Examensrepetitorium Jura: Zivilprozessrecht Zwangsvollstreckungsrecht: Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung 2


Allgemeine Vollstreckungsvoraussetzungen Bearbeiten

Titel Bearbeiten

Jede Zwangsvollstreckung setzt gemäß § 750 ZPO einen vollstreckbaren Titel voraus. Das sind vor allem Urteile (§ 704 Abs. 1 ZPO). Um aus einem Urteil vollstrecken zu können, muss es entweder durch Ablauf der Rechtsmittelfrist formell rechtskräftig (§ 705 ZPO) oder für vorläufig vollstreckbar erklärt worden sein (§§ 708 ff. ZPO).

Das zu vollstreckende Urteil muss einen vollstreckungsfähigen Tenor haben. In der Hauptsache sind nur Leistungsurteile (Tenor: "Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ... zu zahlen / herauszugeben / zu unterlassen etc.") vollstreckbar, nicht dagegen Gestaltungs- oder Feststellungsurteile. Im Fall der letztgenannten kann jedoch zumindest die Kostenentscheidung (§§ 308 Abs. 2, 91 ff. ZPO) vollstreckt werden.

Weitere Vollstreckungstitel ergeben sich aus § 794 Abs. 1 ZPO, insb. Prozessvergleich (Nr. 1), Vollstreckungsbescheid (Nr. 4), vollstreckbare Urkunde (Nr. 5).

Die vollstreckbare Leistung muss im Titel ausreichend bestimmt sein. Geht es um eine Vollstreckung Zug um Zug (§§ 274, 322 BGB, § 756 ZPO), muss auch die Gegenleistung im Titel ausreichend bestimmt sein.

Klausel Bearbeiten

Die Vollstreckung setzt weiter eine Vollstreckungsklausel voraus (§ 750 ZPO). Handelt es sich bei dem zu vollstreckenden Titel um ein Urteil, wird die Vollstreckungsklausel mit dem Wortlaut gemäß § 725 ZPO auf die Ausfertigung des Urteils gesetzt.

In einigen Fällen ist die Klausel entbehrlich, z.B. beim Vollstreckungsbescheid (§ 796 ZPO) oder einer einstweiligen Verfügung (§§ 929 Abs. 1, 936 ZPO).

Zustellung Bearbeiten

Bevor der Gläubiger die Vollstreckung beginnen darf, muss dem Schuldner der Titel zugestellt worden sein (§ 750 Abs. 1 S. 1 ZPO). Eine Zustellung auf Betreiben des Gläubigers genügt (§ 750 Abs. 1 S. 2 in Verbindung mit §§ 191 ff. ZPO). Die Zustellung richtet sich nach §§ 166 ff. ZPO[1].

Zu beachten ist insb. die Möglichkeit der Ersatzzustellung gemäß § 178 ZPO, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Zustellung nicht persönlich anwesend ist. Liegt ein Zustellungsfehler vor, ist außerdem die Heilungsmöglichkeit durch tatsächlichen Zugang zu beachten (§ 189 ZPO in Verbindung mit § 130 BGB); die Heilung wirkt nur ex nunc.

Hat der Schuldner einen Prozessbevollmächtigten, muss der Titel an diesen zugestellt werden (§ 172 ZPO). Eine Zustellung an den Schuldner selbst bewirkt keine Heilung, da er nicht Adressat der Zustellung ist. Bei Kündigung des Mandats ist § 87 ZPO zu beachten.

Problematisch ist die Wirksamkeit eines Verzichts auf die Zustellung.

Beispiel: Der Schuldner hat in der mündlichen Verhandlung die Klageforderung anerkannt und ist dem Anerkenntnis gemäß verurteilt worden (§ 307 S. 1 ZPO). In der mündlichen Verhandlung erklärt der Schuldner außerdem, dass er auf die Zustellung des Urteils verzichte. Diese Erklärung wird aber nicht in das Sitzungsprotokoll aufgenommen.

Strittig ist, ob der Gläubiger aus dem Anerkenntnisurteil vollstrecken kann, ohne dass das Urteil dem Schuldner vorher zugestellt wird.

  • Nach wohl h. M. stehen die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung nicht zur Disposition der Parteien. Ein vorheriger Verzicht auf die Zustellung soll daher unwirksam sein[2]. Ein nachträglicher Verzicht soll allerdings möglich sein, da dieser nicht anders zu behandeln sei als der Verzicht auf ein Rechtsmittel hinsichtlich eines Zustellungsfehlers[3].
  • Nach a. A. dient § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO allein dem Schutz des Schuldners, auf den dieser freiwillig verzichten könne[4]. Voraussetzung für die Wirksamkeit des Verzichts soll aber sein, dass die Erklärung in das Sitzungsprotokoll aufgenommen worden ist. Nach dieser Ansicht wäre der Verzicht im Beispiel wirksam.

Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen Bearbeiten

Kalendertag Bearbeiten

Ist die Geltendmachung des Anspruchs von dem Eintritt eines Kalendertags abhängig, darf die Vollstreckung nur beginnen, wenn der Kalendertag abgelaufen ist (§ 751 Abs. 1 ZPO).

Sicherheitsleistung Bearbeiten

Gemäß §§ 704 Abs. 1, 708 ff. ZPO wird ein Urteil, gegen das Rechtsmittel statthaft sind, im Tenor für vorläufig vollstreckbar erklärt. Unter den Voraussetzungen der §§ 708 ff. ZPO wird für die Vollstreckung eine Sicherheitsleistung angeordnet. Grund dafür ist, dass der jeweilige Vollstreckungsschuldner nicht das Insolvenzrisiko des Gegners tragen soll, wenn dieser zunächst vollstreckt und das Urteil in der Rechtsmittelinstanz dann aufgehoben wird.

Ist eine Sicherheitsleistung angeordnet worden, darf die Vollstreckung erst beginnen, wenn diese durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachgewiesen wird und eine Abschrift dieser Urkunde dem Schuldner zugestellt wird (§ 751 Abs. 2 ZPO).

Der Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft liegt folgende Situation zugrunde: Der Kläger hat den Prozess gewonnen, das Urteil wird gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt. Der Kläger will, da er nicht genug Bargeld für die Sicherheit aufbringen kann, die Sicherheit durch Bankbürgschaft leisten, um sofort gegen den Beklagten vollstrecken zu können.

Sicherheit kann gemäß § 108 Abs. 1 S. 2 ZPO durch Bankbürgschaft gestellt werden. Das Problem liegt darin, dass der Bürgschaftsvertrag (§ 765 BGB) zwischen der Bank und dem Beklagten geschlossen werden muss. Der Beklagte könnte also die sofortige Vollstreckbarkeit einfach dadurch verhindern, dass er das Vertragsangebot nicht annimmt. Dass dies dem Beklagten nicht möglich sein soll, ist im Ergebnis unstreitig. Zur Lösung werden jedoch verschiedene Ansichten vertreten[5]:

  • Einer Ansicht nach kommt der Bürgschaftsvertrag auch ohne Annahme zustande (Theorie des Zwangsvertrags).
  • Nach dem BGH ist zwischen der materiell-rechtlichen und der vollstreckungsrechtlichen Seite zu unterscheiden: Vollstreckungsrechtlich reicht danach die Zustellung der Bürgschaftsurkunde an den Beklagten, auf seine Annahme des Vertragsangebots kommt es insoweit nicht an. Will der Beklagte jedoch später die Bank aus dem Bürgschaftsvertrag in Anspruch nehmen, muss er das Angebot annehmen.

Nach § 751 Abs. 2 ZPO darf die Vollstreckung nur beginnen, wenn die Sicherheitsleistung durch eine öffentliche Urkunde nachgewiesen und eine Abschrift dieser Urkunde bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird. Der von der Bank ausgestellte schriftliche Bürgschaftsvertrag ist zwar keine öffentliche Urkunde (Begriff: § 415 Abs. 1 ZPO). Die h.M. lässt die Zustellung dieses Schriftstücks jedoch ausreichen. Zur Begründung lässt sich anführen, dass die Norm auf Hinterlegungsbescheinigungen zugeschnitten ist und nicht auf den 2002 eingefügten § 108 Abs. 1 S. 2 ZPO, der die Sicherheitsleistung durch Bürgschaft erstmals gesetzlich regelt, passt. In Analogie zu §§ 756, 765 ZPO reicht daher auch die Zustellung einer privatschriftlichen Urkunde aus[6].

Zug-um-Zug Bearbeiten

Wird eine Leistung aus einem gegenseitigen Vertrag eingeklagt, lautet der Klageantrag auf Verurteilung des Beklagten Zug um Zug gegen Erbringung der (in der Klageschrift genau zu bezeichnenden) Gegenleistung (§ 322 Abs. 1 BGB). Die Vollstreckung darf gemäß § 756 ZPO erst beginnen, wenn der Gerichtsvollzieher die Gegenleistung angeboten hat oder der Gläubiger durch öffentliche Urkunde beweist, dass der Schuldner bereits befriedigt ist oder sich im Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB) befindet.

In dem Fall, dass sich der Beklagte schon vor Klageerhebung im Annahmeverzug befand, kann mit der Klage auf Leistung der Antrag auf Feststellung verbunden werden, dass sich der Beklagte im Annahmeverzug befindet. Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO notwendige Feststellungsinteresse liegt vor - allerdings kann ein solcher Antrag nicht isoliert, sondern nur mit der Leistungsklage kombiniert gestellt werden. Gibt das Gericht der Klage statt, liegt mit dem Urteil eine öffentliche Urkunde vor, mit der der Annahmeverzug des Schuldners bewiesen werden kann[7].

Anderenfalls muss der Gerichtsvollzieher die Gegenleistung anbieten und den Schuldner damit in Annahmeverzug setzen[8]. Klagt z.B. ein Verkäufer auf Zahlung des Kaufpreises, nimmt der Gerichtsvollzieher die Ware zum Schuldner mit und bietet sie ihm an (tatsächliches Angebot, § 294 BGB). Unter den Voraussetzungen von § 295 BGB, § 756 Abs. 2 ZPO genügt ein wörtliches Angebot.

Fehlen von Vollstreckungshindernissen Bearbeiten

Die Vollstreckung kann aufgrund eines Vollstreckungshindernisses ausgeschlossen sein.

Vorlage von Urkunden Bearbeiten

Nach Vorlage der in § 775 ZPO genannten Urkunden ist die Vollstreckung einzustellen oder zu beschränken. Hat der Schuldner durch Rechtsbehelf erreicht, dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt wurde, kann er z.B. dem Gerichtsvollzieher die ergangene Gerichtsentscheidung vorlegen (§ 775 Nr. 1 ZPO). Der Schuldner kann auch z.B. einen Überweisungsnachweis vorlegen, aus dem sich ergibt, dass er seine Schuld an den Gläubiger gezahlt hat (§ 775 Nr. 5 ZPO). Die weiteren Fälle können der Norm entnommen werden.

Zwangsvollstreckung vor Erbschaftsannahme Bearbeiten

Nach § 778 Abs. 1 ZPO kann wegen einer Verbindlichkeit des Erblassers vor Annahme der Erbschaft nur in den Nachlass vollstreckt werden. Erst danach auch in das Vermögen des Erben (§ 1967 BGB).

Wegen einer Verbindlichkeit des Erben ist eine Vollstreckung in den Nachlass vor Annahme der Erbschaft unzulässig (§ 778 Abs. 2 ZPO).

Eröffnung des Insolvenzverfahrens Bearbeiten

Nach § 89 InsO ist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Einzelvollstreckung in die Insolvenzmasse oder das Vermögen des Insolvenzschuldners nicht mehr zulässig. Es gelten dann nur noch die Regeln über die Gesamtvollstreckung nach der InsO.

Vollstreckungsvertrag Bearbeiten

Durch Vereinbarung können Gläubiger und Schuldner die Zwangsvollstreckung beschränken (sog. Vollstreckungsvertrag). Eine spezielle gesetzliche Regelung existiert zwar nicht, die Möglichkeit einer Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner wird jedoch vom Gesetzgeber vorausgesetzt (vgl. § 816 ZPO). Eine Vollstreckung, die im Widerspruch zum abgeschlossenen Vollstreckungsvertrag steht, ist unzulässig.

Voraussetzung ist die Wirksamkeit des Vollstreckungsvertrags[9]:

  1. Vereinbarung zwischen den Parteien des Vollstreckungsverfahrens (auch schon vor dessen Beginn).
  2. Keine Formvorschrift.
  3. Inhalt:
  • Abgrenzung zu materiell-rechtlichen Vereinbarungen, z.B. (Teil-)Erlass.
  • Eine Vereinbarungen über die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung ist unwirksam, da es sich nicht um disponibles Recht handelt.
  • Aus dem gleichen Grund scheidet auch eine Erweiterung der Zwangsvollstreckung grundsätzlich aus. Nach h.M. kann auch auf den Schutz von § 811 ZPO (unpfändbare Sachen) nicht wirksam verzichtet werden, da dem Schuldner durch staatlichen Akt nicht die Existenzgrundlage genommen werden dürfe[10]; nach Erlass des Titels kann ein Verzicht allerdings wirksam sein, da der Schuldner eine unpfändbare Sache auch verkaufen und den Gläubiger aus dem Erlös befriedigen kann[11].
  • Eine Beschränkung der Vollstreckung ist allerdings immer zulässig, da hierdurch die Rechte des Schuldners erweitert werden und der staatliche Schutzauftrag nicht berührt ist.

Strittig ist, ob das jeweilige Vollstreckungsorgan den Vollstreckungsvertrag von Amts wegen zu beachten hat oder nur auf Einrede des Schuldners. Praktisch ergibt sich daraus jedoch kaum ein Problem, da das Vollstreckungsorgan von der Existenz der Vereinbarung nur durch den Schuldner erfahren kann.

Zu dem Problem, mit welchem Rechtsbehelf der Schuldner seine Rechte aus dem Vollstreckungsvertrag geltend machen muss, siehe hier.

Vollstreckung in die richtige Vermögensmasse Bearbeiten

Übersicht zu den Vollstreckungstiteln und den daraus haftenden Vermögensmassen:
    │
    ├──§ 735 ZPO (nichtrechtsfähiger Verein)
    │
    ├──§ 736 ZPO (Gsellschaft bürgerlichen Rechts - GbR -)
    │
    ├──§§ 124 Abs. 2, 161 HGB (OHG/KG)
    │
    ├──§§ 129 Abs. 4, 161 HGB (OHG-/KG-Gesellschafter)
    │
    ├──§ 737 ZPO (Nießbrauch)
    │
    ├──§ 740 ZPO (Gesamtgut einer ehelichen Gütergemeinschaft)
    │
    ├──§§ 778, 779, 727 ZPO (Zwangsvollstreckung nach Tod des Vollstreckungsschuldners)
    │
    └──§§ 748, 749 ZPO (Nachlassverwaltung durch Testamentsvollstrecker)

Die Vollstreckung muss in das Vermögen des im Titel bezeichneten Vollstreckungsschuldners erfolgen. Unproblematisch ist der Fall, dass gegen eine natürliche Person vollstreckt wird: Aus dem Titel kann in ihr gesamtes Vermögen vollstreckt werden.

Etwas schwieriger wird es jedoch bei der Vollstreckung gegen Personenmehrheiten.

Beispiel: Der Gläubiger hat einen Titel gegen eine OHG erwirkt. Er will nun gegen einen der Gesellschafter vollstrecken.

Zwar haftet jeder OHG-Gesellschafter mit seinem gesamten Vermögen für die Schulden der Gesellschaft (§ 128 S. 1 HGB). Aus dem Titel gegen die Gesellschaft darf jedoch nur in das Gesellschaftsvermögen vollstreckt werden (§ 124 Abs. 2 HGB), nicht in das Vermögen der Gesellschafter (§ 129 Abs. 4 HGB). Mangels eines Titels gegen den OHG-Gesellschafter ist die Zwangsvollstreckung also unzulässig.

Ordnungsgemäße Durchführung der Vollstreckung Bearbeiten

An dieser Stelle ist die Rechtmäßigkeit der einzelnen Vollstreckungsmaßnahme zu prüfen. Zu den Vollstreckungsarten siehe das folgende Kapitel.

Anmerkungen Bearbeiten

  1. Dazu Schellhammer, Zivilprozess, 10. Aufl. 2003, Rn. 72 ff.
  2. Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl. 2003, § 750 Rn. 1; Goebel, Zwangsvollstreckungsrecht, 2005, § 2 Rn. 185.
  3. Goebel a.a.O.
  4. Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 750 Rn. 22.
  5. Dazu Zimmermann, ZPO-Fallrepetitorium, 5. Aufl. 2004, Fall 481.
  6. Zimmermann a.a.O.
  7. Zimmermann, ZPO-Fallrepetitorium, 5. Aufl. 2004, Fall 104.
  8. Zimmermann a.a.O. Fall 482.
  9. Dazu Goebel, Zwangsvollstreckungsrecht, 2005, § 4 Rn. 16 ff.; Zimmermann, ZPO-Fallrepetitorium, 5. Aufl. 2004, Fall 483.
  10. Goebel a.a.O. Rn. 19.
  11. Zimmermann a.a.O.