Zivilprozessrecht im 2. Staatsexamen: Prozessvergleich
Schließen die Parteien während des Rechtsstreits einen Vergleich, handelt es sich um einen sog. Prozessvergleich, der nach der herrschenden Theorie der Doppelnatur des Prozessvergleichs gleichzeitig materiellrechtlicher Vertrag gem. § 779 BGB und Prozesshandlung ist, durch die der Prozess beendet wird. Die Wirksamkeit beider Tatbestände ist aber voneinander abhängig.[1]
Voraussetzungen
BearbeitenDer Vergleich muss geschlossen werden
- vor einem deutschen Gericht (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), nicht aber zwingend vor dem Prozessgericht
- während eines anhängigen Prozesses, Prozesskostenhilfe- oder selbständigen Beweisverfahrens (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO)
- zwischen den Parteien, wobei Dritte aber zusätzlich beteiligt werden können
- über zumindest auch den Streitgegenstand
- im Wege beiderseitigen Nachgebens (§ 779 BGB)[2]
Prozessual muss
- die Form des § 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO (Protokollierung) oder des § 278 Abs. 6 ZPO (Schriftsatz) gewahrt sein[3]
- der Abschließende postulationsfähig sein (vgl. § 78 ZPO)
Materiell muss es sich um ein wirksames Rechtsgeschäft handeln. Die Wirksamkeit kann z.B. nachträglich wegen Anfechung wieder entfallen.
Häufig sehen Prozessvergleiche einen Widerrufsvorbehalt vor, der die Wirksamkeit im Regelfall unter eine aufschiebende Bedingung bis zum Ablauf der Widerrufsfrist stellt.[4] Ohne entgegenstehende Parteivereinbarung kann der Widerruf gegenüber der Gegenpartei oder dem Gericht erklärt werden.[5] Die Widerrufsfrist berechnet sich nach den §§ 186 ff. BGB, eine Fristverlängerung durch das Gericht oder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht möglich.[6]
Wirkungen des Prozessvergleichs
Bearbeiten- Durch die Protokollierung des Vergleichs wird der Rechtsstreit im Umfang des Vergleichs beendet. Die Rechtshängigkeit entfällt ohne eine gerichtliche Entscheidung[7]
- Hat der Vergleich einen vollstreckbaren Inhalt, ist er Vollstreckungstitel nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
- Der Vergleich entfaltet keine Rechtskraft,[8] eine weitere Klage über den Vergleichsgegenstand ist damit nicht unzulässig, sondern nur - die Wirksamkeit des Vergleichs vorausgesetzt - unbegründet
- Die materielle Wirkung bestimmt sich nach dem jeweiligen Vergleichsinhalt
Mängel des Prozessvergleichs
BearbeitenProzessual
BearbeitenGab es beim Vergleichsschluss prozessuale Fehler (z.B. fehlende Protokollierung, fehlende Postulationsfähigkeit), entfallen die prozessualen Wirkungen des Vergleichs. Der Rechtsstreit ist damit nicht beendet und der Vergleich nicht vollstreckbar.[9] Ob auch die materiellrechtliche Seite des Vergleichs von der Nichtigkeit erfasst wird, bestimmt sich nach dem mutmaßlichen Parteiwillen.[10] Im Zweifel ist analog § 139 BGB davon auszugehen, dass die Parteien auch die materielle Unwirksamkeit gewollt hätten.[11]
Materiellrechtlich
BearbeitenBei materiellrechtlichen Mängeln ist zu entscheiden. Entfällt wegen ihnen die Wirksamkeit des Vergleichs von Anfang an (z.B. wegen Anfechtung, Sittenwidrigkeit, fehlender Geschäftsfähigkeit, Ausübung eines Widerrufsrechts) besteht auch dessen prozessuale Wirkung nicht.[12] Folge ist, dass der Prozess noch nicht beendet ist und fortgesetzt wird.
Entfällt die Wirksamkeit des Vergleichs hingegen wegen nachträglicher Rechtsgestaltung durch die Parteien, z.B. durch einen Aufhebungsvertrag oder einen Rücktritt, bleibt die prozessbeendende Wirkung bestehen. Eventuelle Folgestreitigkeiten entstammen nicht mehr dem ursprünglich durch den Vergleich geregelten Rechtsverhältnis, sondern dem Vergleich selbst und müssen separat gerichtlich ausgefochten werden.[13]
Gerichtliche Geltendmachung von Mängeln
BearbeitenFortsetzung des Ursprungsverfahrens
BearbeitenWird die Wirksamkeit des Vergleichs aus einem Grund infrage gestellt, der die prozessbeendende Wirkung entfallen ließe (s.o.) entscheidet das Gericht im Ursprungsprozess darüber, ob der Rechtsstreit beendet ist.[14] Die Partei, die sich auf die Unwirksamkeit beruft, muss hierzu einen Antrag auf Anberaumung eines Termins stellen. Hält das Gericht den Vergleich für wirksam und den Prozess damit beendet, tenoriert es als Prozessurteil die Feststellung, dass der Rechtsstreit "beendet" oder "durch den Vergleich erledigt" ist.[15] Die Rechtskraft dieser Entscheidung umfasst auch die materiellrechtliche Wirksamkeit des Vergleichs.[16] Die Darlegungs- und Beweislast trifft die Partei, die sich auf die Unwirksamkeit des Vergleichs beruft.[17]
Hält das Gericht den Vergleich für unwirksam, setzt es den Rechtsstreit normal fort und entscheidet über die Anträge.[18]
Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung
BearbeitenBei prozessualen Mängeln des Vergleichs darf die Vollstreckungsklausel nicht erteilt werden, Rechtsbehelf ist die Klauselerinnerung nach § 732 ZPO.[19]
Bei materiellen Mängeln kann die Klausel hingegen erteilt werden, weil materielle Fragen nicht Teil des Prüfungsprogramm des die Klausel erteilenden Organs sind. Rechtsbehelf ist in diesem Fall die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO.[20]
Literatur
Bearbeiten- Schultheiß: Der Prozessvergleich – typische Fallkonstellationen im Assessorexamen, JuS 2015, 318
- Huber: Grundwissen – Zivilprozessrecht: Prozessvergleich, JuS 2017, 1058
Fußnoten
Bearbeiten- ↑ MüKo BGB-Habersack, 6. Aufl. 2013, § 779 Rn. 71
- ↑ Gibt nur eine Seite nach, liegt kein Vergleich, sondern ein Anerkenntnis oder Verzicht vor. Es genügt aber bereits für ein Nachgeben, wenn eine Partei nur auf die Fortführung des Prozesses und damit auf ein rechtskräftiges Urteil verzichtet.
- ↑ Gem. § 127a BGB ersetzt die Protokollierung auch eine evtl. vorgeschriebene notarielle Beurkundung, ob dasselbe auch für den schriftsätzlichen Vergleich gilt ist bisher nicht höchstrichterlich geklärt, vgl. BeckOK BGB-Fischer, Stand 1.2.2014, § 779 Rn. 75
- ↑ BeckOK BGB-Fischer, Stand 1.2.2014, § 779 Rn. 89; MüKo BGB-Habersack, 6. Aufl. 2013, § 779 Rn. 82
- ↑ MüKo BGB-Habersack, 6. Aufl. 2013, § 779 Rn. 83
- ↑ MüKo BGB-Habersack, 6. Aufl. 2013, § 779 Rn. 84
- ↑ MüKo BGB-Habersack, 6. Aufl. 2013, § 779 Rn. 79
- ↑ BeckOK BGB-Fischer, Stand 1.2.2014, § 779 Rn. 72
- ↑ MüKo BGB-Habersack, 6. Aufl. 2013, § 779 Rn. 87
- ↑ BeckOK BGB-Fischer, Stand 1.2.2014, § 779 Rn. 85
- ↑ MüKo BGB-Habersack, 6. Aufl. 2013, § 779 Rn. 87
- ↑ BeckOK BGB-Fischer, Stand 1.2.2014, § 779 Rn. 86
- ↑ MüKo BGB-Habersack, 6. Aufl. 2013, § 779 Rn. 91
- ↑ Palandt-Sprau, 73. Aufl. 2014, § 779 Rn. 31
- ↑ MüKo BGB-Habersack, 6. Aufl. 2013, § 779 Rn. 94
- ↑ Palandt-Sprau, 73. Aufl. 2014, § 779 Rn. 31
- ↑ BeckOK BGB-Fischer, Stand 1.2.2014, § 779 Rn. 100
- ↑ MüKo BGB-Habersack, 6. Aufl. 2013, § 779 Rn. 95
- ↑ MüKo BGB-Habersack, 6. Aufl. 2013, § 779 Rn. 88
- ↑ BeckOK BGB-Fischer, Stand 1.2.2014, § 779 Rn. 98