Verwaltungsrecht in der Klausur/ § 5 Die allgemeine Leistungsklage/A. Die Statthaftigkeit der allgemeinen Leistungsklage

§ 5 Die allgemeine Leistungsklage

A. Die Statthaftigkeit der allgemeinen Leistungsklage

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Autor der Ursprungsfassung dieses Abschnitts A. ist Roman Weidinger

2 Wurde der Verwaltungsrechtsweg als eröffnet erkannt (s. ausführlich zur Prüfung § 1 Rn. 162 ff.), ist im Rahmen der Zulässigkeit als nächstes die statthafte Klage- bzw. Antragsart zu untersuchen. Die korrekte Ermittlung der statthaften Klage-/Antragsart ist das zentrale Scharnier für die gesamte restliche Klausur. Nach ihr richten sich sowohl die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen als auch die Struktur der Begründetheitsprüfung. Entsprechend wichtig ist die saubere Prüfung, welche Klage- bzw. Antragsart einschlägig ist (eine erste Übersicht über die Klage- und Antragsarten der VwGO findet sich in § 1 Rn. 222 ff.).

3Die allgemeine Leistungsklage ist, anders als die Anfechtungs-, Verpflichtungs- und (allgemeine) Feststellungsklage, nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Sie wird aber in den §§ 43 II, 111 und 113 IV VwGO vorausgesetzt,[1] ergibt sich also aus der Gesamtschau dieser Normen. In der Klausur ist dies in der Prüfung der Statthaftigkeit kurz darzustellen.

I. Klagegegenstände Bearbeiten

4 Die allgemeine Leistungsklage ist statthaft, wenn das klägerische Begehren darauf gerichtet ist, die beklagte Partei zu jeglichem Tun, Dulden oder Unterlassen zu verpflichten, das kein Verwaltungsakt ist.[2]

Daher ist die allgemeine Leistungsklage insbesondere von den Klagearten mit Verwaltungsaktbezug abzugrenzen – vor allem von der Verpflichtungsklage, da es sich in entsprechenden Klausuren meist um Anspruchsbegehren handelt (zum Verwaltungsaktbegriff s. § 2 Rn. 38 ff.).

5 Die in Betracht kommenden Klagegegenstände sind breit gefasst: Neben Realakten – als in der Klausur am häufigsten vorkommendem Klagegegenstand (zu Realakten sogleich Rn. 6 ff.) – können auch andere Verwaltungsmaßnahmen, die keine Verwaltungsakte sind, Gegenstand der allgemeinen Leistungsklage sein. Hiervon sind insbesondere öffentlich-rechtliche Willenserklärungen oder innerdienstliche Rechtsakte (beispielsweise Weisungen) (klausur-)relevant.[3]

1. Der Realakt als Gegenstand der allgemeinen Leistungsklage Bearbeiten

6 Als „Realakt“ bzw. „Verwaltungsrealakt“ bezeichnet man tatsächliches Verwaltungshandeln.[4]

7 Darunter sind Maßnahmen zu verstehen, die nicht auf einen rechtlichen Erfolg (beispielsweise Verwaltungsakte, Satzungen, Rechtsverordnungen oder öffentlich-rechtliche Verträge), sondern auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtet sind.[5] Insbesondere finden sich Realakte dort, wo mangels Regelungswirkung ein Verwaltungshandeln keinen Verwaltungsakt darstellt (§ 35 1 VwVfG).

Beispiel: Die Behörde (B) teilt dem Gastronom G in einem Rundschreiben mit, dass von nun an neue Hygieneregelungen gelten (= Realakt).

Wenn die Behörde dem G aber nach einer Überprüfung mitteilt, dass er in seinem Betrieb gegen die neuen Hygienevorschriften verstößt, liegt mit dieser Einzelfeststellung des Verstoßes ein rechtlicher Erfolg vor – also ein Verwaltungsakt.

8 Die Abgrenzung zum privatrechtlichen Realakt (beispielsweise der Kaufpreiszahlung zwischen Privaten) erfolgt dabei nach den zur Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht entwickelten Kriterien.[6]

a) Die Abgrenzung von Verwaltungsakt und Realakt Bearbeiten

9 Die Abgrenzung von Realakten und Verwaltungsakten nach der Regelungseigenschaft der Maßnahme kann im Einzelfall schwierig sein. Maßgeblich ist dabei, ob sich der entsprechenden Verwaltungshandlung ein Regelungs- bzw. Rechtsbindungswille entnehmen lässt.[7] Dies ist durch Auslegung zu ermitteln; die Auslegungsregel des § 133 BGB findet insoweit entsprechend Anwendung.[8] Entscheidend ist also, ob nach dem objektiven Erklärungsgehalt einer Maßnahme diese als Verwaltungsakt verstanden werden kann.[9] Dabei können die von der Verwaltung gewählte Rechtsform des Handelns, eine der Maßnahme beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung (§ 37 VI VwVfG) oder weitere im Zusammenhang mit der Verwaltungshandlung getroffene Äußerungen Anhaltspunkte für diese Beurteilung bieten.

10 Examenswissen: Besonders schwierig ist die Abgrenzung von Hinweisen auf die bestehende Rechtslage, die mangels Regelungswirkung keine Verwaltungsakte darstellen, gegenüber feststellenden oder gesetzeskonkretisierenden Verwaltungsakten. Auch hier gelten im Grunde die obigen Ausführungen zur Abgrenzung. Da aber vielfach bei (bloßen) Hinweisen auf die Rechtslage der objektive Erklärungsgehalt keine klare Zuordnung als Verwaltungsakt oder als schlichtes Verwaltungshandeln zulässt, bietet sich eher der Grad der Konkretisierung der gesetzlichen Regelung auf den Einzelfall als Anhaltspunkt an. Regelmäßig sind danach solche Maßnahmen Verwaltungsakte, deren „Regelungswirkung […] darin liegt, dass rechtserhebliche Eigenschaften in Bezug auf einen Einzelfall verbindlich und in einer der Rechtsbeständigkeit fähigen Weise festgestellt oder abgelehnt werden“.[10] Nichtsdestotrotz ist dieses Kriterium allein nicht (immer) treffsicher, sodass die Zuordnung der Maßnahme letztlich von den Umständen des Einzelfalls abhängt.[11]

So ist etwa die „Mitteilung“ des Dienstherrn an eine/n ihm unterstellte/n Beamten/Beamtin, dass sein Beamtenverhältnis nach § 31 I, II BBG zu einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt enden und er mithin keine Dienstbezüge mehr erhalten wird, da er wegen vorsätzlich begangener Straftaten vorbestraft wurde, ein feststellender Verwaltungsakt. Denn damit wird nicht bloß der Gesetzeswortlaut wiederholt, sondern in Anwendung der Vorschrift gegenüber dem Beamten/der Beamtin konkretisiert, wie genau die Rechtsfolge der Beendigung des Beamtenverhältnisses ihm gegenüber ausgestaltet wird, insbesondere durch die Festsetzung des genauen Beendigungszeitpunktes.[12]

11 Im Rahmen des Verwaltungsvollstreckungsrechts ist umstritten, ob schlicht-hoheitliche Vollstreckungshandlungen – beispielsweise das Aufbrechen einer Tür, um die Durchsuchung einer Wohnung ausführen zu können, oder die Abgabe eines Schusses gegen einen Störer – ausschließlich als Realakte einzustufen sind, oder ob nicht zugleich jeweils eine Verfügung ergeht, das staatliche Vollstreckungshandeln zu dulden (sog. Duldungsverfügung). Während früher für die Einordnung als Verwaltungsakt sprach, dass ansonsten ein gerichtlicher Rechtsschutz gegen das jeweilige hoheitliche Handeln nicht möglich war, sind diese Bedenken mittlerweile durch Rechtsschutzmöglichkeiten auch gegen Realakte – die allgemeine Leistungsklage und die Feststellungsklage – ausgeräumt, sodass die h.M. tatsächliches Vollstreckungshandeln ausschließlich als Realakt einordnet (dazu auch § 2 Rn. 71).[13]

In der Examensklausur ist dieser „Streit“ v.a. in der Feststellung der statthaften Klageart (bei Verwaltungsakten: Fortsetzungsfeststellungsklage bei bereits eingetretener Erledigung gem. § 43 II VwVfG, was regelmäßig der Fall ist; bei Realakt: allgemeine Feststellungsklage/Unterlassungsklage) relevant, dessen Darstellung aber angesichts der starken h.M. wohl nicht zwingend.

b) Typische Realakte Bearbeiten

12 Typische Realakte sind:

- tatsächliche Verrichtungen (etwa die Dienstfahrt eines Beamten),

- Leistungen des Staates an Bürger/Bürgerinnen (beispielsweise im Rahmen der Daseinsvorsorge) oder

- Wissenserklärungen (z.B. Auskünfte/Mitteilungen, Warnungen oder Ansprachen[14]).

c) Dem Realakt vorgelagerte Verwaltungsakte Bearbeiten

13 Examenswissen: Manchen Realakten sind Regelungen in Form von Verwaltungsakten zu der Entscheidung über das „ob“ der Vornahme/des Unterlassens des Realakts vorgelagert (s. hierzu auch § 2 Rn. 65 ff.). So werden etwa an sich als Realakt zu qualifizierende Zahlungen regelmäßig auf erster Stufe durch als Verwaltungsakt zu qualifizierende Bewilligungsbescheide festgesetzt. Auf zweiter Stufe folgt dann die Vornahme der Zahlung als schlichtes Verwaltungshandeln. Dass einem Realakt ein solcher Verwaltungsakt vorauszugehen hat, kann sich etwa aus einer gesetzlichen Anordnung (z.B. Festsetzung der Versorgungsbezüge bei Beamten, § 49 BeamtVG) oder auch daraus ergeben, dass vor der Vornahme des Realakts eine Ermessensentscheidung (damit also mit Verwaltungsakt-Regelungscharakter[15]) zu treffen ist.[16] So muss etwa einer Auskunftserteilung als Realakt dann ein Verwaltungsakt vorangehen, wenn im Rahmen einer Ermessensentscheidung verschiedene Belange gegeneinander abgewogen werden müssen, z.B. Informations- gegen Geheimhaltungsinteresse bei einem Auskunftsersuchen gegenüber einem Geheimdienst.[17]

14 Da der vorgelagerte Verwaltungsakt die Grundlage für den späteren Realakt bietet, muss zunächst ein – erfolgreicher – Antrag auf den Erlass dieses Verwaltungsakts gestellt[18] bzw. bei dessen Ablehnung die Verpflichtungsklage erfolgreich angestrengt worden sein, bevor eine allgemeine Leistungsklage auf Vornahme des Realakts erhoben werden kann (gestuftes Verfahren).[19]

Examenswissen: Weil das eine (Erlass des Verwaltungsakts) dem anderen (begehrtes schlichtes Verwaltungshandeln) notwendigerweise vorausgehen muss, ist die Verbindung beider im Rahmen der objektiven Klagehäufung (§ 44 VwGO, s. allgemein hierzu § 1 Rn. 251) mangels gleichzeitiger Entscheidungsreife als ungeschriebene Voraussetzung des § 44 VwGO nicht möglich.

Gesetzlich geregelte Ausnahmen hiervon gibt es allerdings im Rahmen der Anfechtungsklage.[20] Hier kann parallel zum Begehren der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung (nach § 113 I 2 VwGO als Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch oder gem. § 113 IV VwGO) gerichtlich geltend gemacht werden (näher zum Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch § 2 Rn. 1387). Zudem findet auf den Fall, dass mit einer Anfechtungsklage ein Folgeverwaltungsakt aufgehoben werden soll, wobei dessen Aufhebung von der vorherigen Aufhebung des „Ausgangsverwaltungsakts“ abhängt, § 113 IV VwGO analog Anwendung – sofern nicht spezieller § 113 I 2 VwGO einschlägig ist.[21] Ob die §§ 113 I 2, 113 IV VwGO auf die Verpflichtungsklage analoge Anwendung finden, ist umstritten.[22]

2. Weitere Klagegegenstände Bearbeiten

15 Examenswissen: Auch andere Maßnahmen ohne Verwaltungsakt-Charakter sind als Klagegegenstände denkbar – so etwa neben innerdienstlichen Rechtsakten und öffentlich-rechtlichen Willenserklärungen auch Flächennutzungspläne, die mangels Außenwirkung keine Verwaltungsakte sind (§ 35 1 VwVfG).[23]

16 Hausarbeitswissen: Ebenso wird von der h.M. die Statthaftigkeit der allgemeinen Leistungsklage auch dann angenommen, wenn Streitgegenstand eine Regelung eines Organs bzw. Organteils gegenüber einem anderen Organ(-teil) der gleichen juristischen Person des öffentlichen Rechts ist, denn sei dies, auch wenn die Regelung gezielt in ein Organrecht eingreift, kein Verwaltungsakt.[24]

17 Examenswissen: Ob bzw. in welchem Umfang untergesetzliche Rechtsvorschriften (insbesondere Rechtsverordnungen, Satzungen) Gegenstand der allgemeinen Leistungsklage sein können, ist umstritten.[25] Nach überwiegender Lehrmeinung[26] kann sie auch dann statthaft sein, wenn der Erlass (echte Normerlassklage) oder die Änderung/Ergänzung (unechte Normerlassklage) einer untergesetzlichen Rechtsnorm begehrt wird (zur Möglichkeit der Klage auf Normunterlassung s. Rn. 25). Denn die VwGO schließe dies nicht aus und die – von der Gegenauffassung als statthaft befundene – allgemeine Feststellungsklage sei nach § 43 II 1 VwGO subsidiär zur allgemeinen Leistungsklage (zum Streitstand näher § 6 Rn. 71). Der Anwendungsbereich der allgemeinen Leistungsklage wäre in diesen Fällen durch den Gewaltenteilungsgrundsatz als Teil des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 III GG, allerdings insoweit beschränkt, als dass Gerichte außer in besonderen Ausnahmefällen, in denen das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 IV 1 GG dies erfordere, kaum die (vollstreckbare) Verpflichtung aussprechen dürften, eine konkrete untergesetzliche Norm zu erlassen – denn der Erlass untergesetzlicher Normen sei Sache des jeweiligen demokratisch legitimierten Legislativorgans.[27] Daher dürfte sich der Urteilstenor regelmäßig auch nur auf den Normerlass oder die Normergänzung als solche beziehen, nicht etwa auf einen konkreten Norminhalt. Er ähnelt damit der Tenorierung eines Bescheidungsurteils (§ 113 V 2 VwGO analog).[28]

18 Die Rechtsprechung favorisiert hingegen die allgemeine Feststellungsklage mit Blick auf das Gewaltenteilungsprinzip, denn nach diesem obliege es nicht der Judikative, Normen – bzw. vollstreckbare Verpflichtungen zum Normerlass/zur Normergänzung – festzusetzen, sondern der Legislative.[29] Die Gerichte seien insoweit auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Unterlassens eines Normerlassens zu beschränken. Die Subsidiarität der allgemeinen Feststellungsklage gegenüber der allgemeinen Leistungsklage (§ 43 II 1 VwGO) stünde dem bei Klagen gegen den Hoheitsträger nicht entgegen (s. dazu § 6 Rn. 71).

19 Soweit der Erlass oder die Unterlassung eines formellen Gesetzes begehrt wird, ist die allgemeine Leistungsklage nicht einschlägig. Denn neben erheblichen legitimatorischen und rechtsstaatlichen Bedenken handelt es sich dabei um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, sodass der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 I 1 VwGO schon nicht eröffnet ist.[30]

II. Tun, Dulden oder Unterlassen Bearbeiten

20 Mit der allgemeinen Leistungsklage kann ein Tun, Dulden oder Unterlassen begehrt werden, das kein Verwaltungsakt ist (s. Rn. 24).

1. Die Vornahmeklage Bearbeiten

21 Dies umfasst die allgemeine Leistungsklage als sog. Vornahmeklage („Tun“, z.B. Widerruf einer ehrverletzenden Aussage durch einen Beamten/eine Beamtin gegenüber einem Bürger/einer Bürgerin), als Unterlassungsklage („Unterlassen“, beispielsweise die getätigte Aussage auch weiterhin zu unterlassen) oder die Kombination aus beidem.

2. Die Unterlassungsklage Bearbeiten

22 Die (allgemeine) Unterlassungsklage zielt dabei auf die Beendigung eines bereits eingetretenen bzw. sich wiederholenden Verwaltungshandelns, das kein Verwaltungsakt ist (z.B. andauernde Lärmemissionen). Daneben kann ein solches Verwaltungshandeln aber auch (bloß) mit „mehr oder minder großer Gewissheit“[31] drohen, ohne bereits eingetreten zu sein (z.B. eine in Aussicht gestellte Veröffentlichung behördlich zuvor festgestellter Hygienemängel in einem Gastronomiebetrieb[32]). Grundsätzlich wird verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz allerdings nur dann gewährt, wenn die (mögliche) subjektive Rechtsverletzung bereits eingetreten ist („repressiver Rechtsschutz“).[33] Soweit aber ein Abwarten des Klägers/der Klägerin bis zum Eintritt der Verletzung ihm/ihr nicht zumutbar ist bzw. „der Verweis auf nachgängigen Rechtsschutz – einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes – mit für den Kläger unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre“[34] – das ist im Rechtsschutzbedürfnis als sog. qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis[35] zu prüfen –, besteht im Sinne des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 IV 1 GG) die Möglichkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage.[36]

23 Examenswissen: Die Statthaftigkeit dieser Klage wird im Einzelnen verschiedentlich beurteilt, je nachdem, ob das drohende Verwaltungshandeln Verwaltungsaktqualität hat oder nicht. Denn bei drohenden Verwaltungsakten kann, anders als bei drohendem Nicht-Verwaltungshandeln ohne Verwaltungsaktqualität, regelmäßig schon durch die Einlegung eines Widerspruchs mit Suspensiveffekt (§ 80 I VwGO) Rechtsschutz unmittelbar nach dem Verwaltungsakt-Erlass erlangt werden, ohne dass sich überhaupt gerichtlich damit befasst werden muss. Im Falle der sofortigen Vollziehung (§ 80 II VwGO) besteht zudem mit der Möglichkeit des Eilantrags nach §§ 80 V, 80 a VwGO grundsätzlich eine ausreichende Rechtsschutzmöglichkeit. Eine gerichtliche Entscheidung im Rahmen der allgemeinen Leistungsklage trotz dieser Regelung in § 80 I, V VwGO ist daher mit Blick auf die Eigenverantwortlichkeit der Verwaltung regelmäßig nicht mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 II S. 2 GG) vereinbar.[37] Schließlich wird nachträglich Rechtsschutz auch dadurch gewährleistet, dass im Gestaltungsurteil der erfolgreichen Anfechtungsklage der angegriffene Verwaltungsakt rückwirkend aufgehoben wird (§ 113 I 1 VwGO). Bei Gewährung präventiven Rechtschutzes vor Verwaltungsakten im Rahmen der allgemeinen Leistungsklage würden zudem die besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen des „repressiven“ Rechtsschutzes der Anfechtungsklage (vgl. §§ 68 ff. VwGO) ausgehöhlt. Damit ist die allgemeine Leistungsklage auf (vorbeugende) Unterlassung des Erlasses eines Verwaltungsakts grundsätzlich unstatthaft, da der klagenden Partei insoweit das (qualifizierte) Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen ist.[38]

24 Ausnahmen dazu können sich aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 IV 1 GG ergeben. So ist die allgemeine Leistungsklage als (vorbeugende) Unterlassungsklage gegen den Erlass eines Verwaltungsakts statthaft, wenn unmittelbar die Gefahr besteht, dass es durch den Verwaltungsakt bzw. dessen Vollziehung zu Beeinträchtigungen für den Kläger/die Klägerin kommt, die durch die Einlegung eines Widerspruchs, eines Eilantrags und die spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können.[39] Dies ist etwa der Fall, wenn der Verwaltungsakt straf- bzw. bußgeldbewehrt ist[40], bei einer absehbaren Zahl sich kurzfristig erledigender oder gleichartiger Verwaltungsakte[41] oder bei Verwaltungsakten, deren Erlass zu nur schwer rückgängig zu machenden oder bereits vollendeten Tatsachen zu Lasten des Klägers/der Klägerin führt.[42]

25 Schließlich kann das drohende Verwaltungshandeln auch in dem Erlass einer untergesetzlichen Rechtsnorm (beispielsweise Rechtsverordnung oder Satzung) liegen. Die vorbeugende Unterlassungsklage ist hierbei grundsätzlich nicht statthaft. Dies ergibt sich einerseits aus der daraus folgenden Systemwidrigkeit gegenüber der prinzipalen Normkontrolle (§ 47 VwGO), die gem. § 47 I Nr. 1 VwGO nur gegen bestimmte Rechtsvorschriften – und darüber hinaus nur nach jeweiligem Landesrecht, § 47 I Nr. 2 VwGO – lediglich die nachträgliche Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes eröffnet. Außerdem steht dem der Gewaltenteilungsgrundsatz und dabei vor allem der Grundsatz gestalterischer Freiheit der Verwaltung entgegen, denn es kann einem Gericht nicht gestattet sein, schon vorbeugend die Unvereinbarkeit einer untergesetzlichen Norm mit höherrangigem Recht festzustellen, bevor die zuständigen Rechtssetzungsgremien ihre Beratungen abgeschlossen haben und die Norm mit Geltungsanspruch nach außen verkündet wurde. Nur in besonderen Ausnahmefällen, in denen das Gebot effektiven Rechtsschutzes es erfordert, kann die allgemeine Leistungsklage auf Unterlassen eines drohenden Erlasses einer untergesetzlichen Rechtsnorm als statthafte Klageart in Betracht kommen.[43]

26 Hausarbeitswissen: Auch bei Annahme der Statthaftigkeit der allgemeinen Leistungsklage für Normerlassklagen stünde ohnehin regelmäßig die fehlende Klagebefugnis einem Klageerfolg entgegen, da auf den Nichterlass von Normen gerichtete Unterlassungsansprüche als subjektive Rechte grundsätzlich nicht bestehen.[44]

27 Die vorbeugende Unterlassungsklage in Bezug auf formelle Gesetze scheitert indes schon an der Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nach § 40 I 1 VwGO, denn liegt dabei immer eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vor (s. Rn. 19).

III. Besondere Klausurkonstellation: Die Bürgerverurteilungsklage Bearbeiten

28 Examenswissen: Die allgemeine Leistungsklage umfasst nicht nur Fälle, in denen der Bürger/die Bürgerin den Staat verklagt (etwa auf die Gewährung einer schlichten Leistung), sondern kann auch umgekehrt die statthafte Klageart sein, wenn Hoheitsträger den/die Bürger/in auf Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht verklagen, beispielsweise auf Vornahme einer öffentlich-rechtlichen Gebührenzahlung (sog. Bürgerverurteilungsklage).[45] Allerdings ist dem Staat als Kläger regelmäßig das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen, denn er bedarf grundsätzlich zur Durchsetzung eines öffentlich-rechtlichen Anspruchs keines gerichtlichen Titels, sondern kann durch den Erlass eines Verwaltungsakts selbst einen Vollstreckungstitel schaffen (Selbsttitulierungsrecht der Verwaltung).[46] Eine Ausnahme dazu besteht aber, wenn ohnehin mit einer Klage des/der beteiligten Bürgers/Bürgerin und damit mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu rechnen ist.[47]

29 Daneben ist die allgemeine Leistungsklage des Staates gegen Bürger/innen auch dann nicht ausgeschlossen, wenn Ansprüche streitig sind, bei denen der Verwaltung kein Selbsttitulierungsrecht zusteht. Das sind etwa solche aus öffentlich-rechtlichen Verträgen, in denen der Staat sich zur gegenseitigen Erfüllung verpflichtet, ohne einseitig Regelungen zu treffen (sog. Ebene der Gleichordnung und Waffengleichheit[48]) – außer der/die betroffene Bürger/in hat sich der sofortigen Vollstreckung unterworfen (§ 61 VwVfG).[49] Auch Ansprüche aus dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch (dazu näher § 5 Rn. 189 ff.) oder vereinzelt aus der Geschäftsführung ohne Auftrag im öffentlichen Recht (dazu näher § 11 Rn. 50 ff.) sind mangels Selbsttitulierungsrecht im Rahmen der allgemeinen Leistungsklage gegen den/die Bürger/in einklagbar.[50]

Hingewiesen sei auf die weiterführenden Literaturhinweise auch zur Statthaftigkeit der Leistungsklage Rn. 64.


Fußnoten

  1. Vgl. BVerwG, Urt. v. 25.2.1969, Az.: I C 65.67 = BVerwGE 31, 301.
  2. BVerwG, Urt. v. 25.2.1969, Az.: I C 65.67 = BVerwGE 31, 301 (303); Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 344.
  3. Vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 346.
  4. In der Literatur auch: „schlichtes Verwaltungshandeln“, „schlicht-hoheitliches Verwaltungshandeln“, „tatsächliches hoheitliches Verwaltungshandeln“ und „nicht-förmliches Verwaltungshandeln“: Ipsen, Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 2019, Rn. 820 ff.; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 17 Rn. 1.
  5. Zu der Unterscheidung zwischen „Rechtserfolg“ und „tatsächlichem Erfolg“: Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 15 Rn. 1.
  6. Vgl. Erbguth/Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2018, § 23 Rn. 3.
  7. BVerwG, Urt. v. 21.6.2017, Az.: 6 C 3.16 m.w.N.
  8. BVerwG, Urt. v. 21.6.2017, Az.: 6 C 3.16 m.w.N.
  9. BVerwG, Urt. v. 25.5.1984, Az.: 8 C 100.83; BVerwG, Urt. v. 21.6.2006, Az.: 6 C 19.06.
  10. BVerwG, Urt. v. 16.01.2007, Az.: 6 C 15.06 = NJW 2007, 1478 ff.
  11. So spricht etwa für die Einordnung der Verwaltungsmaßnahme als Verwaltungsakt, wenn sie als Titel zugleich Verwaltungsvollstreckungsmaßnahmen als Grundlage dienen kann (§ 6 I VwVG, bzw. die jeweilige Landesnorm).
  12. BVerwG, Urt. v. 29.12.1969, Az.: VI C 4.65 = BVerwGE 34, 353 ff.
  13. Barczak, JuS 2018, 238 m.w.N.
  14. Dazu ist insbesondere die sog. Gefährderansprache immer wieder ein gern gewähltes Klausurthema. Näher zu diesem Thema: Hebeler, NVwZ 2011, 1364; eine Falllösung findet sich bei Hebeler/Spitzlei, JA 2019, 282.
  15. Eine Ausnahme dazu besteht insbesondere bei beamtenrechtlichen Maßnahmen, also bspw. wenn ein Beamter eine innerdienstliche Maßnahme begehrt (z.B. eine Umsetzung), deren Gewährung eine Ermessensentscheidung voraussetzt. Denn diese Entscheidung ist mangels Außenwirkung kein Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG).
  16. Erbguth/Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2018, § 12 Rn. 12; vgl. BVerwG, Urt. v. 25.2.1969, Az.: I C 65.67 = BVerwGE 31, 301 (307); vgl. Steiner, JuS 1984, 853 (857).
  17. Vgl. BVerwG, Urt. v. 25.2.1969, Az.: I C 65.67 = BVerwGE 31, 301.
  18. Denn sonst entfällt regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis im Rahmen der Verpflichtungsklage: Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 17 Rn. 11.
  19. Steiner, JuS 1984, 853 (855).
  20. Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 113 Rn 190 m.w.N.
  21. W.-R. Schenke/R.-P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 113 Rn. 176; a.A. Pauly/Pudelka, DVBl. 1999, 1613.
  22. Für eine analoge Anwendung: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 113 Rn. 33, 88 m.w.N.; a.A. Riese, in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 113 Rn. 83, 191 m.w.N.
  23. Schenke, NVwZ 2007, 134 (137 ff.).
  24. Lange, in: Festschrift für Schenke, 2011, S. 959; Vgl. Pietzcker, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, Vor § 42 I, Rn 18.
  25. Dass der Verwaltungsrechtsweg wegen des Vorliegens einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit verschlossen bliebe, § 40 I 1 VwGO, wird hingegen überwiegend verneint: Pietzcker, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 42 I Rn. 160.
  26. Übersicht über die Problematik in Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 20 Rn. 8; Duken, NVwZ 1993, 546 (548).
  27. Vgl. Pietzcker, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 42 I Rn. 160.
  28. Vgl. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2019, Rn. 1441.
  29. BVerwG, Urt. v. 4.7.2002, Az.: 2 C 13/01; BVerwG, Urt. v. 3.11.1988, Az.: 7 C 115/86 = BVerwGE 80, 355 (361); BVerwG, Urt. v. 7.9.1989, Az.: 7 C 4.89 = NVwZ 1990, 162 mit der letztlich allerdings offenen Formulierung, dass „auf die Entscheidungsfreiheit der rechtsetzenden Organe gerichtlich nur in dem für den Rechtsschutz des Bürgers unumgänglichen Umfang einzuwirken ist“.
  30. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 347; Einzelne natürliche oder juristische Personen müssten eine Verfassungsbeschwerde erheben: BVerfG, Beschluss v. 14.5.1985, Az.: 2 BvR 397/82 = BVerfGE 70, 35 (55).
  31. Erbguth/Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2018, § 23 Rn. 9.
  32. Solche Veröffentlichungen sind schon mehrfach Gegenstand gerichtlicher Verfahren gewesen, etwa: VG Regensburg, Beschluss v. 21.12.2012, Az.: RN 5 E 12.1895; VG München, Beschluss v. 3.12.2012, Az.: M 18 E 12.5736; VG Berlin, Urt. v. 28.11.2012, Az.: 14 K 79/12.
  33. Vgl. dazu Erbguth/Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2018, § 23 Rn. 13.
  34. BVerwG, Urt. v. 22.10.2014, Az.: 6 C 7/13 = NVwZ 2015, 906 m.w.N.
  35. Erbguth/Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9.Aufl. 2018, § 23 Rn. 13.
  36. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 354.
  37. Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, 19. Aufl. 2019, Rn. 387 m.w.N.
  38. Vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 67. Anders meint Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, § 8 Rn. 355, dass die allgemeine Leistungsklage wegen der Verfahrenskonkurrenz zu §§ 42, 68 ff. VwGO grundsätzlich nicht statthaft sei.
  39. Vgl. Schenke, JZ 1996, 1103 (1112); Erbguth/Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2018, § 23 Rn. 13; übersichtlich zu verschiedenen Fallkonstellationen: vgl. Dreier, JA 1987, 415 (421 f.).
  40. Vgl. BVerwG, Urt. v. 23.6.2016, Az.: 2 C 18/15 = NVwZ-RR 2016, 907, 908.
  41. BVerwG, Urt. v. 7.5.1996, Az.: 1 C 10/95 = NVwZ 1997, 276; VGH München, Beschl. V. 12.8.2016, Az.: 10 ZB 16/731, Rn. 8 f. juris; BayVGH, Urt. v. 9.12.1992, Az.: 11 B 91.2196 = NVwZ-RR 1993, 384.
  42. BVerwG, Urt. v. 29.6.1977, Az.: IV C 51/75 = BVerwGE 54, 211 (215 f.).
  43. Pietzcker, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 42 I Rn. 169; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn 1092.
  44. Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 65; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 1092 – beide auch zu den Ausnahmen, in denen subjektive Rechte auf Unterlassung bestehen können.
  45. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 351 ff.; näher zu den Leistungsklagen der öffentlichen Hand Hartwig/Himstedt/Eisentraut, DÖV 2018, 901.
  46. Würtenberger/Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 453.
  47. BVerwG, Urteil vom 6.09.1988, Az.: 1 C 15/86 = BVerwGE 80, 164 (165 f.); Schenke, JZ 1996, 1103 (1112). § 42 II VwGO analog ist in dieser Konstellation nicht zu prüfen, denn dient diese Vorschrift dem Ausschluss von Popularklagen: R. P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, Vorb § 40 Rn. 50; vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 14 Rn. 53.
  48. Mann/Wahrendorf, Verwaltungsprozessrecht, 4. Aufl. 2015, Rn. 282.
  49. Zum öffentlich-rechtlichen Vertrag übersichtlich Voßkuhle/Kaiser, JuS 2013, 687 ff. und Rn. 65 ff.
  50. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 28 Rn. 16.