Zivilprozessrecht im 2. Staatsexamen: Die Prozessaufrechnung


Mit der Erklärung der Aufrechnung nach § 389 BGB kann auch im Prozess noch eine eigentlich begründete Klageforderung zum Erlöschen gebracht werden. Nach der herrschenden materiellrechtlichen Theorie ist die im Prozess erklärte Aufrechnung ein Doppeltatbestand aus Rechtsgeschäft und Prozesshandlung.

Materiellrechtliche Voraussetzungen der Aufrechnung

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1. Aufrechnungslage

  • Gegenseitige Forderung (= identische Parteien)
  • Gleichartigkeit der Forderungen (v.a. Geld gegen Geld)
  • Durchsetzbarkeit der Gegenforderung (=einredefrei, beachte § 215 BGB)
  • Erfüllbarkeit der Hauptforderung (= Aufrechnender muss Leistung bewirken dürfen)

2. Aufrechnungserklärung

  • grundsätzlich bedingungsfeindlich. Bei der Hilfsaufrechnung liegt jedoch eine zulässige, weil innerprozessuale Bedingung vor.

3. kein Ausschluss der Aufrechnung (vertraglich oder § 393, § 394 BGB)

Haupt- und Hilfsaufrechnung

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Die Aufrechnung kann unbedingt (Haupt- oder Primäraufrechnung) erklärt werden, aber auch hilfsweise, für den Fall, dass die Klageforderung ganz oder zum Teil begründet ist.

Hauptaufrechnung

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Eine Hauptaufrechnung liegt vor, wenn der Beklagte das tatsächliche Vorbringen der Klägerin nicht bestreitet, aber die Aufrechnung erklärt. Auch wenn der Beklagte lediglich die rechtliche Bewertung des Klagebegehrens bestreitet und "vorsorglich" die Aufrechnung erklärt, liegt eine Primäraufrechnung vor. Der Tatsachenvortrag des Klägers zur Klageforderung gilt damit als zugestanden, § 288 ZPO, die rechtliche Würdigung der Hauptforderung muss das Gericht ohnehin von Amts wegen vornehmen.

Ist die Klageforderung ganz oder teilweise durch Aufrechnung erloschen, wird die Klage ganz oder teilweise abgewiesen. Die Erklärung der Primäraufrechnung hat keine Auswirkungen auf den Streitwert und damit auch die Kostenentscheidung. § 45 Abs. 3 GKG umfasst diesen Fall nicht.

Tatbestand

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Die Aufrechnung wird im streitigen Beklagtenvortrag dargestellt. Letztlich müssen zwei Tatbestände geschrieben werden. Erst für das Klagebegehren, inklusive aller Anträge, dann für die Aufrechnungsforderung.

Entscheidungsgründe

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Bei der Primäraufrechnung ist der klägerische Tatsachenvortrag unstreitig. Zu prüfen ist damit nur, ob die Klage schlüssig ist und ob die Aufrechnung den Klageanspruch ganz oder teilweise zum Erlöschen bringt.

Hilfsaufrechnung

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Bei der Hilfsaufrechnung wird die Aufrechnung unter die Bedingung gestellt, dass das Gericht die Klageforderung ansonsten für begründet hält. Das ist entgegen § 388 S. 2 BGB grundsätzlich zulässig, da die Bedingung rein innerprozessual ist. Erst mit Bedingungseintritt wird die Gegenforderung Gegenstand des Rechtsstreits. Bringt der Beklagte neben der Aufrechnung noch weitere Verteidigungsmittel vor, liegt im Zweifel eine Hilfsaufrechnung vor, da davon auszugehen ist, dass der Beklagte seine eigene Forderung nur aufgeben möchte, wenn er ansonsten verurteilt würde.

Tritt die Bedingung ein, entscheidet das Gericht über das Bestehen der Gegenforderung. In diesem Fall ergeht auch über die Gegenforderung bis zur Höhe der Hauptforderung eine rechtskraftfähige Entscheidung, § 322 Abs. 2 ZPO. Der Gebührenstreitwert erhöht sich entsprechend nach § 45 Abs. 3 GKG.

Beispiel: Der Beklagte rechnet gegen eine begründete Klageforderung von 5.000€ mit einer Gegenforderung von 7.500€ hilfsweise auf. Der Gebührenstreitwert beträgt nach § 45 Abs. 3 GKG 5.000€ für die Klageforderung + 5.000€ für die Gegenforderung. Über die überschießenden 2.500€ der Gegenforderung wird nicht entschieden, sie sind daher auch nicht streitwerterhöhend.

Hält das Gericht die Hauptforderung für nur teilweise begründet, greift auch insofern nur die Hilfsaufrechnung und nur in diesem Umfang erhöht sich der Streitwert.

Beispiel: Der Beklagte rechnet gegen eine über 5.000€ begründete Klageforderung von insgesamt 10.000€ mit einer Gegenforderung von 7.500€ hilfsweise auf. Der Gebührenstreitwert beträgt nach § 45 Abs. 3 GKG 10.000€ für die Klageforderung + 5.000€ für die Gegenforderung. Über die überschießenden 2.500€ der Gegenforderung wird nicht entschieden, sie sind daher auch nicht streitwerterhöhend.

Der Streitwert kann hingegen das Doppelte der Klageforderung übersteigen, wenn der Beklagte mit verschiedenen, die Klageforderung insgesamt übersteigenden Forderungen aufrechnet. In diesem Fall erhöht sich jeweils für jede Gegenforderung über die das Gericht rechtskraftfähig entscheidet der Streitwert um den Betrag der Gegenforderung bis zur Höhe der Hauptforderung.

Beispiel: Der Beklagte rechnet gegen eine begründete Klageforderung von 5.000€ mit zwei Gegenforderungen von 2.500€ und 7.500€ hilfsweise auf. Das Gericht hält beide Gegenforderungen für unbegründet. Der Gebührenstreitwert beträgt nach § 45 Abs. 3 GKG 5.000€ für die Klageforderung + 2.500€ für die erste und + 2.500€ für die zweite Gegenforderung. Über die überschießenden 2.500€ der zweiten Gegenforderung wird nicht entschieden, sie sind daher auch nicht streitwerterhöhend.

Die Kostenquote wird bei der Hilfsaufrechnung nach dem jeweiligen Obsiegen im Vergleich zum Gesamtstreitwert berechnet. Dabei ist zu beachten, dass bei Aufrechnung mit einer begründeten Gegenforderung auch der Beklagte die Gegenforderung verliert. Wird einer Hauptforderung nur eine Gegenforderung entgegengestellt sind die Kosten daher regelmäßig hälftig aufzuteilen bzw. gegeneinander aufzuheben da mit der erfolgten Aufrechnung beide Seiten ihre Forderung rechtskraftfähig verloren haben.

Beispiel: Der Kläger hat 5.000€ gefordert. Der Beklagte stellt drei Forderungen in Höhe von jeweils mindestens 5.000€ hilfsweise zur Aufrechnung. Das Gericht hält die Klageforderung für begründet. Zwei der Gegenforderungen hält es für unbegründet, die dritte für begründet. Es weist daher die Klage in der Hauptsache ab. Der Gesamtstreitwert beträgt 20.000€. Davon ist der Kläger in Höhe von 5.000€ unterlegen (seine ursprüngliche Klageforderung ist erloschen). In Höhe von 15.000€ ist der Beklagte unterlegen (zwei seiner Forderungen wurden in Höhe von 5.000€ rechtskraftfähig für unbegründet befunden, in Höhe von 5.000€ ist seine Gegenforderung erloschen). Die Kostenquote ist daher mit 1/4 für den Kläger und 3/4 für den Beklagten anzusetzen.

Tatbestand

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Bei der Hilfsaufrechnung wird die Gegenforderung nach dem streitigen Beklagtenvortrag zur Hauptforderung dargestellt. Der Aufbau folgt, abgesehen davon, dass keine Anträge wiederzugeben sind, dem normalen Schema mit verkehrten Rollen (Unstreitig - Streitiger Beklagtenvortrag, streitiger Klägervortrag, ggfs. Replik des Beklagten).

Entscheidungsgründe

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Ist die Klage schon unbegründet, wird die Hilfsaufrechnung gar nicht erwähnt. Ist die Klage begründet, wird erst die Zulässigkeit und Begründetheit der Klage und anschließend die Zulässigkeit und Begründetheit der Gegenforderung dargestellt.

Hilfsaufrechnung und Hilfswiderklage

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Die Hilfsaufrechnung stellt nicht sicher, dass über die Gegenforderung im Prozess entschieden wird. Daher kann es in der Anwaltsklausur sinnvoll sein, die Gegenforderung hilfsweise zur Aufrechnung zu stellen und die Gegenforderung gleichzeitig hilfsweise für den Fall, dass das Gericht die Klage für unbegründet hält, als Widerklage geltend zu machen.

Prozesshandlung

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Zu differenzieren ist wie folgt:

  1. Prozessaufrechnung = Aufrechnungerklärung (materielles Rechtsgeschäft: siehe oben) und die Berufung darauf (Prozesshandlung) einheitlich im Zivilprozess ("Doppeltatbestand")
  2. Außer- und Vorprozessuale Aufrechnung, sodann Berufung im Prozess auf die erklärte Aufrechnung

Weil auch die Geltendmachung der bereits erklärten Aufrechnung im Prozess als Prozesshandlung anzusehen ist, müssen in beiden Fällen die Prozesshandlungsvoraussetzungen vorliegen.

Bei der Aufrechnung mit mehreren Forderungen, die betragsmäßig die Klageforderung übersteigen, muss die Reihenfolge angeben werden, in der sie zur Aufrechnung gestellt werden. Bei mehreren Klageforderungen muss angegeben werden, in welcher Reihenfolge diese durch die Aufrechnung getilgt werden sollen.

Umstritten ist, was passiert, wenn die Prozesshandlung unwirksam ist (Beispiel: vor dem Landgericht tritt entgegen § 78 ZPO kein Anwalt auf, Aufrechnung wird als verspätet zurückgewiesen), die Aufrechnung als materielles Rechtsgeschäft dagegen wirksam ist.[1] Sähe man die Aufrechnung als materiell wirksam an, wäre damit die Gegenforderung erloschen. Im Urteil würde dennoch die Hauptforderung voll zugesprochen werden. Nach den Autoren, die dieses Ergebnis für unbillig halten, ist die Aufrechnung materiell-rechtlich als unwirksam anzusehen, sodass dass der Beklagte seine Gegenforderung in einem neuen Prozess selbständig einklagen kann.[2]

Die Prozessaufrechnung kann während des Rechtsstreits zurückgenommen und später mit neuer Tilgungsbestimmung erneut erklärt werden.[3]

Aufrechnung mit rechtswegfremden Forderungen

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Zivilgerichte dürfen nicht mit Rechtskraftwirkung über Fragen entscheiden, die anderen Rechtswegen zugewiesen sind. Da die Entscheidung über die Aufrechnungsforderung aber mit dem Urteil aber Rechtskraft erlangen kann, müssen Zivilgerichte bei einer Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung das Verfahren nach § 148 ZPO aussetzen bis eine rechtskräftige Entscheidung im richtigen Rechtsweg ergangen ist. Im Umkehrschluss kann das Zivilgericht über die Aufrechnungsforderung entscheiden, wenn sie rechtskräftig festgestellt oder unstreitig ist. Für das Verhältnis von Arbeitsgerichten und Zivilgerichten stellt sich das Problem nach Ansicht des BGH nicht, da beide Gerichtsbarkeiten überlappende Aufgaben haben und sich mit vergleichbaren Sachverhalten beschäftigen.[4] Daher kann das Zivilgericht auch über Aufrechnungsforderungen entscheiden, die eigentlich den Arbeitsgerichten zugewiesen sind.

Fußnoten

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  1. vgl. MüKoZPO-Wagner, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn 25 m.w.N.
  2. so MüKoZPO-Wagner, 4. Aufl. 2013, § 145, Rn 28
  3. Musielak-Stadler, 10. Aufl. 2013, § 145 Rn 15
  4. BGH NJW 1958, 543