Wurzelkriterium – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

Kommen wir nun zum Wurzelkriterium, welches ein mächtiges Kriterium ist, um Konvergenz oder Divergenz einer konkret gegebenen Reihe nachzuweisen. Es basiert auf dem Majorantenkriterium, wobei hier die Konvergenz einer Reihe auf die Konvergenz der geometrischen Reihe mit zurückgeführt wird.

Das Wurzelkriterium wurde zuerst 1821 vom französischen Mathematiker Augustin Louis Cauchy in seinem Lehrbuch „Cours d'analyse“ veröffentlicht[1]. Deswegen wird es auch „Wurzelkriterium von Cauchy“ genannt.

Herleitung Bearbeiten

Wiederholung Bearbeiten

Wir haben bereits das Majorantenkriterium kennengelernt. Es besagt, dass eine Reihe   absolut konvergiert, wenn es eine konvergente Reihe   mit   gibt.

Außerdem wissen wir, dass jede geometrische Reihe   mit   konvergiert.

Erste Herleitung Bearbeiten

Sei   eine Reihe, deren Konvergenz wir mit Hilfe des Majorantenkriteriums nachweisen wollen, indem wir die Konvergenz der Reihe auf die Konvergenz der geometrischen Reihe zurückführen. Um das Majorantenkriterium so anwenden zu können, muss es ein   mit   geben. Dann ist

 

Die Reihe   konvergiert nach dem Majorantenkriterium absolut. Die Ungleichung   können wir umformen:

 

Wenn es also ein   mit   gibt, so dass   ist, dann ist   und die Reihe   konvergiert.

Verständnisfrage: Wir beginnen die geometrische Reihe   bei   und nicht wie normalerweise bei  . Warum ist das in der obigen Herleitung sinnvoll?

Im Schritt   haben wir die  -te Wurzel gezogen und die  -te Wurzel ist nicht definiert. Deswegen muss   bei   beginnen.

Umformulierung mit Limes Superior Bearbeiten

Für das Konvergenzverhalten ist der Wert von endlich vielen Summanden egal. Dementsprechend muss auch nicht   für alle   gelten, sondern nur für alle   bis auf endlich viele Ausnahmen. Es muss also nur für fast alle   die Ungleichung   erfüllt sein.

Die Forderung, dass es ein   mit   für fast alle   gibt, können wir auch mit dem Limes Superior formulieren:

 

Anders ausgedrückt:

 

Ist   für fast alle  , dann ist die Folge   nach oben beschränkt und muss einen größten Häufungspunkt kleiner gleich   besitzen. Dieser Häufungspunkt ist gleich   und es gilt  .

Sei umgekehrt   für ein  . Dann ist für alle   die Ungleichung   für fast alle   erfüllt. Wegen   gibt es ein  , das klein genug ist, damit auch   ist. Setzen wir  . Es ist   und die Ungleichung   ist für fast alle   erfüllt.

Anstelle von   für fast alle   reicht auch  , um die Konvergenz der Reihe zu zeigen. Wir können also zusammenfassen:

Ist  , dann konvergiert die Reihe   absolut.

Wurzelkriterium für Divergenz Bearbeiten

Wir haben bisher nur das Wurzelkriterium für die Konvergenz einer Reihe kennengelernt. Gibt es auch ein Wurzelkriterium für die Divergenz einer Reihe? Stellen wir uns vor, dass   ist. Dann ist für unendlich viele   die Ungleichung   erfüllt. Für diese   gilt  , womit   keine Nullfolge ist. Damit kann aber auch   keine Nullfolge sein. Aus dem Trivialkriterium folgt dann, dass   divergiert. Wir können diesen Fall verallgemeinern, indem wir anstelle von   die Ungleichung   für unendlich viele   fordern.

Definition Bearbeiten

Das Wurzelkriterium lautet:

Satz (Wurzelkriterium)

Sei   eine Reihe. Wenn   ist, dann konvergiert die Reihe absolut. Ist  , dann divergiert die Reihe. Auch wenn   für unendlich viele   ist, divergiert die Reihe.

Den Satz haben wir in der obigen Herleitung bereits bewiesen. Wir fassen den Beweis noch einmal kurz zusammen:

Beweis (Wurzelkriterium)

Beweisschritt: Aus   folgt die absolute Konvergenz von  .

Sei   eine Reihe. Ist  , dann ist   für ein   (man kann zum Beispiel   wählen).

Wähle nun   so klein, dass   ist. Aus der Definition des Limes Superior folgt, dass für fast alle   die Ungleichung   erfüllt ist. Daraus folgt   für fast alle  . Weil die Reihe   konvergiert (dies ist eine geometrische Reihe mit  ), konvergiert die Reihe   nach dem Majorantenkriterium. Also konvergiert die Reihe   absolut.

Beweisschritt: Aus   oder   für unendlich viele   folgt die Divergenz von  .

Sei   bzw.   für unendlich viele  . Dann ist   für unendlich viele  . Deshalb kann   keine Nullfolge sein. Damit kann aber auch   keine Nullfolge sein. Also divergiert   nach dem Trivialkriterium.

Hinweis

Konvergiert  , dann ist  . Man kann also auch   betrachten, wenn dieser Limes existiert. Dies wird in den meisten Konvergenzbeweisen mit dem Wurzelkriterium auch getan.

Grenzen des Wurzelkriteriums Bearbeiten

Im Fall   können wir nichts über Konvergenz bzw. Divergenz der Reihe sagen. Es gibt nämlich sowohl konvergente als auch divergente Reihen, die diese Gleichung erfüllen. Ein Beispiel ist die divergente harmonische Reihe  . Es ist

 

Aber auch die konvergente Reihe   erfüllt diese Gleichung:

 

Dies zeigt, dass wir aus   weder zeigen können, dass die Reihe konvergiert, noch dass sie divergiert. Wir müssen also in einem solchen Fall ein anderes Konvergenzkriterium verwenden!

Vorgehen bei der Anwendung des Wurzelkriteriums Bearbeiten

 
Entscheidungsbaum für das Wurzelkriterium

Um das Wurzelkriterium auf eine Reihe   anzuwenden, können wir folgendermaßen vorgehen: Wir bilden   und betrachten dessen Limes (bei Existenz des Limes) bzw. dessen Limes Superior.

  1. Ist  , dann konvergiert die Reihe absolut.
  2. Ist  , dann divergiert die Reihe.
  3. Ist   für unendlich viele  , dann divergiert die Reihe.
  4. Trifft keiner der drei Fälle zu, können wir nichts zum Konvergenzverhalten der Reihe aussagen.

Beispielaufgaben Bearbeiten

Beispielaufgabe 1 Bearbeiten

Beispielaufgabe mit dem Wurzelkriterium (Youtube-Videovom Youtube-Kanal Maths CA).

Aufgabe

Konvergiert oder divergiert  ?

Lösung

Berechnen wir den Grenzwert von  :

 

Damit ist  , womit die Reihe nach dem Wurzelkriterium konvergiert.

Beispielaufgabe 2 Bearbeiten

Beispielaufgabe mit dem Wurzelkriterium (Youtube-Videovom Youtube-Kanal Maths CA).

Aufgabe

Konvergiert oder divergiert  ?

Lösung

Es ist

 

Wegen   divergiert die Reihe nach dem Wurzelkriterium.