Studienführer Hans Albert: Spezifische Schwierigkeiten
Spezifische Schwierigkeiten
Gibt es besondere Schwierigkeiten beim Studium der Albertschen Schriften? - Wir zählen einige mögliche auf.
Klar schreiben. Sogar sehr klar schreibende Philosophen können mitunter auf großes Unverständnis stoßen. Das ist immer dann der Fall, wenn sie die Grundlagen unseres Denkens selbst angreifen. Hans Albert geht es hier, wie vielen anderen vor ihm, zum Beispiel Karl Popper oder Bertrand Russell. Ist aber der Widerstand einmal gebrochen, hat man beispielsweise eingesehen, dass die über zweitausendjährige Denktradition, nach sicheren Begründungen für unsere Überzeugungen zu suchen, immer fehlschlagen muss und sich relativer Sicherheit nur erfreuen kann, was harter Kritik standgehalten hat, dann scheint uns die neue Denkweise auf einmal so selbstverständlich, dass wir kaum noch glauben können, sie einem anderen zu verdanken als uns selbst. Und dann scheint es auf einmal nahezuliegen, Vorwürfe zu erheben: War Popper nicht manchmal sehr trivial oder Russell oder Albert? Hat man das nicht schon immer gewusst?
Erst Abwehr, dann schnelle Einverleibung. Aus diesem Grund wird mancher Leser, der Alberts Vorstellungen nicht im Voraus teilt, ähnliche Erfahrungen machen wie etliche seiner Opponenten: Zunächst heftige Abwehr, dann stillschweigende Übernahme der nunmehr für ›selbstverständlich‹ gehaltenen Positionen.
Tatsächlich beginnen einige kritisch-rationale Erkenntnisse, nunmehr Selbstverständlichkeiten zu werden, wie zum Beispiel die Einsicht, dass alle Problemlösungen nur vorläufig sein können und dass die Bereitschaft zum Revisionismus unsere Grundeinstellung sein muss. Der Fallibilismus, die allgemein menschliche Fehlbarkeit, wird kaum noch in Frage gestellt.
Neuinterpretation herkömmlicher Begriffe durch Wechsel des theoretischen Bezugrahmens. Das heißt aber nicht, dass eine einmal erreichte theoretische Einsicht schon immer in ihren letzten Konsequenzen für die überkommenen Denkschemata bedacht ist und letztere theoriemäßig durchgeführt werden. So wird zum Beispiel "Wissen" als unabhängig gesehen von "Gewissheit", d.h. davon, dass die Wahrheit des Wissens garantiert ist. Diese feine Unterscheidung wirft die übliche Auffassung der Problemstellung der Erkenntnistheorie über den Haufen; es führt unausweichlich bei einer Diskussion zur Verwirrung, wenn die betreffenden Begriffe nicht von allen Beteiligten gleichermaßen so verstanden werden.
Positivismus. Auch der Positivismus scheint überwunden: Tatsachen werden immer seltener als die sichere, theoriefreie Basis betrachtet, von der aus ein geheimnisvoller induktiver Formalismus zu Theorien führt.
Doch so selbstverständlich manche Einsichten erscheinen, so sind sie doch oft noch nicht in ihrer ganzen Tragweite begriffen:
Der Positivismus zum Beispiel kehrt sofort als unerschütterbarer Denkrahmen zurück, wenn wir in andere Gebiete überwechseln, etwa in die Politik, und glauben, der Wähler sei die demokratische Basis und sein Wille so etwas wie die politische Grundtatsache, die mittels einer geheimnisvollen Wahl-Maschinerie in die Köpfe der Politiker gelangt, um sich dort in adäquate politischen Theorien und entsprechende Handlungen zu verwandeln.
Ähnliches bewirkt der positivistische Denkrahmen im ökonomischen Denken, wenn er die Bedürfnisse des Verbrauchers zur irrtumsfreien Basis erhebt, aus der wiederum derselbe, niemals sichtbare Induktionsapparat angeblich die Wirtschaftstheorie gewinnt.
Alberts Kritischer Rationalismus überwindet den Positivismus auf allen Gebieten und denkt als ›methodologischer Rationalismus‹ primär in Theorien und Institutionen (siehe dazu Rationalismus), die so zu verbessern sind, dass sie den gewählten Zielen immer näher kommen; ganz so, wie man einst von Popper gelernt hatte, von Theorien auszugehen und diese solange zu korrigieren, bis sie ihrem Wahrheitsanspruch ausreichend gerecht werden.
Übertragung. Wer sich auf ein tiefgreifendes Umdenken einlässt, dem winken Chancen, diese Methoden auf beliebige andere Gebiete der Kultur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften übertragen zu können. Und vielleicht sind auch in der Ethik nicht die Interessen der Subjekte die sichere Basis, aus der sich irgendwie das ethische Regelwerk ableitet, und auch die TV-Einschaltquoten nicht die irrtumsfreie Basis, aus der sich die gute Programmgestaltung ergibt.
Überwindung der Grenzen der Disziplinen. Zu den schwer überwindbaren Denkgewohnheiten gehört auch die philosophische Gewohnheit, ökonomische und sozialwissenschaftliche Probleme als ferne, disziplinfremde Bereiche anzusehen. Man sollte sich erinnern, dass erst vor wenigen Jahrzehnten auch Ethik, Moral und Metaphysik von der Philosophie wiederentdeckt werden mussten. Wer Albert studiert, wird schnell bemerken, dass man zur Lösung kultureller und gesellschaftlicher Probleme auf ein sehr abstrakt formuliertes ökonomisches Denken nicht verzichten kann.
Wertfreier Umgang mit Werten. Besondere fachtypische Schwierigkeiten gibt es schon immer in den zur Politisierung neigenden Sozialwissenschaften, wenn es um das Verhältnis von Werten und Tatsachen geht, beziehungsweise um das von Theorie und Praxis oder von Wissenschaftlichkeit und Engagement. Hier sorgt die Albertsche Wissenschaftslehre für Aufklärung und neue Methoden: Sie lehrt, rational mit Werten umzugehen; den ›Naturalismus‹ als das Programm, Theorien zu konstruieren und sie durch Alternativenvergleich und Kritik zu verbessern, anstatt bei Begriffsbildung, Beschreibungen und Interpretationen stehen zu bleiben. Sie wirbt für die Beseitigung störender Fachgrenzen insbesondere in der Ökonomie, um hier z. B. die Theorien der Psychologie und Kognition einzubeziehen. Sie plädiert für bestimmte Werte, Ziele und Ordnungsprinzipien, wie z. B. dafür, unbeschränkt Kritik zu äußern und alternative Vorschläge einzubringen, was die soziale Grundlage aller Wissenschaften ist.
Eine Methodologie der Kritik in einem Lehrbuch darstellen und vermitteln. Herkömmlich versteht man unter einem "Lehrbuch" einen abgeschlossenen Fundus gesicherten Wissens, was Scholastik und passives Nachahmen nahelegt. Die zu vermittelnde Methode ist hier jedoch "Konstruktion und Kritik", wenn man so will, eine Dialektik von Affirmation und Negation. Das soll heißen: Die klare und formal stringente Exposition der Thesen ist nur als Vorbereitung zu sehen, dieselben möglichst scharf der Bewährung durch die Kritik durch Alternativen auszusetzen. Der Wert einer These liegt nicht so sehr in dem, was sie positiv behauptet, sondern in den Alternativen, die durch sie als falsch ausgeschlossen werden.
In diesem Sinne kann ein Lehrbuch des Kritischen Rationalismus mitnichten als eine Sammlung unüberholbarer Wahrheiten verstanden werden, sondern lediglich als Versuch einer Kodifikation und als didaktisch bedachter Einstieg zu für einen bestimmten Zeitpunkt kritischen Denkens akzeptierter Resultate, die das eigene Weiterdenken ermöglichen. Aufschreiben ist hier also nichts weiter als Ankämpfen gegen das Vergessen, das Wiederfinden erleichtern soll und das Verbinden von dem, was zweckmäßig zusammengehört.
Anderswo mehr. Was einzelne Fachbegriffe wie Modellplatonismus, Brückenprinzipien, Münchhausentrilemma, Immunisierungsstrategie usw. anbelangt, so sei auf die Wikipedia verwiesen. Fachliche Auskunft, verbunden mit dem Hinweis auf die einschlägigen Literaturstellen, erhält man vom Lexikon des Kritischen Rationalismus (Mohr Siebeck 2004), das eine große Zahl Albertscher Begriffe und Argumente eingehend erklärt.