Komplexe Konjugation und Betrag komplexer Zahlen – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

Betrag einer komplexen Zahl Bearbeiten

Motivation des Betrags Bearbeiten

Im Umgang mit den reellen Zahlen haben wir die Betragsfunktion   kennengelernt, mit der wir den absoluten Abstand zur Zahl Null angeben konnten. An der reellen Zahlengerade visualisiert sieht das wie folgt aus:

 
Betrag von reellen Zahlen

Auch in der komplexen Ebene können wir den Abstand einer komplexen Zahl zum Nullpunkt bestimmen. Hierzu verwenden wir den Satz des Pythagoras. Sei   eine komplexe Zahl:

 
Die komplexe Zahl z mit dem Realteil a und den Imaginärteil b

Mit dem Satz des Pythagoras gilt für den Abstand   vom Nullpunkt die Gleichung  . Durch Wurzelziehen auf beiden Seiten, kann   bestimmt werden. Es ist nämlich:

 

Mit dem Betrag können einige Konzepte der reellen Zahlen auf die komplexen Zahlen übertragen werden. So wie   in den reellen Zahlen der Abstand zwischen   und   ist, so ist auch   in den komplexen Zahlen der Abstand zwischen   und  . Mit dem Abstand wiederum können Begriffe wie der Grenzwert definiert werden: Eine komplexe Zahl  ist genau dann der Grenzwert einer Folge   von komplexen Zahlen, wenn der Abstand   zwischen dem Grenzwert   und den Folgengliedern   beliebig klein wird.

Definition des komplexen Betrags Bearbeiten

Definition (Betrag einer komplexen Zahl)

Es sei  . Dann setzen wir   und nennen die Zahl   den Betrag von  .

Hinweis

Der oben definierte Betrag auf den komplexen Zahlen stimmt für die reellen Zahlen mit dem üblichen Betrag überein. Sei  . Dann gilt:

 

Komplexe Konjugation Bearbeiten

Motivation der Konjugation Bearbeiten

Die imaginäre Einheit   erfüllt als eine Wurzel von   die Gleichung  . Wir können uns die Multiplikation   als eine  -Drehung um den Nullpunkt vorstellen. Nun ist die Multiplikation   wegen der Gleichung   dasselbe wie  . Damit ist   eine Operation, die bei zweifacher Anwendung einer  -Drehung entspricht.

Es ist naheliegend, dass die Multiplikation mit   einer  -Drehung entspricht. Damit ist die imaginäre Einheit   wegen   gleich derjenigen Zahl, die aus einer Drehung um   der Zahl   entsteht:

 
Rotation der 1 um 90° ergibt i

Allgemein gängig ist es, gegen den Uhrzeigersinn zu drehen. So liegt   dort, wo im   die   auf der  -Achse liegt. Jedoch hätte man genau so gut im Uhrzeigersinn drehen können. Dann läge das   an der Stelle der   auf der  -Achse:

 
Rotation der 1 um -90° ergibt -i

Auch über diese alternative Drehung hätten wir die komplexen Zahlen herleiten können. So hätten wir eine andere Menge von komplexen Zahlen erhalten, bei der die imaginäre Einheit   unterhalb der  -Achse liegt. Bei dieser alternativen Menge von komplexe Zahlen sind die Rollen von   und   vertauscht. Wenn wir also überall   vertauschen, sollten wesentliche Eigenschaften und Strukturen, die durch die Zahlenbereichserweiterung gewonnen wurden, erhalten bleiben. Eine solche Vertauschung entspricht der Abbildung:

 

Bei dieser Abbildung wird der Imaginärteil mit   multipliziert. Dies entspricht einer Spiegelung der komplexen Zahl an der reellen Achse, also der  -Achse:

 
Komplexe Konjugation veranschaulicht

Ein Beispiel hierfür sind die Nullstellen der Funktion  . Es ist  . Daher ist   eine Nullstelle von  . Andererseits gilt auch   und damit ist   eine weitere Nullstelle. Betrachten wir   mit der Nullstelle  . Man könnte meinen, dass das Negative der Zahl, also  , eine weitere Nullstelle ist. Dies ist leider nicht der Fall. Wenn wir allerdings   mit   austauschen, also die komplexe Zahl   betrachten, erhalten wir eine weitere Nullstelle:

 

Für die Nullstelle   eines Polynoms scheint das an der reellen Achse gespiegelte   eine weitere Nullstelle zu sein. Dies ist im Übrigen für alle Polynome mit rein reellen Koeffizienten der Fall. Dies weist darauf hin, dass die Abbildung   eine Besondere ist. Diese Abbildung wird komplexe Konjugation genannt.

Definition der komplexen Konjugation Bearbeiten

Definition (Komplexe Konjugation einer komplexen Zahl)

Es sei  . Dann heißt die Abbildung   komplexe Konjugation und die Zahl   die zu   komplex konjugierte Zahl.

Übersicht: Eigenschaften des Betrags und der komplexen Konjugation Bearbeiten

Eigenschaften der komplexen Konjugation Bearbeiten

Für alle   und   gilt:

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Eigenschaften des Betrags einer komplexen Zahl Bearbeiten

Für alle   und   gilt:

  •   und   (positive Definitheit)
  •   (Multiplikativität)
  •   und  
  •   (Dreiecksungleichung)
  •  
  •  

Rechenregeln der komplexen Konjugation Bearbeiten

Konjugation verändert reelle Zahlen nicht Bearbeiten

Satz (Konjugation verändert reelle Zahlen nicht)

Für eine Zahl   gilt   genau dann, wenn   rein reell ist, d.h.  .

Beweis (Konjugation verändert reelle Zahlen nicht)

Beweisschritt:  

Sei   mit   und  . Es ist dann

 

Damit ist   und somit   eine reelle Zahl.

Beweisschritt:  

Sei   eine reelle Zahl. Also ist  . Wir haben:

 

Involution Bearbeiten

Satz (Involution)

Für eine komplexe Zahl   gilt:

 

Beweis (Involution)

Sei   mit  . Dann gilt:

 

Die kann auch folgendermaßen erklärt werden:   ist die Spiegelung von   an der reellen Achse. Damit ist   die Spiegelung von der Spiegelung und somit die ursprüngliche komplexe Zahl.

Verträglichkeit mit Addition Bearbeiten

Satz (Verträglichkeit mit Addition)

Für komplexe Zahlen   gilt:

 

Beweis (Verträglichkeit mit Addition)

Sei   von der Form  , wobei   und   von der Form  , wobei  . Dann gilt:

 

Verträglichkeit mit Multiplikation Bearbeiten

Satz (Verträglichkeit mit Multiplikation)

Für komplexe Zahlen   gilt:

 

Beweis (Verträglichkeit mit Multiplikation)

Sei   von der Form  , wobei   und   von der Form  , wobei  . Dann gilt:

 

Verträglichkeit der Konjugation bei endlichen Summen und Produkten Bearbeiten

Wir wissen, wie sich die Konjugation bei der Summe und dem Produkt zweier Zahlen verhält. Was passiert bei Summen und Produkten mit drei oder mehr Zahlen wie bei  ? Wir behelfen uns mit einem Trick: Wir betrachten zuerst   als eine einzige komplexe Zahl und benutzen zwei Mal den Satz zum Zusammenhang zwischen Konjugation und Summe:

 

Es ist auch für drei Summanden egal, ob wir zuerst alles summieren und dann auf die entstandene Zahl die Konjugation anwenden, oder ob wir zuerst jede Zahl konjugieren und dann alles summieren. Dies geht allgemein für beliebig lange Summen und Produkte von komplexen Zahlen, wie wir es im Folgenden formal beweisen werden. Hierzu führen wir einen Induktionsbeweis über die Anzahl der Summanden bzw. Faktoren. Auch verwenden wir die kompakte Schreibweise für endliche Summen und Produkte.

Satz (Verträglichkeit für beliebig viele komplexe Zahlen)

Für jedes   und alle komplexe Zahlen   gilt:

  1.  
  2.  

Beweis (Verträglichkeit für beliebig viele komplexe Zahlen)

Wir beweisen diesen Satz für die Summe über vollständige Induktion. Der Beweis für das endliche Produkt kann analog geführt werden:

Aussageform, deren Allgemeingültigkeit für   bewiesen werden soll:

 

1. Induktionsanfang:

 

2. Induktionsschritt:

2a. Induktionsvoraussetzung:

 

2b. Induktionsbehauptung:

 

2c. Beweis des Induktionsschritts:

 

Berechnung des Real- und Imaginärteils Bearbeiten

Satz (Real- und Imaginärteils)

Für eine komplexe Zahl   gilt:

  1.  
  2.  

Beweis (Real- und Imaginärteils)

Sei   mit  . Wir rechnen die Gleichung von der rechten Seite ausgehend nach:

 

Berechnung des Betrags über die Konjugation Bearbeiten

Satz (Berechnung des Betrags über die Konjugation)

Für alle komplexen Zahlen   ist  . Damit ist  .

Beweis (Berechnung des Betrags über die Konjugation)

Sei   eine beliebige komplexe Zahl mit  . Wir berechnen  . Es ist   und  . Also gilt

 

Da   reell ist und die Basis   nicht negativ ist, können wir die Wurzel ziehen und erhalten die reelle Zahl  .

Berechnung des Reziproken mit der Konjugation Bearbeiten

Satz (Berechnung des Reziproken mit der Konjugation)

Für alle komplexe Zahlen   ist  .

Beweis (Berechnung des Reziproken mit der Konjugation)

Sei   eine beliebige komplexe Zahl. Wir wollen   zeigen. Dafür beweisen wir  . Mit   folgt

 

Weil die Inverse in einem Körper eindeutig ist, folgt  . Dies beweist, dass   gleich dem Reziproken von   ist.

Hinweis

Beim Beweis die komplexen Zahlen bilden einen Körper haben wir auch eine multiplikative Inverse von   hergeleitet. Dort haben wir gesehen  . Das ist konsistent mit der neuen Darstellung durch komplexe Konjugation:

 

Konjugation bei Brüchen Bearbeiten

Satz (Konjugation bei Brüchen)

Für alle komplexen Zahlen   mit   gilt:

 

Beweis (Konjugation bei Brüchen)

Wir wissen bereits, dass für das Reziproke einer komplexen Zahl   gilt:  . Außerdem haben wir gesehen, dass reelle Zahlen durch die Konjugation nicht verändert werden und dass die Konjugation mit der Multiplikation verträglich ist. Wir zeigen zunächst:  . Hierfür benutzen wir, dass   reell ist und dass   gilt.

 

Daraus folgt für die Konjugation von Brüchen komplexer Zahlen   mit  :

 

Eigenschaften der komplexen Betragsfunktion Bearbeiten

Positive Definitheit Bearbeiten

Satz (Positive Definitheit)

Sei   eine komplexe Zahl, dann gilt:

 

Beweis (Positive Definitheit)

Sei   in kartesischer Form gegeben. Dann gilt  . Nun müssen wir noch die Äquivalenz beweisen. Dafür zeigen wir zwei Implikationen:

Beweisschritt:  

Sei  . Dann gilt  . Somit folgt  .

Beweisschritt:  

Diese Richtung zeigen wir durch Kontraposition. Sei dafür  . Daraus folgt   oder  . Wenn   gilt  . Wenn   gilt  . In jedem Fall folgt   und damit  .

Multiplikativität Bearbeiten

Satz (Multiplikativität)

Für   gilt  .

Beweis (Multiplikativität)

Seien   und  . Dann folgt

 

Da die Basen   und   der beiden Quadrate auf beiden Seiten nicht negativ ist, können wir auf beiden Seiten die Wurzel ziehen. Wir erhalten dann  .

Abschätzung Real- und Imaginärteil Bearbeiten

Satz

Für alle   gilt   und  .

Beweis

Sei   mit  . Dann folgt mit  :

 

Genauso folgt mit  :

 

Dreiecksungleichung Bearbeiten

Satz (Dreiecksungleichung)

Für alle   gilt  .

Beweis (Dreiecksungleichung)

Seien   und  . Um den Betrag abzuschätzen nutzen wir die Beziehung  :

 

Abschätzung des Betrags Bearbeiten

Satz

Für alle   gilt  .

Beweis

Wir zeigen zuerst, dass die Ungleichung für beide Seiten im Quadrat gilt.

 

Die beiden Basen   und   sind nicht negative Zahlen sind, können wir die Wurzel auf beiden Seiten der Ungleichung ziehen. Diese Wurzel erhält Ungleichungen und damit ist  .

Umgekehrte Dreiecksungleichung Bearbeiten

Satz (Umgekehrte Dreiecksungleichung)

Für komplexe Zahlen   gilt  .

Beweis (Umgekehrte Dreiecksungleichung)

Um eine Ungleichung   zu zeigen, können wir alternativ die beiden Ungleichungen   und   beweisen. Um diese Technik in diesem Beweis anzuwenden, müssen wir die beiden Ungleichungen   und   beweisen.

Beginnen wir mit der ersten Ungleichung. Wir verwenden die Dreiecksungleichung des komplexen Betrag und den Trick des „Einschiebens einer  “:

 

Durch Umformung erhalten wir  . Die zweite Ungleichung zeigen wir analog, wobei die Rollen von   und   vertauscht sind. Zusätzlich formen wir   schrittweise in   um:

 

Es folgt  . Damit haben wir die beiden Ungleichungen   und   bewiesen. Daraus folgt die Ungleichung  .