Bisher haben Sie bereits 9 verschiedene Möglichkeiten der Vergangenheitsbildung kennengelernt. Dabei spielen allem voran die Ablautreihen eine wichtige Rolle. Diese gab es bereits in der indogermanischen Grundsprache. Dabei zeigt sich, dass es sich bei den ersten drei Klassen, um dieselbe indogermanische Ablautreihe e:o:- handelt. Der damalige Ablaut e:o entwickelte sich im Gotischen zu i:a (bzw. aí:a vor h, r, hv), während die Schwundstufe (also: -) zu einem u wurde.
Klasse I |
1. AV |
2. AV |
3. AV |
4. AV
|
Idg. |
ei |
oi |
-i |
-i
|
Germ. |
i (ii) |
ai |
-i |
-i
|
Got. |
ei (ii) |
ai |
-i |
-i
|
Klasse II |
1. AV |
2. AV |
3. AV |
4. AV
|
Idg. |
eu |
ou |
-u |
-u
|
Germ. |
eu |
au |
-u |
-u
|
Got. |
iu |
au |
-u |
-u
|
Klasse III |
1. AV |
2. AV |
3. AV |
4. AV
|
Idg. |
e |
o |
- |
-
|
Germ. |
e |
o |
u |
u
|
Got. |
i |
a |
u |
u
|
Die Ablautreihe i:a gilt auch für die 4. und 5. Klasse, womit jedes gotische i ein a als zweiten Ablautvokal besitzt. Die 4. und 5. Klasse haben allerdings ein e als dritten Ablautvokal. Sie unterscheiden sich nur im 4. Ablautvokal, der sich wie folgt entwickelte:
Klasse IV |
1. AV |
2. AV |
3. AV |
4. AV
|
Idg. |
e |
o |
e |
-
|
Germ. |
e |
a |
e |
u
|
Got. |
i |
a |
e |
u
|
Klasse V |
1. AV |
2. AV |
3. AV |
4. AV
|
Idg. |
e |
o |
e |
ə
|
Germ. |
e |
o |
e |
e
|
Got. |
i |
a |
e |
i
|
Ganz anders ist jedoch die Ablautreihe der VI. Klasse. Diese war ursprünglich rein quantitativ (sprich: vokallängenbedingt) und wurde erst im Germanischen zu einem qualitativen Ablaut, als sich langes a zu langem o verschob, kurzes a jedoch unverschoben blieb.
Klasse VI |
1. AV |
2. AV |
3. AV |
4. AV
|
Idg. |
a |
a |
a |
a
|
Germ. |
a |
o |
o |
a
|
Got. |
a |
o |
o |
a
|
Zu welcher Klasse ein Wort gehört, ist nicht immer eindeutig zu sagen, grob ist aber folgende Einteilung hilfreich:
|
K-i- |
K-a-
|
-R-K |
I-III |
VII
|
-K |
IV-V |
VI
|
(K = Konsonant; R = Sonorant)
Ein Sonorant ist ein Vokal oder ein Konsonant, bei dessen Bildung kein Geräusch entsteht, z. B. n, m, r, l, w, j. Für die Kombination K-i-R gilt K-i-K, wenn es sich um einen Konsonanten handelt. Anwendungsbeispiele:
- beit-an (ei=ii): b[K]-i[i]-i[R]-t[K] = I-III
- siuk-an (iu=iw): s[K]-i[i]-w[R]-k[K] = I-III
- hilp-an: h[K]-i[i]-l[R]-p[K] = I-III
- qim-an: q[K]-i[i]-m[K] = IV-V
- gib-an: g[K]-i[i]-b[K] = IV-V
- far-an: f[K]-a[a]-r[K] = VI
- gagg-an (gg=ŋg)= g[K]-a[a]-ŋ[R]-g[K] = VII
Leider ist die Anzahl der Ausnahmen relativ lang (standan, thriskan, slepan, etc.), sodass diese Regeln eher als Orientierungshilfe geeignet sind. Diese Ausnahmen sind oft auch historisch bedingt, z. B. hahan "hängen", das ursprünglich *hanhan lautete und daher zur VII. Klasse gehört.
|