Zur Psychologie des Heimwehs: Anhang und Literatur


7. Anhang und Literatur Bearbeiten

7.1. Das Interview Bearbeiten

1 Susanne (23 Jahre) Datum: 14.12.93 Dauer: 34 Minuten
2
3 F(rage): Zuerst interessiert mich Dein Lebenslauf, d.h., wo Du geboren
4 bist, wann und ob in Deinem Lebenslauf irgendwo ein Punkt war, der
5 mit der Problematik (Heimweh) etwas zu tun hat, dass da irgendwo ein
6 Bruch war...
7
8 A(ntwort): Da habe ich noch nicht drüber nachgedacht. Also, wann ich
9 geboren bin (...) 1970 im Juli in Bielefeld. Acht Kilometer von
10 Bielefeld weg, also mehr in einem Dorf, dort habe ich auch immer
11 gewohnt, die ganze Zeit. Im Haus, welches meine Eltern dort gebaut
12 haben, ich weiß nicht, ob da irgend wann...(Spontan:) Ich hatte immer
13 schon Heimweh, also z.B., wohnte meine beste Freundin, ich weiß
14 nicht, wie alt war ich da, das kann sein, dass das noch vor der Schule
15 gewesen ist sogar, keine Ahnung, oder während der Grundschulzeit
16 (...). Jedenfalls wohnt die schräg gegenüber, also nur über so eine
17 Spielstraße drüber, in einem Haus wohnte die, und da war ich auch
18 ständig, und habe ich bei der irgendwann mal übernachtet und dann
19 mußte mich der Vater mal tatsächlich nachts wieder nach Hause
20 bringen, weil ich es nicht ausgehalten habe. Also anscheinend war das
21 immer schon so drin; obwohl ich auch öfter mal weg war, bei
22 Verwandten, wo ich dann gleichaltrige Cousinen oder Cousins hatte,
23 die auch alle so 100 Kilometer weiter weg wohnten und die ich nicht
24 so häufig gesehen habe, also garnicht so toll kannte, und das ging
25 eigentlich gut.
26 Das einschneidenste Erlebnis jedenfalls, wo ich bemerkt habe, ich
27 habe wirklich Heimweh, während ich dieses andere da, als ich bei
28 meiner Freundin da gepennt habe, das kann man ja noch als normal
29 betrachten, da war ich ja noch klein. obwohl andere Kinder das
30 vielleicht... nicht jedes Kind das vielleicht hat.
31 Aber das, was wirklich schlimm war, da war ich, ich schätze 17, da
32 war ich in Frankreich, in Grenoble und zwar war das so, dass meine
33 Eltern, also Freunde von meinen Eltern, die haben dort Verwandte, die
34 Schwester von dem Mann, die wohnt da mit ihrer Familie in Grenoble
35 und die setzt sich dort immer sehr für Schüleraustausch und so etwas
36 ein und dann hatten wir irgendwann Osterferien und die Tochter (...)
37 von unseren Bekannten, die war fünf Jahre jünger als ich, also
38 vielleicht so 12, die wollte halt da hinfahren zu ihrer Tante und
39 Verwandten nach Grenoble und ich hatte irgendwie die Idee, auch mal
40 drei Wochen (in) eine Familie dort zu kommen; und dann hat das aber
41 nicht so richtig geklappt, und da hat diese Tante (...) mich aber
42 trotzdem mit eingeladen zu kommen. Dann war ich da, und dann
43 haben wir da noch nach einer Familie gesucht und dann auch
44 gefunden: Also eine Familie mit zwei kleine Kindern, auch in
45 Grenoble, bei denen ich dann auch zwei Wochen sein sollte. Und da
46 war ich dann und habe echt so richtige Heimweh-Attacken gekriegt:
47 Also, da habe ich echt fast die ganze Zeit auf dem Klo verbracht und
48 geheult. Das war ganz schlimm, ich habe auch nachts ganz schlecht
49 geträumt. Es ist so ein Gefühl, das bahnt sich so leise an, man kommt
50 da hin und denkt erst: Ja, ist ja klar, dass du dich nicht so super toll
51 fühlst, du kennst die ja alle noch nicht, und dann sind die aber auch
52 total nett und so, aber irgendwann ist so der Bann gebrochen und man
53 kann irgendwie nicht mehr anders, als sich schlecht (zu) fühlen.
54 Obwohl die total nett sind und das nicht an denen liegt, oder so,
55 überhaupt nicht, aber es ist halt ein totales
56 VERLASSENHEITSGEFÜHL, glaube ich. (Pause) Und es ist ganz
57 schwer, da wieder zu sich zu kommen. (Pause)
58 Und dann irgendwann, ich schätze, das war ein Wochenende, und
59 dann ein paar Tage später habe ich die Astrid, die ist eine Bekannte,
60 die da bei ihrer Tante noch war, so wieder getroffen, dann ging das
61 langsam auch. Irgendwann geht's dann wieder, aber dieser Anfang war
62 echt schlimm. Also, ich fand es wirklich richtig schrecklich. Das war
63 für mich hinterher immer ein Grund zu sagen: "Oh Gott, geh' bloß
64 nicht irgendwann noch mal allein ins Ausland, du schaffst das einfach
65 garnicht." Dieses Heimwehgefühl, das ist so wirklich schlimm. Und
66 z.B. nach dem Abitur, habe ich immer überlegt: was soll ich machen?
67 (Ich) wußte überhaupt noch nicht genau, was ich jetzt weiter machen
68 wollte und meine Eltern haben immer sehr das unterstützt, dass ich
69 vielleicht ein Jahr Au-pair mache oder so... in Frankreich. Aber ich
70 habe das deswegen mich auch nicht getraut. Einfach, weil ich dachte...
71 ich wußte zwar, das geht dann irgendwann wieder weg, aber ich
72 dachte: Die erste Woche, die ist dann so hart, das will ich mir nicht
73 zumuten. Dazu muß ich sagen, dass ich eigentlich nicht glaube, dass ich
74 so ein Typ bin, wo man normalerweise sagen würde: Klar, der hat ja
75 Heimweh. Weil ich erstens nicht so eine tolle Bindung zu meinen
76 Eltern hatte, sondern immer sehr viel Krach mit denen, also nicht, dass
77 man sagen könnte, ich bin von (daher) verwöhnt, oder verhätschelt
78 oder habe immer schon am Rockzipfel meiner Mutter gehangen, das
79 stimmt irgendwie nicht. Außerdem würde ich mich sehr als
80 kontaktfreudig einschätzen, ich würde immer schnell Kontakt kriegen,
81 daran liegt es irgendwie nicht, ich habe auch keine schlechten
82 Erfahrungen gemacht, dass diese Familie in Frankreich jetzt gemein zu
83 mir gewesen wäre. Irgend etwas, so dass ich mich nicht da hatte
84 wohlfühlen können, nicht richtig angenommen oder so. Also, das ist
85 halt trotzdem total... so eine Sache die man einfach rational nicht
86 beeinflussen kann. Und dann bin ich halt nach Köln gekommen, nach
87 dem Abitur, zum Studieren und war dann da und da waren dann
88 wieder wirklich ähnliche Symptome wie in Grenoble, obwohl das total
89 hohl war. Ich weiß selber, dass es total bescheuert ist, dass ich
90 überhaupt keinen Grund hatte, weil ich kannte hier zwar fast keinen,
91 aber immerhin doch eine Frau, die ich auf der Eignungsprüfung für
92 Musik schon kennen gelernt hatte und die ich direkt, als ich hierhin
93 kam, am ersten Tag angerufen hatte. Also, dann war ja schon der erste
94 Uni-tag und wir sind auch immer zusammen 'rumgezogen, noch eine
95 Dritte dabei, und ich weiß nur noch, dass ich in den ersten zwei Tagen,
96 oder am ersten Tag wirklich wie bescheuert hinter denen her gerannt
97 bin, durch die Bibliotheken und so, die haben sich alles angeguckt und
98 (ich) total weg war, also mir ging es einfach nur total schlecht... vor
99 Heimweh.
100 Obwohl ich wußte: ich bin in viereinhalb Tagen schon wieder zu
101 Hause, außerdem bin ich nicht in einem anderen Land und ich bin nur
102 200 Kilometer von zu Hause weg und das war auch nicht so nach
103 meinen Eltern unbedingt, aber einfach, glaube ich, dass man sich dann
104 so verlassen fühlt. Total bekloppt, aber ich...
105 F.: Einsamkeit...
106 A.: Ja, obwohl es aber eigentlich auch nicht so war, weil ich hatte schon
107 jemand. (...) An einem Tag wirklich da wollte ich mich zur Uni
108 schleppen und da wohnte ich an der Subbelrather Straße, (ich) war
109 dann auf dem Weg zur Bahn, zum Gürtel, (lachend) und dann wirklich
110 so auf halber Strecke konnte ich echt nicht mehr. Ich hatte auch solche
111 Magenschmerzen, ich konnte auch nichts mehr essen, ich habe mich
112 dann da irgendwie auf die (gezwungener lachend) Straße gesetzt, auf
113 den Bürgersteig, weil es mir so schlecht ging. Und dann (...) bin ich
114 wieder nach Hause gegangen, habe mich echt ins Bett gelegt, und ich
115 konnte vor lauter Heimweh nichts essen. Und zum Glück war dann
116 gerade ein sehr guter Freund, also ein total lustiger Mensch so, war
117 dann gerade, der ist Elektriker, der war gerade auf Montage in Köln
118 und der hat mich dann abends besucht und der hat auch, ich weiß
119 nicht, zwei Stunden bestimmt gebraucht, bis ich das erste essen
120 konnte, also immerhin noch trotzdem. Ja, und als ich dann das erste
121 Wochenende zu Hause war, da bin ich auch fast wieder in Tränen...
122 oder bin ich in Tränen ausgebrochen, sobald jemand das Wort "Köln"
123 in den Mund genommen hat, (lachend) total ätzend. Ja, aber dann
124 irgendwann hat sich das natürlich verloren... Doch das Doofe ist, nur
125 was mich auch immer verwundert, ist, dass es anscheinend..., ich weiß
126 nicht, ich kann mir vorstellen, dass es auch nicht unbedingt besser
127 wird. Also, dass es immer wieder kommen würde, in so Situationen.
128 Ich weiß es nicht. Andererseits kann ich mir jetzt vorstellen, klar, dass
129 es doch besser (wird), weil ich habe einfach auch jetzt (...) hier in Köln
130 die vier Jahre, die ich hier wohne, viel mehr erlebt, als ich vorher
131 erlebt hatte, aber ich kann mir vorstellen, dass es doch immer wieder
132 kommt und wirklich... Das Schlimme ist wirklich, dass man da einfach
133 nichts gegen machen kann. Auch nicht mit guten Worten und mit
134 irgendwie... sich zu überlegen, dass es völlig unlogisch ist, sich jetzt
135 hier so aufzuregen oder..., ich weiß nicht. Es ist halt wie so eine Sucht
136 oder eine Krankheit. Sucht ist vielleicht nicht das richtige Wort, weil
137 man sucht es ja nicht, aber wie etwas, was über einen kommt. Mehr
138 weiß ich auch garnicht dazu zu erzählen. (Pause)
139
140 F.: Ich habe von einer Untersuchung gehört, wo Menschen behauptet
141 haben, dass sie sich, wenn sie Heimweh haben, wärmer anziehen.
142 Wie gehst Du so im Alltag mit dem Gefühl um?
143
144 A.: Ich habe das nicht im Alltag. Also, das ist bei mir kein alltägliche
145 Sache. Es stellt sich auch nicht ein, wenn ich z.B. mit mehreren
146 Leuten eine Gruppenreise mache oder so etwas. Es muß meistens nur
147 ein Mensch dabei sein, mit dem man sich gut versteht, den man gut
148 kennt und mit dem man da wirklich zusammen auch ist und dann ist
149 das überhaupt kein Problem mehr. Ich habe das wirklich nur, wenn ich
150 irgendwie so alleine auf mich gestellt bin: Obwohl, diese Freundin, die
151 ich da jetzt (in Köln) schon vorher ein bißchen kannte, also das hat
152 dann anscheinend nicht ausgereicht, das muß schon ein engerer
153 Bekannter sein. (Pause) Aber im Alltag kenne ich das nicht. (Pause)
154 Ich bin ja jetzt... hier ist ja auch mein Heim, jetzt. Ich sehne mich halt
155 nicht nach meinen Eltern zurück, sondern nach etwas, wo ich alles
156 kenne, nach so einem Schutzraum, wahrscheinlich.
157 F.: ... nach Sicherheit...
158 A.: Ja. (Pause) oder z.B. kann ich mich daran erinnern, ich weiß jetzt
159 nicht, ob das Heimweh war oder etwas anderes, jedenfalls dass ich
160 irgendwann, so der letzte Urlaub, den ich mit meinen Eltern gemacht
161 habe, ich weiß auch nicht, wie alt ich da war, (...) vielleicht auch 17
162 (...). Jedenfalls waren wir da auch in Frankreich und ich weiß nur, dass
163 ich da wirklich auch mich total mies gefühlt habe, ich hatte überhaupt
164 keinen Bock mehr darauf, ich wollte irgendwie nach Hause,
165 unbedingt. Aber es war nicht nur so, dass ich gerne nach Hause wollte,
166 es war schon intensiver, aber ob man das hetzt Heimweh nennen kann,
167 weiß ich auch nicht. (Pause)
168
169 F.: Ich kenne jemanden, der sagt, Heimweh sei ein Gefühl stärker als
170 Liebe und Hass. (...)
171 Ist es für Dich ein starkes Gefühl oder stärkeres Gefühl?
172
173 A.: Als Liebe und Hass, oder stärker im Sinne von...
174 F.: ... als andere Gefühle, im Vergleich zu anderen.
175 A.: Es ist ein ganz außerordentlich und einzigartiges Gefühl, also, ich
176 könnte es nicht mit Liebe oder so etwas vergleichen, überhaupt nicht,
177 weil es halt auch diese körperlichen Symptome hat, dass einem total
178 schlecht wird, nee, (das) würde ich nicht mit Liebe vergleichen und
179 Hass habe ich in dem Sinne auch noch nicht erfahren. Es ist einfach
180 etwas ganz anderes, es ist ein bißchen wie Angst. Wenn man richtig
181 Angst hat, das geht auch in die Richtung. Aber irgendwie finde ich,
182 kann man das nicht mit diesen beiden anderen Gefühlen vergleichen
183 oder mit irgend etwas, es ist schon etwas Krankhaftes. Ich empfinde es
184 jedenfalls als unnormal, auf jeden Fall. Und ich kann es mir selbst
185 auch nicht erklären. Ich finde einfach keine Erklärung dafür, warum
186 ich so ein Gefühl haben müßte oder irgend etwas, was das
187 rechtfertigen würde. Ich finde es einfach nur ...ja, krankhaft. (Pause)
188 F.: Wenn du sagst krankhaft, dann müßtest du ja Mechanismen haben,
189 wie du damit umgehst.
190 Hast Du Dir ein Verhalten angeeignet, damit umzugehen?
191
192 A.: Ich muß dazu sagen, es ist ja auch sehr selten, (...) das war halt
193 dieses eine Mal, wo ich in Frankreich überhaupt darauf gekommen
194 bin. Dann in Köln habe ich es wohl nicht so erwartet und da war das
195 andere aber auch schon wieder so lange her, dass das auch für sich
196 stand. Und seitdem ist es so nicht mehr aufgetreten, einfach weil ich
197 auch in solchen Extremsituationen ja garnicht mehr bin, deswegen
198 kann ich nicht sagen, ich habe etwas, was ich dagegen machen kann.
199 Man kann halt nur versuche, es entweder zu überspielen,zu verdrängen
200 und so oder (zu) versuchen, sich rational... doch versuchen, das sich
201 mit dem Kopf klar zu machen, wie unsinnig das ist. Also z.B., war ich
202 jetzt letztes Jahr mit mehren Leuten mit einem Orchester wieder in
203 Frankreich und auch in Familien untergebracht, die ich auch schon
204 kannte. Als ich da abends ins Bett gegangen bin, hatte ich schon
205 wieder so ein ganz leichtes mulmiges Gefühl im Bauch, so wo sich...
206 so, was so in diese Kategorie rein gehört. Wo ich dann aber gesagt
207 habe: So jetzt schnell pennen und einfach nicht mehr dran denken.
208 Und das hat auch irgendwie funktioniert. Da fällt mir nämlich ein,
209 inzwischen war doch noch etwas, weil bevor ich nach Köln
210 gekommen bin, also so in der 12. Jahrgangsstufe, da macht man ja
211 immer diese Kursfahrten mit dem Leistungskurs. Ich war in La
212 Rochelle, in Frankreich, bei der Familie, wo ich letztes Jahr auch noch
213 einmal war und da hatte ich das auch ganz schlimm wieder. Wieder
214 das gleiche, wir sind da halt abgeliefert worden, die waren super nett,
215 alles total Klasse. Aber wir mußten das erste Wochenende alle allein
216 in unseren Familien verbringen. Und das fand ich wieder ganz doof,
217 also es war nicht mehr so schlimm, dass ich da wirklich ständig geheult
218 habe, aber ich habe mich echt total schlecht gefühlt. Und dann am
219 Montag (...) haben wir die ganzen anderen wieder getroffen, und ab da
220 war es wie weggeblasen. Also, dann konnte ich auch abends in der
221 Familie sein, ohne dass ich mich irgendwie unwohl gefühlt habe.
222 (Pause) Aber es ist immer wieder dasselbe, vielleicht kommt es ja
223 auch... vielleicht ist es ja auch Einbildung, so dass man sich denkt, man
224 weiß schon, wie man darauf reagiert und reagiert dann auch so, aber
225 ich glaube es eigentlich eher nicht, weil dafür ist das Gefühl zu stark,
226 als dass man sagen könnte, es ist so ein "Reinsteigern", das empfinde
227 ich eigentlich überhaupt nicht so. Also, es ist etwas ganz anderes, als
228 wenn man sich zum Beispiel in irgend eine Hysterie hineinsteigert, das
229 gibt es ja wirklich, dass man mal völlig sauer ist und dann auch
230 wirklich sich noch selber saurer macht, weil man das gerade so nötig
231 hat, aber damit ist das überhaupt nicht zu vergleichen, finde ich.
232 (Pause) Tja, und wie man das behandeln soll, weiß ich auch nicht,
233 keine Ahnung. Ich kann mir nur sagen: Eigentlich müßte ich (Lachen)
234 immer weiter so mich entwickeln, oder immer erwachsener werden,
235 oder wie immer man das auch blöd ausdrücken möchte und immer
236 selbständiger werden, vielleicht und im Zuge dessen auch immer
237 weniger Heimweh haben, also immer fähiger werden, irgend wohin
238 mal alleine wieder zu gehen, so für längere Zeit. Aber ich kann nicht
239 sagen, ob es so ist, ich würde es mir vielleicht jetzt eher zutrauen, ich
240 würde vielleicht sagen: Ich versuche es, aber ich wüßte andererseits
241 auch wieder genau, dass die ersten Tage wieder genau so werden
242 würden. Also, jedenfalls ging das für mich so weit, dass ich immer
243 deswegen diesen Wunsch, mal ein Jahr ins Ausland zu gehen, was ich
244 wirklich gerne machen würde, was auch viele Freunde von mir
245 gemacht haben. Meine beste Freundin z.B., die ist ständig in
246 Neuseeland oder in England, und ich beneide das dann immer total
247 aber ich weiß, ich kann das nicht machen. Ich finde das selber total
248 affig eigentlich, ich finde das total bescheuert, wenn man nicht so
249 unabhängig ist. Ja, aber (..) ich find es auch nicht so, dass ich... also ich
250 habe mich damit abgefunden. Ich empfinde das wirklich als etwas,
251 wofür ich nichts kann. Also, ich empfinde es jetzt nicht so, dass ich
252 sage: Mann, das muß ich jetzt unbedingt lernen; es ist so, wenn ich das
253 nicht mache, dann weiche ich dem aus. Wahrscheinlich ist das der
254 Punkt, (...) ich glaube auch, dass es immer so bleiben wird, dass es
255 einfach so in mir drin ist und ich kann da nichts daran machen und das
256 ist eben so, Pech gehabt. Und nicht so, als so eine Lernsache, die ich
257 mir selber mit Willen oder so etwas austreiben kann. (Pause) Das ist
258 wahrscheinlich ziemlich wichtig, dass man es selbst dann so sieht.
259 Aber ich meine, das kommt ja auch, weil das Gefühl ja so ist, weil
260 man wirklich einfach nichts dagegen machen kann. Weil es so
261 unbeeinflußbar ist; man ist da völlig machtlos und (sagt) deswegen:
262 Was soll man dagegen tun, wie soll man das lernen?
263 F.: Ausgeliefert sein...
264 (Pause)
265
266 F.: Das Gefühl Heimweh ist ja auch sehr stark in der Kindheit und zieht
267 sich dann über Jahre hinweg bis zum Erwachsensein.
268 Gibt es denn da Unterschiede, gibt es eine Entwicklung vom
269 Empfinden her, von den Mechanismen her, damit umzugehen?
270
271 A.: Ich weiß nicht, ich kann mich halt an das Heimweh, was ich als
272 Kind hatte, garnicht mehr so richtig erinnern, während mir das andere
273 Heimweh, dieses erwachsene Heimweh, oder wie ich das auch immer
274 nennen soll, also das ist mir wirklich eingegraben, das kann ich auch
275 beschreiben, das Gefühl. Das kann ich auch mir wieder bewußt
276 machen, wie ich mich da fühle und das andere, da kann ich irgendwie
277 nicht richtig was zu sagen.
278 (Längere Unterbrechung des Interviews wegen Rückfrage der Inter-
­279 viewpartnerin nach den Ursachen von Heimweh)
280
281 F.: Es steckt in dem Wort HEIMweh ja auch HEIMat drin.
282 Was fällt Dir den da spontan zu ein, was Heimat ist?
283
284 A.: Ich würde eher Heim sagen, nicht Heimat sondern Heim. Das ist
285 Zuhause, einfach. (Es muß) ja nicht das Elternhaus sein, aber da, wo
286 man sich heimisch fühlt. (...) Es drückt ja die Geborgenheit aus, wo
287 man sich sicher fühlt, wo man eben Zuhause ist. Das ist natürlich das
288 ganze Umfeld, damit sind nicht nur die Eltern gemeint, sondern die
289 ganzen Freunde, die man hat. Wahrscheinlich auch nicht nur spezielle
290 Freunde, sondern einfach so das bekannte Umfeld. (Pause) Also
291 Heimat ist, glaube ich, auch wieder abgeleitet. Ich wurde das erst
292 hauptsächlich auf Heim beziehen.

7.2 Literaturverzeichnis Bearbeiten

  • Bausinger Hermann: Heimat und Identität; in: Moosbach (Hrsg.): Heimat, Sehnsucht und Identität; Berlin 1980
  • Bausinger, Hermann: Auf dem Wege zu einem neuen, aktiven Heimatverständnis -Begriffsgeschichte als Problemgeschichte; in: Bürger im Staat, Jhrg.:1983 Heft 4, S.211-216
  • Böll, Heinrich: Stadt der alten Gesichter; in: Bienek (Hrsg.): Heimat; München, Wien 1985 Bowlby, John: Bindung; München, 1975; hier: Frankfurt am Main, 1984 Bowlby, John: Trennung; München, 1976; hier: Frankfurt am Main, 1986 Bredow, Wilfried von und Foltin, Hans-Friedrich: Zwiespältige Zufluchten. Zur Renaissance des Heimatgefühls; Bonn 1981 Brehm, Sharon, S.: Anwendung der Sozialpsychologie in der klinischen Praxis; Bern, Stuttgart, Wien, 1980
  • Brepohl, Wihelm: Die Heimat als Beziehungsfeld -Entwurf einer soziologischen Theorie der Heimat; in: Soziale Welt; Band 3 (1952), S.12-22
  • Brepohl, Wilhelm: Heimat und Heimatgesinnung als soziologische Begriffe und Wirklichkeiten; in: Rabl (Hrsg.), München 1959, S.13-27
  • Greverus, Ina-Maria: Heimweh und Tradition; in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 1965, Band 61, S. 1-31
  • Hegel, G.W.F.:Phänomenologie des Geistes;Bamberg und Würzburg, 1807 hier: Stuttgart, 1987
  • Krohne, Heinz W.: Theorien zur Angst; Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 19812
  • Krueger, Felix: Zur Philosophie und Psychologie der Ganzheit; in: Heuss E.; Berlin, 1953
  • Lamnek, Siegfried: Qualitative Sozialforschung; München, 1989; Band 2: Methoden und Techniken
  • Roth, Hans-Joachim: Wider den undifferenzierten Gebrauch des Heimatbegriffs in der interkulturellen Pädagogik; in: Informati­onszentrum für Ausländer (IZA) Jhrg.:1991 Heft 4, S.61-69