Vereinigung und Durchschnitt von Vektorräumen – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

Motivation Bearbeiten

Wir kennen verschiedene Operationen, um aus gegebenen Mengen eine neue Menge zu konstruieren. Ist   eine Familie von Mengen, so können wir zum Beispiel den Durchschnitt   oder die Vereinigung   bilden. Angenommen, die   sind außerdem Untervektorräume eines größeren Vektorraums  . Das heißt, die   sind nichtleere Teilmengen von  , die abgeschlossen unter Addition und skalarer Multiplikation sind. Sind der Durchschnitt und die Vereinigung der   dann ebenfalls Untervektorräume von  ?

Durchschnitt von Untervektorräumen Bearbeiten

Ist der Schnitt von Unterräumen eines Vektorraums wieder ein Unterraum? Um diese Frage zu beantworten betrachten wir zunächst den Fall von zwei Unterräumen und schauen uns Beispiele im   an.

  1. Betrachten wir zunächst die beiden Ebenen   und   (die y-z-Ebene). Im Bild sehen wir, dass ihr Schnitt die z-Achse  , also ein Unterraum von   ist.
  2. Das zweite Bild zeigt, dass der Schnitt der Geraden   mit der y-z-Ebene   ebenfalls eine Gerade ist, und zwar  .
  3. Schneiden wir die y-z-Ebene   stattdessen mit der Geraden  , so sehen wir, dass der Durchschnitt nur die Null enthält. Auch das ist ein Unterraum von  .

In den Beispielen ist der Durchschnitt der beiden Unterräume also stets wieder ein Unterraum von  . Wir zeigen jetzt, dass das auch für allgemeine Unterräume eines beliebigen Vektorraums gilt.

Satz (Durchschnitt von Vektorräumen)

Seien   und   zwei Untervektorräume eines Vektorraums  . Der Durchschnitt   von   und   ist ein Untervektorraum von  .

Beweis (Durchschnitt von Vektorräumen)

Zum Beweis müssen wir die drei Unterraumkriterien nachweisen:

Beweisschritt:   ist nicht leer

Da   und   Unterräume sind, gilt   und  . Es folgt  , also ist  .

Beweisschritt:   ist abgeschlossen unter Addition.

Seien nun   beliebig. Dann gilt   und  . Da die Unterräume   und   abgeschlossen unter Addition sind, folgt   und  . Damit ist auch  .

Beweisschritt:   ist abgeschlossen unter Skalarmultiplikation.

Seien   und   beliebig. Dann gilt   und  . Da die Unterräume   und   abgeschlossen unter Skalarmultiplikation sind, folgt   und  . Damit ist auch  .

Hinweis

Wir haben gesehen, dass   ein Unterraum von   ist. Wegen   ist der Durchschnitt zudem ein Unterraum  . Daraus folgt  . Analog folgt   aus  . Das ergibt intuitiv Sinn: Wenn wir einen Unterraum mit einem anderen schneiden, kann seine Dimension unmöglich größer werden.

Wir haben gezeigt, dass der Schnitt von zwei Untervektorräumen wieder ein Untervektorraum ist. Im Beweis ist es aber an keiner Stelle relevant, dass es sich nur um zwei oder um endlich viele Unterräume handelt. In der Tat gilt die Aussage für beliebige Familien von Unterräumen.

Aufgabe (Beliebiger Durchschnitt von Vektorräumen)

Sei   eine beliebige Indexmenge und   eine Familie von Untervektorräumen eines Vektorraums  . Dann ist der Durchschnitt   ein Untervektorraum von  .

Lösung (Beliebiger Durchschnitt von Vektorräumen)

Sei   und seien   Untervektorräume des  -Vektorraums  . Der Schnitt   aller Vektorräume   ist wieder ein Vektorraum.

Beweisschritt:   ist nicht leer.

Da die   Untervektorräume sind, ist   für alle   und damit ist  . Somit ist   nicht leer.

Beweisschritt:   ist abgeschlossen unter Addition.

Seien  . Dann gilt   für alle  . Weil alle   Vektorräume sind, gilt die Abgeschlossenheit der Addition und es ist   für alle  . Damit ist  .

Beweisschritt:   ist abgeschlossen unter Skalarmultiplikation.

Seien   und  . Dann gilt   für alle  . Da alle   Vektorräume sind, gilt die Abgeschlossenheit der Skalarmultiplikation und es ist   für alle  . Damit ist auch  .

Vereinigung von Untervektorräumen Bearbeiten

Ist die Vereinigung von Unterräumen eines Vektorraums wieder ein Vektorraum? Betrachten wir zunächst ein Beispiel.

Beispiel (Koordinatenachsen sind kein Untervektorraum)

Sei  . Als Unterräume wählen wir die Koordinatenachsen   und  . Ihre Vereinigung ist das Achsenkreuz in  . Anhand des Bildes können wir schon vermuten, dass es sich dabei nicht um einen Untervektorraum von   handelt: Es gibt zwei "Richtungen", gleichzeitig ist   aber nicht die zwei-dimensionale Ebene. Und in der Tat sind die beiden Vektoren   und   in  , aber ihre Summe   liegt nicht in der Vereinigung. Also ist   kein Unterraum.

 
Vereinigung von zwei Geraden im zweidimensionalen reellen Raum

Wir sehen also, dass die Vereinigung von zwei Unterräumen im Allgemeinen kein Unterraum ist. Ist das immer der Fall?

Beispiel (Vereinigung von Unterräumen ist Unterraum)

Wir betrachten die beiden Unterräume   und   von  . Wegen   ist  . Also gilt   und die Vereinigung der beiden Unterräume ist wieder ein Unterraum.

 
Vereinigung von einer Geraden mit einer Ebene im dreidimensionalen reellen Raum

Die Vereinigung von zwei Unterräumen ist also in manchen Fällen, aber nicht immer, ein Unterraum. Im Beispiel war   in   enthalten, sodass   ein Unterraum war. Das funktioniert immer: Sind zwei Unterräume gegeben und ist einer davon im anderen enthalten, dann ist die Vereinigung gleich dem größeren der beiden, also wieder ein Unterraum.

Das ist der einzige Fall, in dem die Vereinigung von zwei Unterräumen wieder ein Unterraum ist, wie anhand des ersten Beispiels mit den Koordinatenachsen anschaulich klar wird: Gilt   und  , dann wird die Vereinigung nicht abgeschlossen unter Addition sein. Denn es gibt dann zwei Vektoren   mit   und  . Die Summe   enthält dann einen Anteil, der nicht in   liegt, und kann deshalb nicht in   liegen: Andernfalls wäre auch  . Ebenso begründet man  .

Wir haben also folgendes Kriterium dafür, wann die Vereinigung von zwei Unterräumen ein Unterraum ist.

Satz (Bedingung dafür, dass die Vereinigung von zwei Vektorräumen wieder ein Vektorraum ist)

Sei   ein Vektorraum über einem Körper   und seien   und   zwei Untervektorräume von  . Dann ist   genau dann ein Untervektorraum von  , wenn   oder   gilt.

Beweis (Bedingung dafür, dass die Vereinigung von zwei Vektorräumen wieder ein Vektorraum ist)

Beweisschritt: Ist   ein Untervektorraum von  , dann gilt   oder  .

Wir zeigen die Aussage per Kontraposition: Angenommen, es gilt weder   noch  . Wir zeigen, dass   dann kein Unterraum von   ist. Dafür finden wir zwei Elemente  , sodass  :

Wegen   gibt es ein Element  , das nicht in   enthalten ist. Ebenso gibt es wegen   ein  , das nicht in   enthalten ist.

Dann gilt  . Aber die Summe   liegt weder in   noch in  : Wäre  , dann wäre auch  , im Widerspruch zur Wahl von  . Hierbei haben wir benutzt, dass wegen   auch   gilt und dass   als Unterraum abgeschlossen unter Addition ist. Genauso sieht man ein, dass   nicht in   liegt.

Also gilt  . Damit ist die Vereinigung   nicht abgeschlossen unter Addition, also kein Unterraum.

Beweisschritt: Ist   oder  , so ist   ein Vektorraum.

Gilt  , so ist  , also ist die Vereinigung ein Unterraum. Analog folgt aus  , dass   ein Unterraum ist.

Der Beweis des Satzes zeigt, dass die Eigenschaft, ein Unterraum zu sein, an der Addition scheitert. Die skalare Multiplikation auf   war im Beweis nicht relevant. Tatsächlich ist   stets unter skalarer Multiplikation abgeschlossen, selbst wenn sich bei der Vereinigung nicht um einen Untervektorraum handelt: Ist   und  , etwa  , dann gilt  , da   als Unterraum abgeschlossen unter skalarer Multiplikation ist. Der Fall   ist analog.

Da   ein Vektorraum und   Unterräume sind, bildet   eine Gruppe und   Untergruppen. Wir haben also effektiv gezeigt:   ist genau dann eine Untergruppe von  , wenn   oder   gilt. Es gibt eine allgemeinere Aussage über (nicht notwendigerweise kommutative) Gruppen. Der Beweis ist ganz analog zu dem Beweis für Unterräume, den wir oben geführt haben.

Satz (Vereinigung von Untergruppen)

Seien   eine Gruppe und   Untergruppen. Dann ist   genau dann eine Untergruppe von  , wenn   oder   gilt.

Die Vereinigung von Unterräumen   und   ist zwar im Allgemeinen kein Unterraum. Man kann aber den kleinsten Unterraum definieren, welcher   enthält. Dieser Unterraum ist die Summe  .