Genetische Disposition zur Symbiose
Es ist bemerkenswert, wie wenig wandlungsfähig d. h. wie konservativ die Strukturen und Funktionen der Pilz-Wurzel-Symbiosen sind, trotz ihrer weiten Verbreitung im Pflanzen- und Pilzreich, ihres hohen erdgeschichtlichen Alters und des Vorkommens in allen terrestrischen Ökosystemen. Dieser Sachverhalt deutet darauf hin, dass funktionell optimale Strukturen und physiologische Mechanismen vorliegen, die von fundamentaler biologischer und ökologischer Bedeutung sind. Man sollte daher allgemeine genetische Grundlagen zur mutualistischen Symbiose bei Pflanzen und Mykorrhizapilzen erwarten, die von Anfang an spezifisch diese Interaktionen ermöglichten, steuerten und kontrollierten. Untersuchungen der letzten Jahre zeigen dann auch, dass die Disposition zur Symbiose ursprünglich und an zahlreichen Stellen im Genomen der Landpflanzen und der Mykorrhizapilze verankert ist. Das mutualistische Zusammenspiel ist eine „rote Teppich- Strategie“, wie sie von Gianinazzi-Pearsson & Dénarié 1997 genannt wurde, die jeder Diplomatie Ehre machen würde. Es handelt sich aber nicht um eine direkte Interaktion auf genetischer Ebene und es gibt bisher keine Hinweise auf einen Gentransfer zwischen den Partnern.
Um den genetischen Hintergrund der Mykorrhiza-Interaktionen zu klären, vergleicht man Genome und Proteome von mykorrhizaabhängigen und von nicht abhängigen Pflanzen einerseits und von saproben, parasitischen und symbiotischen Pilzen andererseits. Ebenso vergleicht man die Gen-Aktivitäten während der Interaktionen von genetisch veränderten Pflanzen und Kontrollpflanzen. Unterschiede in den Genaktivitäten sind bereits vor Beginn der Bildung einer Mykorrhiza, während der ersten Kontakte, sowie während der Entwicklung der typischen Mykorrhizastrukturen und dem Austausches von Nährstoffen festzustellen (Plett & Martin 2018). Eine sorgfältige, phenotypische Unterscheidung der Entwicklungsstadien ist daher notwendig, um die sehr komplexen molekularen und physiologischen Abläufe auseinaderzuhalten und richtig zu deuten (Montero et al. 2019). In dieser Einführung kann der rasche Fortschritt der Forschung nur sehr eingeschränkt berücksichtigt werden.
Vergleiche der Genome von Pflanzen, die mit Glomeromycota Mykorrhizen bilden und solchen, die keine Mykorrhiza bilden können (NM-Pflanzen) zeigen eine große Zahl von Genen (mehr als 300), die nur in Mykorrhiza abhängigen Pflanzenarten vorkommen und in NM-Pflanzen verloren gingen (Delaux et al. 2013 und Delaux et al. 2014). Der Verlust der Symbiose-Gene erfolgte mehrfach und unabhängig in verschiedenen Pflanzengruppen (siehe Kapitel: Nicht mykorrhiziertze Pflanzen), während der Erwerb dieser Gene nur einmal im Zusammenhang mit der Landnahme der Pflanzen erfolgte. Es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass ein Neuerwerb nach vorherigem Verlust möglich war.
Erstmals wiesen Wang et al. 2010 drei sog. sym Gene (DMI1/POLLUX, DMI2, DMI3/CCAMK und CYCLOPS) in Lebermoosen, Hornmoosen, Bärlappen, Farnen, Koniferen und Blütenpflanzen nach. Der Ausfall der sym Gene DMI1 und DMI2 führt zu einem Abbruch des Hyphenwachstums auf der Wurzeloberfläche und die Hyphen können die Wurzelrindenzellen nicht mehr besiedeln. Die symbiotische Signalkette wird an der Kernhülle unterbrochen, in der sich die erforderlichen K+-Transportproteine befinden (Oldroyd 2013). DMI3 kodiert für eine Calcium/Calmodulin Kinase, einem zentralen Regulator zur Unterdrückung der Abwehr gegen Pilze. Auch Gene wie PT4, die spezifisch für die Phosphat-Transporter in der periarbuskulären Membran kodieren, stimmen in den bisher untersuchten Pflanzen weitgehend überein und fehlen den NM Pflanzen (Delaux et al. 2014).
Bereits die nicht mykorrhizierten Armleuchtergewächse (Charophytae), die nächst verwandten Vorläufer der Landpflanzen, die noch in flachen Tümpeln oder Rinnsalen lebenden, haben die sym-Gene DMI1, DMI3 und IPD3 (Delaux et al. 2012 und Delaux et al. 2013). Die sym Gene gehören somit zu den zahlreichen Genfamilien, die schon seit der Landnahme die Entwicklung von Pflanzen kontrollierten und vom haploiden Gametophyten der Lebermoose auf den diploiden Sporophyten der Gefäßpflanzen vererbt wurden (Pires & Dolan 2012). Das bedeutet, diese Gene sind über Jahrmillionen unter dem Einfluss der Mykorrhizapilze konserviert worden (Karandashov et al. 2004).
Weit verbreitet sind Gene für die Synthese von Striglactonen. Pflanzen stimulieren durch Abgabe von Strigolacton, das Wachstum von Glomeromycota. Genomische Untersuchungen zeigen aber, dass Strigolactone Pflanzenhormone mit zahlreichen Signalfunktionen sind (Koltai 2013). Sie stimulieren das Wachstum der Rhizoiden der Armleuchtergewächse und Lebermoose, das Protonema von Moosen, das Wurzellängenwachstum und die Verzweigung von Wurzeln, sowie das Wachstum von Wurzelhaaren bei Blütenpflanzen und beeinflussen Wurzel-Spross Interaktionen (Kapulnik & Koltai 2014). In den arbuskulären Mykorrhizen übernehmen sie die Funktion der Anlockung der Glomeromycota. So können Gene im Zusammenspiel mit anderen Genen symbiose-spezifisch werden.
Man kann davon ausgehen, dass der Einfluss der Mykorrhizapilze auf das pflanzliche Genom nicht nur für die arbuskulär mykorrhizierten Pflanzen gilt, sondern allgemein und ganz besonders auch für Orchideen. Deren winzige Samen sind in der ganzen Familie konserviert, trotz der anhaltend raschen Evolution der Orchideen (Givnish et mult. 2015). Das ist nur möglich, weil die Ocrhideen-Sämlinge zunächst von Mykorrhizapilzen ernährt werden und diese Abhängigkeit konservierend wirkt.
Schon vor Beginn der Symbiosen erfogt die Erkennung und Unterscheidung von Pilzen unterschiedlicher Lebensweisen, also von Symbionten, Saprophyten und Parasiten. Pflanzen haben zahlreiche, Membran gebundene Rezeptoren entwickelt, mit denen sie schon geringe Unterschiede zwischen mutualistischen und parasitischen Pilzen erkennen, die aber noch unzureichend bekannt sind (Plett & Martin 2018).
Die genetische Disposition der Pilze
Mykorrhizapilze sind deutlich weniger aggresiv als parasitische oder saprobe Pilze und lösen daher auch keine oder nur sehr geringe Abwehrreaktionen der Pflanzen aus. Die wesentliche, genetisch konservierte Voraussetzung dafür ist der Verlust von Genen für zellwand-abbauende Enzyme. Der Verlust solcher Gene aus den Familien GH5, GH6, GH7 und GH45 wurde für Glomeromycota, Agaricomycetes und Ascomycota nachgewiesen (Nagendran et al. 2009; Wolfe et al. 2012;Tisserant et mult. 2013; Kohler et mult. 2015; Peter et mult. 2016). Der Verlust dieser Gene ist entscheidend für das Erkennen der Mutualisten und der Unterscheidung von saprophytischen und parasitischen Pilzen. Für die Agaricomycetes ist das besonders bemerkenswert, da sie als einzige Organismen die Fähigkeit haben, den Hauptbestandteil des Holzes, Lignocellulose, abzubauen. Für den Abbau von Lignocellulose notwendige Gene wurden für einzelne Arten innerhalb der Auriculariales, Hymenochaetales, Gloeophyllales, Polyporales, Russulales und Agaricales nachgewiesen (Floudas et mult. 2012). Durch sukzessiven Verlust einiger dieser Gene, insbesondere solcher für Enzyme des Cellulose-Abbaus, entstanden nach heutiger Auffassung Braunfäulepilze und Ektomykorrhizapilze und zwar mehrfach und unabhängig in zahlreichen Gruppen der Agaricomycetes (siehe Kapitel 5.3). Die saprophytischen Eigenschaften der Mykorrhizapilze beschränken sich auf den Abbau schon vorfermentierter Streu, aus der sie im Wesentlichen Stickstoff und Phosphat gewinnen.
Die innerhalb der Agaricomycetes basal stehenden, also ursprünglichen Gruppen der „Orchideen-Pilze“ Sebacinales, Tulasnellaceae und Ceratobasidiaceae haben noch keine Lignin abbauenden Enzyme und kein GH5 Gen aber vielfache Kopien von GH6, GH7 und LPMO, Gene für den Abbau von Cellulose (Kohler et mult. 2015). Diese Pilze haben also noch die Fähigkeit, tote Zellwände anzugreifen und daraus Kohlenstoff und Aminosäuren zu gewinnen, um die keimenden Samen der Orchideen zu versorgen. In diesem Zusammenhang ist es aber wichtig, dass die Protocorme selbst und die lebenden Wurzelzellen nicht als Substrat verwendet werden können. Es wurde während der Mykorrhizierung keine Aktivierung von Genen gefunden, die Pilze abwehren oder nach Verletzungen exprimiert werden (Perotto et al. 2014).
Molekulare Untersuchungen wiesen kürzlich eine β-1,4 Endoglucanase in Laccria bicolor-Pappelmykorrhizen nach, die Cellulose und Galactomannan angreifen kann (Zhang et mult. 2018). Das Gen für diese Endoglucanase (LbGH5) ist an das einzige Cellulose bindende Modul im Pilz gekoppelt (LbGH5-CBM1) und nur so aktiv. Dieses Gen wird nur in Mykorrhizen, nicht aber im freien Myzel erhöht exprimiert. Es handelt sich also nicht um ein Gen, dass für den Abbau organischen Materials (Cellulose) kodiert. Vielmehr löst dieses Enzym β-1,4 Bindungen zwischen Gucopyranose-Einheiten und erleichtert dadurch das Vordringen der Hyphen in Ektomykorrhizen, ohne dass ein Abbau der Zellulosewände möglich wird.
Die Endoglucanase wird als „enzymatischer Effektor“ eingestuft, da sie für die Mykorrhizierung zwingend notwendig ist. In Mutanten ohne dieses Enzym werden Hyphenmantel und Hartig Netz nur gering ausgebildet und die Hemmung des Spitzenmeristems der Kurzwurzeln wird aufgehoben. Daraus ergibt sich ein systemischer Effekt dieses Gens, der beim Kontakt mit einer Kurzwurzel im gesamten Myzel induziert wird.
Als weitere genetisch fixierte Anpassung der Mykorrhizapilze an die Symbiose wurde der Verlust von Genen der Genfamilie GH32 für die Spaltung von Saccharose (Invertasen) nachgewiesen (Parrent et al. 2009). Pathogene, endophytische sowie saprophytische Basidiomycota und Ascomycota (hierunter auch Tuber melanosporum) können hingegen mit Hilfe extrazellulärer Invertasen Saccharose spalten (Martin et mult. 2010). Durch die Genverluste sind die Mykorrhizapilze mehrheitlich auf die Bereitstellung von Glucose durch die Pflanzen angewiesen.
Bei den Glomeromycota wurde die Genausstattung für die Aufnahme von Ammonium und Nitrat nicht reduziert (Tisserant et mult. 2013), wie das bei parasitischen Pilzen der Fall ist (Spanu et al. 2010). Es stehen zur Aufnahme von Ammonium bei Agaricomycetes sogar mehr Transporter-Gene zur Verfügung als in saproben Pilzen (Martin et mult. 2008). Ähnliches gilt für Gene, die für Proteasen kodieren, weshalb Ammonium aus dem Abbau von pflanzlichen und tierischen Proteinen gewonnen werden kann.