Komplexe Zahlen/ Definition und Grundrechenarten

In diesem Kapitel werden – ausgehend von der Lösbarkeit quadratischer Gleichungen – die komplexen Zahlen eingeführt.

Definitionen

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Betrachten wir nochmals die Einführung der irrationalen Zahlen über die folgende quadratische Gleichung:

 

Zu ihrer Lösung wurde das Wurzelsymbol eingeführt, das wie eine Variable eingesetzt werden kann. Der exakte Wert von   ist zwar nicht bekannt, aber wir wissen, dass   genau gleich 2 ist.

In ähnlicher Weise führen wir eine Lösung für diese quadratische Gleichung ein:

 

Wir definieren ein Zeichen, dessen Wert wir zwar nicht kennen, von dem wir aber wissen, dass sein Quadrat gleich –1 ist. Dieses Symbol heißt imaginäre Einheit i.[1]

Definition (Imaginäre Einheit)

Die imaginäre Einheit i ist jene Zahl, deren Quadrat gleich –1 ist:
 [2]

Die imaginäre Einheit soll den Charakter einer Zahl haben. Wir müssen deshalb untersuchen, ob wir brauchbare, widerspruchsfreie Ergebnisse erhalten, wenn wir auf diese „Zahl“ die bekannten Rechengesetze für reelle Zahlen anwenden. Beim Rechnen mit dieser Zahl wird überall ihr Quadrat durch –1 ersetzt.

Zunächst erhalten wir die Lösungen der obigen quadratischen Gleichung:

 

Fügt man die Zahl i den reellen Zahlen hinzu, dann entsteht beim Rechnen eine ganze Menge neuer Zahlen, z. B.:

 

Die allgemeine Form dieser Zahlen führt uns zum Begriff der komplexen Zahlen (in der algebraischen Schreibweise):

Definition (Komplexe Zahlen)

Die Menge   der komplexen Zahlen besteht aus allen Zahlen der Form

 

  wird der Realteil von z und   der Imaginärteil von z genannt:[3]

 

Im Falle von   erhält man die reellen Zahlen. Die Zahlen mit   heißen imaginäre Zahlen, manchmal spricht man auch von rein-imaginären Zahlen.

Aus praktischen Gründen folgen zwei weitere Begriffe:

Definition (Konjugiert-komplexe Zahl)

  heißt die zu   konjugiert-komplexe Zahl.

Mit konjugiert-komplexen Zahlen befassen wir uns im Abschnitt Division.

Definition (Betrag einer komplexen Zahl)

Der Betrag einer komplexen Zahl ist definiert als Wurzel aus dem Produkt der Zahl mit ihrem Konjugiert-Komplexen:

 

Mit dem Betrag befassen wir uns im Kapitel Darstellungsformen. Im Abschnitt zur Division steht, wie der Betrag schnell errechnet werden kann.

Rechenregeln

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Mit diesen Definitionen soll jetzt gezeigt werden, dass die „üblichen“ Rechenregeln der reellen Zahlen widerspruchsfrei auf die komplexen Zahlen übertragen werden können. Weil es sich um eine Erweiterung der reellen Zahlen handelt, müssen jedenfalls für   alle Regeln der reellen Zahlen – siehe unten im Abschnitt Hinweise – unverändert gelten.

  • Die Zahl 0 – also   – muss das neutrale Element der Addition sein.
  • Die Zahl 1 – also   – muss das neutrale Element der Multiplikation sein.
  • Zu jeder Zahl   – also   – gibt es ein inverses Element der Addition.
  • Zu jeder Zahl   – also   – gibt es ein inverses Element der Multiplikation.
  • Es gelten die Gesetze für Addition und Multiplikation, also Kommutativgesetze, Assoziativgesetze und Distributivgesetz.

Dabei werden folgende Bezeichnungen verwendet:

  •  
  •  
  • 0 und 1 werden wahlweise als reelle Zahl oder als komplexe Zahl mit   behandelt; die Bedeutung ergibt sich immer aus dem Zusammenhang.

Addition und Subtraktion

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Beide Operationen werden mithilfe der Operationen bei den reellen Zahlen definiert:

Definition (Addition und Subtraktion)

Zwei komplexe Zahlen werden addiert und subtrahiert, indem man die Realteile und die Imaginärteile addiert bzw. subtrahiert:

 

 

Wenn man es ganz genau nimmt, muss für die Subtraktion zunächst das inverse Element bestimmt werden, indem die Vorzeichen für Realteil und Imaginärteil geändert werden; anschließend wird gezeigt, dass diese Definition den geforderten Bedingungen entspricht.

Damit sind Addition und Subtraktion auf die entsprechenden Operationen der reellen Zahlen zurückgeführt. Offensichtlich gelten also Kommutativ- und Assoziativgesetz.

Multiplikation

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Dafür setzen wir einfach die üblichen Klammerregeln ein und beachten bei der letzten Umwandlung die Definition von i bzw. i2:

 

Diese Umrechnung verwenden wir zur Definition:

Definition (Multiplikation)

Zwei komplexe Zahlen werden multipliziert, indem man die Realteile und die Imaginärteile wie folgt „über Kreuz“ verknüpft:

 

Durch einfaches Nachrechnen ergibt sich schnell, dass mit dieser Definition die reelle 1 auch das neutrale Element der komplexen Multiplikation ist und das Kommutativgesetz gilt. Genauso (wenn auch langwieriger und langweiliger) wird das Assoziativgesetz bestätigt.

Division

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Dafür benötigen wir noch Vorbemerkungen. Berechnen wir (wie angekündigt) den Betrag:

 

Daraus ergibt sich unmittelbar: Das Produkt aus einer komplexen Zahl und der dazu konjugiert-komplexen Zahl ist reell. Für den Fall   (also mit   oder  ) ist das Produkt positiv.

Ähnlich wie bei der Multiplikation können wir damit die Division einführen. Als „Trick“ erweitern wir bei der ersten Umrechnung den Bruch mit der konjugiert-komplexen Zahl und benutzen bei der zweiten Umrechnung das Quadrat des Betrags:

 

Wenn wir als Zähler die Zahl   einsetzen, können wir mit dieser Umrechnung das inverse Element der Multiplikation definieren:

Definition (Division)

Das inverse Element der Multiplikation einer komplexen Zahl z erhält man durch folgende Vorschrift:

 

Durch einfaches Nachrechnen lässt sich bestätigen:

 

Distributivgesetz

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Weil die Multiplikation kommutativ ist, brauchen wir nicht zwischen linksdistributiv und rechtsdistributiv zu unterscheiden. Damit beschränkt sich der Beweis auf das Umrechnen der folgenden Beziehung unter Benutzung der Definition einer komplexen Zahl und der Regeln für die reellen Zahlen.

 

Es handelt sich wieder um einfache Umwandlungen und sei deshalb dem Leser überlassen.

Potenzen

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Ohne nähere Herleitung können wir auch Potenzen mit natürlichen Exponenten benutzen, indem wir sie als mehrfache Multiplikation definieren und die Klammerregeln anwenden:

 

 

Auch die Erweiterung auf ganzzahlige Exponenten können wir von den reellen Zahlen übernehmen:

 

Die komplexen Zahlen bilden einen Körper

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Die im Abschnitt Hinweise stehenden Regeln für die reellen Zahlen gelten also genauso für die komplexen Zahlen. Damit ist auch   ein Körper (im Sinne der Algebra).

Aufgaben

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Gewandtheit im Umgang mit den komplexen Zahlen bekommt man durch Übung – bitte sehr.

Übungen

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Übung 1 Rechnen in   Zur Lösung

Beweise, dass

  1. die Summe,
  2. die Differenz,
  3. das Produkt und
  4. der Quotient

der beiden komplexen Zahlen   und   wieder komplexe Zahlen sind.

Übung 2 Rechnen in   Zur Lösung

Beweise dieselbe Aussage für beliebige komplexe Zahlen   und  .

Übung 3 Rechnen in   Zur Lösung

Berechne:

 

Übung 4 Potenzen von i Zur Lösung

Bestimme die positiven ganzzahligen Potenzen von i – also   – sowie die negativen ganzzahligen Potenzen von i – also  . (Es genügen die Exponenten von −8 bis +8.)

Übung 5 Einfache Potenzen Zur Lösung

Beweise, dass gilt:

 

Übung 6 Einfache Potenzen Zur Lösung

Zeige, dass gilt:

 

Übung 7 Einfache Potenzen Zur Lösung

Gegeben sei:

 

Zeige, dass gilt:

 

Übung 8 Einfache quadratische Gleichung Zur Lösung

Es sind reelle Zahlen a und b so zu bestimmen, dass gilt:

 

Lösungen

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Lösung zu Übung 1 Rechnen in   Zur Übung
1. Summe
 
2. Differenz
 
3. Produkt
 
4. Quotient

 

Lösung zu Übung 2 Rechnen in   Zur Übung

Wir beschränken uns auf Produkt und Quotient:

 

Lösung zu Übung 3 Rechnen in   Zur Übung

 

Lösung zu Übung 4 Potenzen von i Zur Übung
Exponent +2 +3 +4 +5 +6 +7 +8   –1 –2 –3 –4 –5 –6 –7 –8
Potenz                                

Wegen   erscheint manches etwas seltsam, beispielsweise  .

Lösung zu Übung 5 Einfache Potenzen Zur Übung

 

Lösung zu Übung 6 Einfache Potenzen Zur Übung

 

Lösung zu Übung 7 Einfache Potenzen Zur Übung

 

Lösung zu Übung 8 Einfache quadratische Gleichung Zur Übung

 

Wir vergleichen Real- und Imaginärteil und erhalten:

 

(a ist zwangsläufig ungleich 0.) Daraus folgt:

 

Mögliche Lösungen sind also   und  . Da a reell sein soll, können wir die zweite Lösung nicht gebrauchen; also gilt  . Für   ergibt sich  , und für   erhalten wir  .

Hinweise

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Anmerkungen

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  1. In der Elektrotechnik wird der Buchstabe i für die elektrische Stromstärke benutzt. Deshalb verwendet man dort ersatzweise den Buchstaben j für die imaginäre Einheit.
  2. Der Buchstabe i wird in Formeln teilweise auch kursiv geschrieben. Nach DIN 1302 ist es gerade (normal, aufrecht, nicht kursiv) zu schreiben, weil es eine Zahl darstellt und keine Variable. Deshalb verwendet dieses Buch grundsätzlich die nichtkursive Schreibweise; lediglich im fortlaufenden Text wird zwecks Hervorhebung i geschrieben.
  3. Beide Schreibweisen sind möglich, die jeweils erste ist gebräuchlicher.

Regeln der reellen Zahlen

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  ist ein Körper im Sinne der Algebra, weil alle Bedingungen erfüllt sind:

Addition und Subtraktion
  • Es gibt 0 als neutrales Element, d. h. für alle   gilt:  
  • Zu jedem   gibt es ein inverses Element   mit der Eigenschaft   – nämlich  .
  • Die Addition ist kommutativ:  
  • Die Addition ist assoziativ:  
Multiplikation und Division
  • Es gibt 1 als neutrales Element, d. h. für alle   gilt:  
  • Zu jedem   mit   gibt es ein inverses Element   mit der Eigenschaft   – nämlich  
  • Die Multiplikation ist kommutativ:  
  • Die Multiplikation ist assoziativ:  
Distributivgesetz
  • Eine Summe oder Differenz wird mit einem Faktor multipliziert, indem man jeden Summanden (bzw. Minuend und Subtrahend) mit diesem Faktor multipliziert und die Produktwerte addiert (bzw. subtrahiert):
 

Siehe auch

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Bei Wikipedia finden sich die folgenden Artikel: