Verwaltungsrecht in der Klausur/ § 3 Die Verpflichtungsklage/ A. Die Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage

§ 3 Die Verpflichtungsklage

A. Die Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage

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Autor der Ursprungsfassung dieses Abschnitts A. (ausgenommen VI.) ist Tristan Lemke

2 Wurde der Verwaltungsrechtsweg für eröffnet erkannt (s. ausführlich zur Prüfung § 1 Rn. 162 ff.), so ist im Rahmen der Zulässigkeit als nächstes die statthafte Klage- bzw. Antragsart zu untersuchen. Die Prüfung der statthaften Klage-/Antragsart ist das zentrale Scharnier für die gesamte restliche Klausur. Nach ihr richten sich sowohl die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen als auch die Struktur der Begründetheitsprüfung. Entsprechend wichtig ist die saubere Prüfung, welche Klage- bzw. Antragsart einschlägig ist (eine erste Übersicht über die Klage- und Antragsarten der VwGO findet sich in § 1 Rn. 222 ff.).

3 Die Verpflichtungsklage ist gem. § 42 I Alt. 2 VwGO statthaft, wenn der Kläger begehrt, den Klagegegner zu verpflichten, einen abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakt zu erlassen.

Beispiel: Der Kläger beantragt eine Baugenehmigung (einen Verwaltungsakt) nach § 71 I 1 BauO Bln. Diese wird verweigert, weswegen er Verpflichtungsklage erhebt: Das Land Berlin soll verpflichtet werden, ihm die Baugenehmigung zu erteilen.

4 Ob das Klagebegehren tatsächlich auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet ist, ist gem. § 88 VwGO durch Auslegung der prozessualen Erklärungen zu ermitteln (s. § 1 Rn. 225 ff.). Es kommt nicht darauf an, ob der Kläger subjektiv meint, es handele sich bei der begehrten Amtshandlung um einen Verwaltungsakt; entscheidend ist, ob diese objektiv die Merkmale des § 35 VwVfG aufweist. Das kann in Klausuren erörterungsbedürftig sein. Begehrt der Kläger beispielsweise Geldleistungen oder Auskünfte, so ist im Rahmen der Statthaftigkeit regelmäßig das Merkmal der Regelung zu diskutieren, bei mehrstufigen Verwaltungsakten ist typischerweise die Außenwirkung problematisch (ausführlich zum Begriff des Verwaltungsakts § 2 Rn. 38 ff.).

5 Der begehrte Verwaltungsakt muss den Kläger nicht adressieren. Er kann sich auch an einen Dritten richten.

Beispiel: Der Kläger begehrt, dass der Klagegegner verpflichtet wird, bauaufsichtsrechtlich im Wege einer Beseitigungsanordnung nach § 80 BauO Bln gegen seinen Nachbarn aufgrund eines Verstoßes gegen § 6 I BauO Bln einzuschreiten.

6 Sollte der geltend gemachte Anspruch auf Erlass eines Verwaltungsakts gegenstandslos geworden sein (Erledigung), so ist nicht die Verpflichtungsklage, sondern die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO analog statthaft.

I. Die Verpflichtungsklage als besondere Leistungsklage Bearbeiten

7 Im Fall einer stattgebenden Entscheidung formt das Gericht ­– anders als bei der Anfechtungsklage – nicht unmittelbar die Rechtslage um: Die Verpflichtungsklage ist eine Leistungsklage und keine Gestaltungsklage. Das stattgebende Urteil beinhaltet nicht den begehrten Verwaltungsakt. Es verpflichtet den beklagten Rechtsträger lediglich, diesen zu erlassen. Sollte er dieser Verpflichtung nicht nachkommen, enthält § 172 VwGO die Möglichkeit, ihn hierzu durch Zwangsgeld zu motivieren.

8 Bei der allgemeinen Leistungsklage, die nicht mit der Verpflichtungsklage verwechselt werden darf, handelt es sich ebenfalls um eine Leistungsklage (dazu § 5 Rn. 2 ff.). Sie ist jedoch auf schlicht-hoheitliches Verhalten der Verwaltung gerichtet, also auf eine Leistung, die gerade nicht im Erlass eines Verwaltungsakts besteht. Hierzu zählt beispielsweise die Herausgabe von Sachen, das Löschen von Daten, der Widerruf ehrverletzender Behauptungen oder die Beseitigung der Folgen schlicht-hoheitlichen Handeln.

9 In Situationen, in denen eine Verpflichtungsklage statthaft ist, ist eine Anfechtungsklage grundsätzlich keine taugliche Alternative. Mit ihr könnte lediglich der Ablehnungsbescheid, der den beantragten Verwaltungsakt versagt, gerichtlich aufgehoben werden. Hierdurch wäre dem Rechtsschutzziel des Klägers jedoch nicht entsprochen, weil dieser immer noch nicht den begehrten Verwaltungsakt innehätte.

10 Hausarbeitswissen: Sollte sich hingegen das klägerische Begehren in der Beseitigung der Ablehnungsentscheidung erschöpfen, ohne dass darüber hinaus der Erlass des ursprünglich beantragten Verwaltungsakts begehrt wird, so wäre eine solche isolierte Anfechtungsklage statthaft. Ob sie in Hinblick auf das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis auch zulässig wäre, ist umstritten (s. § 2 Rn. 504).[1]

II. Unterscheidung zwischen Untätigkeitsklage und Versagungsgegenklage Bearbeiten

11 § 42 I Alt. 2 VwGO unterscheidet zwischen zwei Varianten der Verpflichtungsklage: Der Versagungsgegenklage („abgelehnten“) und der Untätigkeitsklage („unterlassenen“). Es hängt von dem zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren ab, welche Form einschlägig ist. Eine Versagungsgegenklage liegt vor, wenn die Behörde den Antrag des Klägers abgelehnt hat, ihm also der begehrte Verwaltungsakt versagt wurde. Wenn gerade dies nicht geschehen ist, die Behörde also auf den Antrag des Klägers hin untätig geblieben ist, dann handelt es sich um eine Untätigkeitsklage. Die beiden Varianten der Verpflichtungsklage unterscheiden sich in der Zulässigkeitsprüfung (dazu Rn. 31, 36).

III. Sonderfall 1: Klage auf Aufhebung eines Verwaltungsakts Bearbeiten

12 Grundsätzlich ist die Anfechtungsklage statthaft, wenn das klägerische Begehren darauf gerichtet ist, dass ein Verwaltungsakt aufgehoben wird. Diese ist als Gestaltungsklage rechtsschutzintensiver. Sollte der angegriffene Verwaltungsakt jedoch bereits in Bestandskraft (s. § 2 Rn. 355 ff.) erwachsen sein, so wäre eine Anfechtungsklage unzulässig. Der Verwaltungsakt kann dann jedoch immer noch von der Behörde nach § 48 I VwVfG bzw. spezialgesetzlichen Regelungen aufgehoben werden (zur Aufhebung näher § 2 Rn. 844 ff.). Die Verpflichtungsklage kann in diesen Fällen darauf gerichtet sein, den Rechtsträger der Behörde zum Erlass eines Aufhebungs-Verwaltungsakts zu verpflichten.

13 Examenswissen: Hierdurch wird die Bestandskraft nicht ausgehöhlt: Ein Anspruch auf Rücknahme besteht lediglich ausnahmsweise, wenn die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts „schlechthin unerträglich“ ist.[2] Das ist bei bloßer Rechtswidrigkeit nicht der Fall. Meistens besteht somit nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme. Das gilt auch für Dritte, die die Aufhebung eines Verwaltungsakts verlangen, weil dieser eine drittschützende Norm verletze.

IV. Sonderfall 2: Klage auf Erlass des Widerspruchsbescheides Bearbeiten

14 Examenswissen: Das Klagebegehren kann auch darauf gerichtet sein, dass die Behörde einen Widerspruchsbescheid erlässt, falls sie bislang untätig geblieben ist. Problematisch hieran ist jedoch, ob der Kläger rechtsschutzbedürftig (zum Rechtsschutzbedürfnis allgemein s. § 2 Rn. 476 ff.) ist – schließlich steht ihm die Untätigkeitsklage nach § 75 1 VwGO offen. Die herrschende Meinung verneint daher das Rechtsschutzbedürfnis.[3] Indes sprechen gute Gründe dafür, eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines Widerspruchsbescheids zuzulassen. Denn im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wird nicht lediglich die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts überprüft. Letzteres vermag das gerichtliche Hauptsacheverfahren nicht zu leisten, weswegen dem Kläger eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde nicht verwehrt werden darf.[4] Eindeutig zulässig ist eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines Widerspruchsbescheides, wenn der Kläger Adressat eines begünstigenden Verwaltungsakts ist und ein Dritter gegen diesen Widerspruch eingelegt hat.[5] Anderenfalls könnte der begünstigende Verwaltungsakt nicht in Bestandskraft erwachsen und der Kläger bliebe im Ungewissen, ob er sich auf diesen stützen kann.

Beispiel: K wird eine Baugenehmigung erteilt. Gegen diese legt sein Nachbar N Widerspruch ein. Über den Widerspruch wird nicht entschieden. Daraufhin klagt N auf Erlass eines Widerspruchsbescheids.

V. Sonderfall 3: Die Verpflichtungsklage in mehrpoligen Rechtsverhältnissen (Verwaltungsakte mit Dritt- bzw. Doppelwirkung) Bearbeiten

15 Häufig bedeuten begünstigende Verwaltungsakte gleichzeitig eine Belastung für einen anderen; beispielsweise begünstigt die Baugenehmigung den Adressaten, belastet aber den Nachbarn, dessen Aussicht gestört wird. Genauso kann ein Verwaltungsakt den Adressaten belasten, aber einen Dritten begünstigen, beispielsweise eine bauordnungsrechtliche Beseitigungsverfügung (s. näher dazu § 2 Rn. 1234), die die Aussicht des Nachbarn wiederherstellt. Auch solche Verwaltungsakte mit Dritt- oder Doppelwirkung können mit Verpflichtungsklagen erstrebt werden. In Klausuren ist besonders darauf zu achten, dass im Rahmen der Klagebefugnis das in Frage stehende subjektive öffentliche Recht sauber herausgearbeitet wird (s. § 2 Rn. 292).

1. Nachbarklagen Bearbeiten

16 Examenswissen: Die Verpflichtungsklage kommt auch im Rahmen des Nachbarschutzes zum Einsatz. Zum einen kann mit der Verpflichtungsklage das Ziel verfolgt werden, die Behörde zu bauordnungsrechtlichen Einschreiten (beispielsweise zu einer Beseitigungsverfügung) gegenüber einem Nachbarn zu verpflichten. Diese Form des Rechtsschutzes wird relevant, wenn keine Baugenehmigung vorliegt, beispielsweise bei verfahrensfreien Bauvorhaben. Außerdem kann der Erlass einer Nebenbestimmung nach § 36 VwVfG verfolgt werden. Von dieser Möglichkeit wird insbesondere im Planfeststellungsrecht Gebrauch gemacht. Betroffene können mit der Verpflichtungsklage die Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses, beispielsweise um Schallschutzauflagen, verfolgen.[6]

2. Konkurrentenklagen Bearbeiten

17 Examenswissen: In Konkurrenzsituationen ist terminologisch zu differenzieren: Wenn lediglich die Situation eines Konkurrenten verschlechtert werden soll, handelt es sich um eine negative Konkurrentenklage. In diesem Fall ist die Anfechtungsklage statthaft.

Beispiel: Einem Konkurrenten wird eine Subvention gewährt, deren Voraussetzungen der Kläger nicht erfüllt. Deswegen begehrt er die Aufhebung des an den Konkurrenten gerichteten Subventionsbescheides.

18 Examenswissen: Die positive Konkurrentenklage hingegen zielt darauf ab, die gleiche Begünstigung wie der Konkurrent zu erhalten, ohne dass diesem der Vorteil entzogen werden soll. Die Verpflichtungsklage ist dann statthaft.

Beispiel: Einem Konkurrenten wird eine Subvention gewährt, in deren Genuss der Kläger ebenfalls kommen möchte. Der Kläger beantragt, den Rechtsträger zu verpflichten, seinen Subventionsantrag positiv zu bescheiden.

19 Examenswissen: Begehrt der Kläger hingegen eine Begünstigung, die ein Konkurrent erhalten hat und können nicht beide bzw. alle Konkurrenten diese Begünstigung erhalten, so handelt es sich um eine Mitbewerberklage (bei erschöpftem Kontingent).

Beispiel: Der Kläger begehrt, anstelle eines Konkurrenten die Zulassung zum Markt gem. § 70 GewO zu erhalten.

20 Es ist umstritten, welche prozessualen Schritte in dieser Konstellation erforderlich sind. Einer verbreiteten Auffassung nach ist eine Verpflichtungsklage auf die Begünstigung in objektiver Klagehäufung (Stufenklage, § 44 VwGO) mit mehreren Anfechtungsklagen gegen die den Konkurrenten bereits erteilten Zulassungen bzw. Konzessionen zu erheben.[7] Die Anfechtungen sollen das Kontingent teilweise wiederherstellen, also beispielsweise dafür sorgen, dass wieder ein Platz auf dem Markt nach § 70 GewO vergeben werden kann. In Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 IV GG ist dieser Ansatz nicht unproblematisch:[8] Wenn hunderte Konzessionen vergeben worden sind, müssten hunderte Anfechtungsklagen erhoben werden.[9] Deren Erfolgswahrscheinlichkeit kann der Kläger in der Regel nicht abschätzen, weil er nicht bezüglich aller Konkurrenten über alle Umstände informiert sein wird. Auch wird er selten überhaupt in der Lage sein, alle Konkurrenten zu benennen. Ferner wird er in einem Großteil dieser Anfechtungsklagen unterliegen und nach § 154 I VwGO die Kosten dieser Verfahren tragen müssen. Damit scheint eine Verpflichtungsklage ohne flankierende Anfechtungsklagen vorzugswürdig. Diese bietet jedoch keinen effektiveren Rechtsschutz, wenn die Behörde auch im Fall eines stattgebenden Urteils nicht imstande ist, die Begünstigung zu erteilen. Wenn die Behörde dem Konkurrenten die Begünstigung nicht entziehen kann, den Verwaltungsakt also nicht aufheben kann, dann kann sie aufgrund des begrenzten Kontingents dem Übergangenen nicht den begehrten Verwaltungsakt zu Teil werden lassen; diese Situation kann beispielsweise eintreten, wenn § 48 VwVfG aufgrund speziellerer Normen gesperrt ist.[10]

21 Hausarbeitswissen: Teilweise werden weitreichende Schlüsse aus dem Umstand gezogen, dass in dieser Situation der Verwaltungsakt gerichtlich nach § 113 I 1 VwGO aufgehoben werden kann.[11] Wenn das Gericht hierzu in der Lage sei, dann müsse das die Behörde ebenfalls vermögen. Die Anfechtungsklage setze nur bereits bestehende materiell-rechtliche Beseitigungsansprüche durch und begründe keine neuen. Deswegen könne das Verwaltungsgericht nicht mehr aufheben als die Behörde. Der verfassungsrechtlich verankerte Folgenbeseitigungsanspruch sei der in derartigen Konstellationen mit der Anfechtungsklage verfolgte materielle Anspruch. Dieser befreie die Verwaltung vom Vorbehalt des Gesetzes, soweit sie tätig werde, um ihn zu erfüllen. Deswegen sei auch in dieser Situation keine Anfechtungsklage erforderlich, sondern eine einzelne Verpflichtungsklage ausreichend.

Dieses Problem stellt sich nicht, sofern lediglich ein Bescheidungsurteil beantragt wird. In diesem Fall ist eine Verpflichtungsklage ohne flankierende Anfechtungsklagen zulässig.[12] Sollte ein Vornahmeurteil begehrt werden, sind hingegen parallel Anfechtungsklagen zu erheben.

22 Hausarbeitswissen: Bei der beamtenrechtlichen Konkurrentenklage liegt die Schwierigkeit in dem umrissenen Problem, dass die Verwaltung durch das Vornahmeurteil nicht zu einem unmöglichen Verhalten verpflichtet werden kann: Eine bereits vorgenommene Ernennung kann nur unter strengen Voraussetzungen aufgehoben werden, § 12 BeamtStG und § 14 BBG. Der Grundsatz der Ämterstabilität aus Art. 33 V GG verhindert nach der Ernennung des Konkurrenten, dass eine parallel zur Verpflichtungsklage erhobene Anfechtungsklage die begehrte Stelle wieder freimacht.[13] Die gerichtliche Aufhebung ist nur möglich, wenn der Dienstherr effektiven Rechtsschutz gegen die Ernennung verhindert hat.[14] Die eigentliche Herausforderung liegt somit darin, durch einstweiligen Rechtsschutz (dazu die §§ 8-10, zur Sicherungsanordnung im Rahmen der Konkurrentenklage s. § 10 Rn.8) die Ernennung zu verhindern.

VI. Sonderfall 4: Verpflichtungsklage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts nach § 44 V VwVfG Bearbeiten

Autor der Ursprungsfassung dieses Abschnitts VI. ist Tobias Brings-Wiesen

23 Gegen einen nichtigen Verwaltungsakt kommen für die Betroffenen grundsätzlich mehrere Rechtsbehelfsoptionen simultan in Frage: Sie können vor Gericht mit der Anfechtungsklage gemäß § 42 I Var. 1 VwGO dessen Aufhebung (s. dazu in § 2 Rn. 197 ff.) oder mit der Nichtigkeitsfeststellungsklage gemäß § 43 I Var. 3 VwGO die Feststellung seiner Nichtigkeit (s. dazu § 6 Rn. 73 ff.) begehren. Unbenommen ist ihnen jedoch, die Behörde direkt um eine Aufhebung gemäß §§ 48 f. VwVfG (s. dazu in § 2 Rn. 862) oder eine Feststellung der Nichtigkeit gemäß § 44 V VwVfG zu ersuchen. Erhalten sie daraufhin eine ablehnende Entscheidung, stellt sich die Frage, ob sie demgegenüber im Wege der Verpflichtungsklage gemäß § 42 I Var. 2 VwGO in Form der Versagungsgegenklage eine positive behördliche Entscheidung erwirken können.

24 Umstritten ist der Umgang mit der Ablehnung[15] der Feststellung der Nichtigkeit gemäß § 44 V Hs. 2 VwVfG. Da die Entscheidung der Behörde ein feststellender Verwaltungsakt ist (s. dazu in § 6 Rn. 166), wäre die Erhebung einer Verpflichtungsklage gemäß § 42 I Var. 2 VwGO – gerichtet auf die Verpflichtung zum Erlass der behördlichen Feststellung der Nichtigkeit (§ 113 V 1 VwGO) – grundsätzlich denkbar.[16]

25 Dies wird indes bisweilen bereits mit dem Argument der fehlenden Statthaftigkeit abgelehnt.[17] Soweit[18] dem Antragssteller die Nichtigkeitsfeststellungsklage offenstehe, gehe diese der Verpflichtungsklage als speziellere Klageart vor.[19] Ein anderes Verständnis widerspreche auch dem Ziel der Normierung von § 44 V VwVfG, mit dem lediglich eine dem § 43 I Var. 3 VwGO entsprechende verwaltungsverfahrensrechtliche Rechtsschutzmöglichkeit geschaffen, nicht aber der Weg zu einem weiteren (relativ inferioren) gerichtlichen Rechtsbehelf geebnet werden sollte.[20] Darüber hinaus wird (auch) das Rechtsschutzbedürfnis verneint.[21] Anders als im Normalfall der Verpflichtungsklage würde das Gericht im Falle der Begründetheit die Behörde hier zu einem Handeln verpflichten, das es im Wege der Nichtigkeitsfeststellungsklage gemäß § 43 I Var. 3 VwGO ohne weiteres selbst und unmittelbar vornehmen könnte.[22] Insofern biete die Nichtigkeitsfeststellungsklage nicht nur den prozessökonomischeren, sondern auch den rechtsschutzintensiveren, weil unmittelbareren Weg zur Erreichung des begehrten Klageziels.[23]

26 Darüber hinaus kann (im Falle des Fristablaufs) auch eine Verpflichtungsklage auf Rücknahme eines nichtigen Verwaltungsakts in Frage kommen.[24]


Fußnoten

  1. Zum Streitstand s. Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 337 ff.
  2. BVerwG, Beschl. V. 15.3.2005, Az.: 3 B 86/04 = DÖV 2005, 651; BVerwG, Urt. v. 30.01.1974, Az.: 8 C 20.72 =BVerwGE 44, 333 (336) vgl. zum Anspruch auf Rücknahme Schenke, in: Festschrift Maurer, S. 723 ff. sowie Ludwigs, DVBl 2008, 1164 (1167 f.).
  3. BVerwG, Beschl. v. 30.8.1962, Az.: III B 88.61 = VerwRspr 15, 367.
  4. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 262.
  5. VGH Mannheim, Urt. v. 10.11.1993, Az.: 3 S 1120/92 = DVBl 1994, 707.
  6. S. zu Rechtsprechungsnachweisen Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 15 Rn. 12.
  7. S. bspw. Sennekamp, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 42 Rn. 34 mit Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen.
  8. Ausführlich s. R.P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 42 Rn. 48.
  9. BVerwG, Urt. v. 7.10.1988, Az.: 7 C 65/87 = BVerwGE 80, 270.
  10. Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 3.6.1991, Az.: 7 L 43/89 = NJW 1992, 1979 das § 48 VwVfG für unanwendbar hielt, weil eine spezialgesetzliche Vorschrift den Entzug von Konzessionen abschließend regelte.
  11. Schenke, DVBl 1996, 387; Schenke, in: Festschrift Maurer, S. 725 ff.
  12. BVerwG, Urt. v. 7.10.1988, Az.: 7 C 65/87 = BVerwGE 80, 270.
  13. BVerwG, Urt. v. 9.3.1989, Az.: 2 C 4/87 = DVBl 1989, 1150.
  14. BVerwG, Urt. v. 4.11.2010, Az.: 2 C 16/09 = BVerwGE 138, 102.
  15. Eine Verpflichtungsklage vor einer behördlichen Entscheidung würde bereits wegen fehlenden (allgemeinen) Rechtsschutzbedürfnisses mangels Zulässigkeit scheitern, s. dazu in § 2 Rn. 489 ff. Eine Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO), s. dazu Rn. 11, sähe sich – anders als die im Folgenden thematisierte Versagungsgegenklage – tatsächlich der bspw. von Schenke, JuS 2016, 97 (101 f.), angeführten Kritik ausgesetzt.
  16. Dies bejahend OVG Münster, Urt. v. 30.8.1990, Az.: 1 A 2327/87 = NVwZ-RR 1991, 331 (332); Pietzcker, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 42 I Rn. 18; Leisner-Egensperger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 44 Rn. 57. So auch BSG, Urt. v. 23.2.1989, Az.: 11/7 RAr 103/87 = NVwZ 1989, 902 (903); vgl. tendenziell auch BVerwG, Urt. v. 21.11.1986, Az.: 8 C 127.84 = NVwZ 1987, 330.
  17. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 260, 425; Schenke, JuS 2016, 97 (101); W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 43 Rn. 20; Terhechte, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 43 VwGO Rn. 52.
  18. Schenke, JuS 2016, 97 (102), sieht Raum für die ausnahmsweise Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage; a.A. wohl das VGH Mannheim, Urt. v. 31.3.2006, Az.: 1 S 2115/05 = VBlBW 2006, 386 (387).
  19. Schenke, JuS 2016, 97 (101); a.A. aber Will/Rathgeber, JuS 2012, 1057 (1062), wegen des „anders geartete[n] Rechtsschutzziel[s] und [des] aus diesem Grund unterschiedliche[n] Streitgegenstand[s]“.
  20. Schenke, JuS 2016, 97 (101). Der VGH Mannheim, Beschl. v. 18.8.2014, Az.: 2 S 2258/13 = BeckRS 2014, 56962, wendet ein, dass mit Akzeptanz eines weiteren gerichtlichen Rechtsbehelfs gar der mit § 44 V VwVfG verfolgte Zweck der Entlastung der Gerichte konterkariert würde.
  21. Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 10 Rn. 93; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 70; Schenke JuS 2016, 97 (101 f.). Ein Rechtsschutzinteresse höchstens im besonderen Einzelfall für möglich erachtend VGH Mannheim, Beschl. v. 18.8.2014, Az.: 2 S 2258/13 = BeckRS 2014, 56962.
  22. Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 70.
  23. Schenke, JuS 2016, 97 (101 f.).
  24. Dafür BSG, Urt. v. 23.2.1989, Az.: 11/7 RAr 103/87 = NVwZ 1989, 902 (903). Dagegen indes Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 71, jedoch wohl vor dem Hintergrund, dass dieser generell eine behördliche Aufhebung mangels Wirksamkeit abzulehnen scheint.