Elementarwissen medizinische Psychologie und medizinische Soziologie: Arzt-Patient-Beziehung

Übersicht über das Kapitel.

Der Arztberuf ist in einen organisatorischen Kontext eingebettet

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Arztberuf

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Arztberuf als Profession (Profession = Beruf mit hohem Prestige und hoher sozialer Bedeutung; Professionalisierung = Entwicklung eines Berufs zu einer Profession): zum Arztberuf führt eine standardisierte (strukturierte, geregelte) akademische Ausbildung, in der berufsspezifische Kompetenzen vermittelt werden; die Berufszulassung ist staatlich geregelt (Voraussetzung für Berufsausübung: Approbation). Selbstverwaltung durch Ärztekammern als Standesorganisation, ärztliche Berufsethik (Berufsordnungen der Landesärztekammern, orientieren sich an Musterberufsordnung der Bundesärztekammer).

Veränderungen:

  • Entprofessionalisierung, Verlust der Sonderstellung des Arztberufs (auch durch zunehmenden Einfluss der Politik bedingt; Gefahr: wirtschaftliche Ziele werden bedeutsamer als wissenschaftliche Ziele)
  • Spezialisierung (positiv: Verbesserung von Diagnostik und Therapie, gegenseitige Ergänzung; negativ: Orientierungslosigkeit für Patienten und Ärzte)
  • Etablierung anderer Gesundheitsberufe


Merke: Der Arztberuf unterliegt staatlichen Regelungen hinsichtlich sowohl Ausbildung (Approbationsordnung) als auch Berufsausübung (Berufsordnungen der Landesärztekammern) und unterliegt einer starken Ausdifferenzierung in Teilgebiete (Spezialisierung); zudem machen sich Tendenzen der Entprofessionalisierung immer stärker bemerkbar.


Organisatorische Rahmenbedingungen

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Organsiationen:

  • Gliederung: stationär und ambulant (Verteilung der Ärzte: ca. 50:50), wobei der Grundsatz "ambulant vor stationär" gilt und stationäre Aufenthalte möglichst kurz sein sollen (wirtschaftliche Anreize durch Fallpauschalen [DRGs]); mehr ambulante Behandlungen, auch in Krankhenhäusern zunehmend; Hausbesuche im privaten Umfeld
  • Verwaltung:
    • Krankenkassen und kassenärztliche Vereinigungen entscheiden, ob ein Arzt Vertragsarzt wird (erst als Facharzt darf man Patienten eigenverantwortlich behandeln, erst mit "Kassenzulassung" darf man über Krankenkasse abrechnen).
    • Kassenärztliche Vereinigungen: haben einen Sicherstellungsauftrag für den ambulanten Sektor (Regelung der regionalen Verteilung von Vertragsarztsitzen), jedoch auch das Behandlungsmonopol für den ambulanten Sektor; verteilen die von den Krankenkassen bereitgestellten Finanzmittel auf Fachgebiete und Praxen (Aufschlüsselung der Leistungshonorierung mittels einheitlichem Bewertungsmaßstab); legen Behandlungsstandards fest, regeln die Verantwortlichkeiten der Vertragspraxen.
    • Ärztekammern sorgen für die Einhaltung der ärztlichen Regeln und Pflichten, die von der Standespolitik vorgegeben sind (Berufsordnungen).

Neue Versorgungsmodelle:

  • Disease-Management-Programme: leitlinienartige Behandlungskonzepte (von Krankenkassen entwickelt)
  • Integrierte Versorgung: Regelungen über Pauschalvergütungen für bestimmte Patientengruppen
  • Hausarztmodelle (Managed Care): Vergünstigungen für Patienten, die sich an die Stufengliederung halten (zuerst Hausarzt konsultieren, dieser überweist bei Bedarf an einen Facharzt)
  • Medizinische Versorgungszentren: gemeinsame Behandlung eines Patienten durch Ärzte verschiedener Fachrichtungen
  • Tageskliniken: tagsüber ist der Patient in der Klinik, nachts zuhause


Merke: Kassenärztliche Vereinigungen stellen die Versorgung mit Vertragsärzten sicher, zudem besitzen sie diverse Verwaltungsaufgaben (Verteilung von Finanzmitteln, Regulation von Verantwortlichkeiten der Praxen). Ärztekammern kontrollieren die ärztliche Berufsausübung.


Weblinks:   Gesundheitsberuf,   Arzt,   Profession,   Krankenkasse,   Kassenärztliche Vereinigung,   Ärztekammer,   Disease Management,   Integrierte Versorgung,   Hausarztmodell,   Tagesklinik


Selbsttest:

  1. Was bedeutet "Entprofessionalisierung"?
  2. Wer entscheidet, ob ein Arzt die Kassenzulassung erhält?
  3. Was bedeutet "Sicherstellungsauftrag der KV"?
  4. Was sind die Aufgaben der Ärztekammern?
  5. Erläutern Sie grob das Prinzip des Hausarztmodells!



An die Konstituenten der Arzt-Patient-Beziehung, Arzt und Patient, werden unterschiedliche Rollenerwartungen herangetragen

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Arzt: Arztrolle, Motivationen, Konflikte

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Organisatorische Rahmenbedingungen: ein niedergelassener Arzt (Vertragsarzt der Krankenkassen) ist ein freier Unternehmer und somit Mitglied des Sozialversicherungssystems; Klinikärzte sind Arbeitnehmer und beziehen Gehalt vom Krankenhaus.

  • Das Sozialgesetzbuch legt fest, welche Leistungen angeboten werden dürfen, und verpflichtet den Arzt zur Relevanz, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit (insgesamt also zur Effizienz) seiner Maßnahmen.
  • Der Arzt untersteht dem Honorarsystem der gesetzlichen Krankenversicherungen (Gebührenordnung für Ärzte [GOÄ; auch von Krankenkassen beeinflusst]: Einzelleistungshonorierung, höchste Priorität hat gegenwärtig die Therapie vorhandener Erkrankungen und nicht die Prävention von Erkrankungen).

Gemäß PARSONS sind an die Arztrolle folgende Normen und Erwartungen geknüpft:

  • funktionale Spezifität : aufs Fach beschränkte Kompetenz
  • affektive Neutralität: Sym- und Antipathie gegenüber einem Patienten dürfen nicht handlungsbestimmend werden
  • Universalismus: gleiche Hilfe für jeden Patienten
  • Kollektivitätsorientierung: Verfolgen altruistischer Ziele
  • Pflicht, Leben zu erhalten

Motivation zum Arztberuf:

  • Wandel der Motivationen mit der Zeit: zunächst herrscht bei vielen Medizinstudenten Altruismus vor, während des Studiums nimmt der Professionalismus (sachliches Interesse) zu, während der ersten Berufsjahre kommt es jedoch zu einer gewissen Ernüchterung (wegen der Zunahme von Belastungen), später werden Prestige und Aufstiegsstreben wichtiger; ab der Assistenzzeit werden deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen manifest (z. B. Sinken des beruflichen Selbstvertrauens bei Frauen).
  • Die meisten Ärzte machen eine Facharztausbildung.

Konflikte und Belastungen:

  • Viele ärztliche Handlungen sind mit ethischen Entscheidungskonflikten verbunden.
  • Ärzte stehen im Spannungsfeld verschiedener Gruppen; dadurch ergeben sich Inter- und Intrarollenkonflikte.
  • Viele Ärzte (sowohl Haus- als auch Klinikärzte) sind mit ihrem Beruf unzufrieden.
  • Der Arztberuf ist verbunden mit einem erhöhten Morbiditäts-, Mortalitäts-, Sucht- und Suizidrisiko; Burnout- und Helfersyndrom sind häufig.
    • Burnout-Syndrom (modische Pseudodiagnose, keine klinische Diagnose; DD: Depression)
      • Ursachen: Perfektionismus, Idealismus, Unfähigkeit zum Delegieren von Aufgaben, Unfähigkeit zur Distanzierung von der Arbeit
      • Verlauf:
        1. Agitationsphase (Ankämpfen)
        2. Regressionsphase (Erschöpfung, Resignation)
        3. Chronifizierungsphase (Dauerspannung, Abstumpfung, Selbstentfremdung; Zynismus und Rigidität)
      • Gegenmaßnahmen: Zeit- und Gefühlsmanagement, Problemlösung (Interessenausgleich)
    • Helfersyndrom:
      • Symptomatik: Verleugnung eigener Hilfsbedürftigkeit (Wünsche, Nähebedürfnisse) → "Bedürfnisstau", der dann ausbricht in Form von Vorwürfen an die Mitwelt
      • Gegenmaßnahmen: Bedürfniswahrnehmung und –artikulation fördern, Aggressionsabbau, Förderung von Emotionalität und Kreativität, zu seiner Meinung und seinen Bedürfnissen stehen


Merke: An die Arztrolle werden fünf Erwartungen gestellt: funktionale Spezifität, affektive Neutralität, Universalismus, Kollektivitätsorientierung, Pflicht zur Erhaltung von Leben. Außerdem soll er effizient handeln. Der Arztberuf ist mit einer erhöhten Krankheits-, Abhängigkeits- und Selbstmordwahrscheinlichkeit assoziiert.


Patient: Patientenrolle

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Laut PARSONS sind an die Krankenrolle folgende Normen und Erwartungen geknüpft:

  • Der Patient wird als für Krankheit nicht verantwortlich gesehen,
  • er wird von Rollenverpflichtungen entlastet,
  • allerdings hat er die Verpflichtung, gesund werden zu wollen sowie
  • die Verpflichtung zur Compliance und Kooperation mit Ärzten.

Eine Erkrankung ist für den Patienten verbunden mit psychosozialen Belastungen (diese sind bei chronischen Erkrankungen gravierender als bei akuten Erkrankungen), aber auch mit positiven Konsequenzen (sekundärer Krankheitsgewinn, der oftmals als unbewusster Faktor Phänomenen wie Therapie-Resistenz oder Aufrechterhaltung von Symptomen zugrunde liegt).

Weitere Aspekte:

  • Die Krankheitsbewältigung erfolgt auf kognitiver Ebene (Kausalattribution, subjektive Krankheitstheorie), emotionaler Ebene (Angst, Verzweiflung, Wut) und motivationaler/Handlungs-Ebene (Krankheitsverhalten).
  • Patienten haben tendenziell ein großes Informationsbedürfnis
  • Patienten haben meist ein mehr oder weniger starkes Bedürfnis nach Mitentscheidung.
  • Chronisch Kranke durchlaufen "Patientenkarrieren".
  • Die Krankenrolle unterliegt verschiedenen Einflüssen:
    • Arten von Einflüssen (bei Diagnosestellung beachten!): Stichwort: sekundärer Krankheitsgewinn
      • Wirtschaftliche Einflüsse (z. B.: je höher der Wohlstand, desto weniger Krankschreibungen)
      • Rechtliche Einflüsse
      • Familiäre Einflüsse auf das "Ausleben" der Krankenrolle
    • Folgen:
      • Aggraviation (Übertreibung), Simulation (Vortäuschen von Symptomen)
      • Dissimulation (Verharmlosung von Symptomen)


Merke: Von einem Kranken wird unter anderem erwartet, gesund werden zu wollen und zu diesem Zweck mit Ärzten zusammenzuarbeiten. Mit der Krankenrolle sind Belastungen, aber auch positive Faktoren (sekundärer Krankheitsgewinn etc.) verknüpft. Patienten haben zudem generell ein eher hohes Informationsbedürfnis, das es zu befriedigen gilt.


Weblinks:   Arztrolle,   Krankenrolle,   Patientenkarriere


Selbsttest:

  1. Nennen Sie die Erwartungen an die Arztrolle nach PARSONS!
  2. Wozu wird der Arzt durch das SGB verpflichtet?
  3. Nennen Sie Erwartungen/Aspekte der Krankenrolle nach PARSONS!
  4. Vergleichen Sie das Informationsbedürfnis des Patienten mit seinem Mitentscheidungsbedürfnis.



Eine gute Arzt-Patient-Beziehung spielt sich auf dem Boden gelingender Kommunikation und in einem organisatorisch-institutionellen und soziokulturellen Kontext ab

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Modelle der Arzt-Patient-Beziehung: paternalistisch, Konsumentenmodell, partnerschaftlich

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Partnerschaftliches Modell der Arzt-Patient-Interaktion. Nachdem der Patient dank "Empowerment" hinsichtlich des relevanten Wissens auf eine ähnliche Stufe wie der Arzt "gehoben" worden ist, wird die gemeinsame Erarbeitung eines Handlungsplans möglich, mit dem beide Partner "gut leben" können.

Die verschiedenen Modelle der Arzt-Patient-Beziehung unterscheiden sich hinsichtlich der Entscheiderposition:

  • Paternalistisches Modell: der Arzt ist der Entscheider, der Patient verhält sich passiv.
  • Konsumentenmodell: der Patient ist der Entscheider, der Arzt dient lediglich als Informationslieferant.
  • Partnerschaftliches Modell: Entscheidungsfindung als interaktiver Prozess zwischen Arzt und Patient, Kompromissbildung
    • Arzt und Patient finden eine gemeinsame Entscheidung, die beide verantworten; hierzu ist erforderlich Präferenzen (seitens des Patienten) und Empfehlungen (seitens des Arztes) abzugleichen, dem Patienten Wissen zur Verfügung zu stellen, damit er eine angemessene Entscheidung auf Basis von Wissen (informed consent) treffen kann (Empowerment [der Patient als "Experte für seine Krankheit"], um krankheitsbezogene Entscheidungen eigenverantwortlich treffen zu können [Selbstmanagement]) und gemeinsam einen konkreten Handlungsplan zu erarbeiten (shared decision making). Allerdings sollte man den Patienten vorab fragen, wie weit er in den Entscheidungsfindungsprozess eingebunden werden möchte.
    • Diese Art der Entscheidung erhöht die Compliance des Patienten.
    • Seitens des Arztes ist dabei eine patientenzentrierte Gesprächsführung erforderlich gemäß den Grundprinzipien der klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie (Echtheit, Wertschätzung, Empathie [ROGERS]; erst diese Gesprächsatmosphäre erlaubt dem Patienten, seine Bedürfnisse und Ziele frei zu äußern); die Darstellungen des Arztes sollten transparent sein (d. h. der Patient soll die Intentionen des Arztes bei Diagnostik und Therapie verstehen ["was mit welchem Ziel gemacht wird"]).
    • Probleme: das Informationsbedürfnis des Patienten wird meist unterschätzt, Ärzte fühlen sich im Umgang mit "empowerten" Patienten und bei emotionalen Kontakten oftmals überfordert.


Merke: Gemäß dem partnerschaftlichen Modell kooperieren Arzt und informierter, "empowerter" Patient mit dem Ziel, einen für beide tragbaren Handlungsplan zu erarbeiten; die endgültige Entscheidung darüber, ob dieser Handlungsplan ausgeführt werden soll, liegt jedoch beim Patienten. Hierzu ist es erforderlich, dass der Arzt auf kongruente, wertschätzende, einfühlsame und transparente Weise mit dem Patienten kommuniziert.


Weblinks:   Arzt-Patient-Beziehung,   Partnerschaftliches Modell,   Empowerment,   Informed Consent,   Shared decision making


Selbsttest:

  1. Erläutern Sie den Grundgedanken des partnerschaftlichen Modells!
  2. Was sind Nachteile der anderen beiden Modelle?
  3. Was bedeutet "Transparenz" im Kontext der Arzt-Patient-Beziehung?



Rahmenbedinungen: organisatorisch-institutionell, soziokulturell, kommunikationstechnisch

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Organisatorisch-institutionelle Rahmenbedingungen: Einzelgespräche (mit und ohne Angehörige), Familiengespräche; Möglichkeit zum Einblick ins private Umfeld bei ambulanter Versorgung; die stationäre Versorgung ist meist anonymer als die ambulante Versorgung (→ Ängste, Hilflosigkeitsgefühle des Patienten).

Soziokulturelle Rahmenbedingungen: Ein Sprachcode ist eine für bestimmte Menschengruppen typische Art und Weise, Gedanken zu formulieren (Soziolekte). BERNSTEIN unterscheidet idealtypisch den restringierten (RC) und den elaborierten Code (EC). Als Arzt sollte man sich dabei am Sprachcode des Patienten orientieren (ohne jedoch den Patienten "nachzuäffen").

  • Restringierter Code (RC): einfacher Satzbau, kleiner Wortschatz, "unsaubere" Sprachverwendung; findet sich häufiger in unteren Schichten.
  • Elaborierter Code (EC): komplexer Satzbau, reichhaltiger Wortschatz, differenzierte Sprachverwendung; findet sich häufiger in Mittel- und Oberschicht.
Der Sprachcode spiegelt in gewisser Weise den Horizont von Wahrnehmung und Denken wider (WITTGENSTEIN: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt."). Zwar ist die Benutzung eines RCs mit kognitiver und emotionaler Rigidität korreliert, allerdings nicht mit Intelligenz – man sollte also nicht den Fehler machen, einen Benutzer des RC für weniger intelligent als einen EC-Benutzer zu halten. Die Tendenz, den EC für "höherwertig" und den RC für "minderwertig" zu halten, beruht in erster Linie auf sozialpsychologisch bedingten Verzerrungen.


Merke: Die Einteilung in EC und RC ist eine idealtypische Etikettierung von Soziolekten, die mit vielen Vorurteilen verknüpft ist. Der Arzt sollte sich in angemessener Weise auf die Ausdrucksweise des Patienten einstellen.


Kommunikation, Gespräch:

  • Gesprächsrahmen: Einzel-, Gruppen-, Paargespräch
  • Gesprächsfunktion: Die Kommunikation ist das wichtigste Werkzeug des Arztes (daher: vor dem ersten Patientenkontakt diesen Abschnitt lesen); es dient u. a. der Orientierungsgewinnung, fungiert als Basis für die informierte Einwilligung des Patienten und fördert die Compliance des Patienten.
  • Gesprächsstruktur: symmetrisch (gleichrangige Partner, Koordination) oder asymmetrisch (Subordination; Abhängigkeitsgefälle, Machtgefälle, Kompetenzgefälle, soziales Gefälle); eine symmetrische Kommunikation ist anzustreben, Asymmetrie zu vermeiden. Hierbei ist es nützlich, typische, z. T. unbewusst ablaufende Asymmetrie-fördernde Kommunikationsstile zu kennen, um sie gegebenenfalls abstellen zu können; derartige Asymmetrie-fördernde Kommunikationsstile sind...
    • Übergehen von Fragen, Nichtbeachten von Initiativen seitens des Patienten,
    • unvermittelter Adressatenwechsel oder Themenwechsel,
    • Wechsel von der Informations- auf die Beziehungsebene,
    • Suggestivfragen,
    • Mitteilung funktionaler Unsicherheit ("Ich kann Ihnen noch nichts Genaueres sagen...").
Aspekte asymmetrischer Kommunikation
Abhängigkeitsgefälle Für den Arzt ist der Arzt-Patienten-Kontakt Routine, für den Patienten etwas Außergewöhnliches.
Kompetenzgefälle ("Expertenmacht") Der Arzt ist im Gegensatz zum Patienten der Experte (allerdings kann sich auch der Patient immer besser informieren [Bücher, Internet]).
Machtgefälle ("Steuerungsmacht") Der Arzt kann in bestimmten Fällen gegen den Willen des Patienten entscheiden (z. B. Einweisung in die Psychiatrie bei Psychose) und hat weitere Befugnisse (z. B. Feststellung der Arbeitsfähigkeit).
Soziales Gefälle Oft ist der Arzt hinsichtlich Bildung, Beruf(sprestige) und Einkommen dem Patienten höhergestellt.


Merke: Im Arzt-Patienten-Gespräch ist Symmetrie (Koordination) anzustreben, asymmetrische Gesprächstaktiken (oftmals unbewusst angewandt) sind möglichst zu erkennen und zu vermeiden.


 
Typen interpersonaler Interaktion. 1: pseudokontingente Interaktion (die Gesprächspartner reden aneinander vorbei), 2: asymmetrische Kontingenz (ein Gesprächspartner handelt gemäß einem Ziel, der andere reagiert lediglich), 3: reaktive Kontingenz (spontane, emotionale Unterhaltung), 4: wechselseitige Kontingenz (beide Gesprächspartner handeln gemäß einem gemeinsamen Ziel).
  • Formen der Kommunikation:
    • verbal, paraverbal (Stimme, Tonlage, Rhythmus etc.), nonverbal (visuell, taktil, olfaktorisch, gustatorisch, akustisch etc.)
    • persönlich oder medial
    • mündlich oder schriftlich
    • direkt oder indirekt, d. h. Intentionen werden mit Intentions-typischen bzw. -untypischen Sprechhandlungen realisiert (eine Intentions-untypische Sprechhandlung wäre etwa eine Frage ["Kann ich den Zettel haben?"], wenn man einen Appell intendiert hat ["Gib mir bitte den Zettel!"])
    • direktiv oder nondirektiv (= die Thematik und den Gesprächsverlauf steuernd bzw. nicht steuernd)
    • immer gleichzeitig auf mehreren Ebenen (gemäß SCHULZ VON THUN hat eine Botschaft vier [je nach Botschaft unterschiedlich gewichtete] Dimensionen: Beziehung, Selbstdarstellung, Information, Appell)
    • auf Objektebene (= Sprechen über Dinge und Sachverhalte in der Welt) oder Metaebene (= Sprechen über die Kommunikationssituation)
    • Kontingenz: pseudo-, asymmetrisch-, relativ-, wechselseitig (Typen interpersoneller Interaktion nach JONES und GERARD)
      • Pseudokontingente Interaktion: Aneinander-Vorbeireden, jeder verfolgt nur seine persönlichen Gesprächsziele und geht nicht auf den Partner ein.
      • Asymmetrische Kontingenz/Interaktion: der eine Gesprächspartner handelt gemäß seinen Gesprächszielen, der andere reagiert nur.
      • Reaktive Kontingenz/Interaktion: keiner der Gesprächspartner handelt nach Zielen, die Unterhaltung erfolgt spontan und emotional ("Small Talk").
      • Wechselseitige Kontingenz ("totale Interaktion"): hier erfolgt ein echter Beziehungsaustausch; beide Gesprächspartner verfolgen ein gemeinsames Ziel und sind bemüht, auf der Basis alterozentrierten Verhaltens gemeinsam ein Problem zu lösen oder Ansichten zu ändern.
      Thesen von WATZLAWICK:
      • "Man kann nicht nicht kommunizieren": auch wenn man sich der Kommunikation verweigert, teilt man durch eben dieses Verweigern etwas mit (d. h. kommuniziert).
      • Jede Kommunikation läuft immer zugleich auf der Inhaltsebene (sachlich) und der Beziehungsebene (emotional) ab.
      • Unterschiedliche Interpunktion: jeder nimmt seine eigenen Sprechhandlungen als Reaktionen wahr.
      • Jede verbale Kommunikation zwischen Menschen enthält digitale (verbale) und analoge (paraverbale, nonverbale) Anteile.
      • Symmetrie herrscht bei Gleichheit der Gesprächspartner, Komplementarität bei Ungleichheit.
  • Kommunikationsprobleme in der Arzt-Patient-Beziehung:
    • Übertragung (positiv, negetaiv, ambivalent) und Gegenübertragung: der Patient sieht im Arzt eine frühere Bezugsperson, der Arzt reagiert entsprechend; beide sind in der Arzt-Patient-Beziehung störend (vgl. psychoanalytische Psychotherapie: hier erwünscht).
    • Kollusion (gemeinsame Illusion): Teufelskreis aus neurotischer Erwartung (seitens des Patienten) und Illusion (seitens des Arztes)
    • Doppelbindung (double bind, Beziehungsfalle): Inhaltsaspekt und Beziehungsaspekt einer bestimmten Botschaft sind miteinander unvereinbar; aufgrund enger emotionaler Beziehung zum Sender kann der Adressat dies jedoch nicht auf metakommunikativer Ebene klären. Doppelbindung spielt möglicherweise eine Rolle bei der Pathogenese der Schizophrenie.
    • Paradoxe Kommunikation: bei paradoxen Appellen soll die betreffende Person dem Appell zugleich nachkommen und nicht nachkommen (z. B. "Sei doch mal spontan!" → die Person kann diesem Appell in keinem Fall nachkommen, denn auch wenn sie sich spontan verhält, handelt sie nicht spontan, weil sie ja dadurch dem Appell gehorcht)
    • Misstrauen des Patienten (→ auf Metaebene ansprechen!); Praxis: Prinzipien der Gesprächspsychotherapie anwenden (Empathie, Wertschätzung, Echtheit, Transparenz)


Merke: Folgende Einsichten sind für eine verbesserte Kommunikation hilfreich:

  1. Verbale Kommunikation läuft gleichzeitig auf verbaler und para- oder nonverbaler Ebene ab. Die para- und nonverbalen Anteile sind für die Wirkung dabei oftmals entscheidender als die verbalen Anteile.
  2. Kommunikation kann direkt (Sprechhandlung entspricht der zugrundeliegenden Intention) oder indirekt (Sprechhandlung entspricht nicht der Intention) geschehen. Für eine kongruente Kommunikation ist die direkte Form vorzuziehen.
  3. Eine Botschaft enthält immer Botschaften auf vier Ebenen zugleich: Information, Beziehung, Selbstdarstellung, Appell.
  4. Es gibt eine Objektebene (Sprechen über Welt) und eine Metaebene (Sprechen über Sprache). Um Gesprächsstörungen zu beheben, ist es oft hilfreich, auf die Metaebene zu wechseln.


Weblinks:   Bernstein-Hypothese,   Kommunikation,   Subordination,   Asymmetrie,   Metasprache,   Schulz von Thun,   interpersonelle Interaktion,   Paul Watzlawick,   Kollusion (Psychologie),   Doppelbindungstheorie,   Paradoxe Kommunikation,   Klientenzentrierte Psychotherapie


Selbsttest:

  1. Welche Aussage ist im RC formuliert, welche im EC: Aussage 1: "Als er auf die Bananenschale trat, rutschte er zunächst einige Meter und fiel dann rücklings auf den Boden."; Aussage 2: "Er tritt auf die Banane, dann hui und pflaaatsch."
  2. In welcherlei Hinsicht bestehen zwischen Arzt und Patient Asymmetrien?
  3. An welchen Stellen im Anamnesegespräch ist direktive Kommunikation angebracht, an welchen Stellen nondirektive Kommunikation?
  4. Geben Sie ein Beispiel für eine auf der Metaebene angesiedelte Aussage!
  5. "Man kann nicht nicht kommunizieren." – Was bedeutet dies?
  6. Nennen Sie ein Beispiel für indirekte Kommunikation!
  7. Welche Teilbotschaften sind in einer Botschaft immer enthalten (wenn auch in unterschiedlichem Maß)?
  8. Was ist Übertragung?
  9. Was ist eine Kollusion?
  10. Geben Sie ein Beispiel für Doppelbindung!
  11. Was ist an paradoxen Appellen paradox?



Besonderheiten der Kommunikation und Kooperation

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Kooperationsformen:

  • Zwischen Arzt und Patient:
    • Aktiv (vs. passiv): der Patient arbeitet mit (wertvoll für Anamnese, Diagnostik, Therapie); eine aktive Arzt-Patienten-Kooperation lässt sich u. a. durch nondirektive Gesprächsführung erreichen; allerdings kann passives Verhalten bei manchen Therapien günstiger sein.
    • Autonom (vs. heteronom): der Patient ergreift die Initivative und wird von sich aus aktiv.
    • Compliant (vs. noncompliant): der Patient befolgt die Anweisungen/Empfehlungen des Arztes; für "Compliance" wird zunehmend der Begriff "Adherence" gebraucht.
  • Zwischen Ärzten untereinander:
    • Technikorientiert (z. B. Praxis eines Röntgenarztes)
    • Patientenorientiert (beim Allgemeinmediziner üblich)

Compliance und Noncompliance:

  • Geringe Compliance senkt den Nutzwert einer Maßnahme (Nutzwert = Compliance x Wirksamkeit); "intelligente Noncompliance": bei oberflächlicher Betrachtung vernünftige Noncompliance, die sich bei tiefgründigerer Betrachtung oftmals als ziemlich unintelligent herausstellt (z. B. Absetzen von Antidepressiva nach fünf Tagen, weil UAW, aber noch keine Wirkungen auftreten; jedoch setzt die Wirkung von Antidepressiva erst frühestens nach zwei Wochen ein) → bei Unwirksamkeit immer zuerst Compliance erfragen.
  • Einflüsse auf die Compliance:
    • Patient und sein soziales Umfeld,
    • Art und Komplexität der Erkrankung,
    • Art der Behandlung (Ausmaß von Transparenz, Betreuung, Zufriedenheit mit Arzt-Patient-Beziehung etc.)
    • Etc.
  • Compliance fördern: erforderliches Wissen und Können des Patienten sicherstellen bzw. Behandlungsregime vereinfachen, Motivation des Patienten fördern

Besondere Anforderungen:

  • Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden
  • Mitteilung ungünstiger Diagnosen (im Aufklärungsgespräch: den Patienten schrittweise informieren, sich dabei am Patienten orientieren, offen kommunizieren)
  • Umgang mit Kindern: Kind immer ernst nehmen, Informationen kindgerecht darstellen, angstreduzierende Maßnahmen einsetzen; viel Empathie erforderlich; bei kleineren Kindern immer die Eltern mit einbeziehen.

Störungen:

  • Organisatorische und rechtliche Rahmenbedingungen (Zeitdruck, Honorarsystem etc.)
  • Beurteilungsfehler und systematische Verzerrungen (auf Seiten des Arztes)
  • ablehnende Kranke (kann beim Arzt zu Reaktanz [= innerer Widerstand gegen Einschränkung eigener Freiheiten] führen)
  • Erwartungsenttäuschung


Merke: Compliance ist für den Erfolg einer Maßnahme ("Nutzwert") enorm wichtig und wird von Patienten-, Krankheits- oder Behandlungs-spezifischen Faktoren beeinflusst. Sie lässt sich steigern, indem man den Patienten motiviert oder die Maßnahme für den Patienten handhabbarer macht (durch Wissensvermittlung oder Vereinfachung der Maßnahme).


Weblinks:   Kooperation,   Compliance,   Reaktanz,   Erwartungsenttäuschung


Selbsttest:

  1. Welche Formen der Arzt-Patienten-Kooperationen gibt es?
  2. Wodurch wird die Compliance des Patienten beeinflusst?
  3. Äußern Sie sich kritisch zum Begriff "intelligente Noncompliance"!
  4. Was versteht man unter Reaktanz?



Zusammenfassung

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Der Arztberuf – eine Profession, wenngleich Entprofessionalisierungstendenzen immer stärker zutage treten – unterliegt staatlichen Regelungen unter anderem durch Approbations- und Berufsordnungen. Der organisatorische Kontext des Arztberufs wird im Wesentlichen von Krankenkassen, kassenärztlichen Vereinigungen und Ärztekammern geprägt. Die Ärztekammern (Bundesärztekammer, Landesärztekammern) regeln und überwachen die Berufspflichten eines Arztes. Krankenkassen und kassenärztliche Vereinigungen legen gemeinsam fest, welcher Arzt ein Vertragsarzt wird. Die kassenärztlichen Vereinigungen besitzen zudem weitere regulationsbezogene Verpflichtungen und Funktionen.

Die Arzt-Patient-Beziehung spielt sich in einem sozialen, politischen und ökonomischen Kontext ab. An die Konstituenten dieser Beziehung, also Arzt und Patient, werden daher unterschiedliche Ansprüche und Erwartungen herangetragen. Vom Kranken wird etwa erwartet, dass er gesund werden will und zu diesem Zweck mit Ärzten zusammenarbeitet; auf der anderen Seite wird er von bestimmten Rollenverpflichtungen (z. B. Berufsrolle) entlastet. Insgesamt ist die Krankenrolle einerseits durch Belastungen, andererseits durch positive Konsequenzen (z. B. sekundärer Krankheitsgewinn) charakterisiert. Die Arztrolle ist durch fünf entscheidende Erwartungen geprägt: funktionelle Spezifität, affektive Neutralität, Universalismus, Kollektivitätsorientierung und die Pflicht, Leben zu erhalten. Der Arzt wird vom Sozialgesetzbuch zur Effizienz seiner Leistungen angehalten und über Honorarsysteme entlohnt. Der Arztberuf ist ein recht harter und mit vielen gesundheitlichen Risiken verbundener Beruf, unter anderem auch deswegen, weil das Betätigungsfeld des Artzes durch viele (ethische, soziale etc.) Konfliktsituationen geprägt ist. Krankheiten, Sucht und Suizid kommen bei Ärzten daher häufiger vor als bei vielen anderen Berufsgruppen.

Die Arzt-Patient-Beziehung lässt sich auf unterschiedliche Weise gestalten. Als Ideal gilt das partnerschaftliche Modell, bei dem der Patient durch Empowerment befähigt wird, in Abstimmung mit dem Arzt wesentliche Aspekte seines Behandlungsplans mitzubestimmen. Um die Arzt-Patient-Beziehung sinnvoll zu gestalten, sollte sich der Arzt auf den Sprachcode des Patienten einstellen und wesentliche kommunikative Aspekte bedenken – so etwa die Tatsache, dass eine Botschaft immer gleichzeitig mehrere Dimensionen umfasst (Information, Beziehung, Selbstdarstellung, Appell), der Verlauf von Gesprächen arzt- oder patientenzentriert gestaltet werden kann (direktiv oder nondirektiv) und Kommunikation auf unterschiedlichen Ebenen abspielen kann (Objektebene, Metaebene). Gerade das Wechseln auf die Metaebene ist geeignet, Kommunikationsstörungen wie Übertragung, Kollusion, Doppelbindung, paradoxe Kommunikation oder Misstrauen seitens des Patienten anzusprechen und so zu beheben.

Weitere Schwierigkeiten innerhalb der Arzt-Patienten-Beziehung sind Noncompliance und andere Probleme wie Wahrnehmungsverzerrungen oder ablehnende Kranke, auf die der Arzt häufig mit Reaktanz reagiert. Die Mitteilung ungünstiger Diagnosen sowie der Umgang mit Kindern stellen weitere Herausforderungen dar.


Wichtige Prüfungsthemen (alphabetisch geordnet, näher erläutert im Glossar): Arztrolle, Compliance, direktive und nondirektive Kommunikation, Krankenrolle, Partnerschaftliches Modell der Arzt-Patient-Beziehung, Reaktanz