Lehren, Lernen und Bildung metaphorisch verstehen/ Einleitung


Begriffe wie Lehren, Lernen und Bildung sind im deutschsprachigen Raum vermutlich jedem Menschen bekannt. Bedingt durch Schulpflicht lässt es sich kaum vermeiden, in irgendeiner Form „belehrt“ worden zu sein, etwas „gelernt“ oder sich “(weiter-)gebildet” zu haben. Die Erfahrungen mit dem Lehren und Lernen sind dabei keinesfalls auf Schulerfahrungen beschränkt. Möglichkeiten und Chancen etwas Neues lernen zu können oder die Anforderung, etwas Neues lernen zu müssen, existieren sowohl im Rahmen von Freizeitaktivitäten als auch im Berufskontext: Ein gemeinsames Training im Sportverein, das Ansehen von Videotutorials auf YouTube oder der Besuch eines Weiterbildungsangebotes an einem Wochenende sind hier nur wenige Beispiele. Doch es sind jene beispielhafte Situationen in denen Erfahrungen gewonnen werden, welche das Denken, sowie die Einstellungen und Werte zum Lehren, Lernen und Bildung vieler Menschen prägt. Es sind mitunter Erinnerungen an einen bestimmten Lehrer [1], der die Inhalte eines Faches in einer so einzigartigen Form vermittelt hat, dass man sich genau diesen Unterricht auch in allen anderen Fächern wünscht. Es sind wunderbare Erfahrungen aus unterhaltsamen Vorträgen oder Erlebnisse mit Tutorials und Spielen bei denen sich die Frage stellt, warum Lernen nicht immer so einfach sein kann. Oder das Gegenteil ist der Fall: Erinnerungen an die Schule sind geprägt vom Gefühl von Langeweile und Unterrichtsstunden, die so zäh verlaufen sind wie Kaugummi.

Ewald Terhart (2009) benennt das Wissen über Lehren und Lernen, welches u. a. aus der jahrelangen Schulpflicht gewonnen wurde, Alltagswissen. Das Wissen wie es in der Schule zugeht und wie beispielsweise Unterricht aus der Perspektive von Schülern abläuft, sind Facetten dieses Alltagswissens. Neben diesem Alltagswissen, so Terhart (2009), existieren in unterschiedlichen Kontexten weitere Wissensformen. Für dieses Buch ist insbesondere das wissenschaftliche Wissen von Erziehungswissenschaftlern, Didaktikern und Unterrichtswissenschaftlern von Bedeutung. Darunter werden im Folgenden didaktische Theorien und Modelle sowie Lern- und Bildungstheorien verstanden. Insbesondere die Didaktik kann, so viel sei an dieser Stelle vorweggenommen, als die “wissenschaftliche Grundlegung” der professionellen Tätigkeiten von Lehrenden in Bildungsinstitutionen wie der Schule betrachtet werden (z. B. Peterßen 2001, S. 230). Doch was lässt sich nun konkret über das Verhältnis dieser Wissensformen sagen? Ist es, wie Terhart (2009, S. 127) fragt, “zwischen Alltags- und Wissenschaftswissen in der Erziehungswissenschaft anders als z. B. in der Medizin oder in den Naturwissenschaften?” Oder die für angehende Lehrer mitunter bedeutendere Frage: Wenn doch bereits bei jedem ehemaligen Schüler soviel Alltagswissen über die Schule vorhanden ist, wozu brauchen Lehrer dann überhaupt eine Didaktik oder wissenschaftliches Wissen über Lernen und Bildung?

Die Fragen, nach dem Verhältnis dieser Wissensformen sowie nach der Relevanz einer Auseinandersetzung mit beiden Formen von Wissen über Lehren und Lernen, werden im Rahmen des vorliegenden Buches in unterschiedlicher Weise diskutiert. Eine intensive Auseinandersetzung mit den (erfahrungsbasierten) Vorstellungen und dem Denken angehender (und bereits erfahrener) Lehrer über Unterricht einerseits und wissenschaftlichen Theorien und Modellen anderseits begründet sich mindestens zweifach: (1.) Für angehende Lehrer, die mit ihren eigenen erfahrungsbasierten Vorstellungen ein Studium beginnen, sind es nach Sigrid Blömeke (2004) eben diese Alltagsvorstellungen (beliefs), die als zentrale Lernvoraussetzungen betrachtet werden können und Ihre Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Wissen beeinflussen. Diese Alltagsvorstellungen wirken gewissermaßen als Filter, d. h. angehende Lehrer beschäftigen sich mit solchem Wissen, welches zu den eigenen Vorstellungen und Überzeugungen passt und nehmen nur die (inhaltlichen) Facetten eines Seminars wahr, die aus ihrer Perspektive für die spätere Berufspraxis sinnvoll sind (Blömeke 2004, S. 65). Allerdings besteht ein Unterschied zwischen dem, was aus studentischer Perspektive für die spätere Berufspraxis als Lehrende sinnvoll ist und dem, was aus der fachlichen Perspektive der Allgemeinen Pädagogik und Didaktik als relevant betrachtet wird. Um diesen Unterschied erfahrbar zu machen, bedarf es einer entsprechenden Aufarbeitung eigener Vorstellungen. (2.) Die Vorstellungen angehender Lehrer sind nach bisheriger empirischer Forschung im Kontext der Lehrerbildung, so Blömeke (2004, S. 65), weitgehend veränderungsresistent, d. h. es ist nicht davon auszugehen, dass es im Verlauf des Lehramtsstudiums von alleine zu „grundlegenden Veränderungen kommt“ (ebd.). Konzepte, in denen die individuellen Vorstellungen bzw. beliefs der Studierenden aufgearbeitet und zum Thema gemacht werden, sind hingegen erfolgsversprechend. Ein möglicher Zugang zum Alltagswissen und zu den Vorstellungen von angehenden Pädagogen ist die Arbeit mit Metaphern (z. B. Gropengießer 2007).

Eine Auseinandersetzung mit den zuvor skizzierten Fragen erfolgt im Rahmen des vorliegenden Buches in drei Kapiteln. Das erste Kapitel “Alltagswissen und Metaphern” widmet sich aktuellen Vorstellungen über “Lehren und Lernen” sowie über “Bildung”. Zu Beginn erfolgt eine Einführung in das Konzept des erfahrungsbasierten Verstehens und der Möglichkeit, die Entwicklung und Diskussion von Metaphern als Reflexionsanlass zu nutzen. Daran anknüpfend werden verschiedene Metaphern und deren jeweilige Interpretation durch studentische Arbeitsgruppen dargestellt. Diese Darstellung der Metaphern bietet einerseits einen Überblick in - mit den Worten von Terhart (2009, S. 128) - “verdichtete” Formen von Alltagswissen und lässt sichtbar werden, welches Wissen von vielen angehenden Lehrern geteilt wird. Zum anderen werden in den unterschiedlichen Interpretationen auch individuelle Vorstellungen über die Aufgaben von Lehrern aus der Sicht der Studierenden sichtbar. Das zweite Kapitel “Erziehungswissenschaftliche Denkwerkzeuge” widmet sich dem wissenschaftlichen Wissen von Erziehungswissenschaftlern, Didaktikern und Unterrichtswissenschaftlern und versucht aufzuzeigen, inwiefern entsprechendes Wissen zum Nachdenken über das Lehren und Lernen anregen und dabei helfen kann. Dafür wird zunächst eine Einführung in die Charakteristika von erziehungswissenschaftlichen Modellen und Theorien gegeben und es erfolgt eine Darstellung unterschiedlicher Funktionen entsprechender Theorien und Modelle für angehende (und erfahrene) Lehrer. Vor diesem Hintergrund werden ausgewählte didaktische Modelle sowie Lern- und Bildungstheorien vorgestellt. Inwiefern dieses erziehungswissenschaftliche Wissen dabei helfen kann, die eigenen Vorstellungen über “Lehren und Lernen” und “Bildung” hinterfragen und reflektieren zu können, zeigt sich im Rahmen des abschließenden Kapitels “Erziehungswissenschaftliche Analysen eigener Vorstellungen”. In diesem geht es darum, die artikulierten Alltagsvorstellungen kritisch in den Blick zu nehmen und zu hinterfragen. Ein entsprechendes Vorgehen ermöglicht es zu prüfen, inwiefern das eigene Denken sowie die eigenen Einstellungen und Werte “intersubjektiv anerkannten Maßstäben” (Peterßen 2001, S. 231) entspricht und eröffnet die Chance, sich zukünftig an diesen zu orientieren. Zugleich kann das Verfassen entsprechender Analysen als Übung verstanden werden, die den Aufbau einer didaktischen Professionailät unterstützt.

Dieses gemeinsam mit Studierenden entwickelte Wikibook ist in der aktuellen Fassung als erster Versuch zu verstehen, ein offenes Buch vorzulegen, welches Anregungen zum Nachdenken über pädagogische und didaktische Handlungsfelder bietet, insbesondere über Vorstellungen entsprechender Handlungsfelder und deren erziehungswissenschaftlicher Reflexion. Dabei erhebt das Buch keinerlei Anspruch darauf, die Begriffe Lehren, Lernen und Bildung in vollständiger Weise klären zu können. Vielmehr werden im Sinne “punktueller Tiefenbohrungen” ausgewählte Aspekte erziehungswissenschaftlicher und insbesondere didaktischer Erkenntnisse beleuchtet und in Beziehung zu individuellen Vorstellungen gesetzt. Gleichwohl bieten die jeweiligen Literaturangaben die Möglichkeit, interessante Facetten aufzugreifen und in der Primärliteratur aufzuarbeiten.

Das Buch ist ferner als Ergebnis zweier durchgeführter Projektseminare zu verstehen, welche neben dem Erwerb didaktischer Kenntnisse und Fähigkeiten auch das Ziel verfolgte, die Medienkompetenz der Studierende hinsichtlich ihrer Beteiligung an offenen Wissensgemeinschaften und kooperativer Wissensproduktion zu unterstützen. Besonderer Dank gilt daher den Studierenden. Namentlich erwähnen dürfen wir an dieser Stelle (in alphabetischer Reihenfolge): Tatjana Albert, Jonathan Baumann, Elena Beck, Sybille Bencina, Florian Bowitz, Alexandra Etzel, Saralena Fritzsch, Alexander Gall, Maximilian Glasner, Jana Hiller, Sophia Hohenstein, Karin Höhn, Nina Jung, Annika Jüngst, Dilara Kayrak, Cora Kolb, Ramsha Mansoor, Betül Öner, Tabea Elena Pajonk, Jeanne Ricarda Posern, Christoph Pullmann, Mahdokht Riazi, Alexandra Schmidt, Saskia Schöning, Phillip Steigner, Ann-Kathrin Steiner, Jonas Arif Tozar, Julia Werthmüller. Zudem möchten wir uns bei Juetho und Stephan Kulla für die zahlreichen Kommentare, Überarbeitungen und Unterstützung bedanken. In der aktuellen Fassung scheint uns das Buchprojekt zu 50 % abgeschlossen und wir planen eine vorläufige Endfassung bis Januar 2016. Gerne möchten wir zur Beteiligung an der aktuellen Fassung ermuntern und freuen uns über Kommentare, Beiträge und kritische Fragen.

  1. Obwohl nicht alle Autorinnen und Autoren dieses Buches davon überzeugt sind, dass ein üblicher Hinweis à la “im Folgenden sind die bei maskulinen Formen Frauen stets mitgemeint” ein hinreichender Beitrag zur Gleichberechtigung von allen Geschlechtern in Schrift und Wort ist, war es doch die mehrheitliche Entscheidung der Projektseminare, einen entsprechenden Lesehinweise einer alternativen geschlechtergerechten Schreibweise vorzuziehen. Vor diesem Hintergrund sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass in diesem Buch die maskulinen Formen als im generischen Sinne verwendet werden.