass sie besonders erstaunen müsste. Die Frage ist, wie MISCHEL die ange­nommenen subjektinternen Prozesse konzipiert. Er legt dazu fünf Variablengruppen vor, die bei der Vermittlung der objektiven Umwelt die zentrale Rolle spielen (vgl. DREESMANN, 1980a; CONRAD & SYDOW, 1981, 25; LANTERMANN, 1980, 28):

(1) Konstruktions-Kompetenzen (Verhaltensrepertoire; Cognitive and behavioral construction competencies) Damit sind zwei Fähigkeiten des Individuums angespro­chen: Einmal ist die Fähigkeit zu kognitiven Konstruk­tionen gemeint, zum anderen die Größe der Kapazität eines Individuums, einen großen Bereich von möglichen Verhaltensweisen zu konstruieren. In beiden Bereichen sind Fähigkeiten zur kognitiven Aktivität wie z.B. Transformationsprozesse angesprochen. Die Fähigkeit zur Verarbeitung von neuen Umweltreizen und die Umsetzung in Verhalten kennzeichnen diese Personenvariable. Die Variabilität des Verhaltens ist stark davon abhängig, inwieweit diese Konstruktionskompetenzen bei der ein­zelnen Person ausgeprägt sind. Beispiele sind Intel­ligenz und Kreativität.

(2) Kodierungsstrategien (Verschlüsselungsstrategien; Encoding strategies and personal constructs) Eine wichtige Frage ist, wie Personen neue Informa­tionen kodieren und gruppieren. Kognitive Transformationsprozesse, Interpretationsverläufe und Kategori­sierungstendenzen kennzeichnen diese Variable. Offen­sichtlich kodieren und gruppieren verschiedene Personen die gleichen Ereignisse in verschiedener Weise. Dabei werden implizite Persönlichkeits- und Verhaltenstheo­rien, Stereotypen, Vorurteile sowie Selbstkonzepte wirksam, um neue Informationen in ein vorher schon vorhandenes kognitives Schema einzupassen.

(3) Erwartungen über Verhaltens- und Reizeffekte (Handlungs-Ergebnis-Erwartungen; behavior outcome and stimu­lus outcome expectancies) Damit sind subjektive Erwartungen über die Wahrschein­lichkeit der Effekte, die mit dem Auftreten aktueller Reizgegebenheiten einer bestimmten Situation bzw. mit der Ausführung bestimmter Handlungen verbunden sind, gemeint. Das Verfügen über kognitive Kompetenz, Verhaltensal­ternativen und Kodierungsstrategien alleine genügt nicht, Verhalten eindeutig zu erklären, denn jede Per­son hat bestimmte Vorstellungen und Erwartungen darü­ber, was im folgenden geschehen wird. Personen ent­wickeln Erwartungen über Reizkontingenzen. Diese können bei objektiv gegebener Situation bei verschiedenen Personen sehr variieren. Insbesondere unterscheiden sich Personen in der Fähigkeit, auf schnell wechselnde Reizkontingenzen mit einer Verhaltensänderung zu rea­gieren. Intersituationale Stabilität (also Konsistenz) im Verhalten tritt dann auf, wenn Reaktionen generali­siert werden. Reaktionsgeneralisation liegt vor, wenn die Person über einen hohen 'gelernten Zusammenhang' (MISCHEL, 1973a, 271) zwischen Situation und Verhal­tenskonsequenz verfügt. Dieser Zusammenhang wird durch das immer wiederkehrende Auftreten der gleichen Reak­tionen in verschiedenen Situationen gelernt.

(4) Subjektive Reizwerte (Stimuluswert; subjective stimulus values) Auch wenn Personen in einer Situation die gleichen Erwartungen haben, können trotzdem unterschiedliche Verhaltensweisen auftreten, weil die Erwartungen sub­jektiv verschieden beurteilt werden. Diese subjektiven Reizwerte besitzen Anreiz- oder Bekräftigungsfunktion. Eine Anreizfunktion liegt vor, wenn die Gegebenheiten der externen und internen Umwelt hinsichtlich ihres Affektwertes betrachtet werden. Von einer Bekräftigungsfunktion wäre dann die Rede, wenn die auf externe oder interne Handlungen kontingent erfolgenden Ereig­nisse bezüglich ihrer emotionalen Qualität bewertet werden.

(5) Selbstregulative Systeme und Pläne (Selbststeuerungsfähigkeit; self-regulatory systems and plans) Das Verhalten kann zum Großteil durch den Einbezug von Umweltfaktoren erklärt werden. Daneben stehen aller­dings subjektinterne Regulativa für das Verhalten. Die Person setzt sich selbst Standards und produziertselbst Reaktionen. Dazu gehören selbst auferlegte Hand­lungsziele sowie positive und negative Selbstverstär­kungen (siehe dazu FILIPP, 1979).


Diese Personenvariablen sollen menschliches Verhalten und das Zustandekommen einer psychologischen Situation erklären. Obwohl DREESMANN diesem Ansatz 'programmati­sche Relevanz' (1980a) zu spricht, sind viele Gedanken MISCHELs schon durch frühere Vertreter in die Diskus­sion eingebracht worden. MISCHELs Ausgangsfrage war, wie Person und Situation miteinander agieren - typische Frage auch des dynamischen Interaktionismus. Auch das Herausstellen der 'particular evoking situation' (MI­SCHEL, 1968, 190) erinnert stark an den Lebensraum-Begriff von LEWIN oder ROTTERs 'Psychologische Situa­tion' sowie an den 'beta press' von MURRAY. Wegen dieser Ähnlichkeit zu interaktionistischen Ansätzen wurde MISCHEL oft als Interaktionist bezeichnet (z.B. von GRAUMANN, 1975). Seine nahe Verwandtschaft zu ROTTER zeigt aber, dass MISCHEL ein bedeutsamer Vertreter der sozial-kognitiven Lerntheorie ist. Besonders deut­lich wird dies bei MISCHELs Kategorie 'Erwartungen über Verhaltens- und Reizeffekte', welche in Aussage und Erklärungswert eine ähnlich wichtige Rolle spielen wie ROTTERs 'Erwartungen über Verhaltensverstärkungssequenzen in der Situation S(n)'.


MISCHEL selbst sieht eine nahe Verwandtschaft der sozi­al-kognitiven Lerntheorie zum existentialistisch-phäno­menologischen Gedankengut. Seinen Bezug zu SARTRE hebt er durch ein Zitat hervor: "The man ... will be what he makes of himself" (MISCHEL, 1973b, 342). Dieses Zitat kann leicht den Vorwurf provozieren, dass MISCHELs Kon­zeption ein naiver Subjektivismus sei, nach dem Motto 'Jeder ist seines Glückes Schmied'. Da aber von MISCHEL eigenschaftsorientierte Konzepte wie z.B. der IQ neben der individuellen Lerngeschichte berücksichtigt sind, greift der Vorwurf nicht.

MISCHEL setzt die subjektive Umwelt als gegeben voraus und prüft nicht, wie es zu dieser kommt. Insofern trägt dieser Teil seiner Konzeption zur Soziaklimaforschung nichts bei, abgesehen von dem Einbezug früher gelernter Beurteilungsschematismen.

MISCHEL selbst legte noch keine empirischen Unter­suchungen vor. In diesen hätten die derzeit durch hohen Allgemeinheitsgrad zu charakterisierenden Konstrukte operationalisiert werden müssen und ihr evtl. Wert wäre erkannt worden. Im Moment erscheinen die Formulierungen zu global und allgemein. Es liegt allerdings ein Versuch vor, MISCHELs Ansatz zur Grundlage empirischer Arbeit zu machen. Dieser Ansatz stammt von DREESMANN. Aufbauend auf die sozial-kognitive Lerntheorie von MISCHEL (1973a) konzipierte DREESMANN seinen sozial­kognitiven Theorienansatz zum Unterrichtsklima (1979; 1980a,b; 1981a,b, 1982). In einer empirischen Unter­suchung erhob er mittels Fragebogen Dimensionen des Unterrichtsklimas, kognitive Variablen (Selbstkonzept, Realitätsbeurteilung, kausale Attribuierungstendenzen etc.) und Verhaltensvariablen (Rechentestleistung, Re­chennote) DREESMANN ging von einem Modell aus, auf das im folgenden näher eingegangen werden soll. (In Abb. 2.20 ist dieses Modell wiedergegeben.)

Das Modell ist eigentlich nur zu verstehen, wenn man weiß, in welcher Reihenfolge die Pfeile zu lesen sind:
Die objektive Umwelt wird wahrgenommen (Pfeil A) und verarbeitet. Unter Einfluss stabiler Merkmale (z.B. Intelligenz: Pfeil B) resultiert das individuelle Ver­halten (Pfeil C). Die Lernumwelt kann auch direkt auf das Verhalten einwirken (Pfeil H). Die Gesamtheit der Verhaltensweisen aller Schüler wird von jedem einzelnen wahrgenommen (Pfeil D), verarbeitet und beurteilt. Die in irgendeiner Form vollzogene Aggregierung ist schließlich das Unterrichtsklima (Pfeil E). Diese Interpretation ist allerdings nicht befriedigend, da in diesem Modell sowohl die Individual- als auch die Gruppen ebene mit einbezogen wird, die beide analytisch schwer zu trennen sind. Dies mag ein Mangel bei graphi­schen Darstellungen im allgemeinen sein. Einige Pfeile wurden nicht berücksichtigt, da deren Bedeutung unklar ist. So ist Pfeil F theoretisch ungeklärt. Das Unter­richtsklima ist ein Resultat individueller Bewertungen der objektiven Umwelt auf Gruppen ebene. Dieses Resultat kann nicht direkt wahrgenommen werden, sondern ist nur über das Verhalten der Mitschüler rekonstruierbar (Pfeil D). Es könnte auch Pfeil G wegfallen, da das Unterrichtsklima keinen direkten Einfluss auf das Ver­halten hat. Vielleicht entstand Pfeil F nur deshalb, weil Pfeil D ja nicht vom individuellen Verhalten aus­geht, sondern vom Gruppenverhalten. Im Modell mussten also zwei Verhaltensebenen unterschieden werden. Der eigentlich umfangreiche Ansatz DREESMANNs kann hier nur sehr sporadisch dargestellt werden. Auch wenn das Modell von DREESMANN erkennbare Schwächen aufweist, so sollte doch anerkannt werden, dass ein wichtiger erster Versuch unternommen wurde, Klimaforschung durch theore­tische Annahmen zu leiten.


 
Abb. 2.20: Das Modell DREESMANNs




Die sozial-kognitive Lerntheorie von ALBERT BANDURA (1979)

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BANDURAs 'social learning theory' ('sociobehavioristic approach', PERVIN, 1978) ist im amerikanischen eigent­lich nicht adäquat benannt, weil sie im Unterschied zu anderen Lerntheorien kognitive Elemente mit einbezieht. Das Grundprozessmodell lässt sich wie folgt repräsentieren:

Antezedente              kognitive
Determinanten    ->    Prozesse    ->    Verhalten    ->    Bekräftigung

Die ersten drei Prozessvariablen sind schon bei MISCHEL Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Der Einbezug der Bekräftigung als lerntheoretischer Bezug erinnert in erster Linie an ROTTER, wobei freilich MISCHEL die wesentliche Rolle der Lerngeschichte auch nicht vergaß. Im folgenden kann nicht die gesamte Theorie BANDURAs vollständig wiedergegeben werden. Es werden nur dieje­nigen Grundaussagen berücksichtigt, die zum Verständnis der obigen Prozesse vonnöten sind. BANDURAs Ausgangspunkt ist das mit seinem Namen eng verbundene Beobachtungslernen. Dieses wird durch vier Teilprozesse gesteuert:

  1. Aufmerksamkeitsprozesse:
    Die Aufmerksamkeit bestimmt, welche Darbietungen welchen Modells selegiert werden. Dies ist abhängig vom Beobachter (Einstellungen, kognitive Fähigkei­ten) und von Merkmalen des Modells (Attraktion, Komplexität, Auffälligkeit).
  2. Behaltensprozesse:
    Bestimmte Verhaltensweisen müssen erinnert werden, um diese reaktualisieren zu können. Dabei sind Sprache und Vorstellungen die wesentlichen Reprä­sentationssysteme.
  3. Motorische Reproduktionsprozesse:
    Gelerntes Verhalten kann nur reproduziert werden, wenn man eine raumzeitliche Annäherung an das Mo­dell erreicht. Organisation der Reaktionen, deren Auslösung, Überwachung und Korrektur sind die hin­tereinander verlaufenden Prozesse.
  4. Motivationale Prozesse:
    Gelerntes Verhalten wird nur dann gezeigt, wenn es für das Individuum einen bestimmten subjektiven Wert erreicht.

Die Konzipierung dieser Prozesse hebt von traditionel­len Lerntheorien völlig ab. Der Bekräftigung kommt bei weitem nicht mehr die Rolle zu wie z.B, in der instru­mentellen Konditionierung. Wenn die Ereignisse selbst die Aufmerksamkeit fesseln, ist Bekräftigung nicht mehr notwendig.

Wesentlich ist BANDURAs Ausdifferenzierung der anteze­denten Determinanten. Zum einen ist der Begriff der Erwartung ein Bestandteil. Das Lernen von Erwartungen versetzt Personen in die Lage, Stimuli in ihrer progno­stischen Bedeutung zu interpretieren. Diese wesentliche Einflussvariable ist auch schon bei ROTTER und MISCHEL spezifiziert worden.

Zum anderen weist BANDURA darauf hin, dass erlernte Stimulus-Verhaltenskontingenzen in der kognitiven Struktur einer Person so stark verankert sind, dass in neuen, anders strukturierten Situationen keine Verhal­tensänderung erfolgt. In solch einem Fall müssen die Modellierungsprozesse gleichfalls sehr ausgeprägt ver­laufen (z.B. hoher Status des Modells), um noch verhal­tensändernd wirken zu können. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist der Prozess der Selbstregulierung. Insbesondere BANDURA formulierte eine vehemente Kritik an dem 'black-box'-Denken frühe­rer Lerntheoretiker. Die Selbstregulierung läuft nach einem einfachen Prozess ab.

 
Abb. 2.21: Die Selbstregulation des Leistungsverhaltens nach BANDURA


Die Bewertung wird anhand bestimmter Standards (Normen) vollzogen. Dabei spielt die Bezugsgruppe als Normeninstanz eine wesentliche Rolle. BANDURA befindet sich damit im Grenzgebiet zwischen individualdiagnostischer Lerntheorie und gruppendiagnostischer Sozialpsychologie.

Aber nicht nur äußere Standards, sondern auch gelernte, subjekt-interne Standards beeinflussen die Selbstbewer­tung. Sind innere und äußere Standards kompatibel, wird das Verhalten am stärksten beeinflusst. Zu Konflikten kommt es, wenn beide Normensysteme divergieren (vgl. OERTERs Isomorphiekonzept). Diesem Konflikt kann man allerdings über Beschönigungen, Verharmlosungen oder Attribuierung von Schuld entgehen. Damit ist auch das Problem der Identität angesprochen: ein Individuum strebt nach Kontinuität und positiver Selbstbewertung. Also betont auch BANDURAs Theorie einmal Lernprozesse, die die Bewertung des Handelns beeinflussen, als auch subjektinterne und äußere Normen, die diesen Bewer­tungen zugrunde liegen. Unterschiede in den letztge­nannten Normbezugsinstanzen könnte auch die Soziaklimaforschung verfolgen. Dazu müsste man z.B. die Abweichung der individuell-subjektiven Wahrnehmung der Lernumwelt von der Gesamtgruppe als unabhängige Variable zur Er­klärung von Verhalten heranziehen (Bezugsgruppeneffekt).
Methodisch umgesetzt wird dies in Kap. 4.





Bewertung der verschiedenen theoretischen Ansätze

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In Kapitel 2.2 wurden zusammenfassend einige Theorien dargestellt, die im weitesten Sinne versuchen, mensch­liches Verhalten durch den Einbezug der Umwelt zu er­klären. Die Zusammenstellung dieser Theorien erfolgte nicht nur unter dem Aspekt, subjektive Umweltwahrnehm­ung darzustellen, sondern generell Vorstellungen von Umwelt zu beschreiben. Umwelt als objektive Tatsache wurde besonders in den Konzeptionen von WOHLWILL, BARKER und BRUNSWIK präfe­riert. HOHLWILLs Ansatz betont, dass Umwelt als solche (was immer dies auch sein mag) einen direkten Einfluss auf das Verhalten hat. Der Ansatz ist einfach und gilt nur in Extremsituationen. BARKERs 'Behavior setting'­Ansatz spezifiziert eine Synomorphie von Umwelt und Verhalten. Man zeigt 'Klassenzimmerverhalten', wenn man sich in einem Klassenzimmer befindet. BARKER scheint gestützt durch die soziologische Normauffassung. Denn ein ähnliches Phänomen wird in der Soziologie unter dem Begriff Norm oder auch 'Normbefolgung' beschrieben. Seine Theorie kann aber ebenso wenig wie WOHLWILLs An­satz klären, warum es Verhaltensunterschiede zwischen Personen in der gleichen objektiven Umwelt gibt. BRUNSWIKs Ansatz lässt die psychologische Umwelt und kognitive Verarbeitungsprozesse außer acht. Seine for­schungsmethodischen Arbeiten scheinen von größerer Tragweite als seine inhaltlichen, wenn man die Ziel­setzung der vorliegenden Arbeit bei der Bewertung mit einbezieht. Die oben genannten Ansätze sind noch verhältnismäßig jung im Vergleich zu denen, die schon früh auf die subjektive Bedeutung der Situation hingewiesen haben. Es war bei dem derzeitigen Erkenntnisstand ein maßgeb­licher Vertreter des symbolischen Interaktionismus, W.I. THOMAS, der die subjektive Bedeutung einer Situa­tion hervorhob. Im Gegensatz zu LEWIN versuchte diese Konzeption zu erklären, wieso Situationen überhaupt Bedeutung gewinnen, nämlich durch Interaktion. LEWIN befasste sich gar nicht mehr mit der objektiven Situa­tion, für ihn war Situation subjektiv per se. Seine Konzeption war somit die einflussreichste in der Psycho­logie überhaupt. Die hohe Aktualität seines Ansatzes dokumentiert sich momentan in der zunehmenden Anzahl von Veröffentlichungen und in den auf LEWIN konzentrierten Kongressen.


Das need-press-Konzept von MURRAY ist stark interaktionistisch, da Person und Umwelt getrennt sind. Der 'beta-press' allerdings versucht, der subjektiven Si­tuation ebenso gerecht zu werden wie die 'subjektive Struktur' im denkpsychologischen Ansatz von OERTER et al.. Das hierarchische Konzept von BRONFENBRENNER betont den besonderen Erlebniswert der vermittelten Umwelt. Diese Tatsache wird auch gestützt durch den dynamischen In­teraktionismus, für den Verhaltenserklärung nur unter Einbezug der subjektiven Bedeutung einer Situation möglich ist. Die Verhaltensrelevanz der subjektiv wahrgenommenen Umwelt wird also von einem ganzen Theorienbündel gestützt. Die drei sozialen Lerntheorien von ROTTER, MISCHEL und BANDURA untermauern nicht nur diese Annah­me, sondern versuchen gleichzeitig - ähnlich wie der symbolische Interaktionismus - zu erklären, durch wel­che Lernprozesse die subjektive Beurteilung einer Si­tuation erworben wird.

Es erscheint kaum mehr nachvollziehbar, wer die Wechselwirkungsannahme als erster formulierte. Dies ist auch für die Themenstellung dieser Arbeit von zweitran­gigem Interesse; man sollte allerdings bei einer solchen Analyse auch nicht näher diskutierte Autoren wie z.B. PIAGET berücksichtigen.

Im weiteren erscheint es notwendig, den Standort der vorgestellten theoretischen Arbeiten in einem Gesamt­konzept zu bestimmen. Eine übersichtliche Zusammenfas­sung zu diesem Thema liefert HECKHAUSEN (1980, s. Abb. 2.22). Dieser stellt vier Möglichkeiten der Verhaltens­erklärung auf. Verhalten kann erklärt werden durch

  • Personenfaktoren (Eigenschaften, Dispositionen),
  • Situationsfaktoren (Zustände, Prozesse),
  • die Wechselwirkung beider und
  • die soziokulturellen Realisationsmöglichkeiten.

Die ersten drei Erklärungsmöglichkeiten sind durch die in diesem Kapitel dargestellten Theorien weitgehend abgedeckt. Die vierte von HECKHAUSEN genannte Möglich­keit fragt nicht danach, wie Verhalten entsteht, son­dern warum an bestimmtem Ort und zu bestimmter Zeit Verhalten nicht auftritt. HECKHAUSEN selbst ordnet die Konzeption BARKERs beim 'vierten Blick' ein. Die behavior settings seien typische Bereiche, wo bestimmtes Verhalten nicht gezeigt werden darf. HECKHAUSEN übersieht, dass die behavior settings von Personen geschaffen wurden und somit Resultate der Wechselwirkung von Person und Umwelt bleiben.

Es finden sich deutliche Überschneidungen und Ergänzun­gen in den dargestellten Theorien. Gleichzeitig können auch Diskrepanzen zwischen den Theorien festgestellt werden, die eine Einordnung aller Ansätze in ein umfas­sendes konsistentes Modell nicht erlauben. Es ist dem­nach auch nicht möglich, alle Ansätze simultan als Grundlage empirischer Arbeit zu wählen, es sei denn, man riskiert ein allzu umfassendes Mammutprojekt.

Es finden sich deutliche Überschneidungen und Ergänzun­gen in den dargestellten Theorien. Gleichzeitig können auch Diskrepanzen zwischen den Theorien festgestellt werden, die eine Einordnung aller Ansätze in ein umfas­sendes konsistentes Modell nicht erlauben. Es ist dem­nach auch nicht möglich, alle Ansätze simultan als Grundlage empirischer Arbeit zu wählen, es sei denn, man riskiert ein allzu umfassendes Mammutprojekt.


 
Abb. 2.22: Verhaltenserklärungen auf den ersten bis vierten Blick (n. HECKHAUSEN, 1980,11)


DREESMANN stellt ebenso zutreffend wie trivial fest: "Ob und wie man sich auf die objektive oder die subjek­tiv erlebte Umwelt bezieht, muss sich letztendlich aus dem theoretischen Rahmen einer Untersuchung legitimieren" (1983, 152). Diese Aussage setzt voraus, dass sich die theoretischen Positionen in zwei Gruppierungen (objektiv vs. subjektiv) fassen ließen. Dies wurde auch in der Einleitung zu dieser Arbeit aus Vereinfachungs­gründen so getan. In dieses einfache Schema würde aber z.B. die Konzeption BRUNSWIKs nicht hineinpassen. Bei den dargestellten Theorien fällt auf, dass sie den irgendwie gearteten Person-Umwelt-Bezug immer über von außen sichtbares Verhalten erschließen wollen. Verhal­ten wird verursacht durch das Person-Umwelt-Verhältnis. Demgegenüber hat STOKOLS 1978 darauf hingewiesen, dass auch eine Person-Umwelt-Interaktion vorliegen kann, wenn diese nicht über Verhalten sichtbar wird. Solche Prozesse sind beispielsweise ablaufende Gedanken und Lernprozesse, die von außen nicht beobachtbar sind. Es kann durchaus sein, dass zu einem späteren Zeitpunkt das neu Hinzugelernte erst aktiviert wird. Person­Umwelt-Interaktionen (er nennt es Transaktion) lassen sich durch Qualität und Form beschreiben (s. Abb. 2.23). Die aktiv-kognitiven und reaktiv-kognitiven Transaktionen sind nicht beobachtbar, können aber für zukünftiges Verhalten Ursache sein. Die kognitive Form der Transaktion lässt sich ohne direkte Befragung des Handelnden nicht erfassen (s. auch ARGYLE, FURNHAM & GRAHAM, 1981). Dieses Vorgehen wird aber in der Sozial­klimaforschung realisiert.


 
Abb. 2.23: Qualität und Formen der Person-Umwelt-Trans­aktion nach STOKOLS (1978)


Nun müsste noch geklärt werden, was aus den dargestell­ten Theorien für die Sozialklimaforschung fruchtbar herausgezogen werden kann, soweit dies nicht schon an entsprechender Stelle geschehen ist. Dies wird im näch­sten Abschnitt versucht.




Implikationen der sozialen Lerntheorie und der interaktionistischen Ansätze auf individuelle Merkmale der Umweltwahrnehmung

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Schon bei dem Versuch einer Präzisierung des Sozial­klimas wurde deutlich, dass das Sozialklima ein Gruppen­phänomen ist, dass aber auch individuelle Prozesse, die ja gerade die Verschiedenartigkeit der subjektiven Wahrnehmung ausmachen, berücksichtigt werden müssen. Die Folgerungen, die sich aus den sozialen Lerntheorien und aus den interaktionistischen Theorien für die indi­viduell subjektive Wahrnehmung ergeben, lassen sich in wenigen Grundaussagen zusammenfassen (vgl. JAMES et al., 1978):

a) Individuen reagieren auf kognitive Repräsentationen von Situationen und nicht auf die objektive Situa­tion selbst.
b) Kognitive Repräsentationen von Situationen stehen in Beziehung zu früheren abgelaufenen Lernprozessen, wobei bei letzteren kognitive Zwischenprozesse ab­laufen.
c) Kognitionen, Gefühle und Verhalten sind kausal von­einander abhängig. Individuen und Situationen be­dingen sich gegenseitig.


Zu a) Individuen reagieren auf kognitive Repräsenta­tionen von Situationen und nicht auf die objektive Situation selbst. Dieser Grundsatz ist schon bei der Darstellung und Diskussion der verschiedenen theoretischen Ansätze häufig aufgetreten, Besonders EKEHAMMAR (1974) und ENDLER & MAGNUSSON (1976) untermauern diese Aussage aus der Sicht des Interaktionismus. Die Situation wird subjektiv erfasst und lässt sich deshalb auch nur, durch psychologische Variablen beschreiben. Es sind nur diese Variablen, die verhaltensrelevant sind. Dabei ist ein wichtiger Aspekt, dass Personen auf die objektiv gleiche Situation verschieden reagieren können (ARGYLE & LITTLE, 1972; BOWERS, 1973).

STOTLAND & CANON (1972; vgl. JAMES & SELLS, 1981) z.B. legten ein hierarchisches Modell vor, welches drei Abstraktionsebenen voneinander unterscheidet­

  • Dimensionen, durch die Individuen spezifische Ge­schehnisse in der, Umwelt repräsentieren. Dies können Kategorien oder Kontinuen sein.
  • Schemata niedriger Ordnung (SNO), die allgemeine Regeln über den Zusammenhang von Ereignissen abbil­den,
  • Schemata höherer Ordnung (SHO), bei denen die Be­ziehungen zwischen Ereignissen und SNO, sowie Beziehungen zwischen SNO und kognitiven Veränderungen (Interpretationen) unterliegen. Die SHO scheinen erst im Laufe der individuellen Entwicklung zu entstehen
    (vgl. BRONFENBRENNER, 1981, 26).

Die SHO werden zur subjektiven Interpretation von Si­tuationen herangezogen, so dass sie einen hohen Erklä­rungswert für das Verhalten haben. Dabei können Perso­nen mehrere SHO haben (PERVIN, 1978), die sich sogar widersprechen können. Die Schwierigkeit liegt aller­dings darin, dass die SHO - wie alle kognitiven Strukturen - empirisch schwer fassbar sind.

Die Interpretationen der subjektiven Wahrnehmung durch die SHO ziehen die großen Bereiche der Kognitions- und Wahrnehmungstheorien in die Erforschung des Sozialkli­mas mit ein. Eine Wiedergabe dieser komplexen Theoriengebäude ist hier unmöglich, allerdings lassen sich einige Schlussfolgerungen bezüglich der subjektiven Wahrnehmung ziehen:

- Da mit Hilfe der SHO Einzelereignisse in ein Generalisierungsschema eingepasst werden, können bei der empirischen Erfassung der subjektiven Wahrnehmung auch spezifische Stimuli (Items) verwendet werden. Damit ist eine Beschränkung auf molare Aussagen ver­mieden.
- Die SHO und die damit verbundene Generalisierung wird auch auf Situationen angewandt, die das Individuum bisher in seiner Lerngeschichte noch nicht erlebt hat. Hier werden Verknüpfungen zur Vorurteils- und Stereotypenforschung offenbar (BENDER, 1985; v. SALDERN & STILLER, 1980).
- Bei der Interpretation neuer Situationen durch die SHO werden Abwehrmechanismen und selektive Wahrneh­mungsprozesse aktualisiert, so dass vermutet werden kann, dass die SHO relativ konstant bleiben ('überdau­ernde Wertungsvoreingenommenheiten', FILIPP, 1979). Die Folge davon ist, dass auch die subjektive Wahr­nehmung der Umwelt nicht einfach durch kurzanhaltende Situationsänderungen verändert werden kann. JAMES et al. (1978) verweisen auf eine diesbezüglich notwendi­ge Spezifizierung von Personenvariablen in der Arbeit MISCHELs (1973).


Zu b) Kognitive Repräsentationen von Situationen stehen in Beziehung zu früher abgelaufenen Lernprozessen, wo­bei bei letzteren kognitive Zwischenprozesse ablaufen.
Diese Aussage kann man wie folgt differenzieren:

  1. Wahrnehmung, Lernen und Gedächtnisabläufe sind miteinander verbundene kognitive Prozesse.
  2. Die Wahrnehmung von Situationen basiert auf gelernten kognitiven Schemata, deren Funktionen mit Organisation und Interpretation am besten be­schrieben sind. Wahrnehmung von Situationen hängt eng mit der Fähigkeit zusammen, kognitive Strukturen zu reaktivieren.
  3. Individuen entwickeln aufgrund unterschiedlicher Lernerfahrungen unterschiedliche kognitive Strukturen.
  4. Strukturen höherer Ordnung (SHO) sind relativ schwer veränderbar, weil sie abstrakt, generalisiert und von speziellen Situationen kaum tangiert sind. Zudem sind sie durch Selbstbewertungsmecha­nismen besetzt (s.LAUCKEN, 1974).
  5. Individuen nehmen Situationen, die nicht mit den SHO übereinstimmen 'lokal' (DIETERLY & SCHNEIDER, 1974) wahr, wenn
- die Diskrepanz zu den SHOs nicht zu groß ist,
- die Situationen nicht mehrdeutig sind,
- das Streben nach Reduktion der kognitiven Kom­plexität nicht zu stark ist,
- die kognitive Komplexität ausgeprägt ist,
- Abwehrmechanismen nicht aktiviert werden,
- wichtige Bedürfnisse nicht tangiert werden.

JAMES et al. (1978, 795) fassen zusammen: "Die Wahrnehmung ein und derselben Situation bei ver­schiedenen Personen ist unterschiedlich, und die Gründe für diese Differenzen sind psychologisch wichtig".


Zu c) Kognitionen, Gefühle und Verhalten sind kausal voneinander abhängig. Individuen und Situationen bedin­gen sich gegenseitig.

- Es liegt eine fortlaufende reziproke Interaktion zwi­schen Personen und der sie umgebenden Umwelt vor. Nicht nur die Situation beeinflusst das Verhalten, sondern Personen selegieren und ändern Situationen.
- Situationen sind auch von Personen via kognitiver Konstruktionen gebaut.

Es scheint eine Reihe von Indizien zu geben, die auf die Notwendigkeit der Untersuchung der subjektiven Wahrnehmung hindeuten. Der objektiven Umwelt und distalen Reizen wird eine geringere Bedeutung beigemessen.

Diese Ansicht wird noch einmal durch die Zusammen­fassung JESSORs deutlich. JESSOR (1981) charakterisiert die Eigenschaften der wahrgenommenen Umwelt:

- Umwelt hat ein gewisses Ausmaß an Tiefe (depths), d, h. nach JESSOR, dass nicht alle Aspekte der wahrge­nommenen Umwelt die gleiche Verhaltensrelevanz haben.
- Die wahrgenommene Verhaltensrelevanz ist strukturiert (tature) und nach Faktoren/Dimensionen differenziert. Es gibt eine überdauernde Umweltwahrnehmung. Die Umwelt ist erfahrungsabhängig dauerhaft (enduringness).
- Die Wahrnehmung der Umwelt kann sich langfristig ändern.

Es gibt einen weiteren Grund, warum die Erforschung der subjektiven Umwelt sicherlich ihre Bedeutung hat - unser naives Alltagsverständnis über menschliches Ver­halten (HECKHAUSE N, 1976). Wenn wir beobachten, warum jemand traurig ist und ihn fragen, warum dies so ist, so hört man oft Gründe, die man selbst in ihrer für den Betroffenen enormen Tragweite nicht nachvollziehen kann. Aber die Bewertung einer Tatsache kann eben zwi­schen Personen sehr divergieren. Versucht man nun, solch einem traurigen Menschen zu helfen ('trösten'), so ist man bestrebt, seine internen Bewertungen zu verschieben - das Verhalten kann sich ändern, ohne dass die objektiven Tatsachen sich modifiziert hätten. HAKENHUT (1978, 82; vgl. auch JONES & JAMES, 1979) zeigt noch einmal deutlich, warum die interaktionistischen Ansätze behandelt wurden und welche wesentliche Rolle dabei die subjektive Wahrnehmung spielt (s. Abb. 2.24).

WAKENHUT will mit seiner Abbildung deutlich machen, dass es verschiedene Stufen der Annäherung zwischen Person und Situation gibt. Stehen sich beide Komponenten an­fangs (Stufe 1) unvermittelt gegenüber, so nähern sie sich durch Interaktion geradezu wie in einem Trichter, der schließlich im Verhalten der Person mündet. Die verschiedenen Annäherungsphasen sprechen weitgehend für sich. Für weitere Überlegungen erscheint insbesondere die kollektive Situationsdefinition (Stufe 3) interes­sant. In ihr liegt ein unmittelbarer Anknüpfungspunkt zur Sozialklimaforschung, dem das dritte Kapitel gewid­met ist.

Spätestens auf Stufe 4 wird jede Situation zur subjek­tiven Konstruktion. Das Wissen um die individuelle Wahrnehmung der Umwelt alleine erklärt das Verhalten eines Individuums noch nicht, denn Mechanismen der Selbststeuerung (Stufe 5) sowie Verhaltensintentionen (Stufe 6) in der spezifischen Situation liegen noch vor der eigentlichen Verhaltensdurchführung.


Die bisher dargestellten Theorien spielen für die menschliche Verhaltenserklärung eine zentrale Rolle. Dennoch sind sie nicht einmal hinreichende, sondern nur notwendige Begründung für die Sozialklimaforschung. Also im Grunde ist diese Begründung von eingeschränkter Bedeutung, denn es werden nur Aussagen über die indivi­duell subjektive Wahrnehmung gemacht, nicht aber über den Gruppenbezug derselben. Das folgende Kapitel stellt die notwendige Erweiterung des Sozialklimas als Grup­penphänomen dar.




Zusammenfassung

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In dem vorliegenden 2. Kapitel der Arbeit wurden Definitionsansätze und Theorien zur Sozialklimaforschung dargestellt. Das Kapitel 2.1 widmete sich insbesondere der Diskussion um den Begriff Sozialklima und dessen Definition. Weiterhin wurde die Einordnung des Sozialklimabegriffs in der Organisationspsychologie aufgezeigt. Es zeigte sich dabei, dass der Begriff des Sozialklimas relativ jung ist, das damit gemeinte Phänomen allerdings schon seit langer Zeit durch andere Begriffe benannt worden ist. Versucht man, vorliegende Definitionen zum Sozialklima zu operationalisieren, dann stößt man allerdings schnell an deren Grenzen. Im weiteren Verlauf des zweiten Kapitels wurden theoretische Ansätze zusammenfassend dargestellt, die in irgendeiner Art und Weise die Umwelt zur Erklärung des menschlichen Verhaltens heranziehen. Dabei ließen sich grob zwei Gruppen unterschieden: Einmal die Theorien, die die sogenannte 'objektive' Umwelt heranziehen und zum anderen solche, die die sogenannte 'subjektive' Umwelt berücksichtigen. Es zeigte sich im Verlauf der Diskussion, dass die Vertreter der erstgenannten Auffassung nicht in der Lage sind, Verhalten auch nur annähernd so gut zu erklären, wie es die Theorien können, die die 'subjektive' Umwelt in die Erklärung mit einbeziehen.

Die Bewertung der verschiedenen theoretischen Ansätze erscheint schwierig, da jeder Ansatz seine eigenen Qualitäten hat und einen verschieden starken Beitrag zur Sozialklimaforschung leisten kann. Das Ziel, einen allumfassenden Theorienansatz für das Sozialklima zu entwerfen, erscheint nicht notwendig. Ziel ist eine punktuelle Aufarbeitung der in der bisherigen Forschung aufgetretenen Probleme.

Die in dem zweiten Kapitel dargestellten theoretischen Ansätze versuchen, individuelles Verhalten zu erklären. Da das Sozialklima aber weitgehend als Gruppenphänomen verstanden wird, müssen Aspekte der Gruppe in die theoretische Diskussion mit einbezogen werden. Dies geschieht in Kapitel 3.



Das Sozialklima als Gruppenphänomen

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Zum Gegenstand der Erörterungen
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Wenn man die Ausführungen über die theoretische Grundlegung einzig auf das vorhergegangene Kapitel beschränken würde, dann wäre ein wesentlicher Teil des Sozialklimakonzeptes ausser acht gelassen. Im Kapitel "Definitionsansätze und Theorien" wurde gezeigt, dass wichtige theoretische Ansätze die subjektive Wahrnehmung des Einzelnen als wesentliche Verhaltensdeterminante sehen. Das hier interessierende Sozialklima ist allerdings Gruppen zugeordnet, nicht einzelnen Individuen, denen man nur die individuell subjektive Wahrnehmung der Umwelt zuschreiben darf. Das Konzept des individuellen 'psychological climate' (JAMES & JONES, 1974; JAMES & SELLS, 1981) ist damit zu eng geworden.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die individuell subjektive Wahrnehmung einzelner Personen in der Gruppe und die daraus abgeleitete Rechtfertigung für die Verwendung des Konstruktes Sozialklima. Damit wird ein originär sozialpsychologisches Terrain betreten. Es geht in diesem Kapitel nicht darum, die Sozialpsychologie der Gruppe zu referieren (dazu sei auf Standardwerke verwiesen, wie z. B. SECORD & BACKMAN, 1976), sondern Ziel ist es, die Gruppenspezifika des Sozialklimakonzeptes darzustellen. Neben der Gruppe wird deshalb die Gruppensituation sowie die Schulklasse als soziales System Gegenstand der Erörterungen sein.



Die Gruppe

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Das starke Interesse, insbesondere der Sozialpsychologie, an der 'Gruppe' ist darauf zurückzuführen, dass menschliches Verhalten nicht ohne den Bezug zur Umwelt erklärt werden kann, wozu auch die handelnden Mitmenschen zählen, die damit als Teil der Umwelt wesentlich für das jeweilige individuelle Verhalten mit verantwortlich sind.

Wenn MIETZEL (1973) oder SEIFFKE-KRENKE (1981) fragen, ob die Schulklasse überhaupt eine Gruppe sei, dann muss man dies als rhetorische Frage verstehen, denn es gibt kaum eine Gruppe im menschlichen Dasein, die so lange existent ist, wie die Schulklasse. Sie wird von vielen Autoren gerne durch ihre formellen Verhaltensabläufe und ihren Zwangscharakter beschrieben (die Gruppe als 'Zwangsaggregat', ULICH, 1974).

Was ist eine Gruppe? Diese Frage wird als erste zu klären sein, um die logische Verbindung der individuellen Wahrnehmung mit dem gruppenspezifischen Sozialklima zu erkennen.



Definition von 'Gruppe'

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Es liegt in der Natur der Sache, dass die Sozialpsychologie sich fast ausschließlich mit Strukturen und Prozessen befasst, die in irgendeiner Weise das Sozialphänomen Gruppe beschreiben. Deshalb ist es nichts Außergewöhnliches, wenn man bei der Suche nach einer angemessenen Definition von Gruppe in dieser Wissenschaftsdisziplin auf eine Vielzahl verschiedener Ansätze stößt. Die Definitionen von Gruppe beinhalten im wesentlichen folgende Aussagen:


  • die Gruppe ist eine Anzahl von mehr als zwei Personen,
  • die Mitglieder einer Gruppe definieren sich selbst als solche (Wir-Gefühl),
  • zwischen den Personen bestehen mittel- oder unmittelbare Interaktionen,
  • diese Interaktionen sind vorwiegend normativ reguliert,
  • zwischen den Personen liegt eine Rollendifferenzierung vor,
  • die Personen erleben in wesentlichen Punkten Gemeinsames,
  • die Gruppe ist durch Struktur und Dynamik gekennzeichnet.


(ARGYLE, 1972; BATTEGAY, 1974; BAUS & JACOBY, 1976; BERGIUS, 1976; CROTT, 1979; HOMANS, 1960; JAHNKE, 1982;
 LINDGREN, 1973; MÜLLER & THOMAS, 1974; SADER, 1976).


Die Nebeneinanderstellung von Beschreibungsmerkmalen resultiert aus der Unmöglichkeit, Gruppe eindeutig zu definieren. Dies wird in der Literatur immer wieder deutlich. Auch darf man nicht davon ausgehen, dass die Beschreibungsmerkmale miteinander verknüpft sind, sie gelten je nach Auffassung des Autors alternativ oder z.T. additiv.

Will man nun eine Gruppe sehr restriktiv beschreiben, muss man alle Beschreibungsmodi akzeptierend mit einbeziehen. Trotz der damit verbundenen definitorischen Restriktion bleibt genügend Spielraum für Nuancen. Der damit zusammenhängende Vorteil dieses Vorgehens besteht in der Klarheit der Beschreibungsmöglichkeiten einer Gruppe. Versucht man die Beschreibungsmodi bis zu einer vernünftigen Grenze zu reduzieren, so verbleiben letztlich folgende Kristallisationspunkte:


  • die gemeinsame Erlebensweise,
  • die normative Regulation,
  • die Struktur und
  • die Dynamik.


Diese vier Beschreibungsmerkmale lassen sich in zwei Aspekte gruppieren: Die gemeinsame Erlebensweise stellt neben der Struktur und der Norm den statischen Aspekt von Gruppe dar. Die Dynamik ist die prozessorientierte Komponente (s. DUNCAN, 1972). Im folgenden werden Struktur und Norm einer Gruppe näher beleuchtet.



Struktur einer Gruppe

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SADER resümiert, dass unter Struktur manchmal fast alles verstanden wird, was überhaupt mit Gruppen zu tun hat (1976, S.49). Diese Kritik zeigt, wie unscharf der Begriff oft verwendet wird. Wenn man einer sozialen Einheit unterstellt, sie habe eine Struktur, so will man damit im Grunde genommen folgendes ausdrücken:


1) in der sozialen Einheit liegen Beziehungen zwischen den Mitgliedern vor,
2) die Gesamtheit dieser Beziehungen lässt sich quasi kondensiert beschreiben,
3) die Mitglieder der sozialen Einheit werden vollständig durch die soziale Einheit definiert (vgl. FEGER, 1979).


Die Struktur dient als Konstrukt dazu, Beziehungen zwischen mehr als zwei Personen unter Berücksichtigung spezifischer Interaktionsaspekte zu beschreiben.


Man wird sich aber fragen müssen, ob es überhaupt eine soziale Einheit ohne Struktur gibt. Erscheint es dann aber sinnvoll, den Begriff Struktur zu verwenden? Die Antwort fällt bivalent aus, denn dass eine soziale Gruppe 'eine' Struktur hat, erscheint trivial. Sicherlich ergeben sich bei genaueren Analysen viele Arten von Strukturen.

PETILLON (1982, S.189) zählt eine Reihe von Be­reichen auf, denen man mit dem Strukturbegriff inhaltlich näher kommen kann: Macht, Entscheidung, Erwartung, Kommuni­kation, Sympathie. Die Verwen­dung des Strukturbegriffes er­scheint dann sinnvoll, wenn sich Gruppen oder Grup­pen­typen (wie Schulklassen) eindeutig daran unterschei­den las­sen. Die Struktur kann ähnlich schwer ermittelt werden wie das Sozial­klima, da sie auch nur indirekt über die Indivi­duen erfassbar ist. Struktur in Gruppen wird oft über sozio­metrische Tech­niken gemessen, wobei meistens von vielen Zwei­erbeziehungen (wie beim ST 3-7 von PETILLON, 1980b) auf die Gesamtstruktur geschlossen wird.

Ein naher Verwandter: die soziale Norm

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Neben der Struktur einer Gruppe sind es vor allem die sozialen Normen, die als zweites Be­schreibungs­merkmal von Gruppen berücksichtigt wer­den müssen. Soziales Verhalten kann nicht direkt aus den Normen der Gruppen abgeleitet werden, da Zusatzbedin­gungen mit herangezo­gen werden müssen. Die unmittelbare Verhaltensrelevanz fehlt also, trotz­dem sind soziale Normen für die vor allem langfristi­ge Prozess­steu­erung in Gruppen verant­wortlich (vgl. BATTEGAY, 1974; EICHNER, 1977).

Es bietet sich an, Muss-, Soll- und Kann-Normen zu un­terscheiden, die im Schulleben z.T. schriftlich fi­xiert sind. Andere sind latent vorhanden, aber nicht so ein­fach zu ermit­teln, wie das bei schriftlichen Normen der Fall ist. Ein weiteres Merkmal von Normen ist, dass ihre Übertre­tung Sanktionen nach sich zieht.

Die soziale Norm und das Klima sind von ihrer Konzep­tion her nahe Verwandte. Der eher soziologische Be­griff Norm und der eher psychologische Begriff Sozial­klima stehen sich unter­einander näher als beide zur 'Struktur'. Dies hat mehrere Ursachen:


1. Der methodische Zugang zur sozialen Norm und zum Sozial­klima weist starke Parallelen auf
   (s. z. B. ER­BRING & YOUNG, 1979).


2. Beide Konzepte werden oftmals über den Mittelwert von Individualdaten der Gruppenmitglieder opera­tionalisiert
   (so für die Norm: TIEDEMANN, 1980, S.17).


Die Definition von 'Norm' fällt außerordentlich schwer, weil Normen bezüglich ihres Inhaltes ähnlich vage und vieldeutig sind, wie es schon beim Begriff Sozialkli­ma gezeigt wurde. So bleibt nur ein abstrakter Defini­tionsversuch möglich:

Soziale Normen sind Bezugspunkte für Urteile und Ver­haltens­vorschriften. Sie sollen eine bessere Orien­tierung geben und die Sicherheit im Handeln fördern (BERGIUS, 1976, S.110ff). Ein ge­wisses Mass an ]ber­ein­stimmung in der Gruppe ist unerlässlich (SECORD & BACK­MAN, 1976, S.371; SEIFFKE-KRENKE, 1981, S.337).

Soziale Normen sind in erster Linie Gruppennormen. Normenge­steuertes Verhalten ist eine Folge einer Handlung, die durch eine bestimmte Situation verlangt wird (s.a. BRANDSTÄDTER, 1977; LAUTMANN, 1971). Durch die soziale Norm wird auch eine soziale Grenze der subjektiven Sichtweise einer objektiven Situation gege­ben (WAKENHUT, 1978, S.40). Es bleiben zwar noch subjek­tive Auslegungen einer Situation möglich, in Bereichen allerdings, wo sozi­ale Normen implemen­tiert sind - also in Gruppen - ist diese Möglich­keit eingeschränkt. Dies untermauert die Berechti­gung der Sozialklimaforschung.

Die operationale Definition von sozialen Normen ist ein schwieriges Unterfangen, auf das der Sozial­wissen­schaftler aber eingehen muss. Im folgenden werden in Anlehnung an EICHNER (1977) verschiedene Modelle vorge­stellt, die man als operationale Defini­tionen von Nor­men ansehen kann. Die operationale Defi­nition von Gruppennormen unterliegt der gleichen Schwierigkeit wie die operationale Definition des So­zialklimas: Beide Gruppenkonzepte lassen sich nur über Indivi­dualwerte erfassen (soweit es nicht schriftliche Muss-Normen sind). EICHNER (1977) stellt dazu drei Mo­delle vor, die soziale Norm fassbar machen sollen: Rela­tionale Reak­tionsmodelle, absolute sowie Metaperzep­tionsmodelle.


A. Relationale Reaktionsmodelle

Das Grundmodell der relationalen Reaktionsmodelle geht davon aus, dass die n-Mitglieder einer Gruppe G zu einem Zeitpunkt t unter­einander in bestimmten Relationen stehen. Diese Relationen sind psychische oder physische Reaktionen, die aus dem Verhalten V resultieren. Man kann ein relationales Reaktionsmodell als eine N x N - Matrix darstellen, in der die Elemente a(kn) stellver­tretend für die Reaktionen stehen. Damit liegt dieser Normbegriff dem Strukturbegriff nahe (Normenstruktur).

Offen ist jetzt nur noch die Frage, wie EICHNER die Reaktion inhaltlich definiert. Er unterscheidet vom Grundmodell ausgehend fünf Spezialfälle, bei denen die Reaktionen zwischen zwei Mit­gliedern einer Gruppe ver­schieden definiert sind.


a) Spezialfall Angemessenheit

Wenn das Mitglied m(i) zum Zeitpunkt t(m) das Verhalten V des Mitgliedes m(j) als angemessen empfindet, dann er­hält das Matrixelement a(ij) den Wert 1. Wird das Verhalten als nicht angemessen empfunden, dann den Wert 0.

Dieses Modell orientiert sich stark an den Konzeptionen von PARSONS, HOMANS und MERTON. Bei diesem Modell sind die Hilfsver­ben 'sollten', 'müßten' etc. in entsprech­ender Verknüpfung anzu­wenden.


b) Spezialfall Erwartung

Wenn das Mitglied m(i) zum Zeitpunkt t(m) das Verhalten V des Mitgliedes m(j) erwartet, dann erhält das Matrix­element a(ij) den Wert 1, andernfalls 0 (vgl. BASKIN & ARONOFF, 1980; SECORD & BACKMAN, 1976).


c) Spezialfall Erwartungsperzeption

Wenn das Mitglied m(i) zum Zeitpunkt t(m) eine Verhal­tenserwartung seitens des Mitgliedes m(j) wahrnimmt, dann erhält das Matrixele­ment a(ij) den Wert 1, andern­falls 0. Nach diesem Modell sind Normen umso verhal­tensrelevanter, je stär­ker eine 'gesendete' Erwartung auch vom anderen wahrge­nom­men wird.


d) Spezialfall Sanktion

Wenn das Mitglied m(i) das Mitglied m(j) nach dessen gezeigtem Verhalten belohnt (oder bestraft), dann er­hält das Matrixelement den Wert 1, andernfalls 0. Bei diesem Modell muss m(i) die Sanktion nicht unbedingt durchführen, sondern es genügt auch schon, eine Dispo­sition im Sinne von 'würde bestrafen (belohnen)'.


e) Spezialfall Verhaltensperzeption

Wenn das Mitglied m(i) zum Zeitpunkt t(m) das Verhalten von m(j) als verhaltenskonform wahrnimmt, dann erhält das Element der Matrix den Wert 1, andernfalls 0.


B. Absolutes Modell

Beim absoluten Modell geht es nicht mehr um die Bezie­hungen zwischen den Einzelmitgliedern einer Gruppe un­tereinander, son­dern um die Relation zwischen einem Mitglied und der Gesamtgrup­pe. Jedem Mitglied wird ein absoluter Wert zugeschrieben, der sein Verhältnis zur Gruppe beschreibt. Die Werte werden daher nicht als N x N - Matrix festgeschrieben, sondern als N x 1 - Vektor. Dabei können die gleichen Kriterien angelegt werden, wie bei den Relationsmodellen. Am Beispiel des Angemes­senheitsmodells soll dies gezeigt werden:

Wenn das Mitglied m(i) das Verhalten V der Gesamtgruppe G zum Zeitpunkt t(m) als angemessen empfindet, dann erhält das Vektorenelement a(i) den Wert 1, andernfalls Null. Die operationale Definition im Sinne des Modells ist an dem Verhältnis der Einsen zu den Nullen im Vektor charakterisiert.


C. Metaperzeptionsmodell

Bei dem Relations- und Absolutmodell wird eine Bezie­hung zwischen zwei Mitgliedern empirisch direkt erfasst. Nun besteht aber noch die Möglichkeit, die Beziehung zwischen zwei oder mehreren Mitglie­dern über ein drit­tes Mitglied einer Gruppe zu erfassen. Wiederum soll am Beispiel des Angemessenheitsmodells diese Kon­zeption verdeutlicht werden:

Wenn Mitglied m(k) aus der Gruppe G wahrnimmt, dass Mitglied m(i) das Verhalten V des Mitgliedes m(j) zum Zeitpunkt t(m) als angemessen empfindet, dann bekommt das Matrixelement a(ij) den Wert 1, andernfalls 0.

Alle bisher vorgestellten Modelle lassen sich durch den Vorsatz "wenn Mitglied m(k) wahrnimmt, dass ..." zu einem Metaperzeptionsmo­dell umwandeln. Auch können alle Modelle von Matrix-, über Vek­tor- zu Skalarmodellen reduziert werden. Ein Beispiel für ein Angemessenheits­skalarmodell ist: Wenn die Gruppe G das Verhalten V der Gruppe G als angemessen empfindet, dann bekommt der Skalar den Wert Eins, andernfalls den Wert Null.

Die einzelnen Modelle sind dieser Konzeption entspre­chend also sowohl inhaltlich verschieden definiert als auch in ihrer Dif­ferenziertheit unterschiedlich. Für welches Modell man sich nun entscheidet, ist nur nach theoretischen Überlegungen zu entschei­den. Problema­tisch ist sicherlich die Anwendung von Matrixmodel­len in größeren Gruppen, da hier eine sehr starke Differen­zie­rungsfähigkeit von den Einzelmitgliedern gefordert wird, die in der Praxis schlechterdings nicht vorausge­setzt werden kann.

Die Gruppensituation

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Eine Gruppensituation liegt dann vor, wenn die Indivi­duen die Gruppennormen kennen und diese auch zur Inter­pretation der Gruppensituation heranziehen (PERINBANA­YAGAM, 1981, 332). Interaktionen und Situa­tionsdefini­tionen sind nicht das, was ein Subjekt zu erkennen glaubt, sondern sind die syn­thetisierten Aktivitäten und Handlungen der Gruppenmitglieder.

Der Begriff Gruppensituation wird angemessen von WITTE definiert: Eine Gruppensituation ist "eine Situa­tion, in der man als Einzel­person veranlasst wird, das eigene Urteil (Reaktion) in Beziehung zu anderen Urteilen zu setzen" (1979, S.125). Menschliches Verhal­ten in Gruppen ist also weitgehend von diesen beeinflusst. Objekte erhal­ten ihre Bedeutung durch die Interaktion mit Mit­men­schen. Kollektives Handeln ver­läuft durch Anglei­chung indviduellen Handelns.

Diese Grundaussagen erinnern an den symbolischen Inter­aktionismus (vgl. Kap 2.2.1.3) und machen erneut deut­lich, dass indivi­duelles Handeln nicht kontextun­abhängig sein kann. Es wird weiterhin hervorgehoben, dass indivi­du­elles Handeln sich von gruppenbezo­genem Handeln durch die verschie­denen Reflexionsgrade unterscheidet. Die Kennt­nis und das Akzeptieren von Regeln und Normen erhöht die Be­reit­schaft, eigenes Handeln weniger zu reflektie­ren und sich z. B. rituellen Situationen eher zu unter­werfen (WELLENDORF, 1977). Reflexionsarmes Handeln bzw. Rituale werden so erst möglich. Die Refle­xion einer Situation durch den Ein­zelnen muss mit dem Grade ihrer Neuheit steigen (STEBBINS, 1981). Der Sinn einer Gruppenbildung wäre u.a. dann verfehlt, wenn die Mehr­zahl der Gruppen­situationen ein hohes Reflexions­ausmaß verlangen wür­den. In diesem Zusam­menhang könnte man die These ver­treten, dass in Situatio­nen mit hohem Reflexionsgrad das Handeln personenspe­zifischer aus­fällt als in stär­ker ritualisierten Handlungsab­läufen. Wol­lte man also Person-Situation-Prozesse untersuchen, so wäre das Ausmass der von der Person durchgeführten Reflexionen zu berück­sichtigen (vgl. THOMAS & ZNANIE­CKI, 1981, S.9). Dies erin­nert an eine Variable in ROT­TERs Modell (Kap. 2.2.2.1 ?): den Grad der Neuheit einer Situation.

DUNCAN (1972) stellt zwei unabhängige, bipolare Dimen­sionen vor, die zum einen die Komplexität, zum anderen die Dynamik der sub­jektiv erlebten Lernumwelt verdeut­lichen. Die eine Dimension (einfach - komplex) be­schreibt die Ausdifferenzierung der Umweltwahr­nehmung, die andere (sta­tisch - dynamisch) den Grad des wahrge­nommenen Wandels. DUNCAN nimmt an, dass die individuell wahrgenommene Unsi­cherheit in einer Si­tuation mit dem Grad der Komplexität und Dynamik der Umwelt zunimmt. Diese Annahme wird in Abbildung 3.1 verdeutlicht. Dabei zeigt sich, dass der Komplexität ein stärkeres Gewicht zukommt als der Dynamik.


 
Abb. 3.1: Die Abhängigkeit der wahrgenommenen Unsicher­ heit von Komplexität und Dynamik (n. DUNCAN, 1972)


WITTE (1979) hat eine genauere Analyse der Gruppensi­tuation vorgelegt, die er unter prozesshaftem Charakter zu analy­sieren suchte. Seine Abfolge von normati­ven Dimensionen sieht wie folgt aus:


Kenntnis über die Erklärung des Verhaltens in einer Gruppensituation (KE)

|
Gruppenatmosphäre (GA)
|
Verteilung der Werte der Gruppenmitglieder
|
Schwierigkeit, einen Orientierungspunkt anzuwenden (SdA)
|
Gebundenheit an frühere Beschlüsse (GFB)

|
Uniformitätsdruck (Verhalten)


Diese Abfolge hätte WITTE eigentlich auch als Kreis dar­stellen können. (Der letzte Punkt wurde von mir hinzu­gefügt.) Dieser Prozess ist bei neu zusammenge­setzten Gruppen oder neu eingeglie­derten Einzelperso­nen wohl noch sehr offen. Die Beschreibung der Einzelkompo­nenten ist hier von weniger grossem Inter­esse; es sei auf die Originalliteratur verwie­sen. Zentral für unser Vorhaben ist natürlich die von WITTE in diesen Prozess einbezo­gene Gruppenatmosphäre, die er als "das durchschnitt­liche Aus­mass der gegenseiti­gen emotional­wertschätz­enden und persönlichen Akzep­tierung in einer Klein­gruppe" defi­niert, wobei "jede Person jede andere auf einer Skala ein­schätzt, die das emo­tional-wert­schätzen­de Verhalten erfasst, das man von der Person erwartet" (1979, S.137). Damit ist hier Gruppenatmos­phäre der Kohäsion in einer Gruppe sehr ähnlich definiert. WITTE fordert aber selbst, bei detaillierteren For­schungen andere Berei­che, wie z. B. Cliquenbildung, mit einzubeziehen.

MOLLENHAUER hat bereits 1972 in einem Modell zu zeigen versucht, wie es in der Interaktion von 'Ego' und 'Alter' zur Situationsdefinition kommt (s. Abbildung 3.2). In der oberen Hälf­te des Modells sind die indivi­duellen Bedin­gungen von 'Ego' für eine Situationsdefini­tion auf­ge­zeigt. Diese Bedingungen sind auch für 'Alter' formal, aber nicht inhaltlich gültig. Die untere Hälfte der Abbildung strukturiert die Merkmale der Situ­ation, die gemeinhin als objektiv bezeichnet wer­den. Diese sind für 'Ego' wie für 'Alter' formal und inhaltlich iden­tisch, was u.a. auch für die Schüler einer Klasse zutrifft. Wie an der unteren Hälfte der Abbildung unschwer zu erken­nen ist, strukturiert und definiert Mollenhauer die objektive Situation nicht durch Merk­male, wie sie z. B. durch Vertreter einer 'environmental psychology' ver­wendet wurden, sondern nahezu aus­schließlich durch soziale Phänomene. 'Echt' objektive Merkmale werden nur dann berück­sichtigt, wenn diese 'Objekte der Kommunika­tion' werden, an­sonsten bleiben sie unberücksichtigt.


 
Abb. 3.2: Das Modell von Mollenhauer (1972)


Der Bezug des Sozialklimas von Schulklassen zur Insti­tution Schulklasse lässt sich demnach wie folgt umreissen (vgl. Evan, 1968):

  1. Schüler einer Klasse haben genauso Wahrnehmungen über die Klasse wie Nichtmitglieder.
  2. Schüler und Nichtmitglieder einer Klasse nehmen die Umwelt verschieden wahr. Dies liegt an den ver­schiedenen Bezugsrahmen und an den verschiedenen Eva­luationskriterien beider Gruppen.
  3. Die Wahrnehmung der Umwelt - ob sie nun mit der tatsächlichen Umwelt übereinstimmt oder nicht - hat Einfluss auf das Verhalten.
  4. Schüler mit verschiedenen Rollen und verschiedenem Status in ihrer Klasse nehmen die Umwelt verschieden wahr.
  5. Schüler, die Untergruppen in der Klasse angehören, nehmen die Umwelt deswegen unterschiedlich wahr.


Damit ist die Relevanz der Gruppensituation und deren Wahrnehmung für die Erklärung menschlichen Verhaltens ver­deutlicht. Gruppensituationen sind al­lerdings viel­fältig strukturiert, und man muss, um sichere Aussagen treffen zu können, diese Differen­ziertheit greifbar machen. Ein vielversprechender Weg liegt in der Be­schreibung der Gruppe als System. Dieser Begriff wird im nächsten Ab­schnitt auf seine Tauglichkeit hin disku­tiert.




Die Schulklasse als System

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Zur Definition eines Systems

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Man wird fragen müssen, warum die Schulklasse im fol­genden unter der Perspektive eines Systems be­trachtet wird, obwohl es hier um das Sozialklima von Schulklas­sen geht. Dies hat folgenden Grund: Nach Lindenberg (1977) ist anscheinend das wichtigste Merk­mal eines Systems die vorhandene Interdepen­denz von Indivi­duen. Diese erscheint für das Sozialklima nicht uninteres­sant, denn vielleicht erklärt sich hier die noch unge­löste Frage nach der Aggregierung der Einzel­werte der Gruppenmitglieder. Interdependenzen liegen dann vor, wenn folgende Charakteri­stika beobachtbar sind:


  1. Die komplementäre Kontrolle, bei der zwei oder meh­rere Individuen eine allen gemeinsame Ereignismenge kontrollieren und jedes Individuum bereit ist, zugunsten des anderen auf Anteile an dieser Kontrol­le zu verzichten.
  2. Das Handeln eines Individuums in einem System hat für alle Individuen, und nicht nur für den Handeln­den, Konse­quenzen (Externalität des Handelns)
  3. Die Individuen in einem System wissen um das Vorhandensein jeweils anderer Individuen in demsel­ben System (Koorientierung des Handelns).


Das System Schulklasse kann also Aufschlüsse über die Rolle des Klimas in der Schulklasse geben. Das Sozial­klima müsste, soweit es für die Schulklasse relevant ist, in systemorien­tierten An­sätzen bei der Be­schreibung der Schulklasse eine Rolle inneha­ben, die etwas über den Wert dieses Forschungskonzep­tes aussagt.

Wenn eine Schulklasse ein soziales System ist, dann müsste sie in Ergänzung zu den LINDENBERGschen Kri­terien folgende Merkmale aufweisen (WELZ, 1974):


  • Eine Schulklasse ist eine Menge von Personen;
  • Eine Schulklasse wird beschrieben durch:
- absolute Eigenschaften von Personen,
- relationale Eigenschaften zwischen Personen;
  • Alle Aussagen über eine Schulklasse können sich gliedern in:
- zeitunabhängige, wobei das System die Zeit über­ dauert, wenn die Aussagen wahr sind, und
- zeitabhängige Aussagen, also eine Folge von Zustandsbeschreibungen.
  • In der Erklärung von Zustandsveränderungen inner­halb der Schulklasse treten im wesentlichen Aussagen auf, in denen Eigenschaften verschiedener Individuen unterein­ander ver­knüpft sind.


Es liegen zwei interessante Konzeptionen vor, die beide die Auffassung vertreten, dass die Schulklasse ein so­ziales System sei: Das System von GETZELS & THE­LEN (1960) und das von PETILLON (1982). Beide Systeme wer­den im folgenden darge­stellt und da­raufhin befragt, ob sie für das Sozialklimakon­zept fruchtbar sind.




Das Modell von GETZELS & THELEN

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Besonders WALBERG und ANDERSON haben ihren For­schungs­ar­beiten das Modell von GETZELS & THELEN (1960) von der Klasse als so­ziales System zugrundege­legt. Dieses sehr differenzierte Modell wurde von DREES­MANN (1980a, S.47) dargestellt. Wir beziehen uns im folgenden auf eine reduzier­te und überschaubare Fassung von WAL­BERG (1968). Das Ver­halten in der Schulklasse als ein ein­heitliches sozi­ales System kann wie folgt skiz­ziert werden:


 
Abbildung 3.3: Die Schulklasse als soziales System nach GETZELS & THELEN (1960)


Die obere Abfolge kennzeichnet die soziologische Struktur der Klasse. Es wird nur rollenkonformes Ver­halten zugelas­sen. Die­ser 'nomothetischen' Dimen­sion steht eine 'ideogra­phische' ent­gegen (untere Abfolge), die das Individuum mit seinen Bedürf­nis­dispositionen aufnimmt. Hier würde das Ver­halten freien Spielraum ohne Begrenzung erhalten.

In diesem Modell nimmt die Allgemeinheit der Begriffe in beiden Dimensionen von links nach rechts ab. Der rechts stehende Begriff bildet jeweils die analytische Einheit des daneben stehenden linken. Die nomothetische Dimension geht aus von Institutionen, die sich in jeder Gesellschaft zur Erfüllung ganz bestimmter Aufgaben bilden. Die analytische Einheit einer Institution ist die Rolle. Unter Rolle verstehen GETZELS & THELEN den dynamischen Aspekt von Position, Aufgabe und Status. Mit jeder Rolle sind ganz bestimmte Erwartungen un­trennbar verknüpft. Somit läßt sich jede Rolle durch die mit ihr verbundenen Erwartungen unmittelbar analy­sieren.

Die ideographische Dimension geht aus vom ein­zelnen Individuum und seiner jeweiligen Persönlichkeit. Per­sönlichkeit meint "die dynamische Organisation von Bedürfnis-Dispositionen innerhalb eines Individuums, die seine einzigartigen Reaktionen auf die Umwelt und, wie man im Bezug auf das vorliegende Modell hinzufügen kann, seine Erwartungen an die Umwelt leiten" (GETZELS & THELEN (1960, S.68) übersetzt durch den Verf.). Ana­lytische Kategorien der Persönlichkeit sind Veran­lagungen oder Bedürfnisse. Diese werden von den Autoren definiert als "persönliche Tendenz, sich im Bezug auf bestimmte Objekte zu orientieren und zu han­deln und von diesen Handlungen bestimmte Konsequenzen zu erwarten" (1960, S.68; übersetzt durch den Verf.).

In einem zweiten Schritt erweitern GETZELS & THELEN ihr Modell um zwei weitere Dimensionen: eine biologi­sche und eine anthropologische. Jede Persönlichkeit, so meinen sie, ist eingebettet in einen biologischen Orga­nismus, der sie mit bestimmten Fähigkeiten und Poten­tialen ausstattet. Hiervon hängen nicht zuletzt auch die Bedürfnisdispositionen eines Individuums ab. Die biologische Dimension unterteilt sich, analog der vor­ausgegangenen Abbildung, in ihrer Allgemeinheit von links nach rechts abnehmend, in den Organismus, die von ihm abhängende Konstitution und die theoretischen Fä­higkeiten eines Individuums (Potentiale). Die anthro­pologische Dimension beeinflusst die Bildung von Insti­tutionen, Rollen und Erwartungen. Sie stellt die Kultur dar, innerhalb der wir leben und läßt sich mit abneh­mender Allgemeinheit in Ethik, Moral und Werte unter­teilen. Erweitert man demgemäß Abbildung 3.3 durch diese beiden Dimensionen, so erhält man Abbildung 3.4 (Bei dieser und den nachfolgenden Abbildungen sind die Modellteile 'Soziales System' und 'Verhalten' der Einfachheit hal­ber weggelassen worden).



 
Abbildung 3.4: Das Modell von GETZELS & THELEN in seiner zweiten Version



Das konkrete Verhalten erklärt sich aus der Höhe der Übereinstimmung bzw. Diskrepanz zwischen den analyti­schen Einheiten der vier Ebenen. Verhaltensänderung läßt sich anhand zweier, idealtypisch zu verstehender Möglichkeiten erklären. Auf der einen Seite gibt es die Möglichkeit der Anpassung der ideographischen Dimension (= Bedürfnisse) an die nomothetische (= Rollenerwar­tung). GETZELS & THELEN bezeichnen dies als die 'So­zialisation der Persönlichkeit' (1960, S.76). Auf der anderen Seite besteht die umgekehrte Möglichkeit, näm­lich die Anpassung der nomothetischen Dimension an die ideographische, was von den Autoren mit dem Begriff 'Personalisation der Rollen' belegt wird (1960, S.77). Tatsächlich beruht aber eine Verhaltensänderung immer auf einer Mischung beider Extreme und kann nur in Richtung auf das eine oder auf das andere hin tendie­ren. Der Schulklasse als Gruppe kommt die entscheidende Aufgabe zu, zwischen beiden Extremen zu vermitteln. Auf der einen Seite kann sie die Institution unterstützen, indem sie bestimmte Rollenerwartungen akzeptiert und gegenüber Gruppenmitgliedern mit anderen Bedürfnissen vertritt. Auf der anderen Seite kann sie Einzelne in der Auseinandersetzung ihrer individuellen Bedürfnisse unterstützen, indem sie diese gegenüber den Rollener­wartungen der Institution verteidigt.

Setzt man voraus, dass sich alle bisher genannten Punkte zu einem harmonischen Ganzen ergänzen, so ergibt sich der optimale Weg, ein Ziel (hier: das Lernen) zu errei­chen. Der Einzelne würde sich dann nicht nur mit den Zielen des Systems identifizieren und sie zu seinem eigenen Bedürfnis machen, er würde darüber hinaus auch die Rollenerwartung für gerechtfertigt halten und sich einer Gruppe zugehörig fühlen, die seine Gefühle und seine Einstellungen versteht und mit ihm teilt (s. GETZELS & THELEN, 1960, S.80). Diese ideale Vorstellung führt zu dem endgültigen Modell von GETZELS & THELEN (s. Abbildung 3.5).



 
Abbildung 3.5: Das Modell von GETZELS & THELEN in seiner dritten und letzten Version



Das Modell von GETZELS & THELEN stellt einen rollen­theoretischen Ansatz dar, der ihren Aussagen zufolge einen Rahmen zur Erklärung sozialen Verhaltens in Gruppen bilden will. Er erinnert in seiner ersten Ver­sion (Abbildung 3.3) deutlich an die von DAHRENDORF (1977) getroffenen Aussagen zur Theorie der sozialen Rolle. Die Norm repräsentiert die nomothetische Dimension, der der freie Mensch (ideographische Dimension) gegenüber­ gestellt ist. Der eigentliche theoretische Bezugspunkt von GETZELS & THELEN wird jedoch spätestens in der zweiten Version ihres Modells deutlich (s. Abbildung 3.4). Die vier Ebenen eines sozialen Systems, die sie unter­scheiden, entsprechen genau den vier Subsystemen, nach denen laut PARSONS (1972, S.12 ff.) jedes Handlungssystem gegliedert ist. Die als analytische Konstruktionen zu verstehenden Subsysteme bezeichnen bestimmte Bedingun­gen, denen sich jeweils eine ganz bestimmte Funktion (= Leistung oder Wirkung) zuordnen läßt. Eine ausführliche Darstellung der Struktur funktionalistischer Rollen­theorie an dieser Stelle würde zu weit führen. Die Einordnung des Modells in einen größeren theoretischen Bezugsrahmen (s. z.B. GUKENBIEHL, 1979, S.95-97) ist notwendig, um darzustellen, auf welchem Hintergrund die von GETZELS & THELEN verwandten Begriffe zu verstehen sind. Dies kann allerdings hier nicht geleistet werden.

Der hier vollzogene Rückgriff auf das Modell von GET­ZELS & THELEN war deshalb naheliegend, weil ameri­ka­nische und deutsche Klimaforscher sich auf dieses Mo­dell bezogen haben. Offensichtlich scheint das Modell sehr stark an die need-press-Vorstellung von MURRAY und STERN (s. Kap. 2.2.1.6) zu erinnern. ECKERT (1985) hebt allerdings hervor, dass die Begriffsysteme beider Theo­rien sich nicht miteinander vereinbaren lassen. Ihm erscheint es unverständlich, wenn DREESMANN (1982b, S.51) schreibt: "Das Modell (von GETZELS & THELEN, der Verfasser) enthält zugleich Parallelen und Gegen­sätze zu der need-press-Vorstellung von STERN. Wie dort wird das Klima als Resultat des Wechselspiels zwischen per­sonalen Faktoren und äußeren Gegebenheiten begrif­fen. Allerdings würde STERN das Klima eher dort lokali­sieren, wo GETZELS & THELEN die Intention einordnen, nämlich das Resultat von Bedürfnissen (needs) und Er­war­tungen der Institution (presses)." Erstens verstün­den GETZELS & THELEN unter needs etwas anderes als MURRAY, zweitens wären Erwartungen der Institutionen nur einer unter vielen Aspekten von press. Private und consensual beta-press hätten im vorliegenden Modell überhaupt gar keinen Platz. Dieser Annahme ECKERTs ist zuzustimmen, sie zeigt, wie unkritisch oft Theorien auf die Sozialklimaforschung übertragen wurden. (Mal abge­sehen davon, dass MURRAY den Begriff 'press' auch im Plural verwendet.)

Das Modell von GETZELS & THELEN beleuchtet vorwiegend den soziologischen Aspekt des sozialen Klimas in Schulklassen. Hierbei schärft es den Blick für soziale Gegebenheiten, die ihre Realität vor allem außerhalb des Klassenzimmers besitzen. Vorteilhaft wirkt sich unter anderem die klare Struktur des Modells aus, das - vom allgemeinen zum speziellen führend - relativ kom­plexe Sachverhalte einer weiteren Differenzierung und Untersuchung zugänglich macht. Für eine Sozialkli­mafor­schung allerdings, in der das subjektive Erleben der Aus­gangspunkt ihrer theoretischen Überlegungen dar­stellt, erfüllt dieses Modell höchstens eine er­kennt­nistheore­tische Aufgabe.

Es läßt sich allerdings nicht ganz von der Hand weisen, dass dem Sozialklima in dem System von GETZELS & THELEN eine Art Vermittlerrolle zukommt. Es entspricht im weitesten dem Spannungsverhältnis zwischen Rollen­druck und individuellem Streben. Verhalten in einer Klasse ist Folge von individuellen Bedürfnissen, gruppenkon­formem Rollendruck und - als vermittelnde Instanz - dem Zusammengehörigkeitsgefühl der Schüler.

Die wichtigste Konsequenz, die man aus diesem Modell ziehen kann, ist folgende: Verändert man ein Element des Systems, verändert sich das gesamte System (PETIL­LON, 1980a, S.28). Sind einige Elemente nicht oder kaum veränderbar (Sitten Normen, Begabung etc.), andere hingegen variabler (z.B. Klima), so kommt dem Klima in diesem Ansatz als möglichem Steuerungsfak­tor für das Gesamtsystem eine zentrale Rolle zu.

Weitgehend offen sind die Beziehungen zwischen den drei Abfolgen. Wie z.B. wirken sich die Faktoren 'Normen der Gruppe' und 'Persönlichkeit' auf die Umweltwahr­nehmung aus? Ein Vor­teil dieses Ansatzes ist in dem Verzicht zu sehen, Einzel­elemente in eine kau­sale Abhängigkeit zwischen den Ebenen zueinander zu setzen.

Das Modell von GETZELS & THELEN ist eine Möglichkeit, die Schulklasse als soziales System zu beschreiben. Ein ganz anderer Ansatz ist der von PETILLON.

Das Modell von PETILLON (1980)

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PETILLON bezeichnet die Klasse als 'hochkomplexes so­ziales Sy­stem' (1982, 481). Der Autor kommt zu diesem Schluss, nachdem er gezeigt hat, dass wesentliche Merk­male der Beteiligten (Leh­rer-Schüler-Schülergruppe) und Prozess­merkmale der Interak­tionen interdependent sind. Aus­gangspunkt sind die Interak­tionen zwi­schen den Be­teiligten (s. Abbildung 3.6).


 
Abbildung 3.6: Schematische Darstellung der Schulklasse als sozia­les Interaktionssystem nach PETILLON (1982, S.16)


Nach einer gründlichen Analyse der Literatur zu sozia­len Aspekten der Klasse kommt PETILLON schließ­lich zu der Darstellung
in Abbildung 3.7.
PETILLON besetzt also die ideographische Dimension durch zwei Personen: den Lehrer und den Schüler. Die transaktion­ale Dimen­sion ist durch die Schülergruppe repräsentiert. Die nomothe­tische Dimension kann man nicht wiederfinden.

Das System von PETILLON gibt keine Erklärung über den Zusammenhang von Prozessen innerhalb der Schulklasse, es stellt vielmehr die maximal möglichen Beziehungen zwischen Lehrer, Schüler und Schüler­gruppe dar. Damit ist es ein geeignetes heuristi­sches Instrument z.B. für die differen­zierte Dar­stellung vorliegender Literatur zur Unterrichtsforschung, wie PETILLON es ja auch zeigt. Theoretisch allerdings leistet dieses Sys­tem für die Sozialklimaforschung wenig, da in diesem System (s. Abbildung 3.7) Ver­halten in­teragiert. Ei­gentlich können ja nur Personen inter­agieren und dies bezeichnet man dann als Verhalten.


 
Abbildung 3.7: Schematische Darstellung der Schulklasse als sozia­les System nach PETILLON (1982, S.267)
 
Legende


Beide sozialen Systeme entsprechen weitgehend den An­for­der­ungen von WELZ (1974). Zudem scheinen beide Sy­steme geschlos­sen, d.h., dass keine Einflüsse von aussen be­rücksich­tigt werden. Dies ist wohl als ein Mangel an­zusehen, denn Verhalten in der Schul­klasse ist mit Sicher­heit von ausser­halb der Schulklasse lie­genden Fakto­ren beeinflusst. Das System von GETZELS & THELEN ist diesbezüglich aber unpräzise beschrieben, denn entweder ist es offen (dann ist es nicht formuliert) oder es ist ge­schlossen (dann fehlt eine Rückbezieh­ung von Verhal­ten zu den davor liegen­den Elementen des Sys­tems). Das System PETILLONs ist ein System von Ver­hal­tens- und Merkmal­sinteraktionen. Der An­satz PETIL­LONs unterschei­det sich erheblich von dem von GETZELS & THELEN. PETIL­LON hebt auf Interdependenzen von Ver­haltensweisen der Beteiligten ab, wobei die Merkmale der Betei­ligten (die 'Determinanten') mit einbezogen werden. Sicherlich passt auf das Modell die Aussage LUHMANNs: "Für alle Schema­tismen der Interaktion gilt: dass sie hochkomplexe Zu­sammen­hänge pola­risieren" (1979, S.247).

Man wird sich fragen müssen, ob der Begriff des sozia­len Systems in der Literatur nicht überstrapa­ziert wurde. Es kann soviel darunter fallen, dass die Trenn­schärfe zu anderen Begriffen weitgehend fehlt. Heikel wird es dann, wenn Defini­tionen anderer Be­griffe mit dem des sozialen Systems über­einstimmen: "Als In­terak­tion soll dasjenige Sozialsystem be­zeichnet sein, das sich zwangsläufig bildet, wenn Per­sonen einander begeg­nen, d.h. wahrnehmen, dass sie einander wahr­nehmen, und dadurch genötigt sind, ihr Handeln in Rücksicht aufein­ander zu wählen"(LUHMANN, 1979, S.237).

Wenn man sich nun noch vergegenwärtigt, dass PETILLON seinen Ansatz als 'soziales Interaktionssystem' be­zeichnet hat, dann kann man nur zu dem Schluss kommen, den Systembegriff aus allen weiteren Überle­gungen her­auszulassen, da die Be­griffe Interaktion und System starke Redundanz aufweisen.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass der System­begriff derzeit für die Sozialklimaforschung wenig zu leis­ten in der Lage ist.

Zusammenfassung

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Die im vorhergegangenen Kapitel dargestellten Theorien sind für die Beschäfti­gung mit dem Sozialklimakonzept zwar notwen­dig, aber keineswegs hinreichend. Aus diesem Grunde wurden in diesem Kapitel Aspekte der Gruppe beleuchtet. Es stellte sich dabei heraus, dass das Sozial­klima, hier grob definiert als gemeinsame Erlebensweise, ein ganz zen­traler Definitionsbestandteil des Begriffes 'Gruppe' ist. Zwei weitere wesentliche Begriffe sind einmal die Norm und zum anderen die Struktur einer Gruppe. Nach der Struktur einer Gruppe wird weit­gehend durch sozio­metri­sche Techniken gefragt, wobei die Konzen­tration immer auf einem bestimmten Aspekt der Struktur liegt. Das Problem besteht in der Beschreibung der Interdepen­den­zen der Individuen untereinander. Soziometrische Tech­niken ver­suchen dies durch Erweiterung von erfrag­ten Paarbeziehungen. Ob dieser Schritt theoretisch gerecht­fertigt ist, ist keinesfalls unum­stritten.

Die soziale Norm einer Gruppe ist ein dem Klima sehr nah ver­wandter Begriff. Anhand von verschiedenen Model­len wurde gezeigt, dass es verschiedene Möglichkei­ten gibt, Normen zu definieren. Es wäre nicht unin­teres­sant, diese verschiedenen Modelle auf das Sozial­klima­konzept zu übertragen. Da die Hauptfragestellungen der vorliegenden Arbeit allerdings in eine andere Richtung gehen, wird dies hier nicht geschehen.

Bei der Diskussion über die Gruppensituation zeigte es sich, dass ein schon älteres Modell von MOLLEN­HAUER aus dem Jahre 1972 eine wesentliche Bereicherung für die Sozialklimaforschung darstellen kann. Dieses Modell erklärt, warum Mitglieder einer Gruppe zur glei­chen Situationsdefinition kommen. Eine gleiche oder ähnliche Situationsdefinition ist aber ein wesentlicher Bestand­teil der Definition von Sozialklima.

Da in der Literatur zur Schulklassenforschung im allge­meinen sehr oft der Begriff des Systems verwendet wird, erschien es notwen­dig, gerade im Zusammenhang mit der Sozialklimaforschung, auf den Systembegriff näher ein­zugehen. Am Beispiel von zwei vorgestell­ten Systemen (GETZELS & THELEN sowie PETILLON) wurde aufgezeigt, dass die Definitionen des Systems z.T. redundant und z.T. wider­sprüchlich verlaufen. Aus diesem Grunde wird der Systembegriff aus den weiteren Überlegungen ausge­schlossen.



Die Erfassung des Sozialklimas

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Methodische Probleme bei der empirischen Erfassung des Sozialklimas

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Die bisherige Darstellung sollte zeigen, dass es sich aus forschungsinternen und externen Gründen lohnt, sich mit dem Konzept des Sozialklimas zu beschäftigen. Die vorhergegangenen Kapitel bezogen sich in keiner Weise auf die methodischen Probleme der Sozialklimaforschung. Dieses ist diesem Kapitel vorbehalten und soll aus­führlich diskutiert werden, weil die Analyse der Li­teratur gezeigt hat, dass Mängel aus vielerlei Gründen vorliegen. Was nützt die Einsicht in die Notwendigkeit der Klimaforschung, wenn die empirische Umsetzung der Problemstellung nicht angemessen ist? MITCHELL z. B. hebt hervor, dass die Komplexität der Person-Situation­-Problematik bessere statistische Analysen verlangt (1969, 695). Trotzdem müssen JAMES & JONES noch Mitte der siebziger Jahre feststellen, dass die Forschung manchmal Züge trägt, als ob die Wahl der Methode eher aus Bequemlichkeit als aus dem Wunsch, neue Konstrukte zu liefern, geleitet wird (1974, 1101).

Sicher ist die Wahl der Auswertungsstrategie durch Unsicherheiten beeinflußt, die auf dem Fehlen angemes­sener Software oder auf dem Verzicht der Prüfung von Anwendungsvoraussetzungen beruhen (LISCH, 1980). Der letzte Punkt ist kein Spezifikum für die Sozialklima­forschung - im Unterschied zum ersten. Einen Ausweg aus diesem schwerwiegenden Problem bieten die sogenannten Mehr­ebenenanalysen. Diesen Ausweg gilt es allerdings genau zu begründen.

Am Anfang dieses Kapitels stehen deshalb Analysen über Voraussetzungen der bisherigen Klimaforschung (4.1 und 4.2), um zu erklären, warum traditionelle Ansätze weit­gehend versagt haben. In den Abschnitten 4.3 und 4.4 wird die Mehrebenenanalyse als adäquate Auswertungs­strategie für die Sozialklimaforschung erklärt.



Methodische Prämissen der Sozialklimaforschung

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Zur hierarchischen Strukturierung von Wirklich­keit: individuelle und kollektive Phänomene

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Einer der am häufigsten verwendeten Begriffe in der theoretischen Beschreibung von Gruppenprozessen ist der Begriff 'sozial'. Das wird auch in dieser Arbeit augen­fällig, und zwar immer dann, wenn vom 'Sozialklima in Schulklassen' und vom 'Sozialsystem Schulklasse' ge­sprochen wurde. Was aber bedeutet 'sozial'? In der traditionellen Soziologie wird der Begriff häufig mit den Termini 'kollektiv' 'gruppenhaft' oder 'zwischen­menschlich' assoziiert (LINDENBERG, 1977). Zudem scheint er ein Antipode zu den Begriffen individuali­stisch', 'idiosynkratisch' oder 'persönlich' zu sein.

Dieser Gegensatz wurde schon im Altertum Grundlage verschiedener Denkeinstellungen. PLATO sprach von einem den Individuen 'übergeordneten Organismus', der Kultur schlechthin überlebensfähig macht. Kein geringerer als ARISTOTELES war es, der das Individuum in den Mittel­punkt rückte und demnach Kultur nur als Ergebnis des Zusammenwirkens von Individuen betrachtete (BERGIOS, 1976). Diese beiden Denkrichtungen haben sich bis heute erhalten. OPP & HUMMEL (1973) unterscheiden beispiels­weise innerhalb der Soziologie zwei Strategien zur Beschreibung von sozialen Phänomenen:


  • den holistischen Ansatz, bei dem Soziologie als Ma­kro-Soziologie verstanden und das System als autonome Entität erfaßt wird,
  • sowie den Mikroansatz, bei dem das Individuum Einheit der Analyse ist.


Aber nicht nur innerhalb der Soziologie, sondern auch bei dem Vergleich der beiden Wissenschaftsrichtungen Psychologie und Soziologie wird der Dualismus deutlich. HUMMEL & OPP (1971) haben zur wissenschaftstheoretischen Begründung ihrer verhaltenstheoretisch orientier­ten Soziologie die These gewagt, daß kollektive Phäno­mene grundsätzlich auf individuelle Phänomene reduzier­bar sind. Diese heftig diskutierte Reduktionismusthese' baut auf dem vermeintlichen Gegensatz von Sozio­logie und Psychologie auf: Als psychologisch werden alle Aussagen bezeichnet, deren Subjekte menschliche Organismen (Individuen, Personen) sind. Als soziolo­gisch werden solche Aussagen definiert, deren Subjekte menschliche Kollektive (Gruppen, Aggregate, soziale Systeme) sind.


Die Autoren stellen drei Behauptungen auf, die die Reduktionismusthese kennzeichnen:


a. Begriffe der Soziologie sind durch Begriffe der Psychologie definiert.
b. Singuläre Ereignisse, die durch soziologische Aus­sagen beschrieben werden, können durch psychologische Hypothesen erklärt werden.
c. Soziologische, gesetzesartige Aussagen sind in ihrer ursprünglichen oder in einer modifizierten Form aus psychologischen Aussagen logisch ableitbar (1971, 7).


Nachdem die Autoren einige kollektive, soziologische Begriffe auf psychologische Hypothesen reduzieren konn­ten, kamen sie zu folgendem Ergebnis, das in seiner Tragweite - wenn zutreffend - verheerende Folgen für die Soziologie als Wissenschaftsdisziplin haben müßte: "Das Ergebnis unserer Untersuchung war, daß wir keinen einzigen soziologischen Begriff gefunden haben, der nicht durch einen psychologischen Begriff definierbar ist, und daß wir keine einzige soziologische Hypothese gefunden haben, die nicht aus einer psychologischen ableitbar ist" (1971, 10).

Kollektivphänomene sind demnach anscheinend gänzlich durch Individualphänomene zu erklären. Ist also das Ganze doch nicht mehr als die Summe seiner Teile (vgl. TOPITSCH, 1967)?

Das Vorgehen von OPP & HUMMEL ist ein Spezialfall des methodologischen Individualismus (vgl. LENK, 1977). Diese Denkensart konnte sich trotz aller Bemühungen nicht durchsetzen, wurde sogar als 'soziologisch naiv' bezeichnet (LINDENBERG, 1977). Andererseits aber kann man leicht feststellen, daß Soziologen bei dem Versuch, soziale Mechanismen zu erklären, immer wieder auf indi­vidualistische Positionen zurückgreifen (vgl. LANGEN­HEDER, 1973a, 49ff). Ein Ergebnis der hier nicht näher diskutierten Reduktionismusdebatte ist, daß kollektive Phänomene zwar tatsächlich vorhanden sind, aber nur durch den Bezug zur individuellen Ebene erklärt werden können.

Wenn diese Annahme stimmt, dann fragt man sich, wer oder was eigentlich individuelle und kollektive Tat­bestände verbindet. LINDENBERG (1977) spricht hierbei vom Transformationsproblem. Wie man transformiert, ist ein in erster Linie theoretisches Problem und die Da­tenanalyse zwischen zwei oder mehreren Ebenen eine notwendige Folge davon.

Im weiteren gilt es deshalb, auf dem Hintergrund dieser Problematik das Sozialklima als kollektives Phänomen näher zu beleuchten und das Transformationsproblem für dieses Konstrukt zu lösen.



Das Sozialklima von Schulklassen als kollektives Phänomen

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In der bisherigen Forschung wird das Sozialklima als kollektives Phänomen betrachtet. Auch diese Arbeit steht in dieser Tradition. Offen blieb bisher aller­dings die Frage, warum das Sozialklima z.B. als 'ge­meinsame Erlebensweise' definiert wird. Der dahin­terstehende Mechanismus ist ungeklärt. Man kann aller­dings durch das HEMPEL-OPPENHEIM-Schema (H-O-Schema) - trotz aller Kritik seitens der Sozialwissenschaften am deterministischen Gesetzesbegriff - ein hypothetisch­deduktives Erklärungsmodell skizzieren, welches Auf­schluß über die im vorherigen Abschnitt problemati­sierte Beziehung von individuellen und kollektiven Phänomenen geben kann. Das allgemeine H-O-Schema, über­tragen auf das vorliegende Problem. sieht wie folgt aus (LINDENBERG, 1977):


 
Abbildung 4.1: Die Transformation von individuellen Effekten zu einem kollektiven Effekt.


Die erklärten individuellen Effekte innerhalb eines Kollektivs werden ebenso wie die Randbedingungen und die Transformationsregel zum Explanans des 'Kollektiven Effekts'. Die Transformationsregel definiert die Art der Beziehungen zwischen den Bedingungen. Jeder kollek­tive Effekt ist eine Bedingungskonstellation individu­eller Effekte. Aus diesem Grunde können kollektive Effekte Individuen nicht zugeschrieben werden. So las­sen sich kollektive Phänomene, so z.B. das Sozialklima, nicht an individuelle Effekte knüpfen, wie es etwa OPP & HUMMEL mit Hilfe ihrer 'Koordinationsregeln' wohl versuchen würden, da damit die Bedingungskonstellation noch unaufgeklärt wäre. Für das kollektive Phänomen 'Sozialklima' ist eine Transformationsregel relevant, wie sie LINDENBERG (1977) vorgestellt hat: Wenn die Bedingungen (1,2,...n) zutreffen, dann folgt logisch der kollektive Effekt (s. Abb. 4.2).


 
Abbildung 4.2: Die Implikationsaussage als Transformationsregel (LINDENBERG, 1977).


Nach diesem Muster scheinen die Definitionen zum Sozi­alklima formuliert worden zu sein. Folge dieser theore­tischen Vorgehensweise ist eine bestimmte Form der Aggregierung der Individualdaten in der Datenanalyse. Im folgenden werden Formen von Aggregatbildungen be­schrieben und schließlich die in der Sozialklimaforschung vorherrschende Aggregierungsform kritisiert.



Formen der Aggregierung

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Aggregierung bedeutet das Zusammenfassen von einzelnen Partikeln zu einem Ganzen. Man mag es auch mit Verei­nigung, Versammlung, Zusammenfügung oder linearer Transformation bezeichnen. Desaggregierung ist der entsprechend umgekehrt verlaufende Prozeß (FEIGE & WATTS, 1972). Man kann aus verschiedenen Gründen aggre­gieren: Einmal kann eine Aggregierung schlicht dem Ziel dienen, Komplexität i.S. LUHMANNs zu reduzieren. Zum anderen muß man aggregieren, weil ein evtl. vorhan­denes, theoretisches Konstrukt nur dadurch empirisch sinnvoll erfaßt werden kann.

In der wissenschaftlichen Literatur wird das Aggregie­ren häufig mit qualitativ verschiedenen Ebenen (z.B. Individuum-Gruppe) in Zusammenhang gebracht. Dies ist richtig, aber engsichtig, denn es gibt verschiedene Formen der Aggregierung, die im folgenden kurz dar­gestellt werden sollen:


a) Die wichtigste Form der Aggregierung ist die 'theo­retische' Aggregierung (ROBERTS, HULIN & ROUSSEAU, 1978). Diese liegt immer dann vor, wenn menschliches Verhalten in Organisationen nur durch organisationsspe­zifische Kriterien erklärt werden kann. Dies kann nur über ein hypothetisches Konstrukt geschehen, welches ausschließlich über die Aggregierung von Individualda­ten nachgebildet werden kann. Diese Form der Aggregie­rung liegt in der Sozialklimaforschung vor.
b) Eine weitere Form der Aggregierung besteht darin, Klumpenstichproben (z.B. Klassen oder Schulen) aus einer Population von Organisationseinheiten zu ziehen. Dabei werden - größtenteils unbeabsichtigt - Indi­vidualdaten aggregiert, obwohl diese Aggregierung theo­retisch nicht gerechtfertigt werden kann (s. v. SALDERN, 1982).
c) Die dritte Form der Aggregierung wird meist ebenso unreflektiert vollzogen: das Zusammenfassen von Varia­blen, die zu verschiedenen Zeitpunkten erhoben wurden. Beispielsweise werden bei einer Querschnittuntersu­chung, bei der der erste und letzte Meßzeitpunkt aus praktischen Erwägungen sieben Tage auseinander liegen, die Daten so verrechnet, als seien die Erhebungen alle zum gleichen Zeitpunkt verlaufen. Ein Einfluß der Zeit wird stillschweigend als nicht vorhanden angenommen.
d) Eine letzte, sehr einfache Form der Aggregierung, ist die Bildung von Skalensummenwerten z.B. bei Frage­bogen. Diese Vorgehensweise ist nur dann zulässig, wenn die Ladungen der einzelnen Items auf dem Faktor gleich sind. Dies läßt sich mit Faktorenanalysen überprüfen. Deshalb ist diese Form der Aggregierung weniger proble­matisch.


Aggregierung - so läßt sich zusammenfassen - gehört in vielfältiger Form zum alltäglichen Handwerk des empi­risch orientierten Forschers (s. ergänzend BLALOCK, 1971) und muß als gewichtige Fehlerquelle angesehen werden.


Zu klären ist noch, wann so aggregiert werden darf, wie es in der Sozialklimaforschung bisher geschehen ist. Nach CONRAD & SYDOW (1981, 17) sind folgende Bedingun­gen zu beachten:


  • Die individuellen Werte beschreiben die wahrgenommene Situation,
  • die situativen Bedingungen werden von den Mitgliedern einer Gruppe ähnlich beschrieben,
  • die Aggregierung betont die wahrnehmungsmäßige Ähn­lichkeit der individuellen Wahrnehmungen.


Ob und wie diese Bedingungen in der Sozialklimafor­schung Berücksichtigung fanden wird im nächsten Ab­schnitt diskutiert werden.



Zur Wahl der Analyseebene

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In der Literatur werden immer wieder zwei Begriffe durcheinandergebracht: die Beobachtungsebene und die Analyseebene. Die Beobachtungsebene ist die Ebene, auf der die Daten erhoben werden. Die Analyseebene ist die Ebene, auf der die Daten verarbeitet werden und auf der die Interpretationen beruhen. Wenn man das Sozialklima von Schulklassen erfassen will, so geschieht dies z.B. über die individuelle Befragung des einzelnen Schülers (Beobachtungsebene). Nach Aggregierung auf Klassenebene folgen weitere Analysen und schließlich die Interpre­tation der Daten (Analyseebene).

Die begründete Wahl der theoretisch angemessenen Ana­lyseebene scheint immer noch Stiefkind der empirischen Forschung zu sein (vgl. POYNOR, 1974). BRIDGE, JUDD & MOOCK kommen nach Durchsicht der Literatur zu der er­nüchternden Feststellung, daß allzu viele Forscher die Wahl der Analyseebene nicht ihrer Fragestellung anpas­sen (1979, 286). Es gibt prinzipiell nur eine Entschei­dung, die richtige Analyseebene zu wählen: die logisch­inhaltliche Begründung (s. BARCIKOWSKI, 1981, 269; WAKENHUT, 1978, 72). Man vergleiche dazu die Diskussion in dem Artikel von BIDWELL & KASARDA (1975; ALEXANDER & GRIFFIN, 1976; HANNAN. FREEMAN & MEYER, 1976)


Es gibt aber auch andere Arten der Begründung:

Wenig überzeugend wirkt die Rechtfertigung, die RENTOUL & FRASER (beide Protagonisten einer Veröffentlichungsin­flation) geben: "Wegen der kleinen Stichprobe wurde die individuelle Ebene statt des Mittelwerts als Analyse­wert für die statistische Analyse herangezogen" (1979a). Die Wahl zwischen Individualwert und Mittel­wert darf immer nur theoretisch abgeleitet sein und nicht Resultat rein forschungsökonomischer Überlegun­gen. Hier zeigt sich sehr deutlich, wie wenig sensibel die Untersuchungsansätze zum Sozialklima sind. Bei MOOS bleibt gar die Analyseebene unklar (MOOS, 1974a, 144; 1979b, 24), was aber schon gar nicht mehr verwundert, weil oft auch andere für einen empirischen Bericht wesentliche Angaben weggelassen werden, z.8. die Pro­blematik um die Stichprobenziehung: Bei der Analyse­ebene Klasse zieht man Klumpenstichproben und keine re­präsentativen Stichproben von Schülern (vgl. WOTTAWA, 1981; v. SALDERN, 1982), wie oft angenommen wird. Diese Tatsache müßte sich auf die Auswertung nieder­schlagen.

Bei aller Kritik soll jedoch nicht verschwiegen werden, daß das Problem um die Wahl der Analyseebene z.T. er­kannt wurde, ohne allerdings befriedigende Lösungen anzubieten (TRICKETT & HILKINSON, 1979; WALBERG, 1972; WALBERG & HAERTEL, 1980).

Anzustreben ist eine adäquate Theorie-Praxis-Passung. In unserem Falle ließen sich z.B. folgende Begründungen für die Wahl der Analyseebene 'Klasse' geben: Man kann erstens davon ausgehen, daß Schüler in Klassen nicht nur Individuen sind, da die ablaufenden sozialpsy­chologischen Prozesse in der Gruppe eine eigene Quali­tät haben, die mehr darstellt als die Summe der Indivi­duen in dieser Gruppe. Dementsprechend ist das Schüler­verhalten auch immer durch das soziale Umfeld 'Schulklasse' determiniert. Eine zweite mögliche Be­gründung für die Analyseebene 'Klasse' kann in einem Design liegen, in dem bestimmte Lehrer bestimmten Treatments zugewiesen werden. Die individuelle Ana­lyseebene muß dann gewählt werden, wenn nicht-kontext-bezogene Variablen bei Individuen erhoben werden sol­len.

Diese werden aber in der Praxis kaum anzutreffen sein. GEBERT & v.ROSENSTIEL (1981) weisen mit allem Nachdruck darauf hin, daß die sozialen Bedingungen maßgebliche Einflußfaktoren auf das Individualverhalten sind (siehe dazu Abb. 4.3).

Offen bleibt dabei, wie man Individualverhalten erklä­ren kann, denn die entscheidende Frage ist nicht, wel­che Analyseebene grundsätzlich gewählt werden sollte, sondern welche Analyseebene für welche Variable gewählt wird.


 
Abbildung 4.3: Die Verknüpfung von Kontext- und Individualebene.


B. D. ANDERSON (1972) stellt für die Sozialklimaforschung vier mögliche Gleichungen auf:


1. Individualverhalten = f (individuelle Umweltwahr­nehmung + individuelle Hintergrundvariable)
2. Individualverhalten = f (durchschnittliche Umweltwahrnehmung + individuelle Hintergrundvariable)
3. Individualverhalten = f (durchschnittliche Umwelt­wahrnehmung + aggregierte Hintergrundvariable)
4. Gruppenverhalten = f (durchschnittliche Umwelt­wahrnehmung + aggregierte Hintergrundvariable)


Diese Gleichungen lassen sich beliebig erweitern. Deut­lich wird an ihnen, daß rechts des Gleichheitszeichens Effekte verschiedener Ebenen miteinander verknüpft werden können. Es geht also im folgenden nicht mehr um die Auswahl einer Analyseebene, sondern um den simulta­nen Einbezug mehrerer Ebenen.


Welche Ebenen gibt es? HUMMEL (1972) unterscheidet die Analyseebenen in 'Gegenstände' n-ter Ordnung: Gegen­stand erster Ordnung ist die Person, zweiter Ordnung, z.B. die Clique, dritter Ordnung die Klasse, vierter Ordnung die Schule etc..


Dieser Ansatz ist damit offen für eine differenziertere Sichtweise, wie z.B. bei WELZ (1974), der folgende 'so­ziologische Objektbereiche' unterscheidet:


   Individuen
    Cliquen
   Gruppen
Organisationen
Lokale Gemeinschaften
 Gesamtgesellschaften


Diese hierarchische Gliederung sozialer Realität sollte nach DIEDERICH (1975) schon längst in die Methodologie der Unterrichtsforschung eingegangen sein, was aus Mangel an Theorie und Forschung bisher nur sporadisch geschah.

Wenn man sich für eine bestimmte Ebene entscheidet, so sollte man sich darüber im klaren sein, daß der Einfluß der Variablen mit der Entfernung der Untersuchungsein­heit, der sie entstammen, zur individuellen Ebene hin abnimmt. Sehr anschaulich ist dies bei den Schulver­gleichsuntersuchungen geworden: Die Variable 'Schulsy­stem' konnte nur bedingt Schülerverhalten erklären, im Gegensatz zu hierarchisch tiefer liegenden Variablen.

Offen bleibt das Problem, wie das Sozialklima stati­stisch abgebildet werden kann.



Das Problem der Indexbildung

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Allen genannten Definitionsansätzen zum Sozialklima (s. Kap. 2. 1. 3) ist ein Merkmal gemeinsam: Sozialklima ist ein Gruppenphänomen, das etwas über den Konsens der Wahrnehmung aussagt (SINCLAIR, 1977). Nun ist für die empirische Forschung eine Frage von zentraler Bedeu­tung: Wie kommt man zu einem Gruppenwert, der das Sozialklima adäquat wiedergibt? Sozialklima wird über­wiegend durch die gesammelten Urteile der Mitglieder einer Gruppe (z.B. Schüler einer Klasse) erfaßt. Welche Möglichkeiten gibt es nun, von den Individualwerten zu einem Gruppenwert zu gelangen? Folgende Wege bieten sich an (vgl. BLAU, 1979; LOHNES, 1972):


a) der Gruppenwert als kleinster gemeinsamer Nenner der Individualwerte,
b) der prozentuale Anteil von Zustimmung/Ablehnung als Index,
c) der Gruppenwert als Summe oder Mittelwert der Indi­vidualwerte.


Im folgenden werden diese Möglichkeiten diskutiert:


Zu a) Sozialklima als kleinster gemeinsamer Nenner

Wenn man davon ausgeht, daß jedes Mitglied einer Gruppe zu einem Aspekt des Sozialklimas ein Urteil abgibt, so wird man mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verschieden hohen Ausprägungen kommen. Manche Gruppenmitglieder werden positivere, manche negativere Stellungnahmen abgeben: So wird z. B. 'Kohäsion' als weniger stark ausgeprägt oder als stark ausgeprägt wahrgenommen wer­den. Nun werden alle Mitglieder einer Gruppe die Kohä­sion mindestens so stark empfinden wie das Mitglied der Gruppe, welches die Kohäsion am schwächsten wahrnimmt. Der schwächste Individualwert wird bei dieser Art der Indexbildung als Gruppenwert herangezogen. Man mißt damit die Kohäsion einer Klasse an ihrem schwächsten Punkt wie eine Kette, die so stark ist wie ihr schwäch­stes Glied. Unter diesem Aspekt ist diese Vorgehens­weise sicherlich vertretbar.


 
Abb. 4.4: Der kleinste gemeinsame Nenner als Sozialkli­maindex.


In Abb. 4.4 wird deutlich, daß der niedrige Wert des Schülers mit der Nummer 4 bei diesem Konzept der Index­wert ist. Dabei gingen die hohen Werte der Schüler 1-3 verloren. Im Extremfall würden also Außenseiterwerte Beschreibungsmerkmale der Gruppe werden. Aus diesem Grunde konnte sich dieser Index nicht durchsetzen.



Zu b) Prozentualer Anteil

FEND (1977) diskutiert eine Art der Indexbildung, die bisher sehr selten herangezogen wurde: Ein vom Forscher festgesetzter prozentualer Anteil von Schülern in einer Klasse, die einer Klimadimension zustimmen, wird als 'Konsens' und damit als Klimaindex angesehen.


In unserem kleinen Beispiel in Abb. 4.5 haben sich zwölf von 18 Schülern(= 66,6%) positiv zur Kohäsion in ihrer Klasse geäußert. Damit wird eine z.B. auf 60% festgelegte Grenze für das Eintreten eines Konsens weit überschritten und gefolgert, daß in dieser Klasse Kohä­sion positiv wahrgenommen wird­


 
Abb. 4.5: Der prozentuale Anteil der Zustimmung/Ab­lehnung einer Dimension als 'Konsens'.


Der Nachteil dieses Vorgehens besteht darin, daß die nicht unter den Konsens fallenden Restschüler unberücksichtigt bleiben.



Zu c) Sozialklima als Summe oder Mittelwert der Individualwerte

Eine andere Möglichkeit, der Summenwert, ist allerdings unbefriedigend, da die Anzahl der Mitglieder einer Gruppe den Wert entscheidend bestimmt. Dieser Nachteil kann vermieden werden, wenn die Summe an der Anzahl der Gruppenmitglieder relativiert wird, woraus bekannter­maßen der Mittelwert resultiert. In diesen Index werden im Gegensatz zu a) alle Individualwerte einer Gruppe einbezogen. Allerdings verschwinden durch die Mittel­wertbildung die Varianzen der Klasse, wie Abb. 4.6 verdeutlicht.


 
Abb. 4.6: Der Mittelwert als Sozialklimaindex.


Die Diskussion um Summe und Mittelwert ist - unabhängig von der Problemstellung in der Sozialklimaforschung - eine alte Frage im Rahmen des Emergenzproblems, was im folgenden kurz umrissen wird.

NAGEL (1967) machte sich Gedanken über die Aussage 'Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile'. Die Viel­falt seiner Überlegungen läßt sich hier kaum wiederge­ben, aber ein wesentlicher Punkt sei herausgegriffen.

Die Aussage 'Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile' ist teils richtig, teils falsch. NAGEL gibt dazu ein Beispiel: Setzt man vier gleiche Quadrate zu einem großen Quadrat zusammen, so stimmt die Aussage nicht, denn in diesem Falle ist das Ganze notwendig die Summe seiner Teile. Betrachtet man nun die musikalische Note als Teil einer Melodie, so wird niemand auf den Gedan­ken kommen, eine Melodie nur als Summe von Noten zu betrachten. Auch in der Gestaltpsychologie ist dieser Gedankengang zentral. Damit ist das Emergenzproblem umrissen. Unter diesem Aspekt ist die alleinige Verar­beitung des Mittelwertes in der Erforschung des Sozial­klimas ungeeignet.

DREESMANN (1980a) zieht zu der Indexbildung durch den Mittelwert noch ein weiteres Kriterium hinzu: Der Mit­telwert wird durch solche Items gebildet, die eine geringe Streuung haben. Dies ist wie folgt begründet: Wenn man den - so DREESMANNs Definition - 'gemeinsamen Erlebensanteil' der Schüler einer Klasse ermitteln will, so darf man bei der Fragebogenkonstruktion nur solche Items verwenden, die von den Schülern relativ gleichartig beantwortet wurden.

Diese Argumentation scheint einzuleuchten, hat aber erhebliche Nachteile. Wenn man sich nämlich fragt, ob das Sozialklima überhaupt ein gerechtfertigtes Konzept gegenüber der individuell wahrgenommenen Umwelt ist, so kann man diese Frage mit DREESMANNs Vorgehen nicht beantworten: Das Ergebnis wird immer den Sozialklimaan­satz bestätigen. Ein weiterer Nachteil liegt darin, daß man evtl. sehr reliable Skalen oder sehr trennscharfe Items aufgibt, weil sie eine zu große Streuung haben. Wenn der Sozialklimaansatz theoretisch gerechtfertigt ist, muß er sich in den Ergebnissen auch dann nieder­schlagen, wenn die Methode offener - und damit konser­vativer - ist als die DREESMANNs.

Unter Vernachlässigung von Gegenargumenten (NISCHEL, 1979; THELEN & WITHALL, 1949) hat sich die Mittel­wertbildung in der Forschung zum Sozialklima eindeutig durchgesetzt. Mit dieser wohl rein statistisch begrün­deten Indexbildung wurde aber auch eine Entscheidung über die Qualität des Konstruktes Sozialklima getrof­fen: Durch diese Indexbildung wird das Sozialklima zu einem sog. 'analytischen Merkmal' (vgl. für die Sozio­logie: BLALOCK & WILKEN, 1979).

Was ist ein analytisches Merkmal? Wir schließen uns der Definition von LAZARSFELD & MENZEL (1961) an. Sie un­terscheiden drei Arten von Variablen, die für Mengen und Individuen definiert sind (vgl. TREIBER, 1980b, 167):


- die 'analytischen Variablen' , die man durch "An­wendung einer mathematischen Operation auf Variablen, welche für Individuen definiert sind", erhält,
- die 'strukturellen Variablen' , die man durch "Anwendung einer mathematischen Operation auf elementare Informationen erhält, die die Beziehungen jedes Indi­viduums mit bestimmten anderen oder allen anderen Individuen betreffen" (z.B. Klassifikation von Klas­sen aufgrund des Anteils von 'Isolierten' im soziome­trischen Sinne),
- die 'globalen Variablen' , die aus Informationen kon­struiert werden, die sich nicht auf Individuen bezie­hen (z.B. wenn die Bequemlichkeit von Stühlen für Schüler an der Stuhlhöhe gemessen wird; zit. nach BOUDON, 1976, 466).


Für die Forschung läßt sich zusammenfassend festhalten: Die definitorischen Ansätze verlangen eine Bildung eines Sozialklimaindex aus den individuellen Wahr­nehmungen der einzelnen Schüler einer Klasse. Als Ana­lyseebene wird die Klasse bevorzugt. Der Mittelwert wird als Index gewählt. Nach Erhebung der Daten stellt sich nun die Frage, wie sie weiter verarbeitet werden. Da in der Sozialklimaforschung vorwiegend korrelations­statistische Verfahren verwendet wurden, wird im näch­sten Abschnitt die Frage nach der Schätzung des Popula­tionskorrelationskoeffizienten gestellt werden. Vor allem mit der Indexwahl wird eine Reihe problematischer Sachverhalte übersehen oder in Kauf genommen, die Ge­genstand der weiteren Darstellung sein werden.



Zusammenfassung

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Nachdem sich sowohl in der theoretisch orientierten als auch in der empirischen Literatur gezeigt hat, dass die Sozialklimaforschung ihre Berechtigung hat, muß eine Analyse der bisherigen Forschungsmethoden erfolgen. Ein Problem ist die Bildung einer Kollektivaussage aus Individualaussagen (Transformationsproblem).

Praktisch wurde die Transformation durch Aggregierung von Individualwerten durchgeführt. Es gibt verschiedene Formen der Aggregierung, weshalb die Auswahl einer bestimmten Prozedur klar begründet werden muß.

Mit der Aggregierung ergibt sich die Frage, zu welcher Ebene aggregiert werden soll. Diese Wahl der Analyse­ebene muß theoretisch hergeleitet werden und darf nicht undiskutiert bleiben.

Aggregierung bedeutet immer, daß ein Aggregierungsindex gefunden und begründet werden muß. Es bieten sich eini­ge Alternativen an, von denen sich der Mittelwert als sinnvolle Größe eindeutig durchgesetzt hat. Die derzeit vorliegenden Begründungen dafür bleiben allerdings unbefriedigend.


Zusammenfassend kann man festhalten, dass Aspekte der spezifischen Methodik der Sozialklimaforschung unge­prüft übernommen wurden oder mit z.T. naiven Begründun­gen unterlegt worden sind. Dies kann schwerwiegende Folgen haben, wie z.B. die Fehlinterpretation von For­schungsergebnissen. Mit diesem Problem beschäftigt sich der nächste Abschnitt.




Probleme bei der Verwendung des Mittelwertes

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Die Schätzung des Populationskorrelationskoeffizienten

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Dieses Kapitel ist den Problemen gewidmet, die dann auftauchen, wenn man den Mittelwert als Index für eine analytische Variable, wie sie das Sozialklima ist, her­anzieht. Keine Probleme treten auf, wenn der Mittelwert nur deskriptiv bei der Darstellung von Ergebnissen verwendet wird (z.B. bei deCHARMS, 1973). Dabei bleibt es aber meistens nicht, denn gerade in der Sozial­klimaforschung wurde der Mittelwert als Basis von kor­relationsstatistischen Analysen häufig herangezogen. Man kann die Strategien der Ermittlung von Korrelatio­nen aber nicht einfach der Dichotomie Individualwertekorrelation - Mittelwertekorrelation zuordnen. Im fol­genden werden deshalb alternative Möglichkeiten zur Schätzung des Populationskorrelationskoeffizienten ge­zeigt und geprüft.


SIROTNIK, 1980 (GUILFORD, 1965; DREESMANN, 1981b; RO­BINSON, 1950; SLATIN, 1969) unterscheiden allgemein drei Verfahrensweisen, wie man Individualwerte ver­rechnen kann:

  • die   Alle Schüler der Untersuchung sind Basis der Auswertung  ,
  • die   Innerhalb jeder Klasse werden die Individualwerte korreliert,
    anschließend werden diese Korrelationskoeffizienten über alle Klassen gemittelt
     ,
  • die   Die Mittelwerte der Klassen werden korreliert  .


Auch wenn die Begriffe, die SIROTNIK verwendeten, an die Varianzanalyse erinnern und mißverständlich sein können, wollen wir diese doch weiter benutzen, da sie sich in diesem Zusammenhang durchgesetzt haben (s. KNAPP, 1977).

WALBERG & WELCH (1967; s.a. KLAUER, 1974, 100) haben eine vierte Möglichkeit vorgestellt, die Korrelation zwischen Variablen in der Population zu schätzen: die 'randomized data collection' . Dabei werden aus einer Klasse mehrere Schüler zufällig ausgewählt. Aus den Individualwerten dieser Schüler werden Mittelwerte berechnet. Diese sind - wie bei der 'Mittelung zwi­schen' - Basis der weiteren Korrelationsberechnungen (Ergebnis: r(ran)). WALBERG et al. (1967) gehen bei diesem Vorgehen davon aus, dass jede beliebige Stichpro­be von Schülern einer Klasse ein gültiges Bild des Klimas dieser Klasse geben kann. Der durch die rando­mized data collection ermittelte Korrelationskoeffizient stellt somit eine gute Schätzung der‚ 'Mittelung zwischen' dar  .


Forderungen, die dargestellten Verfahren synchron an einem Datensatz zu rechnen, gibt es genug, an entspre­chenden Durchführungen mangelt es noch (z.B. CRONBACH & WEBB, 1975; v. SALDERN & LITTIG, 1985)

Im folgenden werden die vier Möglichkeiten der Schätzung des 'wahren' Korrelationskoeffizienten zusam­menfassend dargestellt. In Abb. 4.7 sind die vier Vor­gehensweisen grafisch anhand von zwei Klassen mit je sieben Schülern und den beiden Merkmalen X und Y zusam­mengefaßt

Nun muß noch geklärt werden, was die einzelnen Koeffi­zienten eigentlich aussagen. Der Klärung dieser Frage ist das nächste Kapitel gewidmet.



Zur Gültigkeit von Aussagen auf höherer Ana­lyseebene

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Der Sozialklimaindex kann nur durch Verrechnung von Individualwerten gewonnen werden. Wenn man die Klasse als ein durch Individuen gebildetes Kollektiv betrach­tet, kann man z.B. drei mögliche Effekte zwischen zwei Variablen feststellen. Diese sollen an einem Beispiel verdeutlicht werden, wobei die Kohäsion die unabhängige Variable und die Lernleistung eines Schülers die ab­hängige Variable ist.

(1) Individueller Effekt: Die Tatsache, daß ein Schüler die Kohäsion positiv wahrnimmt, kann die Wahr­scheinlichkeit, daß dieser Schüler auch gute Lern­leistungen bringt, steigen oder sinken lassen, unabhängig davon, wieviele Schüler mit positiver Kohäsionswahrnehmung in der Klasse vorhanden sind.
(2) Kontexteffekt: Der Anteil der Schüler mit positiver Kohäsionswahrnehmung in der Klasse kann die Wahr­scheinlichkeit, daß ein Schüler eine gute oder schlechte Lernleistung zeigt, beeinflussen.
(3) Wechselwirkungen zwischen individuellem Effekt und Kontexteffekt: Es bestehen zwei mögliche Wechsel­wirkungen. Einmal kann die Tatsache, daß ein Schü­ler die Kohäsion positiv wahrnimmt, die Wahrschein­lichkeit, daß dieser Schüler gute Lernleistungen bringt, steigen oder sinken lassen, aber abhängig von der Zahl der Schüler mit positiver Kohäsions­wahrnehmung in dieser Klasse (vgl.(1)). Zum ande­ren kann der Anteil der Schüler mit positiver Kohä­sionswahrnehmung die Wahrscheinlichkeit, ob dieser Schüler gute oder schlechte Lernleistungen zeigt, verschieden stark beeinflussen (vgl.(2)). Beide Wechselwirkungen sind logisch äquivalent.


 
Abb. 4.7 Übersicht über vier Möglichkeiten, den Populationskorrelatonskoeffizienten zu schätzen.


Welche Wirkung diese Effekte auf die Gültigkeit einer Aussage auf höherer Analyseebene haben, wird im folgen-den Beispiel deutlich: Angenommen, bei einer Unter­suchung wurden ausschließlich die Mittelwerte der Klas­sen ('Mittelung zwischen' oder randomized data collec­tion) als weitere Berechnungsgrundlage herangezogen und angenommen, es wird folgendes (fingiertes) Forschungs­ergebnis veröffentlicht:

Klassen mit hoher Kohäsion haben eine bessere Lern­leistung leistung als Klassen mit niederer Kohäsion.


Man kann im folgenden sehen, daß dieses Ergebnis kei­neswegs eindeutig ist, da es zumindest zwei Fragen offen läßt:

  • Was leisten die Schüler mit niedriger Kohäsions­wahrnehmung in Klassen mit durchschnittlich hoher Kohäsion?
  • Was leisten die Schüler mit hoher Kohäsionswahr­nehmung in Klassen mit durchschnittlich niedriger Kohäsion?


In ähnlicher Weise wird die Ableitung einer Kollektiv­aussage aus einer Menge von Individualaussagen von HUMMEL (1972) problematisiert: "Wenn auf der Ebene von Individuen bzw. Paaren qualitative Je-desto-Aussagen gültig sind und ... wenn die Gruppeneigenschaften als verallgemeinerte Mittelwerte aus den individuellen Eigenschaften konstruiert sind, dann ist für die Ebene der Gruppe keine Aussage deduzierbar!" (1972, 44). Die Ableitung von einer Ebene auf eine andere ist in sozi­alwissenschaftlichen Aussagesystemen unzulässig.

Es läßt sich folgern, daß ein empirisches Forschungser­gebnis, welches sich nur auf Mittelwerte der Klassen­ebene als höhere Analyseebene stützt, verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zuläßt. Korrelationstabel­len, die auf der 'Mittelung zwischen' basieren, sind daher schwer zu interpretieren, da Individualeffekte, Kontexteffekte und Wechselwirkungen zwischen beiden in einer Mittelwertkorrelation nicht auseinanderzuhalten sind (Beispiel: HALADYNA, OLSON & SHAUGHNESSY, 1983). Genauer wäre es, das o.g. fingierte Forschungsergebnis als Folge eines falschen methodischen Vorgehens anzuse­hen. Die vier oben genannten Interpretationen kommen zustande, weil man sich methodisch ausschließlich auf Mittelwerte bezogen hat (vgl. WELZ, 1974). Wie soll man aber nun die erhobenen Individualdaten statistisch weiter verarbeiten und dabei dem Klimakonzept trotzdem gerecht werden?

Diese Frage lässt sich eigentlich nur dann befriedigend beantworten, wenn die Beziehungen zwischen den beiden angesprochenen Analyseebenen deutlicher sind. Im fol­genden Abschnitt wird deshalb das Verhältnis zwischen Individual- und Aggregatebene näher beleuchtet.



Die Beziehungen zwischen der Individual- und höheren Analyseebenen

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Die im vorigen Abschnitt problematisierten Aussagen auf höherer Analyseebene lassen sich leicht begründen. Der Einfachheit halber beziehen sich folgende Ausführungen dabei auf den linearen Fall ohne Wechselwirkungen. Bei einer Regression von der Variablen Y auf die Variable X auf Mittelwertebasis kommt man zu folgender Formel:


(4.1)           

Bei der Regression auf Individualebene geht man analog von folgender Formel aus:

(4.2)           

Bei einer Analyse auf Mittelwertebasis und Interpretation auf Individualebene setzt man voraus, dass

(4.3)           

wobei A...N = Gruppenindex.


D.h., daß die Steigungen der Regressionsgerade in den Gruppen identisch sind mit der der Mittelwerte. Dies kommt aber in den seltensten Fällen vor. Ein kleines Beispiel soll dies verdeutlichen: Angenommen es lägen von vier Klassen die Individual- und Mittelwerte der oben schon im Beispiel verwendeten Variablen Kohäsion und Lernleistung vor.

In Abb. 4.8 sind zwei mögliche Verteilungen der Mittel­werte (Punkte), der Individualwerte auf Klassenebene (kleine Ellipsen) und für die Gesamtstichprobe zwischen zwei Variablen wiedergegeben.

Es wird anhand dieser einfachen Abbildung (n. WALBERG, 1976) deutlich, dass man bei der Gesamtanalyse (also über alle Klassen hinweg) die Beziehungen innerhalb der Klassen nicht berücksichtigt. Ein Fehlschluss würde bei Stichprobe 1 nicht auftreten, da die Regressionslinie der Gesamtanalyse der innerhalb der einzelnen Klassen entspricht. Bei Stichprobe 2 dagegen stehen die Regressionslinien sogar senkrecht auf der der Gesamtanalyse (s.a. ECKEL, 1970; CONKLIN & BURSTEIN, 1980; v. SAL­DERN, 1982).

Zu solchen Ergebnissen kann man kommen, wenn man die Mittelwerte der Klassen korreliert ( 'Mittelung zwi­schen' ), die Korrelationen auf Klassenebene über die Gesamtstichprobe mittelt ( 'Mittelung innerhalb' ) oder die 'randomized data collection' durchführt. Letzteres geht aber nur, wenn die Annahme von WALBERG & WELCH (1967) zutrifft, dass eine Stichprobe von Schülern einer Klasse das Klima adäquat abbilden kann.


 
Abb. 4.8 Mögliche Zusammenhänge zwischen Lernleistung und Kohäsion in vier Klassen (nach GUILFORD, 1965, 341; WALBERG, 1976).


Einige der möglichen Beziehungen zwischen der Indivi­dual- und Aggregatebene sind in Abb. 4.9 zusammenge­faßt. Ebenso sind dort die daraus resultierenden Inter­pretationsfehler vermerkt. Es wird deutlich, wie gra­vierend die Unterschiede der Zusammenhänge zweier Va­riablen auf beiden Ebenen sein können (s.a. ALWIN & OTTO, 1977; LINCOLN & ZEITZ, 1980). Dabei sind nur lineare Zusammenhänge ohne Wechselwirkungen berück­sichtigt. Auch wurden die Fälle ausgeschlossen, in denen sich die Steigungen der Regressionsgeraden inner­halb der Klassen auch noch unterscheiden (b( A) <> b(B) <> b(C)). Im letzteren Falle nämlich wäre die Lage noch prekärer, da die Beziehungen zwischen beiden Ebenen mehrdeutig wären.

Die Gesamtanalyse unterschlägt die Gruppeneffekte, während die 'Mittelung zwischen' (ebenso wie die 'ran­domized data collection') das Verhältnis von Indivi­dual- und Gruppeneffekten offen läßt: "Die Individual­beziehung kann Null sein oder sogar entgegengesetztes Vorzeichen haben. Umgekehrt impliziert die Nicht-Exi­stenz einer Kollektivbeziehung nicht die Abwesenheit einer Individualbeziehung" (BOUDON, 1976, 469 ff.). Eine naheliegende, allerdings falsche - wie noch später begründet werden wird - Lösung wäre, wenn man für jeden Datensatz sowohl die Gesamtanalyse wie auch die 'Mit­telung zwischen' durchführte, was verschiedentlich in der Sozialklimaforschung bereits geschehen ist.


 
Abb. 4.9 Mögliche Beziehungen zwischen den Individualwerten in Gruppen und den Mittelwerten dieser Gruppen.


Problematisch ist dabei z. T. die Begründung für das Heranziehen beider Analyseebenen: Der Gruppenmittelwert wurde zur Erfassung der Variable 'objektive Umwelt' herangezogen, der Individualwert sollte dann die indi­viduelle 'subjektive Ausprägung' auf dieser Variablen darstellen (Beispiel: EIRMBTER, 1979, 717; vgl. PERVIN, 1975, 38). Wie schon BARKER (1968, 78) richtig bemerkt, würde man sich dann aber in einem tautologischen Zirkel befinden, aus dem es kein Entrinnen gäbe, da der Mit­telwert aus den Individualwerten gebildet wird. JAMES & JONES (1974) weisen zwar auf die Notwendigkeit der Entscheidung zwischen Individual- und Mittelwert hin, geben selbst aber keine Ratschläge.


Dies ist bedauerlich, wenn man bedenkt, welche Auswir­kungen die Aggregierung von Individualdaten auf die Verteilungsparameter hat. In Abb. 4.10 wird deutlich, daß die Aggregierung keinen beachtenswerten Einfluß auf den Mittelwert hat, sich aber stark auf die Streuung auswirkt. Diese wird mit steigender Aggregatebene klei­ner (vgl. KLITGAARD, 1975; TREIBER, 1981).

Um zu zeigen, wie sich die Beziehungen zwischen den beiden Analyseebenen praktisch auswirken, werden im folgenden Abschnitt Vergleiche von empirisch gewonnenen Ergebnissen durchgeführt.



Vergleich von Korrelationsanalysen auf Individual- und Aggregatebene

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In den meisten empirischen Arbeiten im Rahmen der So­zialklimaforschung wurden korrelationsstatistische Ver­fahren angewendet, um Zusammenhänge zwischen Klimawer­ten und z. B. Leistungsvariablen zu ermitteln. Im vor­herigen Abschnitt wurde deutlich, wie verzerrend eine Korrelationsanalyse auf Aggregatebene wirkt. Es liegen einige wenige Datensätze vor, die das bereits Gesagte untermauern.


 
Abb. 4.10: Verteilung von Individualwerten (B) und den dazugehörigen Aggregaten (A), wobei p(A) = p( B) und a( A) = a( B) .


So hat DREESMANN die Daten einer Untersuchung zum Un­terrichtsklima zweimal analysiert: 1979 stellt er die Korrelationen zwischen kognitiven Variablen der Schüler und ihren Wahrnehmungen der einzelnen Umweltdimensionen dar. Dabei hat er die Mittelung zwischen' durchgeführt, also die Klassenmittelwerte korreliert. Diese Vorgehensweise wurde bereits abgelehnt, da die Korrela­tionskoeffizienten zu viele Interpretationsmöglichkeiten zulassen. In einer späteren Veröffentlichung (DREESMANN, 1981b, im Original Tab. 1) stellt DREESMANN eine nahezu identische Tabelle vor, welche nun aber die Korrelationskoeffizienten der Gesamtanalyse über alle Klassen wiedergibt (Ausschnitte beider Tabellen sind in Tab. 4.1 zusammengefaßt). Diese Werte sagen aber wie­derum nichts über die Gruppeneffekte aus (s.o.). DREES­MANN bezieht sich bei der Interpretation seiner beiden Tabellen vorwiegend auf die multiplen Korrelationen zwischen beiden Variablensätzen. Die multiplen Kollek­tivkorrelationen (in Tab. 4.1, letzte Spalte in Klam­mern) liegen allesamt über den multiplen Individualkorrelationen (s. dazu JONES & JAMES, 1979). Auch die Rangfolge der Werte beider Analysen liegt in etwa gleich. Bei einem inhaltlichen Vergleich der multiplen Korrelationen beider Analyseebenen wird man also zu gleichen Ergebnissen kommen. Anders gestaltet sich die Lage bei dem Vergleich der einfachen Korrelationen: Wenn auch in den meisten Fällen das Vorzeichen der Individualkorrelation mit dem der Kollektivkorrelation übereinstimmt, zeigen sich z.T. beträchtliche Schwankungen.


 
Tab. 4.1: Einfache und multiple Korrelationen auf Klas­senebene zwischen Klimadimensionen Ausprägun­gen auf kognitiven Variablen ('Mittelung zwischen', N=34). In Klammern die Korrelatio­nen zwischen den Individualwerten ('Gesamt­analyse', N=600). Angaben nach DREESMANN, 1979, 1981 b)


Beispiel: 'Förderung des Selbstvertrauens im Unterricht' korreliert bei der Gesamtanalyse mit 'Er­klärung vorgestellter positiver Resultate durch den Lehrer' mit r(XY) = - .l9, bei der 'Mittelung zwischen' aber mit r(XY) = .54. An diesem Beispiel wird deutlich, wie gravierend die Interpretationsunterschiede beider Tabellen DREESMANNs gewesen wären, hätte er die einzel­nen Korrelationskoeffizienten verbalisiert
(s.a. BUR­STEIN, LINN & CAPELL, 1978; TREIBER, 1980b, 242; MAD­DALA, 1977).

ANDERSON & WALBERG (1974a; WALBERG & HAERTEL, 1980) konnten zeigen, daß die Retest-Reliabilitäten des 'Learning Environment Inventory' auf Klassenebene höher sind als auf Individualebene. Dies bestätigte auch WALBERG (1972) für Korrelationen zwischen den Klima­skalen des LEI, bzw. Leistungs- und Interessentests. GRUNFELD & GRILICHES (1960) bezeichnen dieses Phänomen als 'grouping-effect' (COHEN & NAGEL, 1934; HALADYNA, 1982; FRASER, 1981). SAHNER (1970) konnte zeigen, daß die allgemein geäußerte Vermutung, die Korrelation zwischen zwei Variablen steige mit der Höhe der Analy­seebene, stimmen kann, dies aber nicht in allen Fällen so sein muß, wie sich ja auch an dem DREESMANN-Beispiel gezeigt hat. TRICKETT & WILKINSON (1979) haben die Skaleninterkorrelationen der 'Classroom Environment Scale' (aus der Studie von TRICKETT & MOOS, 1973) erneut berechnet. Dabei wurden die Mittelwerte der Klassen untereinander und der Schüler untereinander korreliert, unabhängig, zu welchen Klassen sie gehör­ten. Es stellte sich heraus, daß die Struktur der Korrelationsmatrizen fast identisch war, wobei die Werte der Gesamtanalyse etwas niedriger lagen.

Im Grunde ist das bisher Gesagte keineswegs so neu. Schon ROBINSON (1950) hat das Problem um die individu­elle und ökologische Korrelation schon längst erkannt. Er stellte fest, daß Forscher die ökologische Korrela­tion immer dann verwendeten, wenn sie keine Individual­daten zur Verfügung hatten. Dies ist aber - wie am Beispiel der KlimaCorschung gezeigt - keineswegs immer so. Dort liegen Individualdaten vor, und man verwendet trotzdem die ökologische Korrelation. Die Schlußfolge­rung ROBINSONs lautet für diesen Fall: "It throws ser­ious doubt upor, the validity of a number of important studies made in recent years" (1950, 357). Auch wenn bei ROBINSON (1950) Fehler in der mathematischen Argu­mentation nachgewiesen werden konnten (vgl. HANUSHEK, JACKSON & KAIN, 1974), bleibt seine Aussage von höch­ster Aktualität.

Die größte Leistung ROBINSONs bestand darin, die Be­ziehungen zwischen folgenden Korrelationen ermittelt zu haben ( MOORMAN, 1979):


- Korrelation 'Gesamtanalyse'       r(t) (t = total)
- Korrelation 'Analyse zwischen'    r(b) (b = between)
- Korrelation 'Analyse innerhalb'    r(w) (w = within)


ROBINSON kommt zu folgender Beziehung:

(4.4)          


N(X) und N(Y) stehen für den Anteil der Summe der Abweichungsquadrate (zwischen den Gruppen) an der Summe der Abweichungsquadrate (Gesamtanalyse):

(4.5)           


ROBINSON fand zusätzlich heraus, daß die ökologische Korrelation (between) der Totalkorrelation entspricht, wenn der Durchschnitt der Innerhalb-Korrelationen nicht geringer als die Totalkorrelation ist, also

(4.6)           



Ebenenabhängige Effektkomponenten und Folgen ihrer Vernachlässigung

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TREIBER (1980b, 211) stellt in einer kleinen Übersicht die uns interessierende Hierarchie und die dazugehören­den interindividuellen Schülerdifferenzen - zerlegt in Effektkomponenten - dar (s. Abb. 4.11; vgl. ACHTENHA­GEN, 1981, 322).


 
Abb. 4.11: Hierarchische Zerlegung interindividueller Schülerdifferenzen in Effektkomponenten bil­dungsforschungsrelevanter Analyseebenen (n. TREIBER, 1980b, 211)


Durch Abb. 4.11 kann man zeigen, wie problematisch es ist, Forschungen auf einer Ebene ungeachtet der Be­ziehungen dieser Ebene mit den darunter- oder darü­berliegenden durchzuführen. Es fällt auf, daß insbeson­dere die Forschung zum Sozialklima die 'Clique' als Ebene zwischen Schüler und Schulklasse weitgehend außer Betracht gelassen hat. Welche Kriterien beeinflussen die Wahl einer bestimmten Analyseebene? TREIBER (1980b, 218) faßt zusammen: Die Wahl der Analyseebene wird determiniert


"- durch die Problemstellung einer Untersuchung, die z.B. individuelle Lernverläufe von Schülern oder Aspekte der Unterrichtsqualität von Schulklassen thematisiert;
- durch den Analyseplan einer Untersuchung (Art der erfaßten Unterrichtsvariablen, Unabhängigkeit der Beobachtungen, Konfundierung von Unterrichts- und Hintergrundvariablen, verfügbare Stichprobengröße);
- durch statistische Erwägungen (Instrumentenrelia­bilität, verfügbare Anzahl von Freiheitsgraden, Voraussetzungen der gewählten Prüfverfahren);
- durch praktische Erwägungen (fehlende oder unvoll­ständige Daten, Ökonomie, Mehrfacherhebung in einem Längsschnittdesign)."


Begründungen sind nur zulässig durch den Rückbezug auf die theoretische Problemstellung bzw. auf den daraus resultierenden Analyseplan. Statistische und 'prakti­sche' (so TREIBER) – besser: 'durch Mängel erzwungene' - Begründungen dürfen nicht gelten, da der gesetzte Analyseplan dann nicht mehr der Problemstellung ent­sprechen kann. Besonders problematisch wird es aber erst dann, wenn der Analyseplan der theoretischen Pro­blemstellung nicht entspricht. Es gibt bei zwei Ebenen zwei mögliche Einebenenanalysen (s. Abb. 4.12).

Grundsätzlich gilt: Individualwerte werden auf Indivi­dualebene ausgewertet, Aggregatmerkmale auf Aggregatebene. So gibt es bei der Verwendung von Einebenenanalysen nur zwei mögliche Analysemodelle, die folgende Bedingungen nach sich ziehen:


 
Abb. 4.12: Mögliche Einebenenanalysen bei hierarchi­scher Variablenstruktur, wobei gilt:
Y(ij) = Nachtestwert von Schüler i in Schulklasse j,

X(ij) = Vortestwert von Schüler i in Schulklasse j,  

Z(j) = Aggregatmerkmal der Schulklasse j.       


Im Modell 1 setzt man voraus, daß der Individualeffekt (X(ij)--> Y(ij)) auch durch die Aggregierung der Individualwerte (X(.j)--> Y(.j)) angemessen abgebildet werden kann. Dieses Pro­blem wurde eingehender in diesem Abschnitt behandelt. Modell 2 unterstellt, daß der Kontexteffekt (Z(j) --> Y(.j)) angemessen durch den individuellen Effekt (Z(ij)--> Y(ij)) repräsentiert werden kann. Bei Einebenenanalysen müssen also entweder die Individualeffekte aggregiert werden (Modell 1) oder die Kontexteffekte desaggregiert ('individualisiert') werden. Diese Voraussetzungen sind zwar notwendig, aber nicht hinreichend, denn bei der Verwendung von Einebenenanalysen gibt es drei Phasen, zwischen denen ein Ebenenwechsel nicht vollzogen werden darf:

Phase A: Formulierung der theoretischen Problemstellung (= Wahl des Analyseniveaus)

Phase B: Statistische Verifizierung der Phase A (= Wahl des Modell 1 oder Modell 2 gem. Abb. 4.12)

Phase C: Interpretation der Ergebnisse.


Während der Phasen A - C muß also an der einmal gewähl­ten Analyseebene festgehalten werden. Bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen ergeben sich folgende Kombi­nationen (s. Tab. 4.2).

Die unter 1 und 2 genannten Phasenabfolgen sind aller­dings nur dann korrekt im Ergebnis, wenn die o.g. Voraussetzungen zutreffen, was meistens nicht der Fall ist. Bei den Phasenabfolgen 3 und 4 sind interpretato­rische Fehlschlüsse unvermeidlich. Auf diese möglichen Fehlschlüsse wird im folgenden eingegangen.


 
Tab. 4.2: Forschungsabläufe und darauf basierende Be­wertungen der Ergebnisinterpretation



Fehlerquellen bei der Interpretation von Forschungsbefunden

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Bei der Interpretation von Ergebnissen werden häufig folgenschwere Fehleinschätzungen gemacht. Diese Fehler wurden oftmals beschrieben und benannt (ACHTENHAGEN, 1981; ALKER, 1969; BOYD & IVERSEN, 1979; HUMMEL, 1972; TREIBER, 1980b; ZIEGLER, 1973). Im folgenden werden diese Fehlschlüsse ('fallacies') genauer ausdifferen­ziert und z.T. wegen fehlender Begriffsschärfe neu benannt.


Man kann zwei Fehlergruppen voneinander unterscheiden:

  • Die Fehlschlüsse 'über die Einheiten' (cross-con­text-fallacies), bei denen von Beziehungen zwischen Variablen in einem Kontext auf Beziehungen in einem anderen Kontext geschlossen wird (Kovarianz, Korrela­tion, Regressionssteigung, etc.).
  • Die Fehlschlüsse 'über die Ebenen' (cross-level­fallacies), bei denen von Beziehungen zwischen Varia­blen einer Ebene auf Beziehungen von Variablen auf einer anderen Ebene geschlossen wird.

Bei beiden Fehlschlussarten klaffen Berechnungsebene und Interpretationsebene auseinander. Die nun genauer zu beschreibenden Fehlschlüsse sollen anhand der in Ab­schnitt 4.2.1 beschriebenen drei Analysewege darge­stellt werden. Zuvor deshalb eine kurze Wiederholung.


Bei der 'Gesamtanalyse' werden die Korrelationen zwi­schen zwei Variablen über alle Schüler berechnet, wobei die Zugehörigkeit zu ihrer Klasse vernachlässigt wird (ACHTENHAGEN, 1981):


(4.7)          


Bei der 'Mittelung zwischen' werden die durchschnittli­chen Klassenleistungen (Mittelwerte) korreliert:


(4.8)          


Bei der 'Mittelung innerhalb' werden zuerst die Indi­vidualkorrelationen auf Klassenebene errechnet:


(4.9)          


Zur Erklärung der verschiedenen Fehlschlüsse könnte man genauso, anstatt des Korrelationskoeffizienten, andere Maße verwenden wie z.B. den Regressionskoeffizienten oder die Kovarianz.


Man kann folgende Fehlschlüsse voneinander unterschei­den ( s. Abb. 4. 13) :

  1. Über-die-Ebenen (ökologisch), wobei ein Schluss von Kollektivindices auf Individualeffekte vorliegt. Von   wird auf  geschlossen. Dies ist der in den vorherigen Abschnitten so intensiv bespro­chene Fehler, der in der Sozialklimaforschung schon fast zur Regel geworden ist.
  2. Über-die-Ebenen (individualistisch), wobei "fälsch­licherweise aus Beobachtungen der Einheiten niedri­gerer Ebene die Bedingungen der Systeme höherer Ordnung" gefolgert werden (SCHEUCH. 1977). Hierbei wird von   auf   geschlossen.
  3. Über-die-Ebenen (selektiv), wobei von den individu­ellen Beziehungen innerhalb eines Kollektives   auf die Intergruppenbeziehungen   geschlossen wird.
  4. Über-die-Ebenen (universalistisch), wobei von den Intergruppenbeziehungen   auf die Beziehungen innerhalb eines Kontextes   geschlossen wird.
  5. Über-die-Einheiten (individualistisch), wobei von individuellen Beziehungen in den Kollektiven   auf die Gesamtkorrelation   ge­schlossen wird.
  6. Über-die-Einheiten (ökologisch), wobei von   auf   geschlossen wird.
  7. Über-die-Einheiten (gleichbleibend), wobei von den Beziehungen innerhalb des einen Kollektivs   auf die Beziehungen innerhalb eines ande­ren Kollektivs   geschlossen wird.
 
Abb. 4.13: Systematik der Fehlschlüsse


In Anlehnung an ALKER (1969) und ZIEGLER (1973) lassen sich diese Fehlschlussarten unter Zuhilfenahme des Kova­rianztheorems für
2 Gruppen einer Population wie folgt darstellen:


(4.10)           


wobei gilt:

     die individuelle Kovarianz zwischen den Varia­blen X und Y in der Population,
     die Kovarianz zwischen den individuellen Merk­malen im j-ten Kollektiv,
     die ökologische Korrelation zwischen den kol­lektiven analytischen Merkmalen X und Y.


Verfolgt man bildlich die Pfeile in Abb. 4.13, so lässt sich folgendes feststellen: Der Startpunkt eines Pfeiles ist der dem Forscher vorliegende Befund, der Zielpunkt ist der Befund, von dem der Forscher glaubt, dass er ihm vorliegt und auf den er seine Interpretatio­nen stützt.

Soweit die Darstellung der schwerwiegenden Probleme, denen sich die Sozialklimaforschung zu stellen hat. Offen ist nun die Frage, ob es dazu Alternativen oder Lösungsmöglichkeiten gibt. Diese Frage lässt sich nicht leicht beantworten, aber es gibt eine Gruppe von Analy­sestrategien, die Mehrebenenanalysen, die diese Proble­me adäquater zu lösen versuchen. In ihnen ist die methodische Einbettung einer zukünftigen Sozialklima­forschung zu sehen.

Zusammenfassung

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Dieses Kapitel behandelte methodische Probleme bei der empirischen Erfassung des Sozialklimas und versuchte, neue Wege aufzuzeigen. Das Kapitel gliederte sich in zwei Teile. Im ersten wurde unter Rückbezug auf wissen­schaftstheoretische Fragestellungen geklärt, warum es notwendig ist, zwischen individuellen und kollektiven Phänomenen zu unterscheiden. Unmittelbar damit hängt die Diskussion über Formen der Aggregierung, die Wahl der Analyseebene und das Problem der Indexbildung zu­sammen. Es zeigte sich, daß das Sozialklima von Schulklassen nur dann als kollektives Phänomen betrach­tet werden kann, wenn die drei letztgenannten Punkte adäquat in der empirischen Forschung berücksichtigt werden.

Im zweiten Abschnitt wurden die schwerwiegenden Nach­teile bei der Verwendung des Mittelwertes in der So­zialklimaforschung aufgezeigt. Der Mittelwert ist ein geeigneter Index zur Beschreibung des Sozialklimas in einer Gruppe. Sein Einbezug in korrelationsstatistische Analysen kann aber erhebliche Interpretationsfehler nach sich ziehen. Dabei zeigte es sich, daß die Verwen­dung des Mittelwertes in dieser Art und Weise nur ein Spezialfall von möglichen Fehlerquellen bei der Inter­pretation von Forschungsbefunden ist.

Ohne hier noch einmal auf die einzelnen Verfahren ein­zugehen, kann gesagt werden, daß der Kreativität zur Bildung theoretisch notwendiger Modelle in diesem Be­reich keine Grenzen gesetzt sind.




Empirische Ergebnisse

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Die Rezeption des Sozialklimabegriffes in der Forschung

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Im folgenden wird eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der bisherigen Forschungen über das Sozial­klima in Schulklassen versucht. Sozialklimaforschung im pädagogischen Bereich ist unverkennbar orientiert an amerikanischen Studien. Deshalb wird anfangs die For­schungstradition ausgehend von R.H. MOOS und H.J. WAL­BERG, schließlich deren zentrale Erhebungsinstrumente unter Einbezug der Arbeiten von B.J.FRASER dargestellt. Neuentwicklungen im deutschsprachigen Bereich werden im empirisch orientierten Teil der Arbeit Gegenstand der Diskussion sein. Im Anschluß daran folgt eine Übersicht über die bisher untersuchten schulrelevanten Merkmale und deren Beziehung zum Sozialklima. Den Abschluß des Kapitels bildet eine Darstellung über Unterschiede zwischen realem und idealen Klima und zwischen Umwelt­wahrnehmungen von Lehrern und Schülern.



Forschungen von RUDOLF H. MOOS und HERBERT J. WALBERG als Ursprung neuer Traditionslinien

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Es ist nicht leicht zu definieren, was Traditionslinien bedeuten. Wenn man allerdings davon ausgeht, daß ein bestimmter Forschungsansatz immer wieder repliziert oder ein Instrumentarium häufig von verschiedenen Wis­senschaftlern in aller Welt zur Grundlage ihrer Forschung gemacht wurde, dann kann man die Forschungs­ideen von MOOS und WALBERG mit Recht als Innovation bezeichnen, in deren Tradition letztendlich auch diese Arbeit steht, wenn auch mit z.T. anderer Zielsetzung. Jeder dieser beiden Autoren entwickelte unabhängig voneinander Fragebogen zur subjektiven Erfassung von Lernumwelten. (Man nahm sich gegenseitig erst rund zehn Jahre nach den ersten Veröffentlichungen offiziell wahr (MOOS, 1979b)).

MOOS und seine Mitarbeiter, die am Social Ecology Labo­ratory in Stanford arbeiten, haben sich die Aufgabe gestellt, soziale Klimate in Krankenhäusern, militäri­schen Einrichtungen, aber auch Schulklassen zu unter­suchen. Das Aufgabengebiet beschränkt sich also kei­neswegs auf den rein pädagogischen Bereich.

Eine theoretisch abgeleitete Ausgangsfrage gibt es bei MOOS nicht: Umwelten sind nun einmal vorhanden und müssen erfaßt werden. Gerne charakterisiert MOOS Umwel­ten als 'Persönlichkeiten', die prinzipiell in ihrer Struktur und Individualität Personen entsprechen (1974b, 1979a, b; s. a. BAKKE, 1950, 152; HALPIN & CROFT, 1963).

MOOS und seine Mitarbeiter entwickelten eine Reihe von Fragebogen, die Umwelten in den verschiedensten In­stitutionen erfassen sollen. Das letzte Beispiel ist die 'Multiphase Environmental Assessment Procedure' (.MEAP; MOOS & LEMKE, 1979). Das für das Sozialklima der Klasse wesentliche Instrument ist die 'Classroom En­vironment Scale' (CES; MOOS & TRICKETT, 1974).

Leider ist es sehr schwierig, die Befunde, die mit dem CES ermittelt wurden, angemessen zu würdigen. Dies liegt vor allem daran, daß eine Untersuchung - manchmal ohne nähere Kennzeichung - in mehreren Veröffentlich­ungen unvollständig dargestellt wird (vgl. besonders die Monographien von MOOS). WALBERG und seine Mitarbeiter arbeiteten - im Rahmen eines Projektes in Harvard - an der Einführung neuer Curricula im Physikunterricht ('Harvard Physics Pro­ject'). Das soziale Klima wurde dazu als ein Evalua­tionskriterium herangezogen. Die theoretische Orien­tierung der Arbeiten um WALBERG ist trotz deren pragma­tischem Ausgangspunkt zwar besser als bei MOOS, doch der von ihnen vorgenommene Bezug auf die Theorie von GETZELS & THELEN (1960) über die Klasse als soziales System erscheint trotzdem nicht zureichend (vgl. Kap. 3.3.2). Das in viele Sprachen (u.a. auch ins Hindi) übersetzte Instrument zur Erfassung von Lernumwelten ist das 'Learning Environment Inventory' (LEI; ANDER­SON, 1973). Die mit dem LEI ermittelten Befunde sind zahlreich. Leider unterliegen die meisten von ihnen einem methodischen Vorgehen, das nach heutigem Kennt­nisstand die Validität der Ergebnisse doch erheblich einschränkt (s. Kap.4). Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß MOOS, WALBERG und deren Mitarbeiter/­innen die Notwendigkeit zur Erfassung der Umwelt durch die darin agierenden Personen selbst erkannt und diesem Forschungszweig so zu einer eigenen Dynamik verholfen haben. Letztlich waren es aber diese Dynamik und der immer wiederkehrende Rückbezug auf ein einmal geschaf­fenes Instrumentarium sowie die unzureichende theoreti­sche und methodische Reflexion, die dazu führten, daß die US-amerikanische Forschung momentan in einer Sack­gasse zu stecken scheint.




Dimensionen des sozialen Klimas von Schulklassen

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Will man das Sozialklima zum Untersuchungsgegenstand empirischer Forschung machen, so genügt es sicherlich nicht, undifferenziert 'das Klima' oder 'die Atmo­sphäre' zu erheben; dazu ist der zu untersuchende Ge­genstand zu komplex. Ziel ist es, feinere Kategorien für die Beschreibung der subjektiven, 'psychologischen' Umwelt zu finden.

Hält man diese Prämisse allerdings bis zur letzten Konsequenz durch, würde Atmosphäre möglicherweise bis zu einem einzelnen Item in einem Fragebogen ausdiffer­enziert werden. Um diese Oberdifferenzierung zu vermei­den, setztt ein in der Wissenschaft legitimes Vorgehen ein: Unter größtmöglicher Genauigkeit sollen Informa­tionen reduziert werden (ganz im Sinne LUHMANNs), d.h. Klimaelemente (JOLK, 1957) gefunden werden.

Die subjektive Umwelt wird durch komplexitätsreduzierende Techniken in den einzelnen Inhaltsbereichen (Dimensionen) rekonstruiert. Diese Dimensionen werden von verschiedenen Autoren zu Grunddimensionen zusammen­gefaßt. So gliedert FEND (1977, s. a. DREHER, 1979) das 'erzieherisch relevante' Klima in:


  • Inhaltsaspekt (Erwartungen, denen die Schüler aus­gesetzt sind),
  • Interaktionsaspekt (Umgang von Schülern und Lehrern miteinander; konkrete Formen der gegenseitigen Beeinflussung),
  • Beziehungsaspekt (soziale Beziehungsqualitäten wie Vertrauen, Engagement).


Diese Gliederung ist außerhalb der Gruppe um FEND nicht verwendet worden. So haben MOOS und Mitarbeiter/-innen drei Grunddimensionen von Klimaten ausfindig gemacht, die sich ihres Erachtens in den verschiedensten Insti­tutionen rekonstruieren lassen (vgl. FEND, 1977, 53):


  • Interpersonale Beziehungsdimension (relationship), die etwas darüber aussagt, inwieweit Personen in ihre Umwelt integriert sind und inwieweit sich Personen gegenseitig unterstützen (z.B. Kohäsion, Kameradschaft),
  • ­Personale Entwicklung (personal growth), wobei Di­mensionen erfaßt sind, die etwas über das Maß der selbständigen vs. unselbständigen Entwicklung der Individuen aussagen (z.B. Wettbewerbsorientierung, Leistungsforderungen),
  • Erhaltung und Wandel der Institution (system main­tenance and system change); dabei werden die Aspekte erfaßt, die für das Funktionieren und den Erhalt der Institution notwendig sind (z.B. Ordnung, Innovation).­


Diese Klassifikation hat nach WALBERG (1976, 164f) den Vorteil, als brauchbarer Ausgangspunkt mehrfaktorieller Analysen zu dienen.

Neben der Dreigliederung von MOOS gibt es einen Ansatz von TAGIURI (1968), der Aspekte der objektiven Umwelt mit einbezieht und deshalb z.B. von ANDERSON (1982) dem erstgenannten System vorgezogen wird:


- ecology (physikalische Umwelt),
- milieu (soziale Aspekte zwischen Personen und Gruppen,
- social system (strukturelle Aspekte zwischen Personen und Gruppen),
- culture (soziale Dimensionen wie Normen, Werte, kog­nitive Strukturen und Meinungen).


TAGIURIs Klassifikation konnte sich allerdings nicht durchsetzen, nicht zuletzt deshalb, weil der MOOSsche Ansatz spezifischer auf das Klima als subjektive Um­weltkomponente angelegt ist. Andererseits scheint der Allgemeinheitsgrad so hoch, daß man der MOOSschen Drei­teilung nur noch heuristischen Charakter beimessen kann.

Die Forschungstraditionen zeichnen sich u.a. dadurch aus, daß der Fragebogen als Analyseinstrument meist an­deren Verfahren vorgezogen wurde. Deshalb erfolgte eine Bestimmung von Klimadimensionen durch Verwendung faktoranalytischer Techniken. Die Benennung der Faktoren erfolgte zwar nach inhaltlichen Gesichtspunkten, der Name eines Faktors (und damit einer Klimadimension) ist allerdings erheblich von den einzelnen Forscher/-innen abhängig. Um ein Mehr an Unschärfe beim Vergleich zu vermeiden, wurden die - vorwiegend englischen - Origi­nalbezeichnungen nicht übersetzt (vgl. die Überset­zungsversuche von MEISTER, 1978). Wenn trotzdem in dieser Arbeit die angloamerikanischen Skalenbezeichnun­gen zusätzlich ins Deutsche übertragen werden, dann deshalb, um nachzuweisen, daß die Originalbegriffe nicht unbedingt mit den von KAHL et al. (1977) und DREESMANN (1979) verwendeten deutschsprachigen Bezeich­nungen übereinstimmen. Darüber hinaus kann dadurch gezeigt werden, daß nicht einmal inhaltlich ähnliche Dimensionen der drei Fragebogen der englischsprachigen Forscher gleiche Bezeichnungen haben.

Im folgenden werden anhand der vorliegenden einschlägi­gen Fragebogen zur Erfassung des Sozialklimas die er­mittelten Klimadimensionen vorgestellt. Die Auswahl der Fragebogen erfolgte nach dem Kriterium 'Sozialklima in Klassen', daher wurden z.B. bei den FEND-Skalen die auf die Schule bezogenen Dimensionen außer acht gelassen. Ziel dieser Aufstellung ist es, einen ersten Zugang zu Versuchen einer Differenzierung von Lernumwelt zu ge­ben.

Im folgenden werden die Klimadimensionen von fünf Fra­gebogen vorgestellt. Weitreichende Angaben über Relia­bilitätsindizes und Gütekriterien würden dabei zu weit führen, da die Betrachtung der empirisch ermittelten Dimensionen eher grundsätzlicher Natur ist. Diese Fra­gebogen sind die beiden amerikanischen von ANDERSON (LEI) und MOOS & TRICKETT (CES), die in den o. g. genannten einflußreichen Traditionen stehen, sowie die beiden z.Z. vorliegenden deutschsprachigen Instrumente von KAHL et al. (1977) und von DREESMANN (1980a), schließlich ein australisches Produkt von FRASER ( 1980a).


Das schon in anderem Zusammenhang erwähnte 'Learning Environment Inventory' (LEI) ist das Endprodukt aus einer Reihe von Analysen seines Vorläufers, dem 'Class­room Climate Questionnaire' (CCQ; WALBERG, 1968). Er umfaßt folgende Skalen mit je 7 Items:


Cohesiveness: Zusammenhalt einer Klasse - Kohäsion,
Formality: Interessenkohärenz oder -diffusion inner­halb der Mitglieder einer Klasse,
Speed: Geschwindigkeit der Stoffvermittlung und des didaktischen Vorgehens durch den Lehrer,
Environment: Ausstattung der physikalischen Umwelt, Platzaufteilung, Vorhandensein von Lernhilfen etc.,
Goal Direction: Ausmaß und Kenntnis gemeinsamer Ziele und Normen der Klasse,
Favoritism: Bevorzugung einzelner Schüler und Schüler­gruppen durch den Lehrer,
Difficulty: Schwierigkeit des Unterrichts. bzw. des Lehrstoffes,
Friction: Störungen und Reibereien zwischen Schülern,
Apathy: Desinteresse der Schüler an Gemeinsamkeit innerhalb der Klasse,
Democratic: Demokratische Entscheidungsfindung und Einflußstruktur in der Klasse,
Cliqueness: Neigung zur Bildung von Freundschafts­gruppen (Cliquen),
Satisfaction: Allgemeine Zufriedenheit mit der Klasse und dem Fach bzw. dem Lehrer,
Disorganisation: Ausmaß der Konfusion und Desorganisa­tion in der Klasse,
Competetiveness: Ausmaß der Wettbewerbsorientierung zwischen den Schülern in der Klasse.


Der LEI umfaßt 105 Items, pro Skala genau sieben. Die Testgütekriterien kann man als zufriedenstellend hoch bezeichnen (ANDERSON, 1973). Der LEI wurde in einer Vielzahl von Untersuchungen verwendet, ohne daß erneut eine Bestätigung der Faktorenstruktur versucht worden wäre. Die einzige Reanalyse der Struktur liegt von ELLETT et al. (1976) vor: Die Originalfassung des LEI konnte bei annähernd gleicher Stichprobe nicht repli­ziert werden. Es ergaben sich nur sechs Faktoren, auf denen 81 der ursprünglich 105 Items luden. Dieses Er­gebnis muß doch erhebliche Zweifel an der stichproben­übergreifenden Verwendung von Fragebogen aufkommen lassen.


Die 'Classroom Environment Scale' (CES) von MOOS & TkICKETT (1974) ist das zweite Instrument, welches Hinweise auf verschiedene Klimadimensionen gestattet. Im Unterschied zum LEI, der als Evaluationshilfe für ein bestimmtes Projekt entwickelt worden war, wurde der CES mit dem Ziel konstruiert, das Funktionieren von Organisationen und Institutionen zu verstehen.

Der CES gliedert sich in folgende Faktoren:


Involvement: die Aufmerksamkeit und das Interesse, welche Schüler in der Klasse zeigen,
Affiliation: die Zusammenarbeit und das gegenseitige Kennen der Schüler untereinander,
Teacher Support: das Ausmaß der Hilfe und Freund­schaft, welche der Lehrer gegenüber den Schülern zeigt,
Task Orientation: die Konzentriertheit, mit der sich die Aktivitäten im Klassenraum auf unterrichtliche Aspekte beziehen,
Competition: das Konkurrenzverhalten zwischen den Schü­lern,
Order and Organization: der Umgang der Schüler unter­einander und die allgemeine Organisation der Aktivi­täten im Klassenraum,
Rule Clarity: das Ausmaß, in dem Verhaltensregeln in der Klasse expliziert sind,
Teacher Control: das Ausmaß, in dem Schüleraktivitäten durch strenge Regeldurchsetzung begrenzt sind,
Innovation: das Ausmaß, in dem Schüler eigene Aktivitä­ten planen, sowie der Anteil der ungewöhnlichen Aktivitäten, die von Lehrern initiiert werden,


Die Testgütekriterien des CES entsprechen in etwa denen des LEI. BESSOTH (1985) publizierte eine ins Deutsche übersetzte Version, allerdings ohne Angaben zur Relia­bilität und Validität.


Der 'Lernsituationetest' (LST) von KAHL et al. (1977) ist der erste deutschsprachige Klimafragebogen. Die Di­mensionen lauten:

- Kohäsion,
- Identifikation mit der Unterrichtsarbeit,
- Leistungsanforderungen im Unterricht,
- Betonung von Wettbewerb und Ordnung.


Problematisch erscheint die Vermengung von Wettbewerbs­und Ordnungsverhalten auf einer Dimension. Auch die Zahl der Items pro Skala (22 bei 'Identifikation mit der Unterrichtsarbeit') deutet nicht unbedingt darauf hin, daß dieses Konstrukt gut operationalisiert worden ist. Doch dessen ungeachtet war die Idee, einen Kli­mafragebogen für deutsche Verhältnisse zu machen, in gewisser Hinsicht wegweisend.

Ein zweites, etwas differenzierteres Instrument als der LST ist der 'Fragebogen zum Unterrichtsklima' von DREESMANN (1980a). Jede Skala umfaßt, wie beim LEI, 5 Items. Die gewählten Konstrukte erscheinen inhaltich plausibel. Verunsichert wird man allerdings bei einer etwaigen Anwendung des Instruments, denn die Skalenbe­zeichnungen in den verschiedenen Veröffentlichungen und grauen Papieren sind nicht einheitlich. Es handelt sich um folgende Skalen (DREESMANN, 1979, 19ß0a), wobei die abweichenden Bezeichnungen in Klammern stehen:


- Kooperation im Unterricht (Kooperativer Unterricht; Kooperation zwischen Schüler und Lehrer),
- Kritik am Lehrer (Lehrerkritik; Individualisierungsmangel),
- Lenkung durch den Lehrer (Lehrerlenkung),
- Förderung des Selbstvertrauens im Unterricht (Erfolgs­aussicht auf Anstrengung),
- Kameradschaft,
- Konkurrenzdenken unter den Schülern,
- Schwierigkeit des Unterrichts,
- Disziplin im Unterricht,
- Verständlichkeit des Unterrichts (Erfahrungsnähe des Unterrichts).


Die Dimensionen eines weiteren Fragebogens, der von Interesse ist, sollen kurz referiert werden, da die Konstrukteure (RENTOUL & FRASER, 1979 a,b) sich zum Ziel gesetzt hatten, die Beschränktheit auf den Klas­senverband (wie beim CES und beim LEI) zugunsten alter­nativer Unterrichtsformen zu umgehen. Es handelt sich um den 'Individualized Classroom Environment Question­naire' (ICEQ), welcher Klimaaspekte erfassen soll, die nach Auffassung der Autoren beim CES und LEI nicht vertreten sind. Der Fragebogen umfaßt folgende Fakto­ren:


Personalization: Gelegenheit zur individuellen Kontakt­aufnahme mit dem Lehrer zum persönlichen Wohl und zur sozialen Weiterentwicklung des Schülers.
Participation: Grad der aktiven Teilnahme vs. passivem Verhalten
Independence: Möglichkeiten der Schüler, über ihr Ver­halten selbst zu entscheiden.
Investigation: Ausmaß, in dem das Erlernen von Problem­lösungsstrategien betont wird.
Differentiation: Grad der Differenzierung der Behand­lung von Schülern nach ihren Fähigkeiten, Interessen und ihrem Arbeitsverhalten.



Soweit die Darstellung der wichtigsten bisher kon­struierten Skalen zur Beschreibung des Sozialklimas von Schulklassen. Inwieweit sich diese Instrumente bewährt haben und welche Zusammenhänge sie zu anderen Merkmalen aufdecken konnten, wird Gegenstand des nächsten Abschnittes sein, um dadurch Hinweise zur Validität ein­zelner Verfahren zu erhalten.





Dimensionszusammenhänge des Sozialklimas

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Zusammenhänge zwischen Dimensionen des sozialen Klimas von Schulklassen
und verschiedenen Indivi­dual- und Kontextvariablen

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Die Zusammenfassung von Forschungsergebnissen aus dem Themenbereich Sozialklima wirft drei Probleme auf. Einmal muss man sich grundsätzlich die Frage stellen, ob man überhaupt Ergebnisse darstellen darf, deren metho­disches Zustandekommen kritisiert worden ist
(s. Kap.4)
. Würde man nicht in solch einem Falle der eige­nen Methodenkritik die Basis nehmen? Es scheint so. Ergebnisse allerdings zu unterschlagen, würde sicher auch nicht der richtige Weg sein. Die folgende Litera­turzusammenfassung berücksichtigt Methodenprobleme des­halb nur in zweiter Linie.


Ein zweites Problem hängt mit der Darstellungsart zu­sammen. Es wäre sicher genauer, einzelne Studien in allen Einzelheiten zu referieren, doch würde dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen.


Schließlich wird ein letztes Problem bei der Interpre­tation der Ergebnisse aufgeworfen: Die häufige Verwen­dung von korrelationsstatistischen Verfahren erlaubt es nicht, kausal gerichtete Aussagen zu machen. Hinzu kommt, dass vorwiegend Querschnittanalysen durchgeführt wurden. Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht wer­den: Man nehme an, dass sich in einer Studie hohe posi­tive Zusammenhänge zwischen der Leistung eines Schülers und seiner subjektiven Umweltwahrnehmung ergeben. Ist nun ein Schüler schlecht, weil er die Umwelt negativ wahrnimmt, oder nimmt er seine Umwelt so wahr, weil er schlecht ist? Dieses Problem der Interpretation von Korrelationen wird so gehandhabt, dass ausschließlich von Zusammenhängen gesprochen wird.



Zusammenhänge zwischen sozialem Klima und Indi­vidualvariablen

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Die in die folgende Zusammenfassung eingegangenen Un­tersuchungen wurden meistens im angloamerikanischen Bereich durchgeführt. Eine Generalisierbarkeit auf deutsche Verhältnisse ist deshalb nur sehr einge­schränkt möglich.



a) Ethnographische Herkunft des Schülers

Es gibt wohl kaum ein Merkmal, das die Spezifität der US-amerikanischen Sozialklimaforschung so deutlich macht, wie die ethnographischen Herkunft des Schülers.

Es liegen Befunde vor, die die These stützen, dass das Sozialklima von diesen Gruppen verschieden wahrgenommen wird. In der Forschung wurden besonders Bevölkerungs­gruppen berücksichtigt, die aus Mexiko und Spanien abstammen. Die Ergebnisse werden im Einzelnen nicht dargestellt, weil diese Variablenausprägung für unseren Kulturkreis nur geringe Bedeutung hat. (Anders wird es wahrscheinlich bei Gastarbeiterkindern aussehen.) Eine zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse zu diesem Themenbereich ist bei WALBERG & GENOVA (1983) zu rin­den. Es darf aber festgehalten werden, dass weiße Schü­ler höhere Werte bei Zufriedenheit, Wettbewerbsorien­tierung und dem Entscheidungsspielraum für den Einzel­nen zeigen (ENGSTROM, 1981b; McBURNETTE, 1976).



b) Alter der Schüler resp. Klassenstufe

Die Variablen Alter des Schülers und Klassenstufe sind stark konfundiert. Sie werden deshalb zusammen betrach­tet. SCHEERER (1978) fand heraus, dass die durch den Schüler wahrgenommene Lernumwelt mit zunehmendem Alter des Schülers negativer gesehen wird (s.a. WALBERG, 1979; WALBERG, HOUSE & STEELE, 1973). Die Interpreta­tion dieses Ergebnisses erscheint schwierig, weil noch nicht deutlich ist, ob die Lernumwelt tatsächlich schlechter wird oder der Schüler seine Lernumwelt kri­tischer sieht. Diese Auffassung wird durch einen Über­sichtsartikel von EPSTEIN (1981a) untermauert. Nach TALMAGE & RASHER (1980), die einen Längsschnitt bei 9­bis 12-jährigen Schülern durchführten, ergibt sich eine Verminderung der Wettbewerbsorientierung und Schwie­rigkeiten (dazu auch TALMAGE & HART, 1977; WALBERG, 1979). Bei anderen Klimadimensionen vermochten die Autoren keinen klaren Trend zu erkennen. Mit höherer Klassenstufe nehmen zudem die wahrgenommenen Leistungs­anforderungen zu (6.- 8. Klasse, KAHL et al., 1977; RANDHAWA & MICHAYLUK, 1975). Es werden schließlich höhere Selbständigkeitserwartungen und Mitbestim­mungsmöglichkeiten wahrgenommen (6. - 8. Klasse, DRE­HER, 1979). Die Anonymität nimmt ebenfalls zu. Diffus sind die Antworten auf die Frage nach der Entwicklung der Zufriedenheit, wobei sich allerdings herauskristal­lisiert, dass die Zufriedenheit mit steigender Klassen­stufe abnimmt (EPSTEIN & McPARTLAND, 1976a; TALMAGE & RASHER, 1980; LANG, 1983). Nur WELCH (1979) kommt zu gegenteiligen Ergebnissen.


Während z.B. von FEND (1977) und SILBERGELD & KOENIG (1976) keine Zusammenhänge zwischen Alter und Sozial­klima konstatiert wurden, gibt es erste Hinweise zu Wechselwirkungen zwischen Alter und anderen Variablen: ENGSTROM (1981b) konnte nachweisen, dass mit steigender Klassenstufe Jungen zunehmende Bevorzugung durch den Lehrer sowie Cliquenbildung, Mädchen hingegen stärkere Beteiligung an Entscheidungsprozessen wahrnehmen.


Interaktionseffekte zwischen Klassenstufe und Fach weisen darauf hin, dass 8. Klassen in Mathematik höhere Werte auf der Skala 'Apathie' haben als jüngere Klassen ( s. a. SCHWARZ ER & LANGE, 1980) . HALADYNA ( 1982) konnte für das gleiche Fach nachweisen, daß (im Längsschnitt) Schüler von der 5. bis zur 9. Klasse beständig höhere Werte auf den Skalen des LEI und CES erhielten.


Offen geblieben sind dabei Fragen zur Validität des Klimas in Abhängigkeit von der Klassenstufe. Unbe­antwortet sind auch Einzelfragen, ob z.B. eine mögliche Differenzierung in der Lernumweltwahrnehmung von der Klassenstufe abhängt und ob bestimmte Klimadimensionen im Verlaufe der Schulzeit mehr oder minder in das zentrale Blickfeld des Schülers rücken.



c) Sozialer Status

Bei dieser Variablen sind die Ergebnisse inkonsistent. ENGSTROM (1981b), EPSTEIN (1981a) und FEND (1977) konn­ten keine Zusammenhänge feststellen. Dem widersprechen zumindest teilweise Ergebnisse über deutlich negative Einstellungen gegenüber Schule und Lehrern bei Schülern mit niedrigerem sozioökonomischen Status (vgl. KHAN & WEISS, 1973). Auch WALBERG, SORENSON & FISHBACH (1972) konnten zeigen, dass Schwierigkeit des Unterrichts und Wettbewerbsorientierung einen negativen Zusammenhang zum sozialen Status aufweisen.

Selbst die Zufriedenheit nimmt ab, aber nur, wenn der Anteil der Schüler mit gleichem Status in der klasse hoch ist (zum letzten vgl. LEVIN, 1980). Diese Ergeb­nisse decken sich mit TIEDEMANNs Befunden, wonach ins­besondere bei der Unterschicht größere Verhaltensauf­fälligkeiten auftreten (1980).



d) Selbstkonzept

Zum Selbstkonzept liegen nur zwei Untersuchungen vor. SCHWARZER (1979b) ging von der These aus, daß Schüler ohne Selbstvertrauen (Selbstvertrauen: Hoffnungslosig­keit, Selbstwertgefühl, Ängstlichkeit, Erfolgszuver­sicht) ihre Lernumwelt als bedrohlich und unerfreulich erleben. Zur Erfassung der Lernumelt bediente er sich vier Skalen von FEND et al. (1976). SCHWARZER konnte erwartungsgemäß die beiden Typen (Schüler mit Selbst­vertrauen vs. Schüler ohne Selbstvertrauen) in den Ergebnissen der Lernumweltskalen wiederfinden (verwen-dete Methode: Konfigurationsfrequenzanalyse). Schüler ohne Selbstvertrauen sind in keiner der drei herkömmli­chen Schularten überrepräsentiert. SCHWARZER kommt weiterhin zu dem Ergebnis, daß emotionale Beeinträchti­gungen sich offenbar nur sehr schwach in den Schullei­stungen widerspiegeln, auch der leistungsstarke Schüler erlebt psychische Beanspruchungen, die für das subjek­tive Befinden gravierend sein können.


SCHWARZER (1979a) konnte Beziehungen zwischen vier Klimaskalen und dem Selbstkonzept feststellen: Schüler mit positivem Selbstkonzept nehmen den Unterrichtsver­lauf allgemein günstiger wahr, empfinden weniger Leistungsdruck, Konkurrenz und Anonymität in ihrer Klasse als Schüler mit negativem Selbstkonzept. Dies kann in der Weise interpretiert werden, dass Schüler mit geringem Selbstkonzept eher Kontakte meiden und deshalb höhere Ausprägungen auf der Skala 'Anonymität' haben.



e) Leistung

Die Steigerung von Leistung ist wohl das älteste Motiv, warum Klimaforschung überhaupt durchgeführt wurde und wird. In der Organisationsforschung war dieser Grund schon immer der dominierende. Ein frühes Resümee kommt zwar zu dem Schluss, dass das Verhältnis von Leistung und Betriebsklima nicht so eindeutig sei (v. FRIEDEBURG, 19,66, 20), aber trotzdem arbeitet dieser Zweig der Organisationspsychologie auf diesem Gebiet weiter mit dem Ziel, das Klima zu optimieren (s. dazu: NEUBERGER, 1974 a, b) .


Auch in der Hochschul- und Schulforschung wird Leistung - z.T. in Anlehnung an den wirtschaftlichen Bereich - als Produktionsfaktor gefasst. So teilte THISTLETHWAITE (1959) Universitäten nach ihrer 'Ph. D. productivity' ein. Der Großteil der Sozialklimauntersuchungen aller­dings erfasst Leistung über Tests und Noten, manchmal nach Treatments, wie neue Curricula etc..


Die Ergebnisse zu diesem Bereich sind außerordentlich vielfältig und können nur zusammenfassend wiedergegeben werden. Folgende Sozialklimabereiche stehen in posi­tivem Zusammenhang mit der Leistung:


- Präferenz für das Fach (CENTRA, 1977; WALBERG, SINGH & RASCHER, 1977)

- positives Lehrer-SchülerVerhältnis (CENTRA, 1977; FEND, 1977; MOOS & MOOS, 1978)

- Zufriedenheit (FRASER & FISCHER, 1980, 1982; SCHEE­RER, 1978; WALBERG, SINGH & RASCHER, 1977; WALBERG & ANDERSON,     1972; WALBERG & HAERTEL, 1980)

- Kohäsion (KAHL et a1., 1977; WALBERG & ANDERSON, 1972; WALBERG, SINGH & RASCHER, 1977; WALBERG & HAER­TEL, 1980)

- Interesse und Engagement (SCHEERER, 1978)

- Sozialer Anschluß (MOOS & MOOS, 1978)

- Möglichkeiten zur Selbstbestimmung (FEND, 1977)

- Frömmigkeit (WALBERG & AHLGREN, 1970; WALBERG, SINGH & RASCHER, 1977; WALBERG & HAERTEL, 1980)

- Umgebung (s.o.)

- Demokratischer Führungsstil (s.o., 0'REILLY, 1975)


Die Ergebnisse, die durch den Einsatz des 'Learning Environment Inventory' ermittelt wurden, sind durch HAERTEL, WALBERG & HAERTEL (1979) zusammengefasst wor­den. Danach wirken sich besonders Kohäsion, Zufrieden­heit und Zielgerichtetheit positiv auf die Leistung aus. Negativ stehen diesen Dimensionen Cliquenbildung, Apathie, Desorganisation und Benachteiligung durch den Lehrer gegenüber. Weiterhin haben folgende Unterrichts­merkmale einen negativen Zuammenhang zur Leistung:


  • Schwierigkeit des Unterrichts (CENTRA, 1977; FRASER & FISHER, 1980, 1982)
  • Wettbewerb (KAHL et al., 1977)
  • Kontrolle durch den Lehrer (MOOS & MOOS, 1978)
  • Apathie (POWER & TISHER, 1979; WALBERG & HAERTEL, 1980).


DREESMANN (1980a) konnte mit den Skalen seines Klima­fragebogens nur 13% der Varianz von Rechentestleistun­gen erklären. Auch die Mittelwerte der Rechentest­leistungen in sogenannten 'klimapositiven' und 'klima­negativen' Klassen unterscheiden sich nicht. Individu­ell verrechnet zeigen sich dagegen sehr wohl Unter­schiede (DREESMANN, 1981c).


Eine Zusammenfassung der Ergebnisse, die hauptsächlich mit der 'Classroom Environment Scale' gewonnen wurden, liefert MOOS (1979). Es ergeben sich danach vier glo­bale Schlussfolgerungen, denen aber noch hypothetischer Charakter zugesprochen werden muss.


  • Ein soziales Klima, das durch starke Betonung sozia­ler Beziehungen ('Relationship') und durch hohe Verän­derungsbereitschaft ('Innovation') gekennzeichnet ist, führt zu größerer Zufriedenheit bei den Schülern, zu gesteigertem Interesse am Fach, zu positiverem sozialem Verhalten (Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit) und zu größerer Unabhängigkeit, Selbstachtung und Kreativität bei den Schülern als anders ausgepägte Klimate. Im Hinblick auf traditionelle Leistungsmaße schneiden Klassen, die durch ein solches Klima geprägt sind, allerdings weniger gut ab.
  • Gute Leistungen werden dagegen in Klassen erzielt, deren Klima durch hohe Ausprägungen in den Dimensionen 'Aufgabenorientierung', 'Wettbewerb', 'Organisation und 'Klarheit' gekennzeichnet ist. Dieses Klima ist aber weniger geeignet, Interesse, Kreativität und 'Mo­ral' der Schüler zu fördern.
  • Sehr stark auf Kontrolle ausgerichtete Klassen füh­ren zu Unzufriedenheit und Entfremdung bei den Schü­lern. Weder im persönlichen, sozialen, noch im Lei­stungsbereich zeigen sich positive Auswirkungen.
  • Steigerungen im Leistungsbereich lassen sich am ehesten in einem sozialen Klima erzielen, das durch eine Kombination folgender Merkmale gekennzeichnet ist: Freundliches und unterstützendes Verhalten von Seiten des Lehrers, Betonung schulischer Aufgaben und Lei­stungen sowie mittleres Ausmaß an Klarheit, Ordnung und Strukturierung. Unter diesen Bedingungen zeigen sich auch positive Auswirkungen auf Kreativität, Selbst­achtung und Unabhängigkeit.



FEND (1977) fand Auswirkungen des Leistungsstatus einer Klasse operationalisiert durch die Indizes 'Anteil der Schüler in A- bzw. C-Kursen' (für Gesamtschulen) und 'Notendurchschnitt', 'Anteil der Klassenwiederholer', 'Anteil der Abgänger von einer höheren Schulform' (für Schulen des 'traditionellen' Schulsystems) auf die Schulklimadimension 'Anpassungsdruck' und 'Sozialbezie­hungen'.


Da, wie bereits gesagt, der Zusammenhang von Leistung und Sozialklima am häufigsten untersucht wurde, sind die theoretischen Arbeiten in diesem Bereich auch rela­tiv weit fortgeschritten. Die meisten Untersuchungen zum Leistungsaspekt sind korrelativer Art oder verwen­den das Sozialklima als unabhängige Variable. Eine Ausnahme ist eine Untersuchung von FEND (1977), in der das Sozialklima abhängige Variable war.


SCHNEIDER (1978) sieht im Sozialklima die moderierende Variable zwischen der Fähigkeit eines Schülers und seiner tatsächlich vollbrachten Leistung. In einem schlechten Klima kommen die Fähigkeiten nicht voll zur Geltung, in einem guten nahezu vollständig. In einem guten Sozialklima kommen also die Leistungsmöglichkeiten von fähigen Schülern erst zum Tragen (s. Abb. 5.1). Diese moderierende Funktion des Sozial­klimas ist empirisch noch nicht in befriedigendem Aus­maß gesichert. Zwar liegen verschiedene theoretische Ansätze zu diesem Bereich vor (s. HAERTEL, WALBERG & WEINSTEIN, 1983), aber einen Einfluss auf empirische Untersuchungen haben sie derzeit nicht.



f) Interesse an der Schule

Schüler, die ein hohes Interesse am Schulbesuch bekun­den, sind allgemein zufriedener als ihre weniger in­teressierten Mitschüler (EPSTEIN & McPARTLAND, 1976b; FRASER & FISHER, 1980; WALBERG, 1969b,d, 1972). Auch fallen die Reaktionen der Schüler auf Lehrerverhalten positiver aus, die Förmlichkeit (WALBERG, 1972) nimmt zu.


 
“Abb. 5.1: Unterschiedliche Zusammenhänge zwischen Fähig­keit und Leistung bei guten und schlechten Schülern bei positivem (rechts) und negativem (links) Sozialklima“


Weniger interessierte Schüler nehmen den Unterricht als schwieriger wahr (FRASER & FISHER, 1980) und zeichnen sich durch höhere Werte auf den Dimensionen Cliquen­bildung, Apathie und Desorganisation aus (WALBERG, 1969b,d).



g) Zufriedenheit mit der Schule

Zufriedenheit ist lange als eigenständiges Konstrukt angesehen worden, heute bildet es einen wichtigen Be­standteil des Sozialklimas selbst.


Die Zufriedenheit eines Schülers mit der Schule im allgemeinen wird häufig erfragt, wenn auch manchmal nicht direkt (s. dazu GUION, 1973). LANG (1983) konnte feststellen, dass die Zufriedenheit mit zunehmendem Alter sinkt, bei Mädchen sowie Ausländern höher ist, und mit den eigenen Noten positiv korreliert.

Zufriedene Schüler erfahren mehr Innovationsorien­tierung, sozialen Anschluss und Wettbewerb. Weiterhin nehmen sie mehr Unterstützung durch den Lehrer wahr, klare Regeln und Normen sowie stärkere Ordnung und Organisation. Zudem empfinden sie weniger Kontrolle und Aufgabenorientierung (MOOS,1978, 1979b; NIELSON & MOOS, 1978; MOOS & TRICKETT 1974).


In der Sozialklimaforschung hat die Zufriedenheit des Schülers eine zentrale Rolle eingenommen, weil man z.T. die Abweichung des tatsächlichen Klimas von dem idealen Zustand als Zufriedenheitsindex werten wollte. Dieser Ansatz wird später noch einmal aufgegriffen
(siehe Kap. 5.4.2).



h) Das Geschlecht des Schülers

Einfach zu erhebende Variablen werden oft Gegenstand der Forschung. Zum Schülergeschlecht liegen wider­sprüchliche Ergebnisse vor. Einerseits ließen sich keinerlei Zusammenhänge zum Sozialklima nachweisen (HALL & SANDER, 1982; MOOS, 1979b; MOOS & TRICKETT, 1974; TALMAGE & HART, 1977; SILBERGELD & KOENIG, 1976; WALBERG et al. 1972), andererseits zeigen sich deut­liche Tendenzen.


Nach DREHER (1979) nehmen Mädchen die Umwelt durchgän­gig günstiger wahr, sie zeigen besonders hohe Toleranz, Mitbestimmung und Selbständigkeitserwartungen. Dies wurde auch für die Skalen des CES gezeigt (EPSTEIN, 1981b): Die Jungen haben durchweg höhere Werte auf Dimensionen, denen man ein negatives Attribut zuge­stehen könnte (Wettbewerbsorientierung, Cliquenbildung, Apathie etc.). Auch KAHL et al. (1977) stellten höhere Ausprägungen für Jungen auf den Dimensionen Wettbewerb und Ordnung sowie einschränkende Kontrolle fest.


Zusätzlich gibt es noch qualitative Unterschiede zwi­schen den Geschlechtern: Bei der Erhebung des Sozial­klimas durch sog. offene Verfahren hat sich gezeigt, daß Mädchen im Gegensatz zu den Jungen ihre Umwelt stärker durch personale und soziale Aspekte beurteilen (FOLLETT, ANDBERG & HENDEL, 1982; HOLAHAN, 1978; SOLO­MON & KENDALL, 1979).



i) Anteil der Geschlechter in Schule und Klasse

Obwohl EPSTEIN (1981a) resümiert, dass das Verhältnis der Zahl der Jungen zu der Zahl der Mädchen inkonsi­stente Ergebnisse bezüglich des Sozialklimas aufweist, lassen sich klare Trends nachweisen. So wird in ge­mischt-geschlechtlichen Gruppen eine höhere Kohäsion als in homogenen Gruppen wahrgenommen (MARSHALL & HES­LIN, 1975). Außerdem konnten SCHNEIDER & COUTTS (1982) eine große Eingebundenheit des Einzelnen, mehr Freude an nicht-akademischen Aktivitäten und weniger wahrge­nommene Kontrolle für gemischtgeschlechtliche Schulen nachweisen. Dagegen wiesen TRICKETT et al.(1982) für monogeschlechtliche Klassen nach, dass diese auf allen Skalen des CES (außer auf Innovationsbereitschaft) höhere Werte erhalten (vgl. auch MOOS & DAVID, 1981).


Weitere Hinweise ergibt die Forschung zur Interaktion zwischen Geschlecht und sozialem Status und deren Wirkung auf das Sozialklima: Jungen mit niedrigerem Status sind demnach mit ihrer Klasse zufriedener, wenn der Anteil der Mädchen des gleichen Status' hoch ist. Dagegen gibt es keine geschlechtsspezifischen Unter­schiede bei der Wahrnehmung der Schwierigkeit des Unterrichts durch Schüler/-innern mit hohem Status: Jungen und Mädchen nehmen sie geringer wahr (WALBERG et al., 1972).



j) Soziometrischer Status

Schüler mit hohem Status in ihrer Klasse sind zufrie­dener mit ihrer Klasse und zeigen mehr Interesse und Engagement (EPSTEIN & McPARTLAND, 1976a; vgl. PETILLON, 1982).



k) Intelligenz

Der Intelligenzquotient (IQ) des Schülers scheint eine stabilere Variable zu sein als das Sozialklima und hat als Wechselwirkungsvariable einen starken Einfluss (DRE­HER, 1979). Höhere Zusammenhänge zwischen IQ und Klima konnten allerdings bisher nicht nachgewiesen werden.


KAHL et al. (1977) konnten keinen Zusammenhang zwischen IQ und dem Lernsituationstest feststellen (s.a. WALBERG & AHLGREN, 1970). Eine mäßige Korrelation lag vor zwi­schen wahrgenommener Schwierigkeit des Unterrichts und dem IQ mit r=.40. Eine ähnliche Beziehung konnte HERR (1965) herausfinden: Von intelligenteren Schülern (IQ größer als 110) wird mehr 'intellectual press' wahrge­nommen. Auch DREESMANN (1979; vgl. 1981b) konnte auf Klassenebene keine signifikante Korrelation zwischen IQ und Klima feststellen. Intelligentere Schüler scheinen zufriedener zu sein, mehr Wettbewerbsorientierung und höhere Unterrichtsschwierigkeit wahrzunehmen. Anderer­seits konnte O'REILLY (1975) negative Zusammenhänge zu Cliquenbildung, Apathie, Desorganisation und internen Spannungen nachweisen.


Im Folgenden wird noch einmal der Einfluss des Klimas auf verschiedene Variablen der Schüler und auch der LehrerInnen dargestellt. Es sollen hierfür Ergebnisse neuerer Studien diskutiert werden. Die Auswirkungen des Klimas auf Schülerseite werden hierfür in drei Bereiche eingeteilt: den kognitiven Bereich, den motivational/emotionalen Bereich sowie den Bereich des Verhaltens und der Gesundheit.


Klimaeffekte auf den kognitiven Bereich

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Das wichtigste und wohl auch älteste Motiv der Klimaforschung ist das Erreichen einer Leistungssteigerung (vgl. SALDERN 1987, S. 179). Die Befunde älterer Studien diesbezüglich sind als uneinheitlich zu bezeichnen, was laut EDER (1996) u.a. an differierenden Klimadefinitionen, Erhebungsverfahren und Analysemethoden liegt (vgl. S. 67). Außerdem unterschieden frühere Studien laut DREESMANN et al. (1992) nicht zwischen verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten, weshalb die Autoren zu Beginn der 90er Jahre äußerten, dass es verfrüht sei, „aus Korrelationen von Klimawerten und schulischen Leistungen [...] zu folgern, Klima bedinge Leistung“ (S. 667). Folgende Interpretationsmöglichkeiten gebe es (vgl. DREESMANN et al. 1992, S. 666):

  1. Die jeweilige Klimakognition wirkt direkt auf die jeweilige Bezugsvariable ein (Beispiel: Klimakognition von Zufriedenheit bedingt Leistung).
  2. Die Klimakognition wirkt indirekt auf die Bezugsvariable ein (Beispiel: Wahrnehmungen von Zufriedenheit führen zu tatsächlicher Zufriedenheit; diese bedingt Leistung).
  3. Die Bezugsvariable wirkt direkt auf die Klimakognition ein (Beispiel: Leistungsstarke Schüler nehmen mehr Zufriedenheit wahr).
  4. Die Bezugsvariable wirkt indirekt auf die Klimakognition (Beispiel: Gute Leistungen führen zu Zufriedenheit, diese wird auch verstärkt wahrgenommen).
  5. Die der Klimakognition zugrunde liegende Realität wirkt unabhängig voneinander sowohl auf die Klimakognition wie auf die Bezugsvariable ein (Beispiel: Der Zufriedenheitsgrad in einer Klasse führt zu kollektiven Zufriedenheitswahrnehmungen und beeinflusst unabhängig davon individuelle Leistung).
  6. Die Erhebungen von Klima und Bezugsvariable hängen aufgrund von Methodenvarianz miteinander zusammen (Beispiel: gemeinsame Antwortsets in Befragungen zu wahrgenommener Zufriedenheit und Leistung).

In neueren Studien wird vermehrt davon ausgegangen, dass es sich um keine lineare Beziehung zwischen Klima und Leistung handelt, sondern dass bestimmte Moderatorvariablen ‚vermitteln’, dass es sich also um eine indirekte Beziehung handelt (siehe hierzu auch EDER 1996, S. 243). Nach GREWE (2003) wird hierunter z.B. das Verhältnis zu den Mitschülern oder die Integration in der jeweiligen Klasse vermutet (vgl. S. 32). Ein Beispiel für die indirekte Wirkung des Klimas auf Leistung liefert die Studie von HOLTAPPELS (2003), die er im Jahr 2000 mit 2.212 Schülern der Sekundarstufe I aus 96 verschiedenen Klassen in Niedersachsen durchführte (vgl. HOLTAPPELS 2003, S. 177). In einer Clusteranalyse konnte er in der Gruppe von Klassen, die durch ein hohes Maß an Wohlbefinden und psychosozialer Stabilität gekennzeichnet waren, feststellen, dass auch die Lernmotivation durchschnittlich höher ausgeprägt war, ein besseres Arbeitsverhalten vorlag, die Schüler über ein positiveres Selbstkonzept und über höhere Erfolgszuversicht verfügten und dass die Schüler dieser Klassen überdies hinaus signifikant bessere Mathematiktestleistungen vorzeigen konnten (vgl. HOLTAPPELS 2003, S. 195). Er weist allerdings darauf hin, dass für die Leistungsunterschiede auch die Überrepräsentanz der Realschüler und Gymnasiasten in diesem Cluster verantwortlich gemacht werden kann (vgl. S. 195).

Einen weiteren Hinweis auf den indirekten Einfluss des Klimas auf Leistungen findet sich bei KLIEME und RAKOCZY (2003), die im Rahmen der PISA-Studie 2000 herausfanden, dass im Gymnasialbereich die Unterstützung des Lehrers sowie die individuelle Bezugsnormorientierung zwar einen hohen Einfluss auf das mathematische Interesse haben, jedoch nur in geringem Maße auf die Mathematikleistung Einfluss nehmen (vgl. S. 355). In ähnlicher Weise gilt dies für den Leistungsdruck, der sich negativ auf die Interessensentwicklung auswirken kann, aber keine Relevanz für die Ausprägung der Leistung in Mathematik besitzt (vgl. S. 355). Zu vermuten wäre hier, da Leistung und Interesse signifikant miteinander korrelieren (vgl. KLIEME & RAKOCZY 2003, S. 354), dass die erstgenannten Unterrichtsmerkmale (Unterstützung und Bezugsnormorientierung) indirekt auf die Leistung einwirken, da das Interesse eine hohe Relevanz für Leistungen und Lernen hat. Bei der Vermutung eines indirekten Einflusses sollte demnach der Leistungsdruck vermieden werden, da er sich negativ auf das Interesse auswirkt.

In weiterführenden Analysen konnten außerdem eine effiziente Klassenführung (darunter fallen auch geringe Disziplinprobleme) und die kognitive Aktivierung (anspruchsvolles Üben) als wesentlich für die Leistungsentwicklung herausgestellt werden (vgl. KLIEME & RAKOCZY 2003, S. 356f).

FEND (1997) konnte im Rahmen seiner Konstanzer Längsschnittuntersuchung feststellen, dass die Wahrnehmung von sozialer Akzeptanz als Klimamerkmal und die Anstrengungsbereitschaft bei den Schülern anscheinend nicht gekoppelt sind. So gibt es „mit gleicher Wahrscheinlichkeit Schüler, die eine hohe Leistungsbereitschaft mit sozialer Ablehnung kombiniert erleben, wie solche, die wenig Anstrengung demonstrieren und gleichzeitig gut sozial akzeptiert sind“ (FEND 1997, S. 305).

HELMKE & WEINERT (1997) konnten im Rahmen der SCHOLASTIK-Studie für die Auswirkung des Sozialklimas auf Leistungen in Mathematik und Rechtschreiben die höheren Werte für den Bereich der Mathematik entdecken (.18) (vgl. S. 248), wobei sie nicht zwischen der unterschiedlichen Nutzung der Begriffe ‚soziales Klima’ und ‚Sozialklima’ zu unterscheiden scheinen, da sie in ihrer Tabelle die Werte für das soziale Klima angeben, in der späteren Erläuterung der Ergebnisse jedoch von dem Sozialklima die Rede ist (vgl. S. 248f). Für den Bereich Rechtschreiben gingen die Werte gegen Null (.02); dennoch erreicht das Sozialklima nicht die erhoffte Signifikanz und spielt somit nach den Autoren keine wesentliche Rolle für die Leistungsentwicklung (vgl. S. 249).

HELMKE, HOSENFELD und SCHRADER (2002) fanden in der Auswertung der Erhebungsdaten von MARKUS für alle drei Bildungsgänge (HS: Hauptschule, RS: Realschule, GY: Gymnasium) „hochsignifikante und praktisch sehr bedeutsame, fast lineare negative Zusammenhänge zwischen dem Ausmaß der subjektiven Belastung [der Lehrkräfte, Vf.] einerseits und der Mathematikleistung der Klasse andererseits“ (S. 444). Je höher sich demnach eine Lehrkraft belastet fühlt, desto geringer schneidet die zugehörige Klasse im Mathematiktest ab. Da es sich jedoch um eine Querschnittsanalyse handelt, ist die Wirkrichtung nicht eindeutig auszumachen (vgl. HELMKE, HOSENFELD & SCHRADER 2002, S. 445). Die Autoren beschreiben zum einen die Möglichkeit, dass eine leistungsschwache Klasse zu einem höheren Belastungsempfinden auf Seiten der Lehrkraft führen kann, dass aber zum anderen auch möglich wäre, dass sich stark belastet fühlende Lehrer einen weniger effizienten Unterricht durchführen und sich weniger engagieren, was wiederum die Leistungen der Schüler beeinträchtigen würde (vgl. S. 445).

In einem Extremgruppenvergleich besonders leistungsstarker und leistungsschwacher Klassen zeigte sich (wieder für alle drei getesteten Bildungsgänge) ein besonders großer Unterschied in nahezu allen Unterrichtsmerkmalen, die von den Schülern erhoben wurden. Demnach sind die erfolgreichen Klassen durch folgende Merkmale gekennzeichnet: hohe Motivierung, hohe Schülerorientierung, entwickelte Aufgabenkultur, gute Klassenführung sowie hohe Erwartungen der Lehrkräfte bezüglich der Anstrengung und Leistung (vgl. HELMKE, HOSENFELD & SCHRADER 2002, S. 458; vgl. auch KLIEME & RAKOCZY 2003, S. 355). Unter Schülerorientierung verstehen die Autoren das Ausmaß, in dem Lehrer ihre Schüler über Leistungen und Noten hinaus auch persönlich ernst nehmen und verstehen (vgl. S. 347); die Aufgabenkultur beinhaltet über das Einüben von Routinen hinaus, den Förderung von Verständnis und die Ermunterung der Schüler, eigene Lösungswege zu suchen bzw. zu finden (vgl. S. 343); eine gute Klassenführung beinhaltet nach den Autoren vor allem klare Regeln und die Vorbeugung von Störungen sowie schneller Intervention bei diesen (vgl. S. 348). Die Klassenführung sticht dabei in ihrem Einfluss auf die Leistung in besonderem Maße heraus (vgl. S. 460), vor allem für den Bildungsgang Hauptschule (vgl. S. 467). Im Bereich des erfragten Lernklimas konnte festgestellt werden, dass in den leistungsstarken Klassen durchschnittlich eine höhere Lernmotivation vorhanden ist sowie eine höhere Anstrengungsbereitschaft (vgl. S. 461). Das Selbstvertrauen ist nur in den Bildungsgängen Hauptschule und Gymnasium in den erfolgreichen Klassen stärker ausgeprägt, in den Realschulen konnte kein Unterschied diesbezüglich festgestellt werden (vgl. S. 461).

EDER (1996) fand bei seiner Untersuchung bezüglich des Zusammenhangs von Klima und Leistung zwar signifikante, aber dennoch nur verhältnismäßig geringe Korrelationen (vgl. S. 230f). Er untersuchte dabei sowohl das Individualklima, als auch das kollektive Klima, für das er in der Regel die niedrigeren Zusammenhänge für die Effektkriterien fand. Für Leistungen scheint insbesondere der Bereich des Individualklimas relevant zu sein und hier auf Klassenebene mit negativen Auswirkungen die Klimadimensionen Leistungs- und sozialer Druck, mit positiven Auswirkungen die Dimension der Schülerzentriertheit (vgl. EDER 1996, S. 231). Im Bereich des kollektiven Klimas weisen ebenfalls die Schülerzentriertheit und Disziplin (zu Disziplin vgl. auch KLIEME & RAKOCZY 2003, S. 354f) die höchsten positiven Korrelationen, sozialer Druck die höchste negative Korrelation auf (vgl. EDER 1996, S. 231). Die signifikanten, jedoch im Vergleich nicht hohen Zusammenhänge des Klimas mit den Leistungen könnten laut EDER „direkt über verbesserte Unterrichtsqualität (Schülerzentriertheit) vermittelt sein“ (EDER 1996, S. 241). Ein hoher Leistungsdruck sowie Strenge, von denen EDER bei Beginn seiner Untersuchung eine möglicherweise leistungsstimulierende Wirkung erwartete (vgl. S. 218f), erwiesen sich nach den Analysen jedoch als negativer Einfluss auf die Noten der Schüler (vgl. S. 241). In einer weiteren Analyse fand EDER (1996) heraus, dass lediglich der Leistungsdruck einen direkten, negativen Einfluss auf die Leistungen hat (vgl. S. 245), „die übrigen Wirkungen des Klimas sind vermittelt über Mitarbeit und Zufriedenheit“ (S. 245), wobei insbesondere das Klimamerkmal der Schülerzentriertheit hohe Korrelationen zu diesen ‚Moderatorvariablen’ aufweist und ihr somit ein hoher indirekter Einfluss auf die Leistungen zugesprochen werden kann. Für Jungen scheinen Umwelteinflüsse außerdem stärker wirksam zu sein (vgl. EDER 1996, S. 245), wobei im Allgemeinen gilt, dass der Zusammenhang zwischen Klima und Leistung steigt, je günstiger das jeweilige Klima subjektiv erlebt wird und dass in einem als negativ empfundenen Klima die Leistungen, die aufgrund der vorhandenen Fähigkeiten erbracht werden könnten, häufig nicht mehr erzielt werden (vgl. S. 247).

Klimaeffekte auf den motivational/emotionalen Bereich

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Lernmotivation
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Im Rahmen der MARKUS-Studie konnte zwischen den aus Schülersicht erhobenen Merkmalen Unterrichtsqualität, Klassenführung, Anspruchsniveau und Zeit für Reflexion ein positiver Zusammenhang mit der Lernmotivation gefunden werden, der zudem erheblich höher ausfällt als der Zusammenhang mit den Mathematikleistungen (vgl. HELMKE, HOSENFELD & SCHRADER 2002, S. 470). Auch hier muss angemerkt werden, dass aufgrund der Untersuchungsanlage die Wirkrichtung nicht klar ausgemacht werden kann (vgl. S. 470). Die Autoren halten wieder zwei Möglichkeiten für denkbar: „(1) Je besser, verständlicher, störungsfreier, anregender und abwechslungsreicher der Unterricht ist, desto motivierender ist er. Und umgekehrt: (2) In motivierten, interessierten, lernbereiten Klassen ist es einfacher, den Unterricht effektiv zu organisieren, schülerorientiert vorzugehen, den Stoff verständlich zu strukturieren etc.“ (S. 470). Nach Meinung der Autoren sind die Zusammenhänge zwischen den auf Lehrerangaben beruhenden Unterrichtsmerkmalen und der Lernmotivation aussagekräftiger (vgl. S. 471). Hier wurde vor allem für die Kleingruppenarbeit ein hoher, positiver Zusammenhang gefunden (vgl. HELMKE, HOSENFELD & SCHRADER 2002, S. 471).

Außerdem wird in derselben Quelle berichtet, dass sich ein hohes Anspruchsniveau des Unterrichts, das wiederum zu einem relativ hohen Zeitaufwand für die Hausaufgaben führt, nicht negativ auf die Lernmotivation auswirkt, sondern im Gegenteil für die Bildungsgänge Haupt- und Realschule eine positive Verbindung und für das Gymnasium keine Relevanz aufweist (vgl. HELMKE, HOSENFELD & SCHRADER 2002, S. 471). Außerdem korreliert die Methodenvielfalt positiv sowie die von Seiten der Lehrer berichtete Belastung negativ mit der Lernmotivation (vgl. S. 471). Es bleibt darauf hinzuweisen, dass Korrelationen in ihrer Interpretation, beispielsweise in Bezug auf die Kausalrichtung oder auf gegenläufige Effekte, Grenzen gesetzt sind (siehe hierzu HELMKE, HOSENFELD & SCHRADER 2002, S. 471f). Auch in der KESS 4-Studie konnte herausgestellt werden, dass Kinder, die eine hohe diagnostische Kompetenz bei ihrem Lehrer wahrnehmen, über eine höhere Lernmotivation verfügen (vgl. JANKE 2006, S. 175). Aufgeschlüsselt nach dem Geschlecht des Schülers konnte zudem herausgefunden werden, dass für Mädchen das positive Verhältnis zum Lehrer für die Ausprägung ihrer Lernmotivation nahezu bedeutungslos, die beim Lehrer wahrgenommene diagnostische Kompetenz jedoch bedeutsamer als für die Jungen erscheint (vgl. JANKE 2006, S. 176). Ein auf kollektiver Ebene als hoch empfundenes Durchsetzungsvermögen auf Seiten des Lehrers wirkt sich (anders als das individuell wahrgenommene Durchsetzungsvermögen) ebenfalls positiv auf die durchschnittliche Lernmotivation innerhalb einer Klasse aus (vgl. S. 176f).

Auch FREITAG (1998) fand Zusammenhänge zwischen dem Schulklima und der Schulmotivation. Laut seiner Studie sind Schüler, die ihre Schule als unsauber und ihren Klassenraum nicht als schön empfinden, durch eine geringe Schulmotivation gekennzeichnet (vgl. S. 154). In gleicher Weise wirkt eine schlechte Ausstattung der Schulräume (vgl. S. 154). Eine „extrem niedrige Schulmotivation“ (S. 155) zeigt sich laut FREITAG (1998), wenn viele Lehrer als diskriminierend und ungerecht erlebt werden. Der Umkehrschluss, dass sich als gut eingeschätzte Lehrer eher positiv auf die Schulmotivation auswirken, wurde ebenfalls bestätigt (vgl. S. 155). Auch ein diskursiver Unterrichtsstil sowie das Ausmaß der persönlichen Zuwendung korrelieren positiv mit der Schulmotivation (vgl. FREITAG 1998, S. 155). Der Autor merkt jedoch auch an, dass die Effekte, die auf die Interaktion mit den Lehrern zurückzuführen sind, stärker ausgeprägt sind als diejenigen, die sich auf die physikalischen Gegebenheiten beziehen (vgl. S. 155). Auch die positiv erlebte Kohäsion der Schüler untereinander erweist sich als, wenn auch geringer, positiver Einfluss auf die Schulmotivation (vgl. FREITAG 1998, S. 156). Ein erheblicher Einfluss wird der Disziplinwahrnehmung innerhalb der Klasse zugesprochen. So fällt die Schulmotivation umso geringer aus, je lauter und undisziplinierter die Klasse wahrgenommen wird (vgl. S. 157).

Lernfreude
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Nach GREWE (2003) steht die Entwicklung der Lern- und Leistungsemotionen in einem engen Zusammenhang mit dem Klima (vgl. S. 32). Der Autor nennt die Ergebnisse einer Studie von HELMKE (1993), nach der die Lernfreude vom Kindergarten bis zur Einschulung abnimmt, um in den ersten Schuljahren einen deutlichen Anstieg zu verzeichnen und danach wieder kontinuierlich abzunehmen (vgl. S. 32). Diesen Befund unterstützt eine Befragung von 2.000 Kindern und Jugendlichen von SOMMER, ALTENSTEIN, KUHN, WIESMANN (2006), nach der die Lernfreude in den ersten beiden Klassen am höchsten ist, danach beständig abnimmt und erst in der 10. Klasse wieder leicht zunimmt (vgl. S. 26). Gründe für diese Entwicklung sieht PEKRUN (1998, zit. nach GREWE 2003) in einem „Rückgang der Selbstregulation in schulischen Lernsituationen“ (S. 32), der negative Lernemotionen hervorruft. Mit „Selbstregulation“ ist die Möglichkeit des Individuums gemeint, „sich dem Einfluss der unmittelbaren und stellvertretend erfahrenen Umweltbedingungen entziehen und selbst die Steuerung seines Verhaltens in die Hand nehmen [zu können]“ (vgl. SCHERMER 2006, S. 726).

Der hohe Zusammenhang zwischen Klima und Lernfreude kann auch durch die Befunde von EDER (1996) bestätigt werden, der für die Zufriedenheit, zu der die Freude am Schulbesuch zählt, nahezu durchgehend Korrelationen fand, die auf eine deutliche Beziehung zum erlebten Klima hinweisen (vgl. S. 230f). Das Individualklima, und hier vor allem auf Klassenebene die Klimadimensionen Schülerzentriertheit (je mehr, desto höher die Zufriedenheit), Leistungs- und sozialer Druck (je mehr, desto geringer die Zufriedenheit) sowie auf Schulebene die Dimensionen Wärme und Anregung (je mehr, desto höher die Zufriedenheit), konnte aufgrund höherer Korrelationen auf eine deutlichere Beziehung hinweisen als das kollektive Klima (vgl. S. 231). Das Schulklima besitzt dabei insgesamt den größeren Anteil am Einfluss (vgl. EDER 1996, S. 235). Auch aus den Ergebnissen der KESS 4-Studie ist ersichtlich, dass sich ein positives Verhältnis zum Lehrer (in diesem Falle der Deutschlehrer) stark auf die Schulfreude auswirkt (vgl. JANKE 2006b, S. 175). In einer weiteren Analyse wurde der Frage nachgegangen, ob sich je nach Geschlecht des Schülers unterschiedliche Beziehungen zwischen der Wahrnehmung des Lehrers und der Schulfreude ergeben. Es stellte sich heraus, dass bei den Mädchen anscheinend ein als höher empfundenes Durchsetzungsvermögen des Lehrers höhere Effekte auf die Schulfreude ausübt als bei Jungen (vgl. JANKE 2006b, S. 175f), wohingegen sich die diagnostische Kompetenz eines Lehrers für Mädchen in Bezug auf ihre Lernfreude als unbedeutend erweist (vgl. S. 176).

HOLTAPPELS (2003) fand heraus, dass sich die Lehrer-Schüler-Beziehung, soziale Bindung an die Lerngruppe sowie die Ausprägung an Restriktivität und Schülerpartizipation deutlich auf das Ausmaß der Schulverdrossenheit auf Seiten der Schüler auswirken kann – mit anderen Worten: durch diese Variablen wird die sozio-emotionale Bindung und Beziehung der Schüler zu ihrer Schule stark beeinflusst (vgl. S. 189, 192f). 

Zusammenfassend äußert sich JANKE (2006b), dass sich die Klassenzugehörigkeit  sowie die Einstellungen des Lehrers deutlich auf die Unterrichtswahrnehmung auswirken und somit auch die Schulfreude und Lernmotivation beeinflusst wird, die wiederum in Zusammenhang mit den Schülerleistungen stehen (vgl. S. 177). Hier wird erneut der komplexe Sachverhalt des Lernens deutlich.

Selbstkonzept
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Nach JERUSALEM & SCHWARZER (1991, zit. nach GREWE 2003) dient das Klassenklima als Moderatorvariable zwischen dem Verhalten des Lehrers (Bezugsnormorientierung, Objektivität, Hilfsbereitschaft, Toleranz, Gelassenheit, Tadel, Lob) und der Entwicklung des Selbstkonzepts der Schüler (vgl. S. 35). Diese Vermittlerrolle des Klimas könnte erklären, warum sich in früheren Längsschnittuntersuchungen ein nur schwacher Zusammenhang zwischen dem Klima und dieser Effektvariable zeigte (vgl. zusammenfassend bei DREESMANN et al. 1992, S. 662). In der Längsschnittuntersuchung von JERUSALEM & SCHWARZER (1991, zit. nach GREWE 2003) stellte man fest, dass „das Selbstkonzept eigener Fähigkeiten in der Grundschule stärker als in späteren Schulformen besonders durch ein negatives Klassenklima gefährdet ist“ (S. 34). Bezieht man nun das Wissen um die hohe Relevanz des Selbstkonzeptes für die Leistungen mit ein (vgl. WILD, HOFER, PEKRUN 2001; DICKHÄUSER 2006; HELMKE & WEINERT 1997a; FILIPP 2006), wird deutlich, dass insbesondere im Primarbereich auf ein positives Klima geachtet werden sollte. Dadurch, dass dem Klassenklima eine Vermittlerrolle zukommt, trägt es eine besondere Bedeutung, die vermutlich höher einzuschätzen ist, als es noch von DREESMANN et al. (1992) konstatiert wurde (vgl. S. 662). Auch EDER (1996) fand für den Zusammenhang zwischen Klima und Ausprägung des Selbstkonzepts signifikante Korrelationen, die jedoch deutlich geringer waren als diejenigen bezüglich der Zufriedenheit, Mitarbeit oder Belastung (vgl. S. 231). Beim individuell wahrgenommenen Klassenklima weisen die Klimadimensionen Leistungsdruck (je mehr, desto geringer das Selbstkonzept), Kohäsion (je mehr, desto höher das Selbstkonzept) und Schülerzentriertheit (je mehr, desto höher das Selbstkonzept) die höchsten Korrelationen auf, auf der Ebene der Schule sind es die Dimensionen Wärme und Anregung, die sich günstig auf das Selbstkonzept der Schüler auswirken (vgl. S. 231 bzw. S. 242). Das kollektive Klima scheint nahezu keine Relevanz diesbezüglich zu besitzen (vgl. EDER 1996, S. 231).

Emotionale Beschwerden
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Signifikante Korrelationen weisen in der Studie von FREITAG (1998) darauf hin, dass die Sauberkeit der Schule und die Beurteilung des Klassenraumes als ‚schön’ mit emotionalen Beschwerden in Beziehung stehen (vgl. S. 154). Schüler, die beide Merkmale negativ beurteilen, sind laut FREITAG (1998) häufiger gereizt, nervös, haben Schlafprobleme und sind in Folge dessen auch öfter müde (vgl. S. 154). Die Müdigkeit reduziert sich laut FREITAG (1998), wenn in der Klasse eine positive Kohärenz wahrgenommen wird (vgl. S. 156). Sehr großer Einfluss wurde in dieser Studie für die erlebte Disziplin gefunden. Schüler, die diese in ihrer Klasse gering einschätzen, berichten vermehrt über somatische und emotionale Beschwerden und geben tendenziell mehr Fehltage an (vgl. S. 157). 

Psychische Belastungen
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Klimadimensionen, die im Hinblick auf psychische Belastungen erfragt werden, sind v.a. das Lehrer-Schüler-Verhältnis und das Schüler-Schüler-Verhältnis. Die PROJEKTGRUPPE BELASTUNG führte 1998 im Auftrag des Kultusministeriums Baden-Württembergs eine Studie mit 4.326 Schülern der 6. und 8. Klassenstufe von Haupt- und Realschule sowie Gymnasium durch. Die eingesetzten Erhebungsinstrumente beinhalteten die oben genannten Klimadimensionen. Die Auswertung der Skalen Angst und schulische Anforderungen spiegelte höchste Belastungen wider (vgl. GREWE 2003, S. 35). Im Folgenden sollen die von den Schülern angegebenen Werte dargestellt werden (vgl. PROJEKTGRUPPE BELASTUNG 1998, S. 60 bzw. S. 76f, zit. nach GREWE 2003, S. 35f):

  • Angst vor Arbeiten (HS 48%, RS 48,5%, Gymn. 44%)
  • Angst etwas Falsches zu sagen bei Aufruf (HS 31%, RS 27,8%, Gymn. 23,9%)
  • Reaktive Depressivität[#_ftn3 [3]] in letzter Zeit (20-30%, ohne Schulformunterschiede). Reaktive Depressivität bezeichnet „‚[begründete] Verstimmungen des gesunden Lebens’“ (KÖHLER 1999, S. 15). Des weiteren klassifiziert sie der Autor als „abnorme Trauerreaktion auf einen objektiv nachweisbaren Verlust“ (S. 19).
  • Stark belastet durch Anforderungen (Gymn. 25,7%, RS 25,2%, HS 25,3%)

Bei der Frage nach der allgemeinen Belastung zeigten sich die negativsten Werte jedoch bei Haupt- und Realschülern; die günstigsten Werte bei den Gymnasiasten (PROJEKTGRUPPE BELASTUNG 1998, S.218, zit. nach GREWE 2003, S. 36).

Nach FREITAG (1998) ist die Belastung durch die Schule noch höher. Er fand heraus, dass nur 60% der Schüler als nahezu beschwerdefrei anzusehen sind und insbesondere Mädchen stark belastet erscheinen (vgl. S. 244f). Hinzu kommt, dass stark belastete Schüler anscheinend nur wenige soziale Unterstützungssysteme besitzen, d.h., dass sie beispielsweise angaben keine oder nur wenig Hilfe bei ihren Hausaufgaben zu erhalten oder wenig Kontakt zu anderen Schulmitgliedern bei Schulproblemen suchen (vgl. PROJEKTGRUPPE BELASTUNG 1998, zit. nach GREWE 2003, S. 36). Auch wurde ermittelt, dass ein schlechter Notendurchschnitt im Vergleich zu klimaspezifischen Faktoren, wie beispielsweise das Lehrerverhalten oder die emotionale Einstellung zur Schule, „deutlich weniger belastend [ist, Vf.]“ (PROJEKTGRUPPE BELASTUNG 1998, S. 179, zit. nach GREWE 2003, S. 36). Die größte Relevanz kommt diesbezüglich dem Lehrer-Schüler-Verhältnis zu, also der Art, wie Schüler ihre Lehrer erleben (vgl. PROJEKTGRUPPE BELASTUNG 1998, S. 179, zit. nach GREWE 2003, S. 36).

Auch die Beziehungen zu den Mitschülern können sich, insofern sie ungünstig ausgeprägt sind, negativ auf das Bild eines Kindes bzw. Jugendlichen von der Schule im Allgemeinen auswirken sowie mit schwierigen Beziehungen zu den Lehrern und Eltern in Verbindung stehen (vgl. PROJEKTGRUPPE BELASTUNG 1998, S. 128, zit. nach GREWE 2003, S. 37). Die hohe Bedeutung der Mitschülerbeziehung wurde auch schon von BERGMANN (1984, zit. nach EDER 1996, S. 76) herausgestellt.

„Eine schlechte Beziehung zu den Mitschülern scheint also eine Art Warnsignal für Belastung zu sein: Höhere Schulangst, niedrigeres Selbstwertgefühl, höhere reaktive Depressivität, deutlichere physische Stresssymptomatik deuten auf ein insgesamt problematisches Verhältnis zur Schule und den dort verlangten Leistungen hin“ (PROJEKTGRUPPE BELASTUNG 1998, S. 128, zit. nach GREWE 2003, S. 37). EDER (1990, zit. nach GREWE 2003) konnte in einer Studie mit 3.100 Kindern feststellen, dass sozial nicht integrierte Kinder viermal häufiger als integrierte Kinder angaben, sich nicht gesund zu fühlen und zudem mehr Beschwerden sowie eine höhere Nutzung von Medikamenten aufwiesen (vgl. S. 37). Schulangst hänge laut der Studie in erster Linie mit der Vereinzelung des Kindes innerhalb seiner Klasse zusammen und werde vorwiegend durch schlechte Beziehungen zu den Mitschülern begünstigt (vgl. S. 37).

Eder (1996) konnte feststellen, dass bezüglich des Zusammenhangs zwischen Klima und Belastung das Individualklima eine sehr hohe Relevanz zu haben scheint, während das kollektive Klima so gut wie keine signifikanten Korrelationen aufwies (vgl. S. 231, 235; für ähnliche Ergebnisse siehe auch HOLTAPPELS 2003, S. 192). Die Diskrepanz im Einfluss zwischen diesen beiden Ebenen (individuelles und kollektives Klima) ist bei dem Effektkriterium der Belastung besonders hoch, was laut EDER (1996) ein Hinweis auf große Diskrepanzen zwischen der individuellen Klimawahrnehmung und dem durchschnittlichen Klima in der Klasse ist (vgl. S. 231f). Seiner Meinung nach könne es sich um eine Art Wechselwirkung handeln, in dem Sinne, dass eine „erhöhte Belastung durch die Schule [dazu führt, Vf.], daß die Erfahrungen in der schulischen Umwelt zunehmend negativer wahrgenommen und bewertet werden“ (EDER 1996, S. 232). Besonders hohe Korrelationen zeigten sich im individuell wahrgenommenen Klassenklima auf den Klimadimensionen Leistungs- und sozialer Druck (je mehr, desto höher die Belastung) sowie auf Schulebene auf der Dimension der Strenge (je mehr, desto höher die Belastung) (vgl. S. 231). Wärme und Anregung auf der Schulebene „als Ausdruck guter personaler Beziehungen zu den Lehrern“ (EDER 1996, S. 242) wirken hingegen entlastend (vgl. S. 231 bzw. S. 242), wobei insgesamt gesehen dem Klassenklima der größere Einfluss zukommt (vgl. S. 235). EDER (1996) äußert auch, dass sich psychische Belastungen durch die Schule insgesamt gut durch schulische Klimaerfahrungen vorhersagen lassen (vgl. S. 242).

EDER (1996) legt außerdem ein Modell zur Genese schulischer Belastungen vor, in dem es heißt, dass bestimmte Klimadimensionen wie Sozial- und Leistungsdruck sowie Kohäsion und Schülerzentriertheit über psychische Verarbeitungsprozesse in negativen Emotionen (depressive Verstimmung) oder positiven Emotionen (Schulzufriedenheit) münden können, die wiederum zwei Bewältigungsmuster ermöglichen (vgl. S. 247f). Im aktiven Bewältigungsmuster wird erhöhte Anstrengung aufgebracht; innerhalb und außerhalb der Schule wird mehr Zeit aufgebracht, um mit den Anforderungen zurechtzukommen (vgl. S. 248). Im reaktiven Bewältigungsmuster hingegen wird zu allgemeinen Stressreaktionen tendiert, die sich in bestimmten Situationen als Schul- und Prüfungsangst, Herzklopfen, Nervosität etc. äußern und bei andauernder Nichtbewältigung der schulischen Anforderungen in psychovegetativen Beschwerden enden können (vgl. S. 248). Als häufige psychovegetative Beschwerden führt PREUSS (1996) Kopfschmerzen, innere Unruhe, Übelkeit, Konzentrationsstörungen, Schwindel sowie Ermüdungserscheinungen und Schlafprobleme an (vgl. S. 30). Dem Klima kommt demnach im Bereich der Belastung ein indirekter Einfluss zu. Bei Überprüfung des Modells über einen Zeitraum von drei Jahren konnte er zwei Bestimmungsketten herausstellen (EDER 1996, S. 250):

§„Leistungsdruck steht deutlich mit Depressiver (sic!) Verstimmung, Schulstreß und psychovegetativen Beschwerden in Verbindung.

§Schülerzentriertheit führt zu Schulzufriedenheit und verstärkter Anstrengung in- und außerhalb der Schule.“

Interessant ist auch das Ergebnis, dass Jungen in ihrer psychovegetativen Belastungen merklich sensibler auf die Schulumwelt reagieren (vgl. EDER 1996, S. 250). „Ihre Anstrengung [von den Jungen, Vf.] für die Schule (‚Mitarbeit’) und ihre Schulzufriedenheit hängt deutlich stärker von einigen Faktoren des Klimas ab als bei den Mädchen. Bei diesen sind offensichtlich andere – vermutlich in der Person liegende – Faktoren dafür verantwortlich“ (EDER 1996, S. 250).

Interesse
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Für die Interessen spielt das Klima laut den Befunden von EDER (1996) keine sehr große Rolle. Die Ergebnisse waren zwar signifikant, doch deutlich niedriger als bei den anderen untersuchten Effektkriterien (vgl. S. 231). Im Bereich des individuell wahrgenommenen Klassenklimas zeigen die Klimadimensionen Disziplin und Schülerzentriertheit die höchsten positiven Korrelationen, auf Schulebene sind es die Dimensionen Strenge und Anregung (vgl. S. 231). Das kollektive Klima weist ähnlich hohe Zusammenhänge auf (vgl. EDER 1996, S. 231). EDER (1996) merkt jedoch an, dass trotz der Bestätigung der Möglichkeit durch ein positiv wahrgenommenes Klima schultypische Interessen aufrecht zu erhalten oder zu entwickeln, „die spezifischen Beiträge der einzelnen Klimadimensionen dazu [...] relativ niedrig [sind, Vf.]“ (S. 242). Vor allem bei den Jungen gebe es Hinweise, dass „hohe Erwartungen (Schülerzentriertheit, Disziplin, Strenge, sozialer Druck) dazu beitragen, die schultypischen Interessen aufrechtzuerhalten“ (EDER 1996, S. 242). Im Rahmen von PISA 2000 konnte man die wahrgenommene Beziehungsqualität (und dies nicht nur für Deutschland) als einziges Unterrichtsmerkmal identifizieren, das in einem signifikanten positiven Zusammenhang mit dem Interessensniveau der Schüler steht (vgl. KLIEME & RAKOCZY 2003, S. 348). Bei den Untersuchungen innerhalb Deutschlands stellten sich außerdem für den mathematischen Bereich an Gymnasien eine effiziente Klassenführung, kognitive Aktivierung in Form anspruchsvollen Übens, Disziplin sowie in besonderem Maße die individuelle Unterstützung des Lehrers und eine individuelle Bezugsnorm dessen bei der Beurteilung von Schülerleistungen als positiv für die Interessenentwicklung heraus (vgl. KLIEME & RAKOCZY 2003, S. 355, 358). Ein negativer Einfluss zeigte sich lediglich beim Leistungsdruck (vgl. S. 355), wobei die Autoren darauf hinweisen, dass diese Zusammenhänge nicht nur auf individueller, sondern auch auf institutioneller Ebene bestehen, dass PISA 2000 jedoch aufgrund des querschnittlichen Untersuchungsdesigns keine Wirkungen belegen kann (vgl. KLIEME & RAKOCZY 2003, S. 359). Hierfür wären laut KLIEME & RAKOCZY weitere längsschnittliche Untersuchungen nötig (vgl. S. 359).


Klimaeffekte auf das Verhalten und die Gesundheit

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Aggressionen und Devianz
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Schon die älteren Forschungsbefunde haben gezeigt, dass sich das Klima auf das Verhalten der Schüler auswirken kann (vgl. FEND & SCHNEIDER 1984, zit. nach EDER 1996, S. 73). Es scheint, als ob sich Emotionen und Aggressionen während des Unterrichts bei den Schülern ansammeln, um sich insbesondere in den Pausen in entsprechendem Verhalten zu entladen. Befunde hierzu liefern NIEBEL, HANEWINKEL und FERSTL (1993, zit. nach GREWE 2003, S. 33), die eine repräsentative Befragung im Auftrag des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport durchführten. TILLMANN, HOLLER-NOWITZKI, HOLTAPPELS, MEIER, POPP(2000) fanden in ihrer Befragung von Schülern unterschiedlicher Schulformen Zusammenhänge zwischen dem dort herrschenden Klima und Ausprägungen aggressiven Verhaltens in Form von physischer und psychischer Gewalt. Das Auftreten von Gewalt steigt, je negativer das Klima empfunden wird.

Über sämtliche Sozialklimamerkmale und über fast alle Lernkulturmerkmale (außer Schulraumqualität) hinweg zeigt sich, daß in Schulklassen mit schlechtem Klima eine deutlich und signifikant höhere Gewaltintensität (bei psychischen und physischen Formen) beobachtbar ist als in Schulklassen mit gutem Klima bzw. positiven Urteilen der Schüler(innen) einer Klasse (TILLMANN et al. 2000, S. 238).

Als besondere Risikofaktoren stellten sich die Restriktivität der Regelanwendung, also die „rigide Anwendung und Durchsetzung von Regeln und Konfliktlösungsmustern aufgrund subjektiver Situationsdefinitionen der Lehrer/innen und die offen disziplinierenden und etikettierenden Lehrerreaktionen“ (MEIER 2004, S. 235)[#_ftn2 ,] sowie die Desintegration[#_ftn3 ]in der Schülergruppe heraus, worunter „die Qualität der integrativen Einbindung in Lerngruppe und Schule [fällt], also das Wohlbefinden, die Anerkennung, die soziale Einbindung, Freundschaftsbildungen, Gruppenkonflikte, Konformitätszwänge und der Ausschluß aus der Gruppe“ (MEIER 2004, S. 235).

Akzeptanz durch den Lehrer hingegen, schülerorientierter Unterricht, Lebensweltbezug der Lerninhalte sowie das Angebot an außerschulischen Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten wurden als gewaltmindernd befunden (vgl. TILLMANN et al. 2000, S. 237f). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch HOLTAPPELS (2003, S. 192) und MEIER (2004, S. 218) sowie ältere Studien (vgl. FEND & SCHNEIDER 1984; HOLTAPPELS 1985, beide zit. nach EDER 1996, S. 73f). MEIER (2004) überprüfte die Zusammenhänge zwischen den Deliktformen physischer und psychischer Gewalt sowie des Vandalismus und Sozialklimamerkmalen mit Hilfe von 3.417 Schülern der Sekundarstufe I verschiedener Schulformen. Neben der schon bei TILLMANN et al. (2000) als wichtige Einflussgrößen konstatierten Restriktivität der Regelanwendung und Desintegration, ermittelt MEIER (2004) zusätzlich die soziale Etikettierung als in dieser Hinsicht zentrale Größe eines negativen Einflusses (vgl. S. 235; siehe hierzu auch HOLTAPPELS 2000, S. 239ff). Unter ihr versteht er die Wahrnehmung der Schüler, „ungerechtfertigten Verdächtigungen und Strafzuweisungen ausgesetzt zu sein, intensiv durch Lehrpersonen beobachtet zu werden und als Störenfried betrachtet zu werden“ (S. 235). Diese drei Klimadimensionen stehen in einem besonders negativen Zusammenhang zu den drei überprüften Deliktformen.

Mitarbeit
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Aber das Klima hat offensichtlich nicht nur Auswirkungen auf aggressives Verhalten, es kann anscheinend auch „in relativ hohem Ausmaß“ (EDER 1996, S. 242) Einfluss auf die Mitarbeit im Unterricht nehmen. So fand EDER (1996) zwischen dieser und nahezu allen untersuchten Klimadimensionen signifikante Zusammenhänge (vgl. S. 230f). Das Individualklima scheint dabei mehr Einfluss ausüben zu können als das kollektive Klima, das durchgängig niedrigere Korrelationen aufzeigt (vgl. S. 231, 235). Bezüglich des Klassenklimas auf individueller Ebene scheinen die Klimadimensionen Schülerzentriertheit und Disziplin positive, sozialer Druck negative Auswirkungen auf die Mitarbeit zu haben, auf der Ebene der Schule sind es vor allem die Dimensionen der Anregung und Wärme, die sich günstig auf die Mitarbeit auswirken (vgl. S. 231). Insgesamt ließ sich ein höherer Einfluss für das Klassenklima feststellen (vgl. S. 235).

Alkoholgenuss
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Einen interessanten und gleichzeitig alarmierenden Befund machten JERUSALEM & MITTAG (1997, zit. nach GREWE 2003), die einen Zusammenhang zwischen der Unterstützung der Mitschüler und dem Alkoholkonsum Jugendlicher feststellten (vgl. S. 33f). In einer Gesamtschule Brandenburgs führten sie mit acht Klassen der Sekundarstufe I ein fünftägiges Suchtpräventionsprogramm durch und nahmen jeweils vor und nach dem Programm sowie nach acht Monaten einen Vergleich mit acht Kontrollklassen vor. Als Ergebnis fanden sie, dass insbesondere Jungen durch eine geringe Unterstützung ihrer Mitschüler zu erhöhtem Alkoholkonsum neigen und ohne entsprechenden Rückhalt in der Gemeinschaft nach dem Präventionsprogramm vermehrt rückfällig geworden sind (vgl. S. 34). Alarmierend ist das Ergebnis vor allem daher, weil mangelnde Unterstützung nicht nur zu einem höheren Alkoholgenuss, sondern auch „ohne Intervention zu einer kontinuierlichen und drastischen Zunahme des Alkoholkonsums führt“ (JERUSALEM & MITTAG 1997, S. 146, zit. nach GREWE 2003, S. 34). Auch FEND(1997), der das Ausmaß an Leistungsangst, körperlichen Belastungen sowie Rauchen und Alkoholkonsum bei Neuntklässlern aus Deutschland mit den Ausprägungen der Schüler neunter Klassen aus der Schweiz verglich, konnte die jeweils ungünstigeren Ergebnisse für die deutschen Schüler feststellen (vgl. S. 238f). Diese weisen demnach nicht nur den höheren Alkoholkonsum, sondern zudem eine erhöhte Praxis des Rauchens auf. Ein Zusammenhang mit dem Klima wird hier nicht explizit genannt, kann dennoch aber vermutet werden, da sich Schweizer Schüler an ihren Schulen anscheinend bedeutend wohler fühlen als dies für Schüler Deutschlands gilt (vgl. hierzu FEND 1997, S. 158f).

Gesundheit
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Es stellte sich in der Studie von FREITAG (1998) heraus, dass Schüler, die ihre Schule positiv einschätzen, auch ihren allgemeinen Gesundheitszustand positiver wahrnehmen (vgl. S. 154). Dementsprechend berichten sie über weniger Krankentage sowie weniger somatische oder emotionale Beschwerden (vgl. FREITAG 1998, S. 154). Besonders hohe Korrelationen ergaben sich zwischen der Gesundheit und der Einschätzung des Lehrkörpers. Insbesondere wenn viele Lehrer in ihrem Verhalten als diskriminierend und ungerecht erlebt werden, berichten die Schüler von zahlreichen Beschwerden (vgl. FREITAG 1998, S. 154). Außerdem ist in diesem Fall der Medikamentenkonsum erhöht und die Schüler fehlen häufiger (vgl. S. 155). Ebenfalls wirken sich ein diskursiver Unterrichtstil sowie ein hohes Ausmaß der persönlichen Zuwendung positiv auf die Einschätzung der eigenen Gesundheit aus (vgl. FREITAG 1998, S. 155). Geringe Beschwerden von Seiten der Schüler sind zu verzeichnen, wenn der Eindruck vorherrscht, Regeln seien bekannt und würden überwiegend eingehalten und wenn die Schule insgesamt eher als streng bezeichnet wird (vgl. FREITAG 1998, S. 156). Für die Kohäsion innerhalb einer Klasse wurde ein schwacher positiver Zusammenhang mit der Gesundheit festgestellt (vgl. S. 156).

Abschließend äußert FREITAG (1998), dass das Selbstwertgefühl, die Selbstwirksamkeitserwartung sowie die sozialen Kompetenzen der Schüler Ansatzpunkte darstellen, um präventiv auf den Gesundheitszustand einzuwirken, da alle drei Merkmale entsprechende, wenn auch nicht unbedingt lineare Zusammenhänge mit der Gesundheit aufweisen (vgl. S. 157f). Die Relevanz der Gesundheit für das Lernen (vgl. SANDER 1981; SEMMELMEYR 2007; SOMMER et. al. 2006) verdeutlicht die Dringlichkeit, mit der sich Schulen über entsprechende Fördermöglichkeiten informieren und geeignete Maßnahmen umsetzen sollten.


Auswirkungen des Klimas auf die Lehrer

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Das Klima an den Schulen hat natürlich nicht nur Einfluss auf Schülermerkmale, sondern auch auf Merkmale der Lehrer. So kann sich eine negative Wahrnehmung der Schule auch bei ihnen negativ auf das Wohlbefinden auswirken und einen erhöhten Medikamentenkonsum sowie mehr Fehltage nach sich ziehen (vgl. FREITAG 1998, S. 213). Wird die Schule hingegen als positiv beschrieben, so fällt das Urteil der Gesundheit im Großen und Ganzen positiv aus (31% der Lehrkräfte gaben an, sich sehr gut zu fühlen, 62% sich ziemlich gut zu fühlen) (vgl. S. 213). Signifikant ist auch der Befund, dass Lehrer, die häufig fehlen, auch oft angeben, dass ihre Klassen laut und undiszipliniert seien (vgl. FREITAG 1998, S. 214). Lehrkräfte, die ihre Klassen in dieser Hinsicht wahrnehmen, verspüren zudem mehr Nervosität und Ärger (vgl. FREITAG 1998, S. 214). BARTH (1997, 1998, zit. nach GREWE 2003, S. 48) konnte durch eine Befragung von 120 Grund- und Hauptschullehrern feststellen, dass ein Viertel nicht oder in geringem Ausmaß, zwei Viertel in mittlerem Ausmaß und ein Viertel sehr stark von Burnout betroffen ist, wobei anzumerken ist, dass „in der Burnout-Einstiegsphase vorwiegend unrealistische Erwartungen und Kompetenzdefizite zu den typischen enttäuschenden Berufserfahrungen führen“ (SCHMITZ 1998, S. 128, zit. nach GREWE 2003, S. 49). GREWE (2003) führt viele Studien an, in denen sich herausstellte, dass vor allem die sozialen Verhaltensweisen der Schüler für viele Lehrer eine Belastung darstellen (vgl. S. 50).

Die Aussagen der Lehrer zu den physikalischen Gegebenheiten ihrer Schule oder ihres Klassenraumes weisen anders als bei den Schülern keinen Zusammenhang zur Gesundheit auf (vgl. FREITAG 1998, S. 215).

Zusammenfassung
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Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass neben Leistungs- und sozialem Druck, Disziplin und Strenge/Anregung/Wärme vor allem Klimavariablen aufgelistet sind, die der Schüler-Schüler-Beziehung, der Lehrer-Schüler-Beziehung oder der Unterrichtspraxis zugehören. Wichtig ist jedoch zu bedenken, dass die Tabelle lediglich die Ergebnisse der neueren Studien wiedergibt, die hier diskutiert wurden. Es ist nicht auszuschließen, dass auch andere Klimavariablen Einfluss auf bestimmte Bereiche nehmen können. Außerdem wird noch einmal deutlich, dass die Auswirkungen des Klimas sehr vielfältig sind und dass für manche Effekte bedeutend mehr Forschungsergebnisse gefunden werden konnten als für andere. So können für die Effektbereiche Leistung, Lernmotivation, Interesse und Lernfreude am meisten Variablen aufgezeigt werden, die einen positiven oder negativen Einfluss ausüben, während beispielsweise für Alkoholgenuss oder Mitarbeit nur relativ wenig einflussreiche Klimavariablen gefunden wurden.



Effekte
Positiv
Negativ
Interesse Individuelle Bezugsnormorientierung Leistungsdruck
Unterstützung vom Lehrer
Disziplin
Schülerzentriertheit
Strenge und Anregung (auf Schulebene)
Gute Beziehungsqualität
Effiziente Klassenführung
Kognitive Aktivierung (anspruchsvolles Üben)
Leistung Effiziente Klassenführung (besonders wichtig) Belastung des Lehrers
Kognitive Aktivierung (anspruchsvolles Üben) Sozialer Druck (kollektives Klima)
Positives Sozialklima (Mathe) (nicht wesentlich) Leistungsdruck
Hohe Lernmotivation Strenge
Schülerzentriertheit Sozialer Druck (ind. Klima)
Entwickelte Aufgabenkultur
Hohe Erwartungen des Lehrers bezüglich der Anstrengung & Leistung
Hohe Anstrengungsbereitschaft
Selbstvertrauen (nur Gy und HS – RS ohne Einfluss)
Disziplin
Kleinere Klassengröße
Lernmotivation Unterrichtsqualität Belastung des Lehrers
Effiziente Klassenführung Schlechte Ausstattung der Schulräume
Hohe diagnostische Kompetenz des Lehrers (bei Mädchen bedeutsamer) Unsaubere Schule; unschöner Klassenraum
Disziplin Viele diskriminierende, ungerechte Lehrer
Nicht diskriminierende, nicht ungerechte Lehrer
Kleingruppenarbeit
Hohes Anspruchsniveau à hoher Zeitaufwand für Hausaufgaben (für HS und RS, GY keine Wirkungen)
Methodenvielfalt
Hohes Durchsetzungsvermögen des Lehrers (kollektives Klima)
Zeit für Reflexion
Hohe persönliche Zuwendung des Lehrers
Kohäsion der Schüler untereinander
Diskursiver Unterrichtsstil
Lernfreude Zufriedenheit Leistungs- und sozialer Druck
Schülerzentriertheit Ausprägung an Restriktivität
Wärme und Anregung (auf Schulebene)
Positives Verhältnis zum Lehrer
Hohes Durchsetzungsvermögen des Lehrers (v.a. bei den Mädchen)
Integration des Schülers in eine Lerngruppe
Hohe Schülerpartizipation
Selbstkonzept Kohäsion Leistungsdruck
Schülerzentriertheit
Wärme und Anregung (auf Schulebene)
Emotionale Beschwerden Sauberkeit der Schule
Beurteilung des Klassenraumes als ‚schön’
Disziplin
Psychische Belastungen Positives Lehrer-Schüler-Verhältnis Ungünstige Mitschülerbeziehungen Leistungs- und sozialer Druck
Wärme und Anregung auf der Schulebene Zu hohe Anforderungen
Leistungs- und sozialer Druck
Desintegration
Angst
Strenge (auf Schulebene)
Aggressionen und Devianz Akzeptanz durch den Lehrer Restriktivität der Regelanwendung
Schülerzentrierung Desintegration
Lebensweltbezug der Lerninhalte
Außerschulische Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten
Soziale Etikettierung: ungerechtfertigte Verdächtigungen & Strafzuweisungen, intensive Beobachtungen durch Lehrer, Betrachtung als Störenfried
Mitarbeit Anregung und Wärme Sozialer Druck
Schülerzentriertheit
Disziplin
Alkoholgenuss Geringe Unterstützung durch Mitschüler (insb. bei Jungen)
Gesundheit Positive Schuleinschätzung Viele diskriminierende, ungerechte Lehrer
Hohe persönliche Zuwendung des Lehrers
Bekannte Regeln, die auch eingehalten werden
Strenge (Schulebene)
Kohäsion innerhalb einer Klasse
Diskursiver Unterrichtstil
Wirkungen auf Lehrer Positive Schuleinschätzung → Gesundheit ebenfalls positiv Negative Schulwahrnehmung, laute, undisziplinierte Klassen → Wohlbefinden ebenfalls negativ



Zusammenhänge zwischen sozialem Klima und Kontextvariablen

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Im folgenden werden Zusammenhänge zwischen sozialem Klima und Kontextvariablen referiert. Kontextvariablen unterscheiden sich von Individualvariablen dadurch, dass sie für alle Schüler einer Klasse oder der Schule objektiv identisch sind und nicht aus Individualwerten durch Aggregation gebildet werden.



a) Schulfach
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Die Frage des Zusammenhanges von Schulfach und sozialem Klima war Gegenstand einiger Untersuchungen von ANDER­SON (1971), ASTIN (1965), DREESMANN (1979, 1981 b) . HEARN s1 MOOS (1978), RANDHAHA & MICHAYLUK (1975), LAW­RENZ (1976a,b), STEELE, WALBERG & HOUSE (1974), WELCH (1979) sowie YAMAMOTO et al. (1969). Eine Zusammenfas­sung älterer Untersuchungen ist bei RHANDHANA & FU (1973) zu finden.

Wie MOOS (1979b) zu Recht bemerkt, mangelt es den mei­sten dieser Arbeiten an einem theoretischen Bezugs­rahmen, so dass sie - ähnlich wie die im vorangehenden Kapitel vorgestellten Arbeiten - auf der rein beschrei­benden Ebene stehenbleiben. In HOLLANDs (1973) Typolo­gie von Persönlichkeiten und Umwelten sehen HEARN & MOOS (1978) die Möglichkeit eines solches Bezugsrah­mens: 207 Klassen aus 'high schools' wurden durch Beur­teiler einem der 6 HOLLANDschen Typen zugeordnet (so z.8. Mathematik und Physik dem Typ 'Investigative', Kunst, Musik, Literatur dem Typ 'Artistic' usw.); außerdem wurde die Classroom Environment Scale (CES) eingesetzt. In acht der neun CES-Dimensionen ergaben sich signifikante Unterschiede zwischen den verschie­denen Typen von Klassen. So waren z.B. Klassen des Typs 'Artistic' gekennzeichnet durch ein hohes Ausmaß inno­vativer Verhaltenweisen auf Seiten der Schüler und des Lehrers und durch ein sehr geringes Maß an Konkurrenz unter den Schülern, Kontrolle durch den Lehrer und Klarheit der Verhaltensregeln. Klassen des Typs 'Inve­stigative' waren dagegen gekennzeichnet durch eine starke Betonung von Aufgabenbezogenheit und Lehrer­kontrolle sowie durch eine weitgehende Vernachlässigung der Dimensionen 'Innovation', 'Affiliation' und 'In­volvement'.

Die Ergebnisse der Studien sind sehr differenziert und vielfältig, so dass sie hier nicht ausführlich darge­stellt werden können. Es läßt sich aber festhalten, dass das Sozialklima zwischen den Fächern variiert, wobei eine Konfundierung Fach/Fachlehrer berücksichtigt wer­den muß. Es ist eine bisher eine unbeantwortete Frage, ob und welche Dimensionen des Sozialklimas abhängig vom Unterrichtsfach variieren oder konstant bleiben.


b) Größe einer Schule oder Klasse

Derjenige organisatorische Aspekt, der mit Abstand die größte Aufmerksamkeit fand, ist die Größe einer Schule oder Klasse. Versuche, diesen Aspekt mit dem sozialen Klima oder dem Verhalten von Schülern in Beziehung zu bringen, liegen z.B. vor von ANDERSON & WALBERG (1972), ASTIN (1977), BARKER & GUMP (1964), MOOS (1979b), WAL­BERG (1969a), WALBERG & AHLGREN (1970), WALBERG, HOUSE & STEELE (1973). Die bekannteste Untersuchung in bezug auf' Schulgröße ist dabei die von BARKER & GUMP ('Big School - Small School'), in der sich zeigte, dass Schü­ler in kleinen Schulen an einer größeren Vielfalt von 'settings' teilnehmen und dass sie insgesamt einem größeren Druck ausgesetzt sind, an Aktivitäten teilzu­nehmen, eigene Verantwortung auf sich zu nehmen, sich auch sozial in der Schule zu engagieren und die geforderten Leistungen zu erfüllen. Teilweise ähnliche Er­gebnisse zeigten sich auch bei ASTIN (1977) für ameri­kanische Colleges.

Anders als in den früheren Übersichten (z.B. INGENKAMP, 1969; M005, 1976, 1979b) scheinen die Ergebnisse zum Problem Klassengröße mittlerweile recht eindeutig zu sein (GLASS & SMITH, 1978; GLASS et al., 1982). Mit sinkender Schülerzahl verbessern sich zum einen die Schülerleistungen, zum anderen die Einstellungen der Schüler (schulisches Interesse, Bereitschaft zur akti­ven Mitarbeit, Selbstkonzept) und Lehrer (Ausmaß der perzipierten Arbeitsbelastung, positivere Einstellung zu den Schülern). Vor allem die mit sinkenden Schüler­zahlen zunehmende Möglichkeit des Lehrers, sich indivi­duell mit einzelnen Schülern zu beschäftigen, scheint hierfür verantwortlich zu sein. Als Gründe für die Leistungsverbesserungen kommen hinzu: die Sicherstel­lung aufgabenbezoqenen Verhaltens und die Möglichkeit einer gezielten Leistungsrückmeldung durch den Lehrer. Auch deshalb gibt es wohl negative Beziehungen zwischen Klassengröße und Vertrautheit im Unterricht sowie zwi­schen Klassengröße und Förmlichkeit des Unterrichts (WALBERG & AHLGREN, 1970).

Die Untersuchungen von GLASS und Mitarbeitern sind allerdings einer harten Kritik ausgesetzt, da die me­thodische Anlage der Arbeiten in keinem Verhältnis zu ihrer Popularität steht (siehe INGENKAMP et al. 1985).

Andere Untersuchungen weisen darauf hin, dass Schüler in kleineren Klassen mehr Kohäsion wahrnehmen und weniger Schwierigkeit empfinden (ANDERSON & WALBERG, 1972). MORACCO (1978) stellt für kleinere Schulen ein 'wär­meres Klima' fest. Mehr Förmlichkeit und Klarheit der Vorschriften in größeren Klassen und weniger Kohäsion und sozialer Anschluß wurden immer wieder festgestellt (ANDERSON & WALBERG, 1972; HOFSTEIN et al. 1982; RAND­HAWA & MICHAYLUK, 1975; TRICKETT & QUINLAN, 1979; WAL­BERG, 1969a; WALBERG & AHLGREN, 1970).

Die Interpretation der Ergebnisse zur Klassengröße ist deshalb schwierig, weil die Beziehungen z.T. nonlinear verlaufen: In kleinen und großen Klassen wird im Gegen­satz zu mittelgroßen Klassen mehr Zielgerichtetheit des Unterrichts, aber weniger Abwechslung und Desorganisa­tion wahrgenommen (TRICKETT & QUINLAN, 1979).

Diese Ergebnisse zur Klassengröße veranlaßten die Ar­beitsgruppe um WALBERG ein Modell zu konzipieren, das in Abb. 5.2 wiedergegeben ist. Das Modell spricht weit­gehend für sich, eine genaue Beschreibung ist bei v.SALDERN (1985b) zu finden.


 
“Abb. 5.2: Der Einfluss steigender Klassenfrequenz auf die subjektive Wahrnehmung“


Eng mit dem Problem der Größe von Schulen und Klassen hängt auch zusammen, was im Rahmen der Umweltpsycho­logie unter den Bezeichnungen ' density' und ' crowding' untersucht wird. In dem bereits erwähnten Sammelreferat von WEINSTEIN (1979) werden als Konsequenz einer hohen sozialen Dichte Verhaltensweisen von Schülern angege­ben, die durchaus in das oben erwähnte Bild passen: größere Unzufriedenheit, verminderte soziale Interak­tionen und gesteigerte Aggressivität.


c) Lage der Schule

Es hat sich herausgestellt, dass die Lage der Schule (Stadt-, Vorort-, Landschule), also eine recht 'weite' Kontextvariable, einen Einfluß auf das Sozialklima in Schulklassen hat.

Stadtschulen scheinen stärker aufgabenorientiert zu sein, und ihre Klassen haben zudem eine höhere Kohä­sion. Landschulen sind stärker wettbewerbsorientiert, zeichnen sich durch freundlicheres Lehrerverhalten aus und haben eine ausgeprägtere Klarheit ihrer Regeln (RANDHANA ß MICHAYLUK, 1975; TRICKETT, 1978; TRICKETT & QUINLAN, 1979). Zu diesen Untersuchungen muß man aller­dings bemerken, dass die Lage der Schule mit der sozia­len Schicht weitgehend konfundiert ist.


d) Schulsysteme und -arten

Zu den organisatorischen Aspekten schulischer Umwelt gehören auch die verschiedenen Modelle der Einteilung von Schülern in Lerngruppen ('Differenzierung'). In der bisherigen Dikussion zu diesem Problem dominierte dabei eindeutig die Frage, welche Effekte verschiedene Arten der Differenzierung (2.B. auf bestimmte Schülervariablen haben, wobei diese Frage weitgehend auf Leistungsvariablen eingeengt wurde. Es kann hier nicht Aufgabe sein, die sehr umfangreiche Differenzierungsliteratur aufzuarbeiten (vgl, z.8. zusammenfassend FEND, 1980; HAUSSER, 1980, 1981; HAE­NISCH & LUKESCH, 1978, 1980), zumal - bei sonst glei­chen Bedingungen - ohnehin kaum differenzierungsbe­dingte Leistungsunterschiede existieren. Es liegen außerdem eine Fülle von Einzelbefunden vor, die zeigen, dass (Leistungs-) Differenzierungsmaßnahmen auch Auswir­kungen auf affektives und soziales Verhalten von Schü­lern haben können (vgl. zusammenfassend KNAPP, 1978; ARBINGER, ICKLER & STOCKMANN, 1978, und SCHLÖMERKEMPER, 1974

Es existiert ein Versuch, organisatorische Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der sog. 'reformierten Ober­stufe' (in deren Zentrum ein bestimmtes System der Wahldifferenzierung steht) eingeführt wurden, mit dem sozialen Klima einer Schule in Beziehung zu setzen (SCHREINER, 1973). Ausgehend von STERNs (1970) Untersu­chungen zum Schulklima auf dem theoretischen Hinter­grund der MURRAYschen (1938i Konzeption von 'need' und 'press' (s.Kap. 2. 2.1.6) - entwickelte SCHREINER seine sog. 'Ökometrix', einen Fragebogen, bei dem die Schüler zu 405 Aussagen über ihre Schule Zustimmung oder Ab­lehnung äußern sollten ('Ist-Form'), bzw. angeben soll­ten, ob sie den beschriebenen Sachverhalt wünschen oder nicht ('Soll-Form'). Es stellte sich insgesamt heraus, dass die theoretischen Kategorien des Schulklimas von STERN (1970) für eine Beschreibung der konkret vorge­fundenen Verhältnisse an den untersuchten Schulen wenig leisteten. Es wurde deshalb eine Auswertung mit in­tuitiv gewonnenen inhaltlichen Kategorien vorgenommen. Auf die Fülle der z.T. auf Einzelitems bezogenen Er­gebnisse kann hier nicht eingegangen werden.

Der äußere Kontext einer Schule oder Klasse wird nach MOOS (1979b) durch folgende Faktoren bestimmt: Schulart oder Schultyp (z.B. dreigliedriges Schulsystem vs. Gesamtschule), Lage der Schule (z.B. Stadt-Land), zugrundeliegendes Bildungsprogramm (man denke hier an die sog. 'alternativen' Schulen) und Vorgaben inhalt­licher Art (Schulfach). Nach MOOS (1979b) macht sich dieser äußere Kontext unmittelbar in den anderen Aspek­ten der schulischen Umwelt bemerkbar: Er zieht bestimm­te organisatorische Konsequenzen nach sich (vgl. das Problem unterschiedlicher Differenzierungsformen im Zusammenhang mit der Einführung von Gesamtschulen); er hat ferner Auswirkungen auf bestimmte Merkmale der Lehrer (so ist z.B. bekannt, dass in den naturwissen­schaftlichen Fächern überwiegend Männer unterrichten); er führt auch zu Maßnahmen baulicher Art (vgl- die vielen im Zuge der 'Gesamtschulbewegung' errichteten Schulneubauten); und er hat schließlich noch Konsequenzen für bestimmte Merkmale der Schülerpopulation (so ist z.B. die Schülerschaft an einer Gesamtschule 'per definationem' bezüglich etwa der Schülermerkmale 'In­telligenz' und 'sozioökonomischer Status' anders zusam­mengesetzt als beispielsweise die Schülerschaft eines Gymnasiums).


Für den deutschen Sprachraum läßt sich in diesem Zusammenhang vor allem die Untersuchung von FEND (1977) anführen. Der Vergleich 'traditioneller' Schulen mit Gesamtschulen ergab, dass in Gesamtschulen "die traditionellen schulischen Erwartungen an äußere Konformi­tät, Disziplin und Anpassung nicht mehr so betont wer­den" (FEND, 1977, 136;. Innerhalb des dreigliedrigen Schulsystems ergaben sich deutliche Unterschiede zwi­schen Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien bezüglich der Klimadimension 'Leistungsdruck'. Auch zwischen Stadt- und Landschulen ergaben sich Unterschiede im sozialen Klima: In Landschulen herrscht ein höheres Ausmaß an Leistungsdruck und restriktiver Kontrolle.

Unterschiede im sozialen Klima zwischen Stadt- und Landschulen zeigten sich auch in einer Untersuchung von RANDHAWA & MICHAYLUK (1975) bezüglich einiger Dimen­sionen des 'Learning Environment Inventory' (LEI von ANDERSON, 1971)

Der äußere Kontext hat aber auch - entweder unmittelbar oder vermittelt, über Zusammenhänge der genannten Art - Auswirkungen auf das soziale Klima einer Schule oder Klasse. Hierzu liegen eine Reihe von empirischen Un­tersuchungen vor. MOOS (1979b) verglich fünf Typen von Schulen (Stadt-, Vorstadt-, Land-, Berufs- und 'al­ternative' Schulen) im Hinblick auf neun Dimensionen . des sozialen Klimas ('Classroom Environment Scale', CES von MOOS & TRICKETT, 1974). Einfache Varianzanalysen ergaben in allen neun Klimadimensionen signifikante Unterschiede zwischen den Schultypen. Das ausgepräg­teste Profil zeigten dabei Klassen aus alternativen Schulen: Sie waren gekennzeichnet durch ein hohes Aus­maß an Engagement von Seiten der Schüler für klas­senbezogene Aktivitäten ('Involvement'), durch inten­sive und freundschaftliche Beziehungen der Schüler untereinander ('Affiliation'), durch ein hohes Ausmaß an Zuwendung gegenüber den Schülern von Seiten der hehrer ('Teacher support'), durch eine Vielzahl origi­neller und wechselnder Lehreraktivitäten ('Innova­tion'?, aber auch durch ein hohes Maß von Disziplin im Hinblick auf Aktivitäten in de!- Klasse ('Order and Organization'), durch eine ausgesprochen aufgaben bezogene Arbeitshaltung ('Task orientation') und schließlich durch ein sehr geringes Ausmaß an kontrol­lierendem und disziplinierendem Verhalten von Seiten des Lehrers ('Teacher control'). Ähnliche Ergebnisse zu 'alternativen' und 'offenen' Schulen ergaben sich auch in Untersuchungen von ELLTSON & TRICKETT (1978), EP­STEIN & McPAPTLAND (1975), GREGORY & SMITH (1982), MOOS & DAVID (1981), TRICKETT (1978) und von WALBERG & THOMAS (1972). Auch die populäre (und umstrittene) Studie von RUTTER et al. (1980).belegt die Bedeutung des allgemeinen sozialen Klimas ('Ethos') einer Schule.


e) Abwesenheitsrate

MOOS & MOOS (1978) und MOOS (1979b)stellten Beziehungen zwischen der Abwesenheitsrate und der wahrgenommenen Umwelt, fest: In den Klassen, in denen Wettbewerbsorien­tierungen und Schwierigkeiten des Unterrichts stark wahrgenommen werden, ist die Abwesenheitsrate höher.


f) Curricula

Besonders in den Arbeitsgruppen um WALBERG und FRASER wurde das Sozialklima eine wesentliche Evaluationshrlfe für neu entwickelte Curricula. Es liegen z.T. wider­sprüchliche Ergebnisse vor, was aber auf die unter­schiedlichen zugrundeliegenden Curricula zurückzuführen ist. Da diese Curricula in ihrem Aufbau in den Veröf­fentlichungen nicht hinreichend beschrieben sind, hat es wenig Sinn - zumal für den deutschsprachigen Raum - Einzelergebnisse zu referieren. Es scheint sich aber herauszukristallisieren, dass das Sozialklima ein zen­trales Evaluationskriterium ist und auch von den Auto­ren als solches gewertet wird. Außer den Arbeiten um FRASER und WALBERG seien noch die Arbeiten von McPART­LAND & EPSTEIN (1975), TALMAGE & HART (1977), TISHER & POWER (1978), sowie von HOFSTEIN et al. (1982) genannt.


g) Lehrervariablen

SEIFFKE-KRENKE resümiert nach einer Literaturübersicht wie folgt: "Es ist auffällig, wie wenig systematische Untersuchungen es zur Wahrnehmung von Lehrern durch Schüler gibt" (1981, 362). Diese Schlußfolgerung scheint berechtigt. Man nimmt zwar an, dass der Lehrer den stärksten Einfluß auf das Sozialklima hat, die An­zahl der Untersuchungen reicht aber zur Untermauerung dieser These nicht aus.

Das Geschlecht des Lehrers scheint geringen Einfluß auf die Wahrnehmung der Umwelt durch die Schüler zu haben (ANDERSON, 1971; RANDHAWA & MICHAYLUK, 1975; OLSON, 1971), wenn auch Lehrerinnen allgemein als strenger wahrgenommen werden (MASENDORF et al., 1973) und außer­dem formaleren und zielgerichteteren Unterricht durchführen. Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen wird der Unterricht im naturwissenschaftlichen Bereich als weniger schwierig empfunden (LAHRENZ & WELCH, 1983).

Es scheint eine Wechselwirkung zwischen Geschlecht und Alter zu geben (ENGSTROM, 1981b): Jüngere Lehrerinnen werden positiver wahrgenommen als ihre älteren Kolle­ginnen. Die Wechselwirkung zwischen dem Geschlecht des Lehrers und Unterrichtsfach beeinflußt das Klima nicht (ANDERSON, 1971; vgl. YAMAMOTO et al., 1969). Es liegen bisher noch keine spezifischen Auswertungen unter Be­rücksichtigung des Geschlechts des Schülers vor. MOOS (1979b) berichtet, dass Lehrerinnen ebenso wie Schüle­rinnen ein mehr innovationsorientiertes und weniger durch Kontrolle gekennzeichnetes Klima bevorzugen. Die Frage, ob die Wechselwirkung zwischen Geschlecht des Schülers und dem des Lehrers einen Einfluß auf die individuelle Wahrnehmung der Umwelt hat, ist noch offen (vgl. RANDHAWA & FU, 1973).

Eine weitere Variable, die vermutlich wichtiger als die beiden letztgenannten ist, wurde besonders von FEND (1977) untersucht: Bestimmte Autoritätsvorstellungen von Lehrern, die sich auf ein umfassendes Syndrom der 'Progressivität' bzw, des 'Konservatismus' zurückführen lassen, standen in einem signifikanten Zusammenhang mit bestimmten Dimensionen des Schulklimas. So war z. B. das Schulklima für progressive' Lehrer (im 'traditionel­len' Schulsystem) durch folgende Merkmale bestimmt: geringere Konformitätsanforderung, mehr Selbstbestim­mung der Schüler, geringerer Leistungsdruck, mehr Mit­bestimmung, geringeres Ausmaß an restriktiver Kontrolle und geringerer Anpassungsdruck (vgl. FEND, 1977, 179).

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt McINTYRE et al. (1982). Zwischen der Erfahrenheit des Lehrers und dem sozialen Klima konnten im allgemeinen keine Zusammenhänge fest­gestellt werden (MOOS, 1979b). ANDERSON et al. (1969) berichten allerdings, dass bei unerfahrenen Lehrern innerhalb der Klasse mehr Demokratie und Kohäsion, aber weniger Cliquenbildung, Bevorzugung einzelner Schüler und Konflikte zwischen den Schülern wahrgenommen wer­den. Das Verhalten des Lehrers selbst ist in unzähligen Untersuchungen erforscht worden, nicht aber dessen subjektive Wahrnehmung durch den Schüler. Es gibt Hin­weise darauf, dass dem Lehrer doch eine relativ starke Fähigkeit zugeschrieben werden muß, das Klima positiv zu beeinflussen. So glauben z.B. DOBSON & DOBSON (1979), den Lehrer als wichtigsten Einflußfaktor für das Sozialklima sehen zu können. Insbesondere seine etwaige Fähigkeit zur Empathie und Sensibilität sind dabei entscheidende Merkmale.

Schon TAUSCH & TAUSCH (1973) und DUNKIN & BIDDLE (1974) haben hinsichtlich des Lehrerverhaltens die zentrale Bedeutung der Dimensionen Lenkung und Wertschätzung erkannt. Es ist deshalb gerechtfertigt, diesen beiden Variablen einen hohen Stellenwert als Beeinflussungs­faktoren für das Soziaklima zuzuschreiben. Nach TONEL­SON (1981) und ROSCOE & PETERSEN (1982) sind folgende Merkmale für die Ausprägung des Sozialklimas von ent­scheidender Bedeutung:


  • Akzeptierung des Schülers,
  • Verstehen des Schülers,
  • emotionale Wärme,
  • Respekt,
  • schulischer Erfolg und
  • Freiheit im Handeln.


Lehrer scheinen also das Sozialklima sehr stark zu beeinflussen (SCHULTZ, 1982). Eine Chance der Klimaver­besserung liegt nun darin, den Lehrer für Klimaaspekte zu sensitivieren. Dies ist nicht einfach, weshalb ei­nige Autoren Lehrerfortbildungsmaßnahmen vorschlagen, die dem Lehrer ermöglichen sollen, die Gruppe seiner Schüler kennenzulernen. WASHBURN & HAMMOND (1982) sehen z. B. einen Weg darin, gemeinsame, längere Heimauf­enthalte zu verbringen.

SAGOR (1981) schlägt vor, dass Lehrer die Rolle des Schülers einnehmen und versuchen sollten, das Sozial­klima aus dieser Perspektive zu beobachten, einfach deshalb, um den eigenen heimlichen Lehrplan kennen­zulernen.


Lehrer selbst sehen ihre eigene Rolle nicht als so zentral an. Der Grund mag zum einen darin liegen, dass eine desinteressierte Haltung vorliegt (YOUNG & MILLER, 19?9: "It's not my job"), oder die Möglichkeiten der Lehrer sind durch rein organisatorische Maßnahmen zu eingeschränkt. Gerade der letzte Aspekt wird sehr deut­lich in der Notiz einer Lehrerin, die an einer später zu beschreibenden Untersuchung mitgemacht hat: "Dem Klassenlehrer wird eine zu große Einflußnahme zuge­dacht. Durch das derzeitige Fachlehrersystem sind die Schüler nicht mehr ausschließlich auf ihn fixiert, denn in der Praxis sieht es oft so aus, dass der Klassen­lehrer viel zu wenig Unterricht in seiner Klasse hat."


Es gibt z.B. in Rheinland-Pfalz ab der 7. Klasse auch keine Verfügungsstunden; Zeit zur Besprechung von Pro­blemen oder zur Lösung von Konflikten ist wegen der Stoffülle der Lehrpläne kaum möglich. Bleibt nur das persönliche Engagement des Klassenlehrers und seine Be­reitschaft, diese Probleme in seiner Freizeit aufzuarbeiten.


i) Sitzordnung

Auf einen letzten Aspekt von Organisation in der Schule, der sich eher auf die 'Feinorganisation' im Unterricht bezieht, sei noch verwiesen, da hierzu viele Untersuchungen vorliegen: die Sitzordnung in der Klas­se. Als relativ durchgängiges Ergebnis zeigt sich dabei das Phänomen der sog. 'Aktionszone' des Lehrers (s. TOTUSEK & STATON-SPICER, 1982), d.h die überwiegende Konzentration auf Schüler in der vorderen Mitte des Klassenzimmers (was anscheinend besonders für ängstli­che Lehrer gilt (DALY & SUITE, 1981)). Für Schüler, die diese Plätze innehaben, wurden verbesserte Leistungen, höhere Unterrichtsbeteiligung und positivere Einstel­lungen nachgewiesen (vgl. zusammenfassend DREESMANN, 1983; WEINSTEIN, 1979).

Es gibt Hinweise darauf, dass Schüler in der Aktionszone auch ihre Umwelt verschieden von ihren Mitschülern außerhalb der Aktionszone wahrnehmen; genauere Unter­suchungen liegen jedoch bisher nicht vor.

Bei der Durchsicht der Literatur zu den acht genannten Variablen fällt auf, dass der Stellenwert des Klimas sehr verschieden ist: Einmal soll es erklärt werden, das. andere Mal wird es selbst als Erklärung herange­zogen. Dies ist an sich nicht ungewöhnlich, aber wird nur sehr ,auf' 1heoretische Bezüge zurückgeführt. Die dargestellten Ergebnisse zeigen trotz ihrer mangel­haften methodischen Basis, wie zentral das Sozialkli­makonzept bei der Erklärung des menschlichen Verhaltens sein kann. Alle Ausführungen bezogen sich dabei weitge­hend auf das tatsächliche Sozialklima. Es gibt daneben noch einen anderen Weg Man erfragt von den Individuen, wie die Umwelt, in der sie leben, gestaltet sein soll­te. Dieses wird Therna des nächsten Abschnittes sein.




Wunsch und Wirklichkeit

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Diejenigen Personen, die in Gruppen leben, sind nicht nur Verursacher des Sozialklimas, sondern sie haben auch bestimmte Vorstellungen darüber, wie das Sozial­klima in ihrer Gruppe beschaffen sein sollte.

Um aber die Meinungen von Personen über ihr Sozialklima beurteilen zu können muss erst einmal erklärt werden, was eine 'gute' Umwelt ist. Erst im Anschluß daran können die Meinungen von Personen einer Gruppe über ihr Sozialklima beurteilt werden.


Was ist eine 'gute' Umwelt?

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Der Weg der Erkenntnisgewinnung, den man gemeinhin als empirisch bezeichnet, sollte nach Ansicht vieler Auto­ren keine präskriptiven Aussagen enthalten. Diese For­derung gilt - so ein Prinzip des kritischen Rationalis­mus - allerdings nicht für den sog. 'Verwendungszusam­menhang', auch wenn Wissenschaftler sich gewöhnlich diesem letzten Schritt des Forschungsprozesses gänzlich entziehen. Das Fehlen präskriptiver Aussagen ist ge­fährlich, überläßt es doch dem Laien und Bürokraten unkontrolliert Interpretations- und Rechtfertigungsmög­lichkeiten. Der Erziehungswissenschaftler, der den Zugang zur Realität empirisch sucht, sollte sich also vor präskriptiven Aussagen zum Gegenstand seiner Arbeit nicht scheuen.

Auch jene Arbeiten, die sich im weitesten Sinne mit Umwelt beschäftigen, sollten Aussagen dazu enthalten, welche Umwelt günstig (gut, wertvoll) ist. Es gilt also im folgenden zu fragen, was eine gute Umwelt ist.

MASLOW (1981, 316f) stellt fest, dass eine gute Umwelt gute Persönlichkeiten gedeihen läßt. Diese Aussage ist wegen der doppelten Verwendung des Begriffes 'gut' tautologisch (MASLOW selbst ist damit auch nicht zufrieden); sie steht stellvertretend für die vielen Versuche, gute Umwelt allumfassend zu definieren. So ist letztendlich folgende Definition auch zu unpräzise: "It is the result of the promotion of satisfactory and productive experiences and that. reduces a sensitivity toward basic human needs" (HOWEI.L & GRAHLMANN, 1978, 7). Eine Definition scheitert, wenn der Anspruch zu hoch ist und wenn man versucht. - ohne klar definierte Verhaltens- oder Persönlichkeitsziele - die gute Umwelt zu definieren. Aber auch wenn man glaubt, dass man solche Ziele zur Genüge präzisieren könnte, wird der Wunsch nach einer Definition der guten Umwelt genauso­wenig realisierbar sein wie zuvor. Man sollte sich nämlich auch bewußt machen, dass eine bestimmte Umwelt für eine Person gut sein kann, während sie sich für eine andere Person negativ auswirkt (s. z.B. SCHMECK & LOCKHART, 1983). Umwelt ist demnach kein objektiver, sondern ein subjektiver-, bestenfalls intersubjektiver Begriff.

Ein weiteres Problem ist, dass es zu sich widersprechen­den Umweltcharakterisierungen kommen kann (einmal ab­gesehen davon, dass verschiedene Auffassungen dabei eine Rolle spielen). Wettbewerbsorientierung beispielsweise in einer Schulklasse führt allgemein zu einer höheren Gesamtleistung. Wettbewerbsorientierung selbst ist aber sicherlich dem sozialen Lernen abträglich. Wenn man also Leistungssteigerung befürwortet, so muß man (in diesem vereinfachten Beispiel) höhere Wettbewerbsorien­tierung in Kauf nehmen und damit evtl. gegen soziale Lernziele handeln. Gute Umwelt muß also zielabhängig definiert werden. Nun ist es sicherlich kein unpassen­der Ausweg, die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen, da diese zur Überraschung vieler Experten sehr gut definieren können, was eine gute Umwelt ist. In dem Bereich der Persönlichkeitseigenschaften liegen solche Untersuchungen längst vor (z.B. CROTT, PRÜFER & WOLFS­HÖRNDL, 1977; CROTT & ROßRUCKER, 1974 und KLAPPROTH, 1972). Im nächsten Abschnitt wird ein solcher Versuch für die Umweltforschung vorgestellt.


Reales und ideales Sozialklima

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In den bisherigen Erörterungen wurde von Untersuchungen berichtet, die die Erfassung des sozialen Klimas auf dessen tatsächliche Ausprägung ausrichteten. Nun ist besonders aus den Forschungen zur Arbeitszufriedenheit bekannt (NEUBERGER, 1974a,b), dass ein wesentlicher Prädiktor für Verhalten die Differenz zwischen wahrge­nommener Wirklichkeit und Wunsch sein kann.

Eine geringe Differenz wird oft als Zufriedenheit defi­niert. Es gibt sehr widersprüchliche Ansichten darüber, ob Zufriedenheit ein Klimaaspekt ist oder nicht. Letzt­endlich ist dies aber nur eine Definitionsfrage (s. GEBERT & ROSENSTIEL, 1981; JOHANNESSON, 1973; LAFOLETTE & SIMS, 1975; NEUBERGER, 1974a,b; SYDOW & CONRAD, 1982; WIENDECK, 1980).

Es gab schon recht Frühe Untersuchungen, die nicht unter der Flagge Sozialklima liefen, aber erste Hin­weise über die Differenz zwischen Wunsch und Wirklich­keit lieferten. So wünschten sich die Schüler in einer Untersuchung von MASENDORF & TSCHERNER (1973) weniger Strenge, mehr Unterstützung und ausgleichendes Gewäh­renlassen.


 
Abb. 5.3: Mittelwertsunterschiede zwischen Schüler­Ideal und -Real auf den Dimensionen des CES (n. FRASER & FISHER, 1983b)


Besonders die Gruppe um MOOS und FRASER erfaßte auch das Klima, so wie es aus der Sicht von Lehrern und Schülern sein sollte (Ideales Klima). Einfache deskrip­tive Vergleiche zeigen, dass das ideale Sozialklima sich bei Lehrern und Schülern vom realen positiv unter­scheidet. Ein Beispiel referieren FRASER & FISHER (1993b): Die Autoren verwendeten die 'Classroom Envi­ronment Scale' in 116 High-School-Klassen in Austra­lien. In Abb. 5.3 sind die Mittelwertsunterschiede zwischen den Fragenbogenformen 'Real' und 'Ideal' abge­bildet. Solche Verlaufskurven bieten dem Lehrer einen Anhaltspunkt für Diskussionen mit seinen Schülern.


Zentral scheint dabei die Frage zu sein, ob dieser Unterschied verhaltenswirksam ist, Insbesondere FRASER R FISHER (1993b? glauben, diese Frage positiv beantwor­ten zu können. Sie zeigten für die oben angesprochene Stichprobe von 116 Klassen, dass man durch die Wechsel­wirkung zwischen der realen und idealen Form der Skala' 'Differentiation' ihres Fragebogens ICEQ Leseleistung erklären kann. Diese Wechselwirkung ist durch eine sog. 'regression surface analysis' in Abb. 5.4 dargestellt. Dazu wird eine multiple Regression von Leseleistung (Residuen als abhängige Variable) auf reales und ideales Sozialklima (als unabhängige Variablen) berech­net und in die erhaltene Gleichung die Rohwerte der Schüler eingesetzt, so dass man schließlich eine dreidi­mensionale Graphik anfertigen kann. Aus Abb. 5.4 läßt sich entnehmen, dass die Leseleistung am geringsten ist, wenn die reale Umwelt schlecht und die ideale besonders hoch eingeschätzt wird (linke hintere Ecke der Abbil­dung).

 
Abb. 5.4: Die Interaktion zwischen realem und idealem Sozialklima als Erklärung von Leseleistung ( n. FRASER, 1983)


Weitgehend ungeklärt ist noch die Frage, inwieweit der Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit auf Per­sönlichkeitsmerkmale zurückgeführt werden kann.

Ein weiterer sehr aufschlußreicher Punkt ist der Unter­schied zwischen der Schüler- und der Lehrerwahrnehmung. Dieser Unterschied ist zum einen ein guter Validitäts­hinweis, zum anderen eine fruchtbare diagnostische Hilfe.

Wahrnehmungsunterschiede zwischen Lehrern und Schülern

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Eine wesentliche Frage im Zusammenleben und -arbeiten zwischen Lehrern und Schülern ist, ob beide ihre Umwelt ähnlich wahrnehmen oder nicht. Einerseits ist dieser Vergleich für den Lehrer vor Ort eine wertvolle Hilfe, andererseits ist er aber auch für den Untersucher in­teressant unter der Fragestellung, ob Differenzen durchgängig bestimmbare Folgen haben.


 
Abb. 5.5: Wahrnehmungsdifferenzen von Lehrern und Schülern für 295 Secondary School Classes (n. MOOS, 1979b, 148)


Die bisher festgestellten Wahrnehmungsdifferenzen sind z.T. beträchtlich. MOOS (1979b, 148) hatte diese für Lehrer und Schüler von 295 Secondary-School-Klassen graphisch dargestellt (s. Abb. 5.5). Die Skalen sind aus dem CES. Dabei zeigt sich, dass Lehrer die Umwelt fast durchgängig positiver wahrnehmen als ihre Schüler. Deutschsprachige Untersuchungen liegen dazu noch nicht vor.


Relevanzproblem des Sozialklimas

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Neben der Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit kommt noch ein Problem hinzu, welches in empirischen Untersuchungen kaum diskutiert wurde: das Relevanzpro­blem. Es ist ja nicht nur die Frage, wie einzelne Umweltbereiche in ihrer Ausprägung beurteilt werden, sondern es ist auch wichtig, wie relevant einzelne Umweltbereiche für den Einzelnen sind.

Ein Kritikpunkt, den man der bisherigen Sozialklimafor­schung anlasten könnte, resultiert nämlich aus der Anwendung von geschlossenen Erhebungsverfahren wie dem Fragebogen. Offen ist dabei, ob die Skalen eines Frage­bogens für das einzelne Individuum persönlich (und damit subjektiv) überhaupt die relevanten Umweltberei­che ansprechen.

(Zur Rechtfertigung des Einsatzes von Fragebogen sei aber darauf hingewiesen, dass die meisten Fragebogen aus offenen Verfahren entstanden sind.)


Es gibt neben den Versuchen, die Relevanz einzelner Klimadimensionen direkt zu erfragen, noch eine andere Möglichkeit: Ausgangspunkt ist hierbei die Überlegung, dass eine Versuchsperson erst dann die in den Items angesprochenen Inhalte konsistent beantworten wird, wenn diese Inhalte für die Versuchsperson auch persön­lich relevant sind. Demnach ist jeder Fragebogen, der Reliabilitätsanalysen unterzogen wurde, dazu geeignet, Aussagen darüber zu machen, ob einzelne Umweltaspekte relevant sind.


Bei dieser Auffassung setzt man gewissermaßen den Schü­ler als Experten ein. Dies ist legitim. Man muß sich dabei allerdings im klaren sein, dass Klimafragebogen nur Umweltdimensionen abfragen können, die dem Schüler bewußt sind. Es gibt aber anscheinend auch Umweltdimen­sionen, die wirken, ohne dass dies sofort erkennbar ist. Dazu gehören sicherlich auch Umweltaspekte, die nach einer Reliabilitätsanalyse nicht mehr im Fragebogen' enthalten sind, weil sie keine Varianz aufweisen. Der Einsatz von Verfahren, die Varianz für die Skala ver­langen, ist trotzdem gerechtfertigt, da ja auch das Verhalten Varianz aufweist. Die Frage nach der Wirkung von invarianten Merkmalen (In jedem Klassenzimmer gibt es Stühle!) ist deshalb eher zweitrangig und dient nicht der Verhaltenserklärung.



Zusammenfassung

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In diesem Kapitel wurde eine Zusammenfassung bisher vorlie­gender Traditionen in der Sozialklimaforschung und publizierter Ergebnisse zu diesem Bereich versucht. Es waren besonders zwei amerikanische Forscher, R.H. MOOS und H.J. WALBERG, die die Sozialklimaforschung erneut aufleben ließen. Ihr Einfluß auf ältere deutsche Arbei­ten sowie auch auf diese Arbeit ist unbestreitbar. Die starke methodische Orientierung dieser beiden Traditio­nen ging allerdings mit einem großen theoretischen Defizit einher.

Der erste Teil der Ergebnisdarstellung bezog sich auf die bisher ermittelten Dimensionen des Sozialklimas. Trotz einiger Unterschiede zwischen verschiedenen Erhe­bungsverfahren zeigte es sich doch, dass für die spezi­fische Umwelt Schulklasse anscheinend ganz bestimmte Umweltdimensionen immer wieder ermittelt werden. Dabei sind diese Dimensionen keineswegs theoretisch abgesi­chert, es sei denn, man begründet, warum der Schüler als Experte herangezogen wird.

Im dritten Teil des Kapitels wurden Zusammenhänge zwischen Sozialklima und Individual- und Kontextvari­ablen dargestellt. Die dabei berücksichtigten Untersu­chungen gingen von verschiedenen Instrumenten aus, waren in Qualität und Ausführung sehr unterschiedlich und benutzten unterschiedliche Daten zur Weiterver­rechnung. Gerade dieser letzte Punkt (Verwendung des Individualwertes und/oder Mittelwertes) ist, wie im Kapitel „Methodische Probleme bei der empirischen Sozialklimaerfassung“ gezeigt wurde, problematisch und läßt sich mit den vorgestellten Ergebnissen nur schwer vereinba­ren.

Auf spezielle Fragen in der Sozialklimaforschung wurde abschließend eingegangen. Diese beziehen sich auf Un­terschiede zwischen realer und idealer Umwelt und auf Wahrnehmungsunterschiede zwischen Lehrern und ihren Schülern. Ein weiterer Bereich war die Frage nach der Bedeutung einzelner Umweltdimensionen für den Befrag­ten.



Folgerungen für Forschung und Praxis

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Eine langjährige Arbeit über Theorien und Methoden eines Forschungsbereiches und ein daran sich anschlie­ßendes Forschungsprojekt werden nur dann in ihrer Trag­weite sichtbar, wenn die wesentlichen Folgen für wei­tere Forschung aus der Stoffülle noch einmal heraus­kristallisiert werden. Dies wird in Abschnitt 1) versucht werden.

Eine Pädagoge hätte allerdings diese Bezeichnung nicht verdient, wenn er sich nicht auch Gedanken darüber machen würde, inwieweit er einem Praktiker für dessen Tätigkeit Anregungen geben kann (siehe dazu folgender Abschnitt).


Es ergeben sich für drei Bereiche Konsequenzen aus der vorliegenden Arbeit:
1) für die Forschung,
2) für die Lehre und
3) für die Praxis.


1)   Folgerungen aus der Arbeit für weitere Forschung

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Hinter den ersten elf Kapiteln dieser Arbeit stehen im Grunde für die weitere Sozialklimaforschung zwei zen­trale Gedanken, die noch differenziert werden müssen:


  • a) Sozialklimaforschung sollte nicht erst bei der Kon­struktion eines Fragebogens beginnen, sondern möglichst vorher
    theoretische Leitlinien finden, die umsetzbar sind.
  • b) Sozialklimaforschung muß Auswertungsstrategien ein­beziehen, die die hierarchische Struktur von Realität berücksichtigen.



Zu a)

Theoriegeleitete Forschung ist natürlich ein Ideal, welchem man sich nur annähern kann, ohne es ganz zu er­reichen. In der Sozialklimaforschung ist dies ein zwei­stufiger Prozeß, dessen Beachtung für zukünftige For­schung wesentlich erscheint:


  • die Erklärung des Verhaltens durch die individuell wahrgenommene Umwelt,
  • die Erklärung der Variabilität und Koinzidenz dieser Individualwahrnehmungen innerhalb einer Gruppe und letztlich damit verbunden die Erklärung des Gruppen­verhaltens als Konstrukt.


Dabei ist es für den ersten Schritt keineswegs notwen­dig, den vorliegenden Theorienkomplex in seiner Gesamt­heit (vgl. Kap. 2) heranzuziehen, aufschlußreich erscheint auch die Prüfung von Einzelaspekten der Theo­rien unter Einbezug nur ganz bestimmter Umweltaspekte. Das Ziel wird also sein müssen, mehr in die Tiefe einzudringen und vorerst nicht den Versuch zu wagen, einen allumfassenden Theorieansatz für alle Aspekte der Umweltwahrnehmung zu schaffen.

Ein jüngerer, vielversprechender Versuch ist in der Arbeit PEKRUNs zu finden, der einen Transfer z.B. aus der Motivationspsychologie propagiert, da hierdurch das Zustandekommen einer spezifischen Sichtweise der indi­viduellen Umwelt möglich erscheint (1983).

Der Versuch, die individuelle Umweltwahrnehmung zu untersuchen, ist auch ohne die Ausweitung auf die Gruppe sinnvoll und wichtig zur Erklärung des Indivi­dualverhaltens. Es wären sogar Einzelfallstudien denk­bar, die die Großuntersuchungen fruchtbar ergänzen könnten.

Entscheidet man sich aber dafür, das Gruppenphänomen Sozialklima zu untersuchen, so müssen weitergehende theoretische Überlegungen über die Gruppe angestellt werden. Die Frage der Interdependenz von Individuen in Gruppen ist trotz der Verwendung des Struktur- und Systembegriffes noch nicht zufriedenstellend beantwor­tet. Sie erscheinen zu restringiert, um auch von außen auf die Gruppensituation wirkende Faktoren sinnvoll einzubetten. Unter diesem Aspekt gewinnt das ältere Modell von MOLLENHAUER neue Aktualität. Denn schon in diesem Modell über die Entstehung der Gruppensituation wird besonderer Wert auf die äußeren Einflüsse gelegt. Damit erscheint eine zukünftige stärkere Einbeziehung von umfassenderen Theorien wie der BRONFENBRENNERs notwendig.

Mit dieser theoretischen Ausweitung auf Kontexte stellt sich aber auch das Problem der Wahl einer angemessenen Auswertungsstrategie.


Zu b)

Während man sich in der traditionellen Forschung weit­gehend über die Notwendigkeit im klaren war, theore­tisch auch die Gruppenzugehörigkeit zur Erklärung des Individualverhaltens heranzuziehen, wurde diese Ein­sicht selten in die Auswertungsstrategien übertragen. Zukünftige Forschung wird die hierarchische Struktur von Realität berücksichtigen müssen - nicht nur im Sozialklimabereich, was jüngste Leistungsuntersuchungen in den USA zeigen. Dazu gehört die Analyse der Daten mit Modellen, die z.B. eine Kontextvariable beinhalten wie es der Mittelwert oder die Standardabweichung ist.

Es gilt noch unter rein methodischem Gesichtspunkt zu klären, inwieweit die Boyd-Iversen-Modelle beispiels­weise noch für den Praktiker aufbereitet werden können.

Mehrebenanalysen, und das sollte klar geworden sein, sind kein Modetrend, wie es z.B. einmal die Faktoren­analyse war oder ist. Sie sind theoretisch abgeleitet und nicht nur eine technische Verfeinerung und Ver­komplizierung vorliegender statistischer Verfahren. Gerade ihre Verständlichkeit wird ihnen einen breiten Zugang in die Forschungspraxis erlauben.

Forschungspraxis wird oft durch diejenigen Wissen­schaftler gestaltet, die auch universitäre Lehre ver­antworten. Eine Möglichkeit, angehende Wissenschaftler für Kontextmodelle zu sensibilisieren, liegt sicher in curricularen Modifikationen in der Methodenausbildung:



2)   Folgerungen für die Lehre

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Nach - zugegeben subjektiven - Erfahrungen des Verfas­sers sind die Inhalte in der Methodenausbildung, insbe­sondere in der Statistikausbildung geleitet von der Vorstellung, dass der häufigste Anwendungsfall einer Auswertung in der Individualdiagnose liegt. Gruppierun­gen werden, wie in der Varianzanalyse, meist nur nach Oberflächenvariablen (Zugehörigkeit zu einer Gruppe) vorgenommen.

Dieses Vorgehen ist berechtigt, vernachlässigt aber doch, dass große Bereiche des Lebens besser durch ein Modell abbildbar sind, dass man als hierarchisch be­zeichnen kann. Folge daraus wäre, z.B. bei der DurcharBiegung der Regression, auch Modelle vorzustellen, die diese Erkenntnis berücksichtigen.

Die eher auf individualdiagnostische Verfahren gerich­tete Statistikausbildung in der Psychologie war Vorbild für eine ähnliche Ausbildung im Fach Pädagogik. Viel­leicht sind daher die kontextbezogenen Ansätze eher vernachlässigt worden.



3)   Folgerungen für die Praxis

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Die unter 1) genannten Folgerungen für die Forschung gelten nahezu ausschließlich für diese, da sie dem Praktiker vor Ort nur mittelbar weiterhelfen, seine pädagogischen Alltagsprobleme zu lösen.

Es bleiben trotzdem hilfreiche Konsequenzen für den Praktiker. Wenn die Verhaltensrelevanz des Sozialklimas erkannt ist, wird man auch bemüht sein, dieses in sei­ner Gruppe zu erfassen. Der Klimafragebogen als pädago­gisches Diagnostikum kann helfen, die Stimmungslage der ganzen Gruppe oder einzelner Mitglieder der Gruppe zu ermitteln, der Lehrer wäre nicht mehr nur auf sein eigenes, oft eingeschränktes Urteil angewiesen. Er könnte die Ergebnisse einer solchen Befragung (anonymisiert) darstellen und als Ausgangspunkt für hilfreiche Gespräche mit den Schülern verwenden.


Man wird sich grundsätzlich fragen müssen, warum Infor­mationen über das soziale Klima in einer Schulklasse wichtig sind. Das soziale Klima, besonders in dem Be­reich Schüler-Schüler-Beziehungen, ist für den Lehrer ein weitgehend unzugänglicher Bereich. Genauso wie der Lehrer haben auch seine Schüler subjektive Meinungen über ihre Lernumwelt. Liegen einem Lehrer aber Informa­tionen über das soziale Klima in seiner Schulklasse vor, so werden für ihn Verhaltensweisen von Schülern interpretierbar, die er vorher nicht erklären konnte. Speziell für den Bereich der Lehrer-Schüler-Beziehungen kommt hinzu, dass die Urteile der Schüler über den Lehrer diesem eine gute Rückmeldung über sich selbst sein können. Ein solches Vorgehen ist in vielen Berei­chen des tertiären Bildungswesens in den USA schon allgemeine Praxis. Voraussetzung für dieses Feedback ist die Fähigkeit des Lehrenden, Kritik angemessen zu verarbeiten und die Einsicht, dass die Wahrnehmung der eigenen Person durch andere oft anders aussieht, als man selber glaubt.

Der Lehrer erhält über das soziale Klima in seiner Schulklasse implizit Informationen über die Schüler­gruppe als Ganzes. Diese Informationen sind deshalb wichtig, weil Gleichaltrige wichtige Miterzieher sind (Vgl. NAUDASCHER, 1977). Der Umgang mit Gleichaltrigen ist eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung sozialen Verhaltens und die Gestaltung zukünftiger zwischenmenschlicher Beziehungen.


Man könnte die folgenden 6 Punkte als Gründe dafür anführen, warum die Diagnose des Sozialklimas für den pädagogischen Praktiker wichtig erscheint:

a) die Konkretisierung des sozialen Klimas,
b) das soziale Klima als Ausgangsbedingung für sozial­erzieherische Maßnahmen,
c) das soziale Klima als Evaluationskriterium,
d) das soziale Klima als Unterrichtsgegenstand,
e) das soziale Klima als Einzelfallhilfe,
f) die Sensibilisierung des Lehrers für die Schüler­perspektive.


Zu a):

Sehr oft wird der Begriff des sozialen Klimas als Leerformel verwendet, etwa im Sinne von "Das Klima in meiner Klasse muss besser werden". In Kapitel 2 wurde gezeigt, dar das Sozialklima an sich inhaltlich noch nicht definiert ist, es kann aber durch die Diagnose in der speziellen Schulklasse weitgehend konkretisiert werden. Erst dann wird ein angemessener inhaltlicher Diskurs über die Gestaltung des Schullebens möglich.


Zu b):

Neben dem Erwerb von Wissen und Kenntnissen ist das Lernen von Einstellungen, Haltungen und Wertvorstel­lungen eine zentrale Aufgabe von Schule. Das Gelingen des reinen Wissenserwerbs ist leicht durch Tests oder Klassenarbeiten überprüfbar. Ob soziales Lernen auch erfolgreich war, zeigt sich u. a. daran, dar die Formen des Sozialkontaktes zwischen den Schülern in wünschens­werten Bahnen verlaufen. Die praktische Umsetzung von sozialen Lernzielen gibt implizit Hinweise zu einem positiven Sozialklima. Ein Expertengremium (PETILLON, 1980) gelangte zu folgenden 11 Lernzielen:


  1. Kommunikationsfähigkeit: Fähigkeit, sich verständ­lich zu machen und andere zu verstehen.
  2. Kontaktfähigkeit: Bereitschaft und Fähigkeit, mit anderen Kontakte aufzunehmen.
  3. Kooperation: Bereitschaft und Fähigkeit, mit ande­ren zusammenzuarbeiten.
  4. Soziale Sensibilität: Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Rolle eines anderen zu versetzen.
  5. Ich-Identität: Fähigkeit, Fremderwartungen und ei­gene Bedürfnisse zu verarbeiten.
  6. Kritikfähigkeit: Fähigkeit, Informationen, Normen und Handlungen kritisch zu hinterfragen.
  7. Konfliktverhalten: Bereitschaft und Fähigkeit, kon­struktives Konfliktlöseverhalten zu praktizieren.
  8. Toleranz: Bereitschaft und Fähigkeit, die Andersar­tigkeit und die Eigentümlichkeit anderer zu erken­nen und zu respektieren.
  9. Solidarität: Bereitschaft und Fähigkeit zu gemein­samen Handlungen in kleineren und größeren Gruppen.
  10. Fähigkeit, Regeln des Zusammenlebens zu erarbeiten, zu beachten und gegebenenfalls zu revidieren.
  11. Kenntnisse über wesentliche Aspekte bedeutsamer sozialer Gruppen: wesentliche Aspekte der sozialen Gruppe wie Prozesse, Strukturen und Normen kennen.


Die Verwirklichung dieser sozialen Lernziele wird nur in einem entsprechenden Kontext möglich sein. Diese Realisierung kann zu einer Optimierung des sozialen Klimas in der Schulklasse führen. Eine sozial-erziehe­rische Maßnahme z.B. für das 10. Lernziel wäre, mit den Kindern in der Schulklasse im Rahmen eines Projek­tes die Regeln für diese spezielle Schulklasse zu erar­beiten und zur Grundlage des weiteren Handelns zu ma­chen.

Soziales Klima sollte und kann eine günstige Ausgangs­bedingung für sozial-erzieherische Maßnahmen sein. Weiterhin kann die Diagnose des sozialen Klimas Hinweise darüber geben, ob die sozialerzieherischen Maß­nahmen auch gewirkt haben.


Zu c):

Wenn die unter b) genannten Lernziele teilweise oder ganz erreicht worden sind, dann müsste sich das soziale Klima in der Schulklasse verbessert haben. Das Sozial­klima ist ein ausgezeichnetes Evaluationskriterium, aber nicht nur für sozial-erzieherische Maßnahmen, sondern auch für die Einführung neuer Curricula für die verschiedensten Fächer. Genau hierin lag z.B. die Moti­vation von WALBERG und Mitarbeitern, den LEI zu kon­struieren und einzusetzen.


Zu d):

In dem Punkt b) wurde das Lernziel Nr. 11 genannt, welches Kenntnisse über wesentliche Aspekte sozialer Gruppen verlangt. Es wäre eine sinnvolle und hilfreiche Einrichtung, würde der Lehrer das soziale Klima in seiner Schulklasse zum Unterrichtsinhalt machen. In einem solchen Unterricht könnte man bestimmte klassen­spezifische Problemzonen durch z.B. Fragebogen erfassen und ein Projekt entwerfen, welches Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln erlaubt. Gespräche zwischen den Schülern sowie zwischen der Schülergruppe und dem Lehrer über die einzelnen Problemzonen könnten helfen, diese bewußt zu machen.


Zu e):

Eine weitere Hilfestellung kann die Diagnose im Bereich der Einzelfallhilfe leisten. Die Diagnose der individuell subjektiven Wahrnehmung z.B. von Problemschülern in seiner Klasse kann dem Lehrer Aufschluß darüber ge­ben, warum bestimmte Verhaltensweisen dieses Schülers zutage treten. Dies wäre ein geeigneter Ausgangspunkt für hilfreiche Gespräche und eine schülerorientierte Intervention.


Zu f):

Die Diagnose des sozialen Klimas hätte auch einen gün­stigen Lerneffekt für den Lehrer: Dieser könnte für bestimmte soziale Phänomene sensibilisiert werden. Er würde weiterhin seine Fähigkeit steigern, in die Rolle des Schülers zu schlüpfen, d.h., die Schülerperspektive einzunehmen, um auch im stärkeren Maß zu schülerorien­tiertem Handeln motiviert und befähigt zu sein.

Sicherlich ließe sich diese Aufzählung von Vorteilen der Diagnose des sozialen Klimas weiterführen. Die Einsatzmöglichkeiten z.B. eines Sozialklimafragebogens sind vielfältig. Im wesentlichen erhöht er die Information und das Wissen eines Lehrers über seine Schulklas­se. Der Sinn eines solchen Vorgehens liegt auf der Hand, und die Durchführung der Erhebung ist sehr ein­fach.




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