Elementarwissen medizinische Psychologie und medizinische Soziologie: Prävention

Übersicht über das Kapitel.

Man unterscheidet primäre, sekundäre und tertiäre Prävention

Bearbeiten

Man unterscheidet drei Arten von Prävention:

  • Primäre Prävention:
    • Zielgruppe: gesunde Personen
    • Ziel: das Neuauftreten einer Krankheit soll verhindert werden (z. B. durch Änderung des Lebensstils), man will die Inzidenzrate senken.
  • Sekundäre Prävention
    • Zielgruppe: Risikopersonen (Personen, bei denen Risikofaktoren bestehen und bei denen ein baldiger Krankheitsausbruch zu erwarten ist)
    • Ziel: die Krankheit soll möglichst früh erkannt und ggf. behandelt werden, man will dadurch die Mortalitätsrate senken.
  • Tertiäre Prävention
    • Zielgruppe: erkrankte Personen
    • Ziel: Schadensbegrenzung, der Krankheitsverlauf und Krankheitsfolgen sollen abgemildert werden (v. a. Rehabilitation), man will dadurch die Rezidivrate senken.

Als "Paradox der Prävention" bezeichnet man den Umstand, dass kleine Veränderungen bei vielen Menschen (Allgemeinbevölkerung) stärker ins Gewicht fallen als große Veränderungen bei wenigen Menschen (Hochrisikopersonen). Präventionsprogramme sind daher erst ab einer ausreichenden Teilnehmerzahl erfolgreich, wobei nur ein Bruchteil der Teilnehmer von den Maßnahmen profitiert (geringe absolute Risikoreduktion bei kleiner Inzidenz).

Um die Effizienz einer Präventionsmaßnahme zu bewerten, bedient man sich der Kennziffer "Kosten pro gewonnenem Lebensjahr" (= life years saved, LYS).


Merke: Primäre Prävention zielt auf Gesunde ab (Inzidenzratensenkung), sekundäre Prävention auf Risikopersonen (Früherkennung, Frühbehandlung), tertiäre Prävention auf Erkrankte (Rezidivratensenkung).


Weblinks:   Prävention,   Life years safed


Selbsttest:

  1. Beschreiben Sie Zielgruppen und Intentionen der drei verschiedenen Präventionsarten!
  2. Was versteht man unter dem Begriff "Paradox der Prävention"?



Primäre Prävention: Verhindern des Neuauftretens von Krankheiten mittels Lebensstiländerung

Bearbeiten

Gesundheit ist ein Gut von hohem Wert, sowohl individuell (Leute geben viel Geld für Gesundheitsleistungen und Wellness aus) als auch gesellschaftlich (hohe Ausgaben für das Gesundheitswesen). Ziel der primären Prävention ist es daher, Gesundheit zu vermehren (bei gleichzeitiger Verringerung von Krankheit), d. h. die Gesundheit soll auf breiter Front gestärkt werden, um den Einzelnen dadurch vor Krankheit zu schützen (Protektion). Aus diesem Grund sucht man nach Resilienz- und Gesundheits-fördernden Faktoren (siehe auch Salutogenese).

Primäre Prävention zielt vor allem auf den Lebensstil ab, denn ein günstiger oder ungünstiger Lebensstil begünstigt in hohem Maße Gesundheit oder Krankheit:

  • Ein ungünstiger Lebensstil (Bewegungsmangel, ungünstige Ernährung, Rauchen, Drogenkonsum) gilt als Ursache chronischer Krankheiten (koronare Herzkrankheit, Schlaganfall, Diabetes mellitus Typ-2).
  • Ein günstiger Lebensstil (d. h. Vermeidung der Merkmale des ungünstigen Lebensstils) kann Gesundheit fördern.

Im Bereich der primären Prävention existiert eine Reihe von Konzepten, die die jeweilige Herangehensweise beeinflussen.

  • Das Konzept der Salutogenese (ANTONOVSKY) ist durch folgende Annahmen charakterisiert:
    • Gesundheit und Krankheit sind Endpunkte eines Kontinuums, Gesundheit ist kein Zustand, sondern ein Prozess, der durch Labilität, Aktivität und Dynamik gekennzeichnet ist.
    • Das Leben wird metaphorisch als "Fluss, in dem viele Gefahren lauern" verstanden, durch die primäre Prävention sollen die Menschen zu "guten Schwimmern" werden (vgl. jetzige Gesundheitspolitik: Menschen vor dem "Ertrinken" bewahren durch "Rettung" oder "Flussbegradigung").
    • Das Kohärenzgefühl des Einzelnen (Gefühl des Sinns und Zusammenhangs) kann mehr oder weniger stark ausgebildet sein. Es umfasst folgende Gefühle:
      • Gefühl von Verstehbarkeit (kognitives Verarbeitungsmuster): Fähigkeit, Reize als konsistente, strukturierte Muster zu verarbeiten;
      • Gefühl von Handhabbarkeit/Bewältigbarkeit (kognitiv-emotionales Verarbeitungsmuster): Überzeugung, die Fähigkeit zur Überwindung von Schwierigkeiten zu besitzen;
      • Gefühl der Sinnhaftigkeit (motivationale Komponente): Fähigkeit, das Leben als emotional sinnvoll und als wertvoll für eigenes Engagement zu empfinden.
  • Das Konzept des Gruppendrucks sieht gruppendynamische Prozesse als wesentlichen Einflussfaktor für die Gesundheit des Einzelnen; soziale Normen und Sanktionen können gesundheitsschädigendes Verhalten begünstigen (z. B. Rauchen in der Peergroup) oder vermindern.
  • Das Konzept des gesundheitsbezogenen Lebensstils behauptet, dass eine "typisch gesunde" Lebensweise (nicht Rauchen, vegetarische Ernährung, genügend Bewegung, emotionaler Ausgleich von Belastungen) die Entstehung chronisch-degenerativer Erkrankungen verhindert.


Merke: Das Salutogenese-Modell fasst das Verhältnis zwischen Gesundheit und Krankheit als Kontinuum auf – man ist mehr oder weniger gesund oder krank. Entscheidend ist dabei das Kohärenzgefühl (umfasst die Gefühle der Verstehbarkeit, Bewältigbarkeit und Sinnhaftigkeit).


Es gibt verschiedene Modelle, die erklären, wodurch das Individuum zu gesundheitsrelevantem Verhalten bewegt wird.

  • Grob unterscheidet man zwischen kontinuierlichen und Stadien-Modellen.
    • Kontinuierliche Modelle: ein bestimmtes Gesundheitsverhalten nimmt kontinuierlich zu, je stärker die einzelnen Einflussfaktoren sind; man muss also nur die einzelnen Einflussfaktoren fördern, um das Gesundheitsverhalten insgesamt zu fördern.
    • Stadienmodelle: auf dem Weg zum Gesundheitsverhalten passiert ein Mensch verschiedene Motivationsstufen; mit jeder Stufe wird Gesundheitsverhalten wahrscheinlicher, wobei auf jeder Stufe andere Faktoren zur Erreichung der nächsthöheren Stufe relevant sind.
 
Health-Belief-Modell. Neben Hinweisreizen (Cues To Action) spielen subjektive Einschätzungen über Gesundheitsbedrohung (Schwere der Krankheit, eigene Vulnerabilität) und Effektivität von Gesundheitsverhalten (Nutzen vs. Kosten, Barrieren) eine wesentliche Rolle.
  • Mittlerweile existieren zahlreiche detaillierte Modelle:
    • Health-Belief-Modell:
      • Grundidee: das Gesundheitsverhalten hängt von subjektiven Faktoren ab (health beliefs = gesundheitsbezogene Kognitionen).
        • Subjektive Gesundheitsbedrohung:
          • Wahrgenommener Schweregrad der Krankheit
          • Wahrgenommene Vulnerabilität
        • Subjektive wahrgenommene Wirksamkeit des eigenen Gesundheitsverhaltens:
          • Subjektiver Nutzen von präventiven Maßnahmen
          • Subjektive Kosten und wahrgenommene Barrieren von präventiven Maßnahmen
        • Situative Hinweisreize (cues to action)
      • Das Health-Belief-Modell ist ein wichtiges Grundmodell, besitzt aber nur eine geringe Vorhersagekraft – denn die Verbindung zwischen Einstellung und Verhalten ist schwach, weil das Modell nicht die Intention des Individuums berücksichtigt (Intention = bewusste Entscheidung, jetzt ein bestimmtes Verhalten für ein bestimmtes Ziel auszuführen; dient als Vermittler zwischen Einstellung und Verhalten).
      • In der Praxis versucht man die Variable "wahrgenommene Gesundheitsbedrohung" zu beeinflussen, und zwar mittels Furchtappellen (z. B. Warnhinweise auf Zigarettenschachteln); der Erfolg ist jedoch nur gering, weil Furcht/Angst zwar ein wichtiger Faktor ist, das Individuum aber zusätzlich Strategien aufgezeigt bekommen muss, mit denen es die wahrgenommene Furcht/Angst bewältigen kann.
    • Die Theorie der Handlungsveranlassung und die Theorie des geplanten Verhaltens ähneln einander.
      • Grundidee: die Intention wird berücksichtigt und in das Modell einbezogen; folgende Faktoren beeinflussen die Intention:
        • Einstellung (d. h. wie die Person ein Verhalten bewertet)
        • Subjektive Norm (d. h. was die Person glaubt, was andere von ihr erwarten)
        • Wahrgenommene Verhaltenskontrolle (d. h. was die Person glaubt, wie leicht sie ein bestimmtes Verhalten ausführen kann; ähnlich dem Konzept von Selbstwirksamkeit und Kompetenzerwartung; fehlt in der Theorie der Handlungsveranlassung)
      • Die Modelle vermögen zwar die Intention gut vorherzusagen, nicht aber das Verhalten, weil immer noch eine Intentions-Verhaltens-Lücke klafft, v. a. wenn Widerstände aus dem sozialen Umfeld dem geplanten Verhalten entgegenstehen.
    • Das Modell der Selbstwirksamkeit enthält das Bindeglied zwischen Intention und Verhalten.
      • Grundidee:
        • Eine Person hat zwei Erwartungen:
          • Selbstwirksamkeitserwartung (Kompetenzerwartung; d. h. Erwartung, ein Verhalten auch in schwierigen Situationen ausführen zu können)
          • Handlungsergebniserwartung (d. h. Erwartung, durch das Handeln ein bestimmtes Ergebnis erreichen zu können)
        • Wer eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung hat, setzt sich höhere Ziele, beginnt das Verhalten schneller, strengt sich mehr an, ist hartnäckiger und lässt sich nicht leicht entmutigen; positive Erfahrungen verstärken die Selbstwirksamkeitserwartung.
      • Das Modell der Selbstwirksamkeit wird in verschiedenen Bereichen angewandt:
        • Prävention: eine Präventionsmaßnahme ist umso erfolgreicher, je stärker sie die Selbstwirksamkeit fördert.
        • Risikoverhaltensweisen, die durch Stresssituationen ausgelöst werden (z. B. kurzfristige Entspannung durch Rauchen):
          • Die Selbstwirksamkeit steigt, wenn die Person es schafft, eine Stresssituation ohne das Risikoverhalten zu meistern (Bewältigungskompetenz).
          • Schlägt die Bewältigung jedoch fehl, dann sinkt die Selbstwirksamkeit; dadurch wird wiederum das Risikoverhalten gestärkt. Wie der Einzelne mit dem Rückschlag umgeht, hängt dann von seinem Attributionsstil ab (weniger negative Auswirkungen bei externaler, variabler und spezifischer Attribution ["das war nur ein einmaliger Ausrutscher"]).
    • Die Theorie der Schutzmotivation kann die Wirkung von Furchtappellen auf das Gesundheitsverhalten voraussagen.
      • Grundidee:
        • Folgende Einschätzungen der Person sind relevant:
          • Bedrohungseinschätzung (subjektiver Schweregrad, subjektive Vulnerabilität; siehe Health-belief-Modell)
          • Bewältigungseinschätzung (subjektive Handlungswirksamkeit, Selbstwirksamkeitserwartung)
          • Verhältnis von Handlungskosten zu Handlungsnutzen (Handlungseffizienz)
        • Die Einschätzungen beeinflussen die Schutzmotivation (Intention), diese beinflusst schließlich das Verhalten.
      • Die Theorie der Schutzmotivation ist jedoch mit folgenden Problemen konfrontiert:
        • Die subjektive Vulnerabilität beeinflusst die Schutzmotivation nur dann positiv, wenn zugleich eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung vorliegt.
        • Es klafft wieder die Intentions-Verhaltens-Lücke (Schutzmotivation vs. Verhalten).
    • Modell der sozialen Vergleichsprozesse (FESTINGER; ein sozialpsychologisches Modell)
      • Dieses Modell beruht auf folgenden Annahmen: Individuen vergleichen sich mit anderen Individuen, das Individuum will seine Leistung verbessern.
      • Das Individuum bedient sich verschiedener Methoden, um seine Situation als günstig zu bewerten.
        • Vergleiche
          • Vergleiche mit ähnlichen Personen:
            • Eine Person vergleicht sich mit ihr ähnlichen Personen, v. a. dann, wenn sie sich im Hinblick auf sich selbst unsicher ist (d. h. wenn ihr positives Selbstbild in Gefahr ist).
            • Wenn die Person erkennt, dass die anderen genauso handeln, führt dies zu einer Verstärkung des Verhaltens.
          • Vergleiche mit unähnlichen Personen:
            • Aufwärtsvergleiche (Upward comparison)
            • Abwärtsvergleiche (Downward comparison), haben stabilisierende Tendenz
        • Bewertung der Güte der Anpassung
        • Sinnstiftende Funktionen und positive Auswirkungen
        • Selektive Fokussierung


Merke: Die entscheidende Frage der primären Prävention ist: "Wie kann man den Einzelnen zu gesundheitsförderlicherem Verhalten bewegen?" Zwei Modelle sind hierbei zentral: Zum einen das Health-Belief-Modell, welches das Gesundheitsverhalten als von subjektiven Einschätzungen (wahrgenommene Gesundheitsbedrohung, wahrgenommene Wirksamkeit des Gesundheitsverhaltens) abhängig ansieht; zum anderen das Modell der Selbstwirksamkeit, welches das Verhalten als Resultat zweier Erwartungen (Selbstwirksamkeitserwartung, Handlungsergebniserwartung) betrachtet.


Weblinks:   Lebensstil,   Salutogenese,   Health-Belief-Modell,   Selbstwirksamkeitserwartung,   Theorie der Handlungsveranlassung,   Theorie der Schutzmotivation,   Modell der sozialen Vergleichsprozesse


Selbsttest:

  1. Wie würden Sie Ihren eigenen Lebensstil einschätzen? Was könnten Sie verändern, um "gesünder" zu leben?
  2. Beschreiben Sie grob das Salutogenese-Konzept!
  3. Erläutern Sie das Health-Belief-Modell!
  4. Welche zwei Erwartungen umfasst das Modell der Selbstwirksamkeit?
  5. Mit welchem Problem haben die meisten Modelle zur Verhaltensänderung im Rahmen der primären Prävention zu kämpfen?



Sekundäre Prävention: Früherkennung und -behandlung von Risikopersonen

Bearbeiten

Sekundäre Prävention umfasst die Prävention von Krankheit bei Vorliegen von Risikofaktoren sowie die Früherkennung von Krankheiten bei Risikopersonen. Die Krankheit soll also behandelt werden, solange sie noch keinen großen Schaden angerichtet hat. Schutzfaktoren sind Faktoren, die vor Krankheit schützen und Gesundheit erhalten, z. B. gesunde Ernährung, Bewegung, ausreichende Erholung, unterstützendes soziales Netzwerk.

Um zu erkennen, welche Personen Risikopersonen sind, muss man feststellen, bei welchen Personen Risikofaktoren vorliegen. Risikofaktoren sind Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit einer Krankheitsentstehung erhöhen (probabilistisches Modell); sie sind kausal mit der Krankheitsentstehung verbunden (im Gegensatz zu Risikoindikatoren) und bilden einen von vielen Faktoren, die an der Entstehung einer Krankheit beteiligt sind (multifaktorielle Verursachung). So gelten beispielsweise Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht, arterielle Hypertonie, Hyperglykämie, Hypercholesterinämie, Depression und Stress als Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen.

  • Mittels verschiedener Arten von epidemiologischen Studien (= Studien, die die Entstehungsbedingungen, Verläufe, Ausbreitung und Beeinflussbarkeit von Krankheiten untersuchen) versucht man Risikofaktoren zu identifizieren.
    • Epidemiologische Studien lassen sich hinsichtlich verschiedener Kriterien einteilen:
      • Zeitlichkeit: retrospektiv vs. prospektiv (z. B. Kohortenstudie, Experimente, RCTs)
      • Methodik: analytisch (Herausarbeiten von Zusammenhängen zwischen Ziel und Einflussgröße[n]) vs. deskriptiv (bloße Beobachtung ohne Herausarbeiten von Zusammenhängen)
      • Inhalt: Risiko-, Diagnose-, Präventions-, Therapie-, Prognosestudien
      • Dimension: transversal (Querschnittsstudie) vs. longitudinal (Längsschnittsstudie)
      • Aktion: beobachtend vs. experimentell
      • Organisation: monozentrisch vs. multizentrisch
    • Vor allem bedient man sich der Kohortenstudien (Beobachtung unterschiedlich exponierter Gruppen hinsichtlich ihres "Schicksals"). Sie erlaubt es, einen korrelativen Zusammenhang zwischen dem Vorliegen eines bestimmten Risikofaktors und dem Auftreten der Krankheit festzustellen (z. B. langjähriger Raucher bekommt nach einigen Jahren ein Bronchialkarzinom). Man beachte jedoch, dass es sich dabei lediglich um eine Korrelation und nicht unbedingt um eine kausale Beziehung handelt.
    • Wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind, kann man jedoch sagen, dass es sich höchstwahrscheinlich nicht nur um eine Korrelation, sondern um einen kausalen Zusammenhang handelt. Diese Kriterien sind...
      • ...korrekte temporale Abfolge (zuerst Rauchen, dann Karzinom) als notwendiges Kriterium,
      • ...ausgeprägte Stärke der Beziehung,
      • ...hohe Konsistenz der Beziehung (d. h. der Zusammenhang wurde in mehreren verschiedenen Studien festgestellt),
      • ...hohe Spezifität der Beziehung (d. h. der Faktor steht mit nur einer Krankheit im Zusammenhang),
      • ...biologische Plausibilität,
      • ...positive Dosis-Wirkung-Korrelation (je stärker der Risikofaktor ausgeprägt ist, desto höher sollte das Erkrankungsrisiko sein).
      • Das beste Kriterium ist allerdings die experimentelle Evidenz, die mittels einer randomisierten kontrollierten Interventionsstudie festgestellt wird.
  • Die statistische Auswertung der Studien mittels Berechnung von Effektmaßen erlaubt es, das mit einem Risikofaktor verbundene Krankheitsrisiko und die Reduktion des Risikos bei Beseitigung des Risikofaktors quantitativ zu erfassen. Es gibt verschiedene Kennwerte, die mehr oder weniger aussagekräftig sind.
    • Das absolute Risiko gibt die Wahrscheinlichkeit wieder, mit der die Krankheit in einem bestimmten Zeitraum auftritt, wenn der Risikofaktor nicht vorliegt (z. B. 5 %).
    • Das relative Risiko spiegelt den Einfluss des Risikofaktors wider, d. h. das Erkrankungsrisiko, das eine Gruppe besitzt, die dem Risikofaktor ausgesetzt ist. Das relative Risiko gibt eine Antwort auf die Frage: "Um wieviel höher ist das Risiko für eine Erkrankung bei Exposition?"
       
      Fiktives Zahlenbeispiel: Für die exponierte Gruppe wurde ein (absolutes) Risiko von 15 % ermittelt, für die nicht exponierte Gruppe ein Risiko von 5 %. Das relative Risiko beträgt somit 15 %/5 % = 3, d. h. Mitglieder der exponierten Gruppe haben ein dreimal so hohes (= um 200 % höheres) Risiko die Krankheit zu bekommen als Mitglieder der nicht exponierten Gruppe.
    • Risikoreduktion.
      • Die absolute Risikoreduktion (ARR) ist die Differenz zwischen dem Risiko der exponierten Gruppe und dem Risiko der nicht exponierten Gruppe (15 % – 5 % = 10 %); entspricht dem attributalen Risiko (siehe unten).
      • Die relative Risikoreduktion (RRR) ist die Relativierung der ARR am Risiko der exponierten Gruppe (10 %/15 % = 0,67 = 67 %); sie ergibt beeindruckend hohe Zahlen, die jedoch wenig aussagekräftig sind; zudem sind die absoluten Risiken nicht mehr erkennbar, weil sie durch die Quotientenbildung verschwinden.
    • Der Nutzen einer präventiven Intervention wird durch die Number needed to treat (NNT) quantifiziert.
      • Die NNT ist die Anzahl der Patienten, die man über einen bestimmten Zeitraum behandeln muss, um bei einem von ihnen ein unerwünschtes Ereignis zu verhindern; NNT = 1/ARR.
      • Je wirksamer also eine Behandlung ist (d. h. je mehr sie zur Risikoreduktion beiträgt), desto geringer ist die NNT (und desto größer ist die ARR). Da sie von den populationsbezogenen Risiken abhängt, fällt sie bei Risikogruppen kleiner aus als bei Nicht-Risikogruppen.
    • Es gibt noch diverse weitere Risiko-Kennwerte:
      • Odds ratio (Chancenverhältnis; Beschreibung des relativen Risikos): Quotient zweier Odds, d. h. Vergleich der Risikoverhältnisse ("Chancen", die Krankheit zu bekommen) von Exponierten und Nichtexponierten. Sie wird angewendet, wenn Angaben zu Inzidenz und Prävalenz fehlen, v. a. in Fall-Kontroll-Studien (umgekehrte Berechnung: vom Krankheitsstatus hin auf das Expositionsrisiko).
      • Attributables Risiko: Differenz zwischen der Krankheitshäufigkeit der exponierten Gruppe und der Krankheitshäufigkeit der nichtexponierten Gruppe, d. h. der Risikoanteil, der einem bestimmten Risikofaktor zugeschrieben wird; entspricht der ARR und antwortet auf die Frage: "Um wie viel könnte die Erkrankungswahrscheinlichkeit durch Ausschaltung eines bestimmten Risikofaktors gesenkt werden?"
      • Attributable Fraktion: attributables Risiko bezogen auf die Krankheitshäufigkeit der Exponierten (gewissermaßen das "spezifische attributable Risiko"); es beschreibt beispielsweise, wieviel Prozent der Lungenkrebstodesfälle bei Rauchern auf das Rauchen zurückgehen.
      • Bevölkerungsbezogenes attributables Risiko (BAR): die Differenz zwischen der Erkrankungshäufigkeit in der Gesamtbevölkerung (g) und der Erkrankungshäufigkeit der Gruppe der Nichtexponierten (n) wird in Beziehung gesetzt mit der Krankheitshäufigkeit in der Gesamtbevölkerung (g), also:   es beschreibt die Bedeutung eines Risikofaktors für die Krankheitsentstehung in der Gesamtbevölkerung (z. B. bezogen auf die weibliche Gesamtbevölkerung: wie viel Prozent der Lungenkrebstodesfälle gehen bei allen Frauen auf das Rauchen zurück).


Merke: In der sekundären Prävention geht es um die Früherkennung und Frühbehandlung von Krankheiten. Daher ist es wichtig, Risikofaktoren zu erkennen und das Ausmaß ihrer schädlichen Wirkungen einzuschätzen. Zu diesem Zweck führt man epidemiologische Studien durch; einfache statistische Berechnungen erlauben dann, die Relevanz des fraglichen Risikofaktors (absolutes Risiko, relatives Risiko) sowie den Nutzen seiner Beseitigung einzuschätzen (ARR, RRR, NNT).


Die Risiko- und Risikoreduktions-Kennwerte geben zwar einen guten Überblick über die Relevanz bestimmter Risikofaktoren und den Nutzen, den es hätte, wenn man diese Risikofaktoren beseitigen könnte. Eine derartige Risikoreduktion lässt sich jedoch nur erreichen, wenn man den Patienten dazu bringt, sein Verhalten hin zu einem günstigeren Gesundheitsverhalten zu ändern.

  • Einer solchen Verhaltensänderung stehen jedoch eine Reihe von Barrieren entgegen:
    • Dominanz des Verhalten über die Einstellung: gibt es einen Widerspruch zwischen Einstellung und Verhalten, so entsteht eine kognitive Dissonanz, die dazu führt, dass das Individuum eher seine Einstellung dem Verhalten anpasst als umgekehrt (FESTINGERs Theorie der kognitiven Dissonanz,).
    • Empfehlungen des Arztes stoßen beim Patienten oftmals auf Widerstand, und zwar aus folgenden Gründen:
      • Die Empfehlungen sind zwangsläufig probabilistisch, der individuelle Nutzen ist daher nicht gesichert.
      • Der Patient neigt zu unrealistischem Optimismus ("Ich werde bestimmt keinen Krebs kriegen").
      • Das Risikoverhalten ist zur festen Gewohnheit geworden und kann daher nicht leicht aufgegeben werden (hohe Anstrengung notwendig; das Risikoverhalten ist operant konditioniert, ein Ausbleiben des Risikoverhaltens wird als indirekte Bestrafung wahrgenommen).
      • Einschränkungen der individuellen Freiheit erzeugen Widerstand (Reaktanz).
  • In der Praxis gilt es daher, zusammen mit dem Patienten eine gemeinsame Entscheidung zu treffen (shared-decision-making auf Grundlage von empowerment des Patienten).
 
Transtheoretisches (Stufen-)Modell der Verhaltensänderung (TTM) und sozial-kognitives Prozessmodell. Sowohl das TTM als auch das sozial-kognitive Prozessmodell umfassen Phasen der Intentionsbildung (gelb) und Phasen der Handlungsdurchführung (rot), wobei das sozial-kognitive Prozessmodell ein weiteres Element (grün) zur Überwindung der Intentions-Verhaltens-Lücke besitzt.
  • Der erste Schritt zur Verhaltensänderung ist trotz alledem der Erwerb einer günstigen Einstellung. Mittels einer geschickten Strategie gelingt es dann mitunter, die Intentions-Verhaltenslücke zu überwinden und die günstige Einstellung in ein günstiges Verhalten zu transformieren.
    • Hierzu existieren diverse Stufenmodelle, die von der Annahme ausgehen, dass die Transformation von Einstellung in Verhalten nicht kontinuierlich geschieht, sondern über voneinander abgrenzbare Motivationsstufen.
      • Transtheoretisches Modell der Verhaltensänderung (TTM):
        • Das TTM unterscheidet 6 Stufen:
          1. Absichtslosigkeit (Patient ist sich des Problemverhaltens nicht bewusst)
          2. Absichtsbildung (er ist sich seines Problemverhaltens bewusst)
          3. Vorbereitung (Ausbildung der Intention)
          4. Handlung (Ausführen des Verhaltens, jedoch kürzer als 6 Monate)
          5. Aufrechterhaltung (länger als 6 Monate, aber kürzer als 5 Jahre)
          6. Termination (länger als 5 Jahre, das neue Verhalten wird gewohnheitsmäßig ausgeführt).
        • Folgende Veränderungen treten bei Stufenübergängen auf:
          • Mit jeder neuen Stufe steigt die Selbstwirksamkeitserwartung,
          • Der Patient nimmt mit jeder neuen Stufe immer mehr Vorteile des Gesundheitsverhaltens wahr (positive Entscheidungsbalance).
        • Es gibt verschiedene Strategien, um den Patienten auf die nächste Stufe zu hieven, wobei man bei den ersten drei Phasen auf kognitive und affektive Prozesse des Patienten abzielt, ab der dritten Phase dagegen v. a. verhaltensmedizinische Techniken anwendet.
      • Das Prozessmodell präventiven Handelns unterscheidet sich in folgenden Punkten vom TTM:
        • Die Stufe der "Absichtslosigkeit" (TTM) ist hier unterteilt in: (1) Unkenntnis des Gesundheitsverhaltens und (2) Kenntnis, aber kein persönlicher Bezug
        • Die Entscheidung (= "Vorbereitung" nach TTM) kann positiv oder negativ ausfallen.
      • Das sozial-kognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns unterscheidet drei Phasen:
        1. Motivationale Phase (Phase der Ausbildung der Intention, wobei wahrgenommene Gesundheitsbedrohung, Handlungsergebniserwartung und Selbstwirksamkeitserwartung eine Rolle spielen)
        2. Volitionale Phase (Phase der Handlungsplanung; ist entscheidend, um die Intentions-Verhaltenslücke zu schließen)
        3. Aktionale Phase (Phase der Ausführung der Handlung)
    • Die Inhalte dieser Modelle sollen nun in konkrete Ergebnisse umgesetzt werden. Dabei gilt es Verschiedenes zu beachten.
      • Eine Verhaltensänderung wird wahrscheinlicher bei hoher Selbstwirksamkeitserwartung, hohen Handlungskompetenzen und hohen wahrgenommenen Vorteilen. Diese gilt es daher zu fördern.
      • In der Praxis orientiert man sich an folgenden Grundsätzen und bedient sich folgender Taktiken:
        • Der Berater sollte einen nichtkonfrontativen Stil verwenden, Berater und Patient erarbeiten auf Basis von Empowerment eine gemeinsame Entscheidung (shared decision).
        • Methodisch bedient man sich v. a. der operanten Konditionierung und dem Modelllernen.
        • Es gibt zudem spezielle Beratungstechniken:
          • Motivational Interviewing: Erhöhung der intrinsischen Motivation des Patienten; der Berater geht patientenzentriert, aber direktiv und zielorientiert vor; dadurch wird der Patient dazu veranlasst, die erlebten Vor- und Nachteile der Verhaltensänderung zu reflektieren.
          • Stufenspezifische Beratung: orientiert sich am TTM, verschiedene Techniken werden angewandt, um den Patienten von einer Stufe auf die nächste zu heben.
          • Beim Prozessmodell gesundheitlichen Handelns:
            • Konkrete Handlungsplanungen (Wann-Wo-Wie-Pläne)
            • Bewältigungsplanung (Besprechen von Problemen, die beim Umsetzen der Intention in Handlungen aufgetreten sind)


Merke: Die entscheidende Frage der sekundären Prävention lautet: "Wie lassen sich Risikopersonen dazu bewegen, ihr Risikoverhalten aufzugeben?" Die Antwort auf diese Frage ist keine leichte, denn eingefahrenes Verhalten lässt sich nur schwer verändern; in jedem Fall muss der Patient intensiv in die Entscheidungsfindung einbezogen werden (shared decision auf Grundlage von Empowerment). Das wichtigste Modell ist hierbei das transtheoretische Modell der Verhaltensänderung, das drei Stufen der Intentionsbildung und drei Stufen der Handlungsausführung umfasst.


Weblinks:   Risikofaktor,   Epidemiologie,   Risikokennwerte,   Kognitive Dissonanz,   Transtheoretisches Modell der Verhaltensänderung,   Prozessmodell präventiven Handelns,   Sozial-kognitives Prozessmodell


Selbsttest:

  1. Was sind epidemiologische Studien?
  2. Lassen sich mittels Kohortenstudien kausale Zusammenhänge herausfinden?
  3. Das absolute Risiko der nicht exponierten Gruppe betrage 4 %, das der exponierten Gruppe 6 %. Berechnen Sie folgende Risikokennwerte: relatives Risiko, ARR, NNT, RRR. Was ist an der letzten Risikokennziffer problematisch? Was sagt das relative Risiko aus?
  4. Welche Stufen umfasst das TTM?



Tertiäre Prävention: Rückfallverhinderung und Wiedereingliederung

Bearbeiten

Ziel der tertiären Prävention ist es, die negativen Auswirkungen, d. h. die biologischen (Gesundheitsschädigungen, Aktivitätsstörungen), psychologischen und sozialen Folgen einer bereits bestehenden Erkrankung gering zu halten und dem Betroffenen ein einigermaßen normales Leben in seinem sozialen und beruflichen Umfeld zu ermöglichen. Der Betroffene soll in Gesellschaft und Berufswelt re-integriert werden.

Aus chronischen Erkrankungen erwachsen Beeinträchtigungen in unterschiedlichen Bereichen, die daher Ziel der tertiären Prävention sind.

  • Schädigung von Körperfunktionen und -strukturen ("impairment(s)")
  • Beeinträchtigung der alltäglichen Aktivität ("disability" bzw. "activity")
  • Einschränkung der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ("handicap" bzw. "participation")

Diese Einteilung folgt der von der WHO erstellten International Classification of Impairment, Disability and Handicap (ICIDH), die später von der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF, Vorentwürfe wurden als "ICIDH-2" bezeichnet) abgelöst wurde. Man beachte die Unterschiede in der Formulierung: das ICF ist eher positiv formuliert.


ICIDH ICF
Impairment Impairments
Disability Activity
Handicap Participation

Wie gut der Betroffene mit seiner Krankheit fertig wird und mit ihr umgehen kann (Krankheitsbewältigung, Krankheitsverarbeitung, Coping), hängt sowohl von Ressourcen des Betroffenen selbst als auch von seinem sozialen Umfeld ab.

  • Bei der personalen Krankheitsbewältigung ist die kognitiv-transaktionale Stressbewältigungstheorie (LAZARUS) wichtig, weil sie einerseits beschreibt, unter welchen Umständen ein Individuum mit der Bewältigung (Coping) beginnt, und andererseits darstellt, wie die Bewältigung aussieht.
    • Primäre Bewertung: "Ist Situation X für mich relevant?" Wenn ja: "Ist Situation X eine Herausforderung, eine Bedrohung oder ein Verlust?"
    • Sekundäre Bewertung: "Kann ich die Situation bewältigen?"; Stress entsteht, wenn dem Individuum die Bewältigungsressourcen nicht auszureichen scheinen.
    • Coping: Versuch, Situation X zu bewältigen
      • Copingstrategien:
        • Handlungsbezogenes Coping: (handlungsbezogenes) Ablenken, aktives Vermeiden, konstruktive Aktivität, Zupacken
        • Kognitionsbezogenes Coping: (mentales) Ablenken, Akzeptieren, Dissimulieren, Haltung bewahren, Grübeln (Rumination)
        • Emotionsbezogenes Coping: emotionale Entlastung, Optimismus, Resignation, Sich-Aufwerten (Valorisieren)
      • Coping-Muster (Kombinationen von verschiedenen Elementen der Copingstrategien):
        • Aktives Coping
        • Depressive Verarbeitung (Gefühle von Hilflosigkeit und Schuld, sozialer Rückzug)
        • Abwehrprozesse (z. B. Verleugnung)
        • Kognitive Umstrukturierung (Sinnfindungsprozess, der oft mit positiven Gefühlen verbunden ist)
      • Coping in der Praxis:
        • Psychoneuroimmunologische Modelle:
          • Das Coping wird beeinflusst von der Krankheit und vom körperlichen Zustand.
          • Das Coping beeinflusst mitunter seinerseits die Krankheit (z. B. Krebs: aktive Auseinandersetzung oder Verleugnung erhöht möglicherweise die Überlebenszeit), möglicherweise wirkt jedoch der körperliche Zustand als konfundierende Variable (d. h. der mit dem jeweiligen Coping-Muster gleichzeitig vorherrschende körperliche Zustand wirkt kausal auf den Krankheitsverlauf, während das Coping-Muster selbst nur einen Indikator darstellt).
        • Wie günstig (adaptiv) eine Copingstrategie (v. a. im Hinblick auf Lebensqualität und emotionales Befinden) ist, hängt von Variablen der Person und der Situation ab; entscheidend ist ein großes Repertoire und ein flexibler Einsatz der verschiedenen Strategien.
    • Neubewertung: die Person evaluiert ihre Bewältigungsversuche und nimmt anhand dessen eine Neubewertung der Situation vor.
  • Bei der interpersonalen Krankheitsbewältigung ist das soziale Umfeld entscheidend.
    • Soziale Unterstützung und Netzwerke:
      • Soziale Unterstützung (= sozialer Rückhalt): fördert die Krankheitsbewältigung (Pufferhypothese der sozialen Unterstützung).
        • Emotionale Unterstützung
        • Instrumentelle Unterstützung
        • Informationelle Unterstützung
        • Bewertungsunterstützung
      • Eingebundensein in ein soziales Netzwerk fördert in der Regel die Krankheitsbewältigung.
        • Die Wichtigkeit der Ansprechpartner nimmt in folgender Reihenfolge ab: Partner > Angehörige > Bekannte > professionelle Helfer.
        • Das soziale Netzwerk kann jedoch auch ein Risikofaktor sein (z. B. Rezidiv bei Schizophrenie, wenn zu viel Fürsorglichkeit oder Kritik aus dem sozialen Netzwerk kommt).
    • Ursache für sozialen Ausschluss und sozialen Abstieg sind oftmals Normabweichungen (primäre Devianz: durch die Krankheit begründet; sekundäre Devianz: durch der Reaktion des Umfelds auf die Krankheit begründet, z. B. Stigmatisierungen).

Weitere Maßnahmen zur Krankheitsbewältigung sind u. a. Prävention, Krisenintervention und Sozialberatung.

  • Maßnahmen der tertiären Prävention, die nicht zur Rehabilitation gehören:
    • Das Gesundheits- und Krankheitsverhalten beeinflussen sowohl implizite, "beiläufige" Präventionsleistungen (Beratung und Behandlung durch den Arzt) als auch explizite Präventionsleistungen (Einrichtungen der Sportvereine, Erwachsenenbildung, Schulen, Betriebe, andere Wellness-Angebote); außerdem wirken sich die (sub)kulturellen Rahmenbedingungen auf das Präventionsverhalten aus.
    • Prävention bei chronischen Krankheiten soll v. a. negative soziale Folgen vermindern (Abwärtsmobilität, soziale Isolation, Stigmatisierung aufgrund primärer/sekundärer Devianz).
  • Krisenintervention bedeutet die kurzfristige Einflussnahme von außen zur Bewältigung von akut bedrohlichen Konfliktsituationen.
    • Institutionen: sozialpsychiatrische Dienste, Selbsthilfegruppen, Telefonseelsorge, Frauenhäuser, Notaufnahme in die Psychiatrie bei Suizidalität
    • Ärzte und Psychotherapeuten müssen akute Krisenhilfe leisten und können dabei auf alle erforderlichen und adäquat ausgestatteten Gesundheitserinrichtungen zurückgreifen; dabei sollten sie zunächst Sicherheit und Entlastung spenden und erst anschließend das Problem angehen (empathisches, aktives Zuhören, Problemanalyse, kleine Interventionen zur Lösung des Problems).
  • Sozialberatung beruht auf dem Sozialstaatsprinzip, wonach die Gesellschaft auch bei Fällen helfend eingreifen muss, die nicht direkt mit einer Krankheit in Beziehung stehen (Lebenskrisen, Konflikte, sozioökonomische Probleme), um eine (Re-)Integration des Ratsuchenden in Gesellschaft und Beruf zu ermöglichen. Sie wird durchgeführt von vielfältigen, auf bestimmte Zielgruppen spezialisierten psychosozialen Beratungseinrichtungen: Jugendhilfeeinrichtungen, Suchtberatungsstellen, Reha-Servicestellen, Selbsthilfegruppen und Selbsthilfekontaktstellen, Schulpsychologische Beratungsstellen, Kriseninterventionsdienste, Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, psychosoziale Krebsberatungsstellen, sozialpsychiatrische Dienste, Drogenberatungsstellen, Arbeitsämter, Studentenwerke etc.


Merke: Chronische Erkrankungen haben negative Auswirkungen auf Körperfunktionen, Alltagsaktivität und gesellschaftliche Teilhabe, welche mittels tertiärer Prävention verringert werden sollen. Hierbei kommt es auf personale (günstiger Copingstil) und interpersonale Ressourcen (soziale Unterstützung, soziale Integration) an.


Weblinks:   ICF,   Coping,   Soziale Unterstützung,   Krisenintervention,   Sozialberatung


Selbsttest:

  1. Was ist das Ziel der tertiären Prävention?
  2. Welche Arten von präventionsrelevanten Bereichen unterscheidet das ICF?
  3. Welche Modelle und Strukturen sind bei der personalen und interpersonalen Krankheitsbewältigung relevant?



Innerhalb der verschiedenen Bereichen der Prävention setzt man unterschiedliche Maßnahmen ein

Bearbeiten

Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung haben das Ziel, mittels Wissensvermittlung und Beeinflussung von Umgebungsvariablen gesundes Verhalten zu verstärken und gesundheitsschädliches Verhalten zu minimieren. Dies ist v. a. im Rahmen der primären Prävention relevant, wo es ja um die Senkung der Neuauftretensrate von Krankheiten geht.

  • Grundbegriffe
    • Gesundheitserziehung, Gesundheitsbildung, Gesundheitsaufklärung, Gesundheitsberatung: Vermittlung von gesundheitsbezogenem theoretischem und praktischem Wissen sowie von günstigen Einstellungen; wird von Organisationen auf Bundes- und Landesebene durchgeführt.
    • Gesundheitsförderung: Stärkung von Gesundheitskompetenzen, Verbesserung von Umgebungsvariablen
  • Strukturelle und personale Gesundheitsförderung: strukturelle Gesundheitsförderung (Schaffung günstiger gesellschaftlicher und ökologischer Rahmenbedingungen) ist Voraussetzung für personale Gesundheitsförderung (Abbau gesundheitsschädigender Lebensstile, Aufbau gesundheitsfördernder Lebensstile).

Die im Rahmen der sekundären Prävention verwendeten Screening-Verfahren dienen der Früherkennung von Krankheiten und somit der Identifizierung von Risikopersonen, sind aber oftmals ungenau, d. h. es werden oft falsch-positive oder falsch-negative Ergebnisse erzielt; ihr Nutzen hängt in hohem Maße von der Prävalenz der fraglichen Krankheit ab. Die Eigenschaften eines Tests können quantifiziert werden, wobei man sich diverser Kennziffern bedient:

 
Zusammenhänge von Sensitivität, Spezifität und Vorhersagewerten. Sensitivität und Spezifität geben Antworten auf die Frage: "Welchen Anteil der tatsächlich Kranken oder Gesunden vermag ein Test aufzuspüren?" Die prädiktiven Werte beantworten dagegen die Frage: "Für welchen Anteil ist die Testaussage ("positiv" oder "negativ") korrekt?"
  • Spezifität und Sensitivität (fremdmetrisch, Berechnung auf Basis der tatsächlich Gesunden/Kranken) machen Aussagen darüber, wie gut ein Test Kranke als richtig-positiv und Gesunde als richtig-negativ erkennt.
    • Spezifität: Fähigkeit eines Tests, "objektiv" Gesunde (d. h. mit einem bewährten, hochvaliden Test ["Goldstandard"] als gesund Ermittelte) als gesund zu erkennen.
    • Sensitivität: Fähigkeit eines Tests, "objektiv" Kranke als krank zu erkennen.
  • Prädiktionswerte (Vorhersagewerte; eigenmetrisch, Berechnung auf Basis der vom Test selbst ermittelten Gesunden/Kranken) machen Aussagen darüber, wie wahrscheinlich jemand, der vom Test als gesund oder krank ermittelt wird, tatsächlich gesund oder krank ist. Sie sind stark von der Prävalenz der Krankheit abhängig.
    • Positiver Prädiktionswert: Anteil der Richtig-Positiven unter den vermeintlichen Kranken (d. h. unter denjenigen, die der Test als krank ermittelt)
    • Negativer Prädiktionswert: Anteil der Richtig-Negativen unter den vermeintlichen Gesunden (d. h. unter denjenigen, die der Test als gesund ermittelt)

Um Verhalten zu ändern, gibt es verschiedene Mittel und Wege (v. a. verhaltenstherapeutische Ansätze), z. B. ...

  • Operante Konditionierung
  • Selbstsicherheitstraining
  • Stressbewältigungstraining (Erarbeiten und Erproben von Stressbewältigungsstrategien, Entspannungstechniken, kognitiver Umstrukturierung etc.)
  • Problemlösetraining (auch Stärkung von Selbstbewusstsein und positiver Kontrollüberzeugung)
  • Gruppentherapie


Im Mittelpunkt der tertiären Prävention stehen biologische (Gesundheitsschädigungen, Aktivitätsstörungen), psychologische und soziale Folgen von Erkrankungen (bio-psycho-soziales Modell), die mit geeigneten Maßnahmen gelindert werden sollen. Zur tertiären Prävention gehört die Rehabilitation, die neben der schulischen, sozialen und beruflichen auch die medizinische Rehabilitation umfasst. Letztgenannte muss oft schon während der Akutbehandlung berücksichtigt werden (z. B. Anschlussheilbehandlung); und bereits während der Rehabilitation müssen ambulante Nachsorgemaßnahmen eingeleitet werden (Booster-Interventionen,z. B. Herzsportgruppen), um den Rehabilitationserfolg zu stabilisieren. Rehabilitation erfolgt also unter Berücksichtigung der institutionellen Rahmenbedingungen (ambulant vs. stationär) und des Krankheitsverlaufs (akut vs. chronisch).

  • Elemente von Maßnahmen tertiärer Prävention:
    • Patientenschulung zur besseren Krankheitsbewältigung und Verbesserung der Compliance
    • Berufsbezogene Behandlungselemente
    • Interdisziplinäre Rehabilitationsteams
    Die Rehabilitation muss man gegen die Kur abgrenzen: im Gegensatz zur Kur umfasst die tertiäre Prävention aktivere Methoden sowie andere Ziele als die Kur (Kur: "Morgens Fango, abends Tango"). Da die Rehabilitation an den Patienten also höhere Anforderungen als die stärker an Wellness-Kriterien orienterte Kur stellt, muss zuvor oftmals erst eine Reha-Motivation durch den Hausarzt aufgebaut werden.

  • Die Kosten für die Rehabilitation übernehmen unterschiedliche Träger:
    • Gesetzliche Rentenversicherung ("Reha vor Rente"; die gesetzliche Rentenversicherung zahlt deshalb, weil sie ein Interesse daran hat, den Patienten wieder in Lohn und Brot zu bekommen [und somit auch Rentenversicherungsbeiträge von ihm zu erhalten] anstatt ihm über mehrere Jahre hinweg eine Rente zu zahlen)
    • Gesetzliche Unfallversicherung (bei Arbeitsunfällen)
    • Krankenkassen (bei geriatrischer Rehabilitation)
    • Arbeitsamt (bei beruflicher Rehabilitation, bspw. Umschulungen)
  • Erfolg von Maßnahmen tertiärer Prävention:
    • Faktoren für Erfolg:
      • Der Erfolg der beruflichen Re-Integration hängt entscheidend von der subjektiven Erfolgsprognose des Patienten ab.
      • Programme tertiärer Prävention sind dann effektiv und effizient, wenn sie (1) intensiv und umfassend gestaltet sind, (2) eine feste Struktur besitzen und (3) multidisziplinär ausgerichtet sind.
    • Die Beurteilung des Erfolgs orientiert sich u. a. am emotionalen Befinden, Lebensqualität und sozialer Integration des Patienten (ganzheitliche [mehrdimensionale und multidisziplinäre] Ausrichtung).

Angesichts des demographischen Wandels wird Pflege immer wichtiger. Die Pflegebedürftigkeit wird dabei nach Begutachtung durch den MDK (medizinischer Dienst der Krankenkassen) oder durch private Pflegepassen festgestellt, anschließend erfolgt die Einordnung in Pflegestufen.


Pflegestufe Kriterien
Hilfe < 90 min oder nur bei hauswirtschaftlicher Versorgung
I Hilfe > 90 min bei > 2 Verrichtungen aus dem körperbezogenen Bereich (Körperpflege, Ernährung, Mobilität) + öfters in der Woche bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten; Grundpflege > 45 min
II Hilfe > 180 min oder 3x pro Tag Hilfe im körperbezogenen Bereich + öfters bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten; Grundpflege > 120 min
III Hilfe > 300 min, auch nachts, öfters im körperbezogenen Bereich und bei hauswirtschaftlicher Versorgung; Grundpflege > 240 min
Härtefälle Individuell


  • Die Pflegekassen übernhemen die Versorgung in ambulanten/stationären Pflegeeinrichtungen oder Hospizen:
    • Ambulante Pflege: Pflege zuhause, unterstützt von ambulanten Pflegediensten (selbstständig wirtschaftend; Träger sind privat-gemeinnützig oder öffentlich-staatlich). Pflege geschieht in Deutschland zumeist durch die Familie, v. a. durch Frauen; sie ist verbunden mit zahlreichen psychosozialen Belastungen, die in Krankheiten münden können. Doch auch professionelle Pflegende sind mit vielen Belastungen konfrontiert (schlechte Arbeitsbedingungen, mangelnde soziale Anerkennung, Gratifikationskrisen etc.).
    • Stationäre Pflege
    • Hospiz: ambulante, teilstationäre oder stationäre bzw. in Heimen/Kliniken stattfindende Begleitung Sterbender; wird meist durch Ehrenamtliche durchgeführt und durch Krankenkassen gefördert.


Merke: Ging es zuvor um die allgemeinen Bedingungen, Voraussetzungen und Konsequenzen sowie um abstrakte Modelle zur Bewältigung von Herausforderungen im Bereich der drei Präventionstypen, so stehen jetzt die entsprechenden konkreten Maßnahmen im Mittelpunkt: primäre Prävention → Gesundheitsförderung (v. a. struktureller Art) und Gesundheitserziehung, um Erkrankungsmanifestationen zu verhindern; sekundäre Prävention → Screening-Verfahren, um Risikopersonen zu erkennen; tertiäre Prävention → Rehabilitation, um Erkrankte in Gesellschaft und Beruf wiedereinzugliedern.


Weblinks:   Gesundheitserziehung,   Gesundheitsförderung,   Screening,   Sensitivität,   Spezifität,   Prädiktionswert,   Rehabilitation,   Pflege,   Pflegestufen


Selbsttest:

  1. Welche Ziele verfolgen Gesundheitsförderung und Gesundheitserziehung?
  2. Was bedeutet Sensitivität, was Spezifität?
  3. Anhand einer Studie mit 300 Teilnehmern – 200 Kranke und 100 Gesunde – wurden folgende Kennziffern eines Screeningtests ermittelt: Sensitivität 90 %, Spezifität 80 %. Berechnen Sie den positiven und den negativen prädiktiven Wert! Was sagen die berechneten Werte aus?



Zusammenfassung

Bearbeiten

Die medizinische Versorgung beschränkt sich nicht nur darauf, akute Erkrankungen zu behandeln, vielmehr kommen ihr zusätzlich unterschiedliche Präventionsaufgaben zu. Man unterscheidet dabei drei Arten von Prävention.

Im Rahmen der primären Prävention soll das Gesundheitsverhalten des Einzelnen hin zu einem günstigen Lebensstil verändert werden, so dass Krankheiten, die durch einen ungünstigen Lebensstil bedingt sind, mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit auftreten (Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung). Gemäß des Salutogenese-Modells sollen dabei Faktoren wie etwa das Kohärenzgefühl des Einzelnen gestärkt werden, so dass er Widrigkeiten stand hält und sich auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum in Richtung "mehr Gesundheit" bewegt. Bei der primären Prävention ist die Frage entscheidend, mit welchen Strategien man den einzelnen Menschen am besten überzeugen kann, gemäß eines günstigen Lebensstils zu leben. Es wurden hierzu zahlreiche Modelle entwickelt (Health-Belief-Modell, Modell der Handlungsveranlassung, Modell der Selbstwirksamkeit, Theorie der Schutzmotivation, Modell der sozialen Vergleichsprozesse), wobei das Health-Belief-Modell als das klassische Modell gilt; hierbei wird angenommen, dass das Gesundheitsverhalten in hohem Maße von den Überzeugungen des Einzelnen abhängt. Alle Modelle sind dabei mit der Herausforderung konfrontiert, die Intentions-Verhaltens-Lücke zu schließen, denn vom Handlungs-Entschluss zur Handlung selbst ist es ein beschwerlicher Weg.

Im Rahmen der sekundären Prävention sollen Krankheiten bei Risikopersonen möglichst früh erkannt werden. Wichtig sind hier daher einerseits Screening-Tests, andererseits Methoden, die es erlauben Risikofaktoren zu bestimmen und die Konsequenzen aufzuzeigen, die die Beseitigung derartiger Risikofaktoren hat. Zudem versucht man Personen, die solche Risikofaktoren tragen, zu einem günstigeren Gesundheitsverhalten zu motivieren. Zentral ist dabei das Transtheoretische Modell der Verhaltensänderung, das die Änderung von Verhalten und Einstellungen als einen Stufenprozess versteht. Andere Modelle sind weitgehend Derivate dieses Modells. Entscheidend ist dabei, das Vorgehen gemeinsam mit dem Patienten zu planen (shared decision making).

Bei der tertiären Prävention geht es schließlich darum, vor allem chronisch kranken Patienten ein so weit wie möglich normales Leben zu ermöglichen. Die Bewältigung hängt dabei sowohl vom Patienten selbst ab (personale Krankheitsbewältigung) als auch von seiner sozialen Umwelt (interpersonale Krankheitsbewältigung).


Wichtige Prüfungsthemen (alphabetisch geordnet, näher erläutert im Glossar): Coping, Health-Belief-Modell, ICF (Impairments – Activity – Participation), Modell der Selbstwirksamkeit, Number needed to treat (NNT), Prävention (primäre, sekundäre, tertiäre Prävention), Relatives Risiko, Salutogenese, Screening-Tests und Berechnung statistischer Kennziffern (Sensitivität, Spezifität; positiver und negativer Prädiktionswert), Transtheoretisches Modell der Verhaltensänderung