Go/ Grundbegriffe/ Leben und Tod

Leben und Tod sind zentrale Begriffe im Go, wenn nicht die wichtigsten Begriffe überhaupt. Sie stellen immer den Endpunkt der Entwicklung dar, die mit dem ersten Stein beginnt. Während zu Beginn einer Schlacht noch alle Soldaten leben, da sie genügend Freiheiten haben, wird mit zunehmender Dauer der Auseinandersetzung klar, dass Fehler in der Planung der Formation böse enden können. Kopfschüttelnd resigniert der General und seine tapferen Steinkrieger sehen dem bitteren Tod in die Augen.

Die Diskussion über Leben und Tod ist gezwungen, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Die Grundvoraussetzung einer endgültigen Aussage über den Status einer Gruppe ist die Unmöglichkeit einer Flucht. Steine, die fliehen könnten, sind per Definition immer lebend. Ist eine Gruppe umschlossen, bezeichnen Leben und Tod allerdings nur den aktuellen Stand der Dinge. In Stein gemeißelt ist die Bewertung erst, wenn alle Zugvarianten mit dem gleichen Ergebnis enden. Die absoluten Aussagen über Leben und Tod sind vor Ende der Partie immer auf die lokale Umgebung begrenzt und können durch den Spielverlauf relativiert werden.

Allgemeines Bearbeiten

Die Grundform des Lebens sind die zuvor besprochenen Augen. Ausgehend von den Eigenschaften der Augen kann eine Gruppe bedingungslos[1] (jap.無条件生き Mujoken iki, engl. unconditional life) oder nicht bedingungslos leben. Gleiches gilt für eine Aussage über den Tod.

Bedingungslos leben bedeutet, dass es keine Zugfolge gibt, die die Gruppe töten kann. Darin inbegriffen sind auch Zugfolgen, bei denen der Verteidiger ausschließlich passt.

Der Angreifer könnte zwar, wie in Dia 1, einen Teil der Freiheiten besetzen, aber niemals alle. Das Ende einer Partie ist dadurch gekennzeichnet, dass alle Gruppen, die Gebiet begrenzen, in eine Form gebracht werden könnten, die bedingungslos lebt[2].

Bedingungslos tot bedeutet, dass der Angreifer ausschließlich passen kann, ohne dass in der Zwischenzeit der Verteidiger seine Gruppe retten kann. Schwarz könnte in Dia 2 die weißen Steine fangen, hätte aber dann immer noch eine tote Gruppe.

Bedingungslos ist gewissermaßen ein statischer Begriffe, da alle Züge in diesem Bereich keine Veränderung im Status der Gruppen herbeiführen. Je besser die beteiligten Spieler sind, desto seltenenr wird dieser Fall eintreten, da beide die Stellung frühzeitig auslesen.

Dynamisch wird die Stellung, wenn Bedingungen für Leben oder Tod einer Gruppe erfüllt sein müssen. Die einfachste Bedingung ist schlicht der unmittelbare Antwortzug.

Der Status einer Gruppe ist festgelegt (engl. settled)[3], wenn es in der lokalen Stellung auf jeden Zug eine Antwort gibt, die den Status der Gruppen aufrecht erhält. Die Gruppe selbst wird als (sicher) lebend oder (sicher) tot bezeichnet. Wichtig für das Verständnis ist, dass die Beweislast, welcher Status denn vorliegt, immer beim Angreifer liegt.

Dia 1 zeigt eine sicher lebende Gruppe von Schwarz, obwohl Schwarz mit eigenen Zügen keine zwei Augen bauen kann. Versucht Schwarz, die weißen Steine zu fangen, endet er mit einer gebogenen Drei, die Weiß töten kann (Dia 2).

Die Gruppe lebt, weil Weiß sie nicht töten kann. Spielt Weiß innerhalb des schwarzen Auges (Dia 3), entsteht die gebogene Vier mit den bekannten vitalen Punkten a und b (Dia 4).

An dieser Stelle ist die Grundregel festzuhalten, dass kein Spieler in einem Bereich spielen sollte, wo der Status der Gruppen feststeht. Im gezeigten Beispiel wäre es ein grober Fehler von Schwarz und der weiße Zug ist für die Punktzahl völlig egal, da Schwarz sowohl in Dia 1 wie auch in Dia 3 jeweils acht Punkte erhält. In anderen Situationen können solche Züge Punkte kosten oder der Spieler kann den Anzugvorteil verlieren. Daneben sind sicher tote Gruppen oft eine ergiebige Quelle für Ko-Drohungen. Weiß 1 ist eine solche.

Nicht festgelegte (engl. unsettled) Stellungen zeichnen sich im einfachsten Fall dadurch aus, dass die Bedingung, die für das Leben oder den Tod einer Gruppe erfüllt sein muss, der Anzugvorteil ist. Darunter fallen die im Kapitel Augen gezeigten Beispiele mit nur einem vitalen Punkt.

Komplizierter wird es, wenn mehrere Bedingungen erfüllt sein müssen oder es unterschiedliche Bedingungen für das Leben oder für den Tod einer Gruppe gibt. Ein Beispiel zeigt Dia 1. Für Schwarz ist sente ausreichend, um auf a oder b sicher zu leben.

Weiß benötigt folgerichtig zunächst ebenfalls sente, um das sichere Leben zu verhindern. Allerdings ist dies nicht ausreichend, um die Gruppe sicher zu töten. Zusätzlich muss Weiß das Ko gewinnen, das nach Weiß 3 entsteht (Dia 2). Gewinnt Schwarz das Ko, lebt er bedingungslos.

Zusatzbedingungen sind in den meisten Fällen Ko-Kämpfe, die allerdings mehrstufig sein können. In Dia 3 lebt Schwarz mit sente wieder sicher. Hat Weiß den ersten Zug beginnt ein Ko-Kampf, bei dem Weiß zwei Kos gewinnen muss. Zur Erklärung der nicht gezeigten Züge: Weiß 3 ist eine Ko-Drohung, die Schwarz 4 beantwortet. Schwarz 6 und 8 sind Ko-Drohungen, die Weiß ignoriert. [Das ist nur ein Beispiel. Es ist klar, dass die Stellung Schwarz bevorteilt, da er, wenn Weiß angreift, zwei Züge woanders + sente bekommt, was nur selten weniger wert ist als der weiße Gewinn in der Ecke.]

Selbstverständlich gibt es auch Stellungen, in denen dem Verteidiger ein einfaches sente nicht genügt, um sicher zu leben. In Dia 4 tötet Weiß mit sente. Schwarz auf a beginnt einen Ko-Kampf, den Schwarz für sicheres Leben gewinnen muss. In diesem Fall bekommt Weiß einen Zug woanders (nämlich die Ko-Drohung) und sente, nachdem Schwarz 3 die Stellung ausspielt.

Es sind natürlich auch Stellungen möglich, bei denen drei oder noch mehr Kos gewonnen werden müssen. Ebenso kann es vorkommen, dass der Angreifer oder der Verteidiger mehr als einen Zug ohne Antwort benötigt, um eine nicht festgelegte Stellung zu entscheiden.

Die bisher gezeigten Beispiele hatten gemeinsam, dass entweder zwei Augen in einem Bereich gebildet werden können oder nicht. Damit soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass Fragen nach Leben und Tod einer Gruppe nicht an räumlich weiter entfernten Orten entschieden werden können. Im rechten Beispiel lebt Weiß bereits sicher, obwohl er in der gezeigten Stellung noch kein einziges Auge hat. Allerdings hat Weiß vier Möglichkeiten dazu, von denen jeweils zwei Miai sind.

Paradox angesichts des ersten Blicks ist die Tatsache, dass keiner der beiden Spieler hier ziehen sollte. Die Stellung gilt als ausgespielt. (←Das ist eine Übertreibung. Aber vorerst ausgespielt stimmt.)

Seki Bearbeiten

Als Seki (セキ) werden Stellungen bezeichnet, in denen sich Gruppen beider Spieler gegenüberstehen, die nicht bedingungslos leben. Gleichzeitig haben aber die Gruppen von beiden Spieler nicht genügend Freiheiten, um den Gegner zu fangen.

Der einfachste Fall tritt ein, wenn alle vorhandenen Freiheiten geteilte Freiheiten sind (Dia 1). Weder Schwarz noch Weiß kann die Freiheiten der gegnerischen Gruppe reduzieren, ohne ein Selbst-Atari zu verursachen. Die Gitterpunkte, die beiden gehören, werden neutrale Punkte genannt (jap. Dame 駄目).

Kein Seki ist die Stellung in Dia 2. Die Freiheiten sind nur scheinbar geteilt. Tatsächlich ist Weiß bedingungslos tot, da ihn jede mögliche Zugfolge tötet.

Wichtig ist die Feststellung, dass Steine in Seki nicht zwangsläufig sicherer leben als in einem Auge mit zwei vitalen Punkten. Ein Mehr an Sicherheit hängt einzig vom möglichen Gewinn im Seki ab. In Dia 1 könnte Weiß sicher mit sieben Punkten leben, während Schwarz lediglich ein Auge und drei Punkte erhält. Entsprechend sind die Züge in diesem Seki unterschiedlich starke Ko-Drohungen.

Seki-Stellungen können auch Gruppen mit Augen beinhalten (Dia 3). Dies ist einer der wenigen Fälle, bei denen sich die angewendeten Regeln auf die Punkteanzahl auswirken. Die japanische Gebietszählung wertet keinerlei Punkte in einem Seki, während bei der Flächenbewertung sowohl die lebenden Steine im Seki als auch die Augenpunkte gezählt werden. Selbst unechte Augen werden gezählt.

Komplexere Seki-Stellungen finden sich im Abschnitt Semeai.

Tsumego Bearbeiten

Tsumego ist der japanische Ausdruck für "Leben-und-Tod"-Probleme. Dabei wird eine (fast immer) begrenzte Brettsituation dargestellt und es gilt, einen lokal besten Zug zu finden. Zumeist bedeutet dies, eine Gruppe zu töten oder eben zum Leben zu verhelfen. Das Studium dieser Probleme verbessert die Fähigkeit, "lebenswichtige" (Schwach-)Punkte intuitiver zu erkennen.

Eine riesige Auswahl an Leben und Tod-Problemen bietet die Sensei's Library [1].

Übungsaufgaben in diesem Buch.

Fußnoten

  1. Diese Situation wird auch "lebend unter passen" oder "leben mit zwei Augen" genannt
  2. Im Zusammenhang mit Endstellung heißen diese Gruppen dann "unabhängig lebend" (engl. independently alive)
  3. Andere, oft gelesene Formulierungen sind ausgespielt oder entschieden.