Übersicht: Maßtheoretische Begriffe – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

In den nachfolgenden Artikeln zur Maßtheorie werden wir nach und nach verschiedene Mathematische Begriffe einführen. Der Aufbau dieser Artikel ähnelt einer Geschichte, in der wir typische Überlegungen eines Mathematikers nachvollziehen werden und daher Begriffe erst dort einführen, wo wir sie tatsächlich benötigen.

Dieser Artikel fasst die Begriffe auf einer Seite zusammen, damit du sie einfach miteinander vergleichen kannst.

Mengensysteme Bearbeiten

To-Do:

Vitali-Mengen verlinken.

Grundlage der Maßtheorie ist immer eine "große" Grundmenge  , für die wir möglichst geeigneten Teilmengen   ein Maß zuordnen wollen, sprich eine Zahl  , die angibt wie groß   ist. In vielen Fällen ist aber nicht jede Teilmenge   für eine solche Zuordnung geeignet, wie z.B. das Banach-Tarski Paradoxon oder die Vitali-Mengen zeigen.

Diejenigen Mengen, denen wir aber sehr wohl ein Maß   zuordnen können nennen wir entsprechend messbar und stecken sie in ein Mengensystem  . Das   ist also eine Menge, die Mengen enthält (wie eine Tüte in der sich weitere Tüten befinden), z.B.   mit  .

Um mit Maßen zu rechnen (Addition, Subtraktion), würde wir gerne mit den Mengen Operationen durchführen, wie z.B. Vereinigungen  , Schnitte   oder Komplementbildung  . Und das, möglichst ohne "aus   zu fliegen". In der Mathematik gibt es daher eine Unterteilung von Mengensysteme   in verschiedene Typen, je nachdem wie viele Operationen wir ausführen dürfen, ohne aus   zu fliegen und welche weitere Eigenschaften sie erfüllen:

 
Typen von Mengensystemen. Die Pfeile bedeuten "ist eine Verallgemeinerung von".
  • Die  -Algebra ist der speziellste und am häufigsten anzutreffende Mengensystem-Typ. Hier können wir uns "verhältnismäßig viele Operationen erlauben" was Probleme der Art "  ist auf dieser Menge nicht definiert" vermeidet.   ist eine  -Algebra genau dann wenn
  1.  
  2.  
  3. Immer wenn eine Folge aus Mengen   in   liegt, dann ist auch  
  • Eine Algebra (von Mengen) erfüllt ebenfalls diese 3 Axiome, allerdings muss 3. nur für endliche Abfolgen   gelten. Das " " steht hier für die Möglichkeit, abzählbar unendliche Mengenfolgen vereinigen zu dürfen. Lässt man es weg, sind "nur" endliche Abfolgen erlaubt und man erhält ein allgemeineres Mengensystem. D.h., es gibt "mehr Algebren als  -Algebren". Ein System   ist eine Algebra, genau dann wenn
  1.  
  2.  
  3. Immer wenn eine Folge aus Mengen   in   liegt, dann ist auch  
  • Ein  -Ring (auch   genannt) erfüllt alle Bedingungen der  -Algebra, bis auf die 1. D.h., wir erlauben auch Mengensysteme, die "nur kleinere Mengen enthalten". Z.B. könnte es eine maximale Menge   geben, die alle   enthält. Ein System   ist ein  -Ring, genau dann wenn
  1.  
  2. Immer wenn eine Folge aus Mengen   in   liegt, dann ist auch  

Manchmal wird als zusätzliche Bedingung gefordert, dass   nicht leer ist, also  . Sobald ein Ring   irgend eine Menge   enthält, enthält er immer auch die leere Menge  .

  • Einen Ring (von Mengen)   bekommt man entsprechend, indem man vom  -Ring das   wegnimmt, also nur noch endliche   zulässt. Von den Axiomen der  -Algebra gelten also nur die 2., sowie die 3. in "endlicher" Form:
  1.  
  2. Immer wenn eine Folge aus Mengen   in   liegt, dann ist auch  
  • Das Dynkin-System   ist ein eigener Typ von Mengensystemen. Wir benötigen es später um zu beschreiben, wann Maße übereinstimmen. Die 3 Axiome lauten:
  1.  
  2. für je zwei Mengen   mit   ist  
  3. für je abzählbar viele, paarweise disjunkte Mengen   gilt  .

Weitere Mengensysteme, die nicht in den Artikeln vorkommen sind:

  • Die Monotone Klasse  : Ein Typ Mengensystem, der alle Grenzwerte von Monoton steigenden oder Fallenden Mengenfolgen   enthält. Also:
  1. Bilden   eine monoton steigende Folge, also  , so ist auch  
  2. Bilden   eine monoton fallende Folge, also  , so ist auch  
  • Der Halbring ist eine Verallgemeinerung des Rings. Wesentlicher Punkt ist, dass   nicht mehr in   liegen, sondern nur noch über eine disjunkte Vereinigung von Mengen daraus dargestellt werden muss. Die Bedingung   (welche in Ringen immer gilt) muss damit separat gefordert werden. Statt Vereinigungs- fordert man zudem Durchschnittsstabilität:
  1.  
  2.  
  3. Für   gibt es disjunkte Mengen  , sodass  

Funktionen von Mengensystemen Bearbeiten

Additive Mengensysteme Bearbeiten

Auf den oben definierten Mengensystemen versuchen wir nun, Funktionen   (oder  ) zu definieren, die intuitiv das "Volumen" einer Menge Messen. Die Intuition "Volumen messen" lässt sich in mehrere wünschenswerte Eigenschaften übersetzen. Zum Beispiel sollte eine leere Menge Volumen 0 haben, also  . Je mehr dieser Eigenschaften gelten, desto mehr entspricht die Funktion   unserer Intuition, das Volumen von Mengen zu messen.

Je nachdem, wie viele und welche dieser wünschenswerte Eigenschaften   erfüllt, teilen wir diese Funktion in verschiedene Klassen ein. Die Speziellste Klasse ist das Maß, welches verhältnismäßig viele "gute" Eigenschaften hat und daher häufig in der Mathematik verwendet wird, z.B. in der Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik.

 
Relation zwischen 4 Mengensystemen. Die Pfeile bedeuten "ist eine Verallgeminerung von".
  • Das Maß   ist eine Mengenfunktion auf einer  -Algebra   mit der recht intuitiven Eigenschaft, dass die leere Menge Maß 0 hat und beim Vereinigen von Mengen, die sich nicht überlappen, auch deren Maße addiert werden müssen:
  1.  
  2.   ist  -additiv, also  
  • Ein Prämaß   ist im Prinzip das selbe wie ein Maß, muss aber nur auf einem  -Ring   definiert sein. Die Menge   darf also in   sein, muss aber nicht. Es gilt also
  1.  
  2.   ist  -additiv, also  
  • Ein Inhalt   auf einem Ring   ist eine Art "Maß ohne  -Eigenschaft für die Additivität". Es wird also nur Additivität für endliche Vereinigungen gefordert
  1.  
  2.   ist additiv, also  
  • Ein Stetiger Inhalt   auf einem Ring   muss - wie der Name bereits andeutet - zusätzlich noch stetig sein:
  1.  
  2.   ist additiv
  3.  , sobald eine Mengenfolge   monoton steigend oder fallend gegen   konvergiert. Für monoton fallende Folgen ist zudem   nötig.

In gewissermaßen ist also ein Maß ein " -Inhalt". Da Maße in der Mathematik wesentlich häufiger als Inhalte auftauchen, bekommen sie allerdings einen eigenen Namen.

Subadditive Mengensysteme Bearbeiten

Die beiden nachfolgenden Klassen von Funktionen sind nicht additiv, sondern nur subadditiv und bekommen daher einen eigenen Buchstaben  . D.h. wenn man z.B. eine Menge   mit   und eine Menge   mit   vereinigt, könnte   (oder generell  ) sein! Dieser Punkt widerspricht der Intuition des "Volumen Messens" - daher bekommt die Funktion von uns das separate Symbol  .

 
Jedes äußere Maß ist ein äußerer Inhalt
  • Der Äußere Inhalt auf der Potenzmenge   ist analog zum Inhalt oben definiert. Allerdings hat man statt der Additivität nur Subadditivität:
  1.  
  2.   ist subadditiv, also aus   folgt  
  • Ein Äußeres Maß auf der Potenzmenge   ist die  -Version des Äußeren Inhalts. D.h. die Subadditivität wird statt für endliche Vereinigungen sogar für abzählbar unendliche Vereinigungen gefordert. Damit wird aus der Subadditivität eine  -Subadditivität, wobei das   für "abzählbar unendlich" steht.
  1.  
  2.   ist  -subadditiv, also aus   folgt  

Beispiele: Abgrenzung von Mengensystemen Bearbeiten

Die Definitionen der Mengensysteme oben sind relativ abstrakt und es ist nicht offensichtlich, warum nicht einige davon äquivalent sein könnten. In den nachfolgenden Beispielen erfährst du, wie sich die Begriffe

 

gegeneinander abgrenzen lassen. Außerdem erhältst du dort einige (von sehr vielen möglichen) visuellen Darstellungen dieser Mengensysteme.


Beispiel (Ringe vs.  -Ringe)

Wir konstruieren ein Mengensystem, in dem "Grenzmengen" nicht enthalten sind: Sei   eine Folge von Zahlen mit  . Diese liegen im Intervall  . Wir wählen die Basismenge   etwas größer (das ist durchaus erlaubt) und definieren das Mengensystem

 

sprich alle halboffenen Intervalle zwischen Elementen aus der Folge. Dies ist noch kein Ring. Aber wir können es zu einem Ring machen:

Sei   das Mengensystem aller endlichen Vereinigungen und Schnitte von Intervallen aus   (das sind wieder endliche Vereinigungen von halboffenen Intervallen mit   als Endpunkten). Das System   ist ein Ring (der "von   erzeugte Ring"), allerdings ist   kein  -Ring: Die Grenzmengen

 

sind nicht enthalten. Wir können   allerdings in einen  -Ring verwandeln, indem wir die "Grenzmengen"   für alle   hinzunehmen. Das Mengensystem

 

ist wiederum ein  -Ring (und damit gleichzeitig ein Ring).


Beispiel ( -Algebren vs.  -Ringe)

Wir übernehmen das Setting aus dem vorherigen Beispiel: Das Mengensystem   besteht aus allen Intervallen   mit Endpunkten in der Folge   . Die Basismenge wählen wir zu   (siehe Abbildung)

Das Mengensystem   erzeugt einen Ring   (durch endliche Vereinigungen und Schnitte). Hinzunahme der Grenzmengen   ergibt einen  -Ring

 

Das Mengensystem   ist allerdings keine  -Algebra, da es die Basismenge   nicht enthält. Das Mengensystem ist gewissermaßen "zu klein". Wir können es zu einer  -Algebra machen: Dazu fügen wir   und die Komplementmengen   für alle   hinzu. Von diesen Mengen bilden wir wieder alle beliebige Vereinigungen uns Schnitte. und fügen sie zum Mengensystem hinzu.

Das Ergebnis ist eine  -Algebra  , die aus beliebigen Vereinigungen von halboffenen Intervallen besteht, mit Endpunkten in  .

Der einzige Unterschied zu   ist, dass auch 2 als Endpunkt erlaubt ist.  -Algebren sind also quasi größer als bloße  -Ringe.

Wir können   sogar noch größer machen, indem wir eine endliche Menge von beliebigen Punkten   zu den Endpunkten hinzufügen. Daraus können wir eine "noch größere  -Algebra"   konstruieren, indem wir   als Mengensystem aus beliebigen Vereinigungen von halboffenen Intervallen zwischen den Endpunkten   wählen (siehe Abbildung).

Beispiel ( -Algebren vs. Algebren)

Wir nutzen erneut das Setting der beiden Beispiele oben: Auf dem Intervall   definieren wir uns eine Folge   von Endpunkten  .

Das Mengensystem  , welches aus beliebigen endlichen Vereinigungen von Intervallen der Form   besteht ist ein Ring von Mengen. Allerdings kein  -Ring.

Nehmen wir die 1 zu den möglichen Endpunkten   hinzu (das heißt,   sind als Endpunkte der halboffenen Intervalle erlaubt), und lassen wir ebenfalls abzählbar unendliche Vereinigungen zu, so erhalten wir einen  -Ring  . Er ist allerdings keine  -Algebra, da er   nicht enthält.

Nehmen wir zusätzlich 2 zu den möglichen Endpunkten hinzu, so erhalten wir eine  -Algebra  . Nach Hinzufügen endlich vieler beliebiger weiterer Endpunkte bekommen wir weitere, noch größere  -Algebren, die wir mit dem allgemeinen Symbol   bezeichnet haben.

Die  -Algebren   und   lassen sich sehr einfach wieder in eine Algebra verwandeln, indem wir den zulässigen Endpunkt 1 herausnimmt.

Wir definieren das Mengensystem  , so dass es beliebige abzählbare Vereinigungen von Intervallen mit den selben Endpunkten wie diejenigen aus   enthält, außer der 1. Dann ist   eine Algebra, denn   enthält  , allerdings geht durch das Herausnehmen die  -Eigenschaft verloren. Sprich:eine abzählbare Vereinigung von Mengen (welche z.B. 1 als Grenzpunkt enthält) muss nicht mehr in   sein.

Analog können wir die  -Algebra   in eine Algebra   verwandel, indem wir die 1 als erlaubten Grenzpunkt entfernen. Die  -Eigenschaft geht dadurch verloren.