Schach: Mittelspiel: Initiative


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Wer die Initiative hat, bestimmt, was auf dem Brett geschieht. Dabei ist die Initiative sehr flüchtig, sie kann schnell die Seiten wechseln. Darum ist es wichtig, beständig um sie zu kämpfen, unter Umständen ist sogar ein Opfer gerechtfertigt, um sie zu erlangen.

Am ehesten erlangt man die Initiative, indem man ökonomisch mit seinen Zügen umgeht, und verschwendete Züge vermeidet. Die durchgeführten Züge sollten aktiv und effektiv sein, und die Aktivitäten des Gegners bestmöglich unterbinden. Sehr gut geeignet sind häufig Züge, die eine Drohung aufstellen, auf die der Gegner reagieren muss, ohne daß er die eigene Entwicklung vorantreiben kann, zum Beispiel ein Schachgebot, aber häufig reicht schon ein angedrohter Materialgewinn.

Ein populäres Beispiel zur Veranschaulichung ist die Partie Tal-Larsen aus dem Kandidatenturnier von 1965:


In dieser Position hat der schwarze b-Bauer gerade den weißen Springer angegriffen, um ihn zu vertreiben, und mit Tempogewinn den schwarzen Angriff voranzutreiben. Wohin mit dem guten Stück? Die naheliegendsten Lösungen wären 16. Se2 oder 16. Sa4. Aber Michail Tal wäre nicht Michail Tal, wenn er eine unkonventionelle Lösung nicht zumindest ins Auge gefaßt hätte. Er zog

16. Sc3-d5 e6xd5

17. e4xd5


mit der Folge, daß die weißen Läufer jetzt beide mächtig auf die schwarze Königsstellung zielen. Das schwarze Zentrum ist weitgehend paralysiert, der eine Zentrumsbauer verschwunden, der andere wirksam blockiert, auch die Felder c6 und e6 mittelfristig unter weißer Kontrolle, ein schwarzer Flankenwechsel zur Verteidigung damit völlig illusorisch. Und der schwarze Vorstoß auf dem Damenflügel ist zumindest vorerst ins Leere gelaufen.

Vergleichen Sie doch einmal die Aktivität der Figuren beider Seiten. Weiß steht beweglicher, hat mehr und bessere Zugmöglichkeiten.

Der Rest der Partie in Kürze: 17. ... f5 18. Tde1 Tf7 19. h4 Lb7 20. Lxf5 TxLf5 21. Txe7 Se5 22. De4 Df8 23. fxSe5 Tf4 24. De3 Tf3 25. De2 DxTe7 26. DxTf3 dxe5 27. Te1 Td8 28. Txe5 Dd6 29. Df4 Tf8 30. De4 b3 31. axb3 Tf1+ 32. Kd2 Db4+ 33. c3 Dd6 34. Lc5 DxLc5 35. Te8+ Tf8 36. De6+ Kh8 37. Df7 und Schwarz gab auf.

In diesem zweiten Beispiel aus einer Partie auf Bezirksebene wechselt die Initiative, und mit ihr die Gewinnaussichten.



Die schwarze Stellung ist trotz ausgeglichenem Materials höchst unbequem, die Dame versteckt sich in der Ecke, der weißfeldrige Läufer behindert die Schwerfiguren und wird selbst vom Springer behindert. Weiß dagegen erfreut sich einer aktiven Dame, eines Turmes auf der offenen Linie und eines zentralen Springers.

Man sollte davon ausgehen, daß Weiß leichtes Spiel hat, aber es kam anders:

19. Tc1-c7

Dieser optisch gut aussehende Zug erreicht nichts. Beide dadurch bedrohten Steine sind ausreichend geschützt. Außerdem erlaubt der Zug ein Störmanöver.

19. ... Da8-b8

20. Tc7-c2

Damit hat Weiß zwei Züge vergeudet. Wie sich einige Züge später zeigt, war auch die Wahl des Fluchtfeldes c2 ungünstig. Der Turm musste aber den Rückzug antreten, weil er sonst vom Rückweg abgeschnitten und letztlich geschlagen werden könnte, z.B. 20. Dc3 Sc5 21. Txe7 Lf6, und der Turm fällt.

20. ... Sd7-c5

21. Sd4-f3

Weiß versucht, den bedrohten Bauern auf e4 durch die Dame zu bewachen, aber er wird trotzdem geschlagen.

21. ... Sc5xe4

Wenn Weiß jetzt 22. Dxe4 zieht, dann spießt der Läufer sie mit 22. ... Lf5 auf. Diese Variante ist nur möglich, weil der Turm nach c2 geflohen ist.

22. Tc2xc8

Mit der Dame den Springer e4 zu nehmen würde keinen großen Unterschied machen wegen 22. ... Lf5 nebst 23. ... Lxc2.

22. ... Tf8xc8

23. Db4xe4 Db8-c7


Die Stellung hat sich gewandelt. Die weiße Aktivität ist eingedämmt, die verbliebenen weißen Figuren stehen im Moment etwas unkoordiniert. Dagegen sind die schwarzen Schwerfiguren auf der offenen Linie verdoppelt, und auch der Fianchettoläufer schaut recht aktiv aus. Außerdem muß Weiß sich um den angegriffenen Bauern auf b2 und den Isolani auf d5 kümmern. Die Stellung ist ungefähr ausgeglichen, vielleicht mit leichten Vorteilen für Schwarz. In der Folge kam es zu einem zweischneidigen Spiel, in der beide Seiten beständig den Druck auf die gegnerische Königsstellung erhöhten. Dabei gelang es Schwarz zuerst, den Gegner zu einem entscheidenden Fehler zu provozieren.

Tempogewinn

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Zunächst ein Beispiel, um die Wichtigkeit, sparsam mit seinen Zügen umzugehen, zu demonstrieren:

1. e2-e4 Sg8-h6

2. d2-d4 d7-d5

3. e4xd5 Dd8xd5

4. Sb1-c3 (entwickelt den Springer, vertreibt die Dame)

4. ... Dd5-f5

5. Lf1-d3 (dasselbe Spiel mit dem Läufer)

5. ... Df5-g4 (Die schwarze Dame bedroht den Bauern auf g2, aber wie bereits erwähnt, ist es generell eine schlechte Idee, den Bauern b2 oder g2 mit der Dame zu nehmen. In diesem Fall verliert Schwarz einfach zu viel Zeit, den Bauern zu nehmen, und anschließend die Dame wieder in Sicherheit zu bringen.)

6. Sg1-f3 (Weiß ignoriert die Drohung, und entwickelt sich in Ruhe weiter)

6. ... Dg4xg2

7. Th1-g1 (Der weiße Turm ist mit der halboffenen Linie bereits voll entwickelt, was in diesem frühen Stadium selten geschieht. Er gewinnt ein weiteres Tempo, indem er die Dame ein weiteres Mal vertreibt.)

8. ... Dg2-h3

9. Tg1-g3 Dh3-d7

Bis auf den Damenturm verfügt jede weiße Figur bereits über Aktivität. Schwarz dagegen hat eine Springerschande am Rande und eine Dame, die den eigenen Läufer blockiert. Die restlichen schwarzen Figuren stehen noch in ihrer Grundstellung. Der g-Bauer ist für diesen Vorteil ein sehr geringer Preis.

In der Folge wurde Schwarz überrannt.

Zugegeben, derartig leicht macht der Gegner es einem selten, aber wenn er die Möglichkeit zum Tempogewinn bietet, sollte man zumindest darüber nachdenken, dies zu nutzen.


 
 
               
               
               
               
               
               
               
               
 
 
Von Weiß kontrollierte Felder
 
 
               
               
               
               
               
               
               
               
 
 
Von Schwarz kontrollierte Felder
 
 
               
               
               
               
               
               
               
               
 
 
Von Weiß dominierte Felder
 
 
               
               
               
               
               
               
               
               
 
 
Von Schwarz dominierte Felder


Um zielgerichtet einen Schnelligkeitsvorteil zu erreichen, kann man einerseits den Gegner zwingen, Züge zu verbrauchen. Das macht man, indem man Drohungen aufstellt. Der Gegner muß darauf reagieren und seine eigenen Pläne zurückstellen.

Eine andere Möglichkeit ist die Ausführung von Mehrzweckzügen.


In dieser Stellung stehen die weißen Figuren merklich aktiver als die Schwarzen. Der Springer steht auf der 6. Reihe, die Läufer stehen beide auf Angriff, die Türme sind zentralisiert und die Dame schaut bereits auf den Königsflügel. Die schwarze Dame steht dagegen im Zentrum eher gefährdet als aktiv, die Türme stehen noch hinter den Bauern, und der Läufer hat noch gar nicht gezogen. Allerdings hat Schwarz zwei Drohungen aufgestellt. Der Springer auf d6 ist bedroht, aber der eigentliche Plan ist, mit 23. ... Dg4 den Damentausch zu erzwingen und damit dem weißen Angriff den Schwung zu nehmen.

Weiß zog 23. Ld3-e2, und dieser Zug erfüllt gleich vier Wünsche auf einmal: Der Läufer bewacht den Turm auf d1 und verhindert den Damentausch auf g4. Der Turm d1 dagegen bedroht die schwarze Dame, - zwingt den Gegner also, diese zu sichern -, und bewacht gleichzeitig den bedrohten Springer.