Meerschweinchen: Abstammung

Viele der Besonderheiten der Hausmeerschweinchen sind eigentlich keine Besonderheiten, die nur typisch für Meerschweinchen sind, sondern sie entsprechen den Merkmalen von Hasenartigen (Lagomorpha) und Nagetieren (Rodentia). Dies kommt daher, daß die Hasenartigen und die Nagetiere einen gemeinsamen Ursprung haben. Sie werden deshalb in der Gruppe Glires zusammengefaßt.

Wahrscheinlich sind die Glires schon vor 95 Millionen Jahren, also in der Oberkreide entstanden. Es waren pflanzenfressende, kleine Säuger. Sie standen in direkter Konkurrenz zu größeren Pflanzenfressern. Zu dieser Zeit lebten noch Dinosaurier, die Glires konnten sich gut den räuberischen Dinosauriern durch ihre geringe Körpergröße entziehen. Strauchige Pflanzen mit Samen, die in harten Schutzhüllen steckten, waren sehr verbreitet. Vermutlich paßten sich die Glires an diese harte Nahrung durch eine Reihe von Merkmalen an:

  • Sie entwickeln verlängerte Nagezähne, um harte Pflanzenteile abzuraspeln und harte Samenhülsen aufmeiseln zu können. Sie entsprechen den 2. Schneidezähnen der Säugetiere. Damit die Nagezähne nicht durch Abnutzung zur Altersbegrenzung führen, sind sie wurzeloffen und wachsen ein Leben lang nach. Um eine optimale Kraftentfaltung auf die Schneideflächen der Meißel, nichts anderes stellen die Nagezähne dar, zu entwickeln, werden Schneidezähne zurückgebildet. Übrig bleiben kurz vor der Trennung von den Hasenartigen zu den Nagetieren nur noch vier Schneidezähne von ursprünglich acht Schneidezähnen im Oberkiefer und zwei Schneidezähnen von acht Schneidezähnen im Unterkiefer. Schon bei den Glires wurden zwei der oberen vier Schneidezähne immer kleiner und unbedeutender, sie werden nicht als Nagezähne eingesetzt.
  • Die Eckzähne werden zurückgebildet, es entsteht durch das Fehlen der äußeren Schneidezähne und der Eckzähne eine Lücke zwischen den Nagezähnen und den Backenzähnen.
  • Die Backenzähne entwickelten sich zu kräftigen und breiten Mahlwerkzeugen, um die abgeraspelte Nahrungsteile zu Brei zermahlen zu können. Dabei wachsen auch die Backenzähne ein Leben lang nach, wahrscheinlich eine Anpassung an kieselsäurehaltige Nahrung, wie Gräser, Blätter und Kräuter.
  • Der Kiefer bildet sich um. Das Kiefergelenk wird über die Ebene der Backenzähne geschoben, dadurch ist eine bessere Hebelwirkung auf die Backenzähne möglich. Weiterhin entsteht viel Fläche auf dem hinteren Teil des unteren Kiefers als Ansatzstellen für den Kaumuskel. Der zahntragende obere Kieferknochen und der Nasenknochen werden besonders groß ausgebildet, um Platz für die ständig nachwachsenden Zähne zu liefern.
  • Die Kaumuskeln werden insgesamt verkürzt und sind stark ausgebildet.
  • Der Blinddarm ist besonders gut ausgebildet, in ihm werden Bakterien gesammelt, die geeignet sind, Cellulose aufzuspalten. Damit erschließen sich die Glires schwer verdauliche Pflanzennahrung, wie sie die neuen Samenpflanzen als Schutz vor Freßfeinden ausgebildet haben. Die Bakterien werden als Blinddarmkot ausgeschieden. Sie sind in dem Blinddarmkot noch lebendig und können weiter Cellulose aufschließen. Der Blinddarmkot ist mit einer Schleimhülle geschützt, um bis zur Aufnahme nicht auzutrocknen. Die Glires fressen den Blinddarmkot, die Schleimhülle wird im Magen verdaut und somit die gut verdaulichen Blinddarmbakterien freigelegt, so daß auch diese mit all ihren Vitaminen und Proteinen mitverdaut werden können. Die Glires konnten deshalb schon früh auch Steppengegenden besiedeln.

Nagetiere

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Die Glires teilten sich nur wenige Millionen Jahre später auf in die Hasenartigen (Lagomorpha) und den Nagetieren (Rodentia). Während die Hasenartigen hauptsächlich zu Felsen- und Steppenbewohnern wurden, eroberten sich die Nagetiere eine Vielzahl unterschiedlicher Biotope. In der heutigen Zeit sind die Nagetiere die erfolgreichste Säugetiergruppe überhaupt und stellen ca. 40% der Säugetierarten. Dazu hat eine Reihe von weiteren Spezialisierungen geholfen.

  • Es bleiben nur noch zwei Schneidezähne im Oberkiefer erhalten, nämlich die Nagezähne. Die kleinen Schneidezähnchen der Glires verschwinden endgültig, sie werden höchstens noch zusammen mit den ersten Schneidezähnen embryonal angelegt und noch im Mutterleib resorbiert. Die meisten Nagetiere legen jedoch diese Schneidezähne nicht mehr an, es werden nur die Nagezähne ausgebildet und kein einziger weiterer Schneidezahn.
  • Die Kaumuskeln werden noch weiter an eine mahlende Tätigkeit angepaßt, die Nagetiere verlieren dadurch die Fähigkeit, ihren Kiefer seitwärts zu bewegen. Sie kauen nur noch vorwärts-rückwärts, indem der Unterkiefer vorwärts und rückwärts bewegt wird. Auch die Backenzähne werden an diese Kauweise perfekt angepaßt. So ist eine effiziente und kontinuierliche Nahrungsaufnahme möglich, bei der das Pflanzenmaterial wie mit einem Druckerblatteinzug mit den Vorderzähnen abgebissen, an den unteren Nagezähnen entlang bis zur Zunge und mit Hilfe der Zunge nach hinten zwischen die Backenzähne transportiert wird.
  • Der Zahnschmelz der Nagezähne wird an die nagende Tätigkeit angepaßt, um eine sich selbst schärfende Schnittkante bei den Nagezähnen zu erzeugen. Er wird nur an der Vorderseite der Nagezähne ausgebildet, so daß die Vorderseite härter ist wie die Rückseite. Werden die Nagezähne gegeneinander gerieben, wird zuerst der weiche Teil im hinteren Bereich der Nagezähne abgeraspelt und der Zahnschmelz bleibt erst mal stehen, bis auch er immer dünner geraspelt ist und eine messerscharfe Kante bildet.
  • Die beiden vorderen Vorbackenzähne im Ober- und Unterkiefer werden zurückgebildet und verschwinden, so ist es möglich, den Schädel noch weiter zu verkürzen und es entsteht noch mehr Platz für das Wachstum der lebenslang wachsenden Zähne.
  • Der Mundraum kann durch eine Hautfalte hinter den Nagezähnen geschlossen werden, so daß ein Nagen möglich wird, ohne die abgenagten Teile versehentlich in den Mund zu bekommen.

Stachelschweinverwandte

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Schon vor 70 Millionen Jahren spalteten sich die Stachelschweinverwandten (Hystricomorpha) von den übrigen Nagetieren ab. Sie waren Bodenlebewesen. Man vermutet, daß die Stachelschweinverwandten in Afrika entstanden, wanderte jedoch auch in Asien ein. Ungeklärt ist jedoch, wie die südamerikanische Linie der Stachelschweinverwandten nach Südamerika gekommen sein soll ... immerhin war Südamerika von den übrigen Kontinenten schon lange durch große und tiefe Meere getrennt. Noch immer leben riesige Dinosaurier, es entwickeln sich die ersten schafsgroßen Formen bei den Säugetieren. Die Bedecktsamer mit ihren geschützten Samen und harten, mit Cellulose und zum Teil Kieselsäure verstärkten Blättern hatten die gesamte Welt erobert.

  • Ein großer Kaumuskel führt nun unter dem Jochbogen durch, der Durchlaß ist besonders groß ausgebildet, so daß der stark ausgebildete Muskel Platz zum arbeiten hat. Der Kaumuskel setzt vor dem Auge an, das andere Ende ist direkt hinter den unteren Backenzähnen am Bogen des Unterkiefers angesetzt. Das Kiefergelenk ist sehr weit nach oben gewandert, der Schädel sehr kurz und Stumpf. Ein weiterer sehr starker Kaumuskel verbindet den Unterkiefer über die Backenzähne mit dem Oberkiefer, ein dritter Muskel sitzt direkt am Gelenk. So wird die vor-rückwärtsbewegung beim Kauen noch weiter gefördert, der Kiefer ist sehr stabil im Kaumuskelkomplex eingebunden. Somit ist es den Stachelschweinartigen möglich, selbst zähes Gras zu zermahlen.
  • Es werden nur wenige Jungen als Nestflüchter geboren, eine Anpassung an eine bodenlebende Lebensweise.

Meerschweinchenverwandte

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Nach molekulargenetischen Untersuchungen spalteten sich vor ca. 37 Millionen Jahren die südamerikanische Linie der Meerschweinchenverwandten (Caviomorpha) von der afrikanischen Linie der Stachelschweine (Hystricognathi) und Sandgräber, Rohrratten und Felsenratten (Phiomorpha) ab. Die ersten Fossilfunde findet man aus einer Zeit von vor 31 Millionen Jahre in Chile. Man vermutet, daß die Vorfahren der Meerschweinchenverwandten auf Treibholz über das Meer nach Südamerika kamen.

In Südamerika fanden die Meerschweinchenverwandte kaum Konkurrenz vor, so konnten sie viele Nischen besetzen und spezialisierten sich sehr unterschiedlich, einige paßten sich sogar dem Baumleben an. Die direkten Vorfahren unserer Meerschweinchen dagegen blieben bodenbewohnende Tiere.

Meerschweinchenartige

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Vor ca. 34 Millionen Jahren trennten sich die Meerschweinchenartigen (Cavioidea) von den anderen südamerikanischen Nagetieren ab. Nicht sicher ist, ob die baumbewohnenden Baumstachler sich erst später von den Meerschweinchenartigen abgespalten haben oder schon sehr früh von allen südamerikanischen Nagern. Fossilfunde sind spärlich und nur sehr schwer zuzuordnen, die Ergebnisse molekulargenetischer Untersuchungen widersprechen sich noch, je nachdem welches Gen untersucht wird.

Die Meerschweinchenartigen haben sich an das Bodenleben angepaßt, sie haben hufartig verdickte Krallen. Außer bei den Acouchis ist der Schwanz nach außen nicht mehr sichtbar, die Acouchis haben einen kleinen, sehr dünnen Schwanz. Die Füße der Hinterbeine haben nur drei Zehen, die Vorderfüße drei bis vier Zehen.